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Ökumenisches Kirchenasyl in Furtwangen

Ökumenische Erklärung

Wir, Vertreterinnen und Vertreter der römisch-katholischen, der alt-katholischen und der evangelischen Gemeinden Furtwangens, sowie des Kreises gegen Rassismus und Gewalt sind überzeugt, daß für Familie Sakiz in ihrer jetzigen ausweglosen Situation sofortiger Schutz geboten ist – auch gegen die uns nicht verständlichen juristischen Entscheidungen der Behörden. Aus diesem Grund sprechen wir uns für die Gewährung von Kirchenasyl für Familie Sakiz aus.

Ökumenisches Kirchenasyl in Furtwangen

Die Menschenrechte seien im Asylrecht der Bundesrepublik erledigt, sagte ein Vertreter des Staates während eines Gesprächs im Regierungspräsidium Freiburg. Er wollte damit sagen, daß den Menschenrechten hierzulande ausreichend Genüge getan werde – der amtliche lapsus linguae bringt die Wahrheit – wenn auch ungewollt – ausgezeichnet zur Sprache ...

Seit dem Oktober 1998 befindet sich Familie Sakiz aus dem türkischen Kurdistan in einem ökumenischen Kirchenasyl, in Furtwangen, der Uhrenstadt mit Fachhochschule mitten im kalten und in diesem Jahr sehr verschneiten Schwarzwald. Menschen aus der römisch-katholischen Pfarrgemeinde, der alt-katholischen Kirchengemeinde und der evangelisch Kirchengemeinde haben sich zusammen mit Mitgliedern des Furtwanger Kreises gegen Rassismus und Gewalt bereit gefunden, sich schützend um die fünfköpfige Familie zu stellen und ihre drohende Abschiebung zu verhindern.

Die Familie befindet sich also seit fast einem halben Jahr in den Räumen des Don Bosco Heimes am Ort. Die Patres des Salesianer-Ordens sind die eigentlichen Gastgeber des Kirchenasyls. Es ist ein bemerkenswerter Vorgang und ein Zeichen aktiver Ökumene, wenn drei Gemeindeleitungen und ein Ordenshaus sich entschließen, gemeinsam einen Akt zivilen Ungehorsams zu begehen und eine von Familie, der in ihrer Heimat Verfolgung droht, in ihre Obhut zu nehmen.
Dennoch gibt es auch in Furtwangen bestimmt nicht nur Befürworter der Aktion, allerdings bleibt Kritik bislang maßvoll und im Rahmen demokratischer Gesprächsführung. Bis auf zwei anonyme Briefe, die, wohl aus derselben Feder stammend, einmal den Austritt aus der evangelischen, sodann den aus der römisch-katholischen Kirche androhten, wurden bisher keine Lautäußerungen aus der dumpfen Stammtisch-Szene vernommen.

Wie kam es konkret zum Ökumenischen Kirchenasyl?

Seit mehreren Jahren schon kümmert sich der Furtwanger Kreis gegen Rassismus und Gewalt um die verschiedenen in Furtwangen lebenden Asylbewerberinnen und Asylbewerber. Je nach Bedarf und in entsprechenden Intervallen werden Hausaufgabenhilfen und kleine Deutschkurse angeboten. Hausbesuche sind an der Tagesordnung, und weil der Schwarzwald-Baar-Landkreis nun seit geraumer Zeit Lebensmittelpakete ausgibt, die den Bedürfnissen der Asylsuchenden nicht gerecht werden, sind auch in dieser Sache Protestaktionen im Verbund mit anderen Gruppen der Gegend notwendig. In regelmäßigen Abständen werden kleine Feste veranstaltet, man redet, isst und spielt gemeinsam. Die Lage der Asylsuchenden ist während dieser Aktionen immer im Blick, die Menschen lernen sich kennen und schätzen. Es kommt auch zum Gespräch mit den berufsmäßigen Helfern, SozialarbeiterInnen der Kommune und von Caritas bringen sich mit ihrem Wissen und Sachverstand beratend mit ein. Wichtig ist bei diesem Vorgehen immer eine gewisse Flexibilität. Das Programm muß sich stets den Erfordernissen der gerade anwesenden und interessierten Asylsuchenden anpassen – darf andererseits aber auch die Kräfte und Möglichkeiten der Unterstützerinnen und Unterstützer des Kreises nicht überfordern.

Im Rahmen dieses Programms war schon mehrfach in den vergangenen Jahren angedacht worden, was zu tun sei, wenn Asylsuchende von konkreter Abschiebung bedroht sind. Haben die ohnehin schon vielfach Engagierten dann noch Kräfte frei? Im evangelischen Kirchengemeinderat wurde schon seit Jahren immer wieder die Frage des Kirchenasyls als Möglichkeit erwogen und grundsätzlich befürwortet.
Man solle jedoch in jedem einzelnen Fall prüfen. Die räumlichen Gegebenheiten der evangelischen Gemeinde – das zeigte sich in einer konkreten Situation – sind für die langfristige Unterbringung einer ganzen Familie im Kirchenasyl nicht sonderlich geeignet. Eine von Abschiebung bedrohte iranische Familie hatte das Kirchenasyl abgelehnt, weil sie sich ein Leben in relativer Öffentlichkeit nicht vorstellen konnte. Die Argumente waren sehr nachvollziehbar. Ihre Sache klärte sich glücklicherweise auch ohne Kirchenasyl. Im Frühjahr 1998 zeichnete sich dann ab, dass Herr Sakiz möglicherweise mit seiner baldigen Abschiebung rechnen müsse. Der Kreis formierte sich, es kam zu einem überkonfessionellen „runden Tisch“. In einer recht großen Runde klärten die Beteiligten, wie viel jede und jeder beitragen könne und wolle, um sich bei einem Kirchenasyl einzusetzen. Es zeigte sich, dass die Lage nicht aussichtslos war. Die Gesprächsrunde war von großem Ernst geprägt und man war sich der Ver-antwortung bewusst, die sich der Kreis aufladen würde, sollte es zu einer solchen Aktion kommen.

Die Situation für Herrn Sakiz wurde dann wirklich bedrohlich, er tauchte zwischenzeitlich unter und auch seine Frau und die drei Töchter versteckten sich außerhalb Furtwangens. Der wichtigste Punkt war der Ort des Kirchenasyls. Hier zeigte sich erfreulicherweise die Gast-freundschaft und Offenheit des Don Bosco Hauses der Salesianer für alle Menschen. Familie Sakiz wohnt seither im Wohnheim des Don-Bosco-Hauses, gleich neben dem Kirchenraum. Die praktische Ökumene bewährt sich bisher, und aus allen drei Gemeinden kommen Menschen regelmäßig, um für Familie Sakiz einzukaufen, mit den Kindern zu spielen, sie zur Schule zu bringen und wieder abzuholen.
Sehr wichtige zwischenmenschliche Erfahrungen werden gemacht. Die Helferinnen und Hel-fer brauchen viel Geduld und langen Atem. Ein Ende des Kirchenasyls ist nicht abzusehen. Es finden regelmäßige Treffen statt, auf denen man sich austauscht, die Lage berät und die nächsten Einkaufs- und Besuchstermine abklärt. In den Gottesdiensten der drei Gemeinden kommt das Kirchenasyl im Fürbittengebet vor, allerdings nicht moralisierend penetrant, das wäre wohl kontraproduktiv. Die drei Kirchengemeinden verabschiedeten eine „Ökumenische Erklärung“, in der sie ihre Bereitschaft, sich für diese Familie einzusetzen, verbindlich erklären und begründen. Am meisten Geduld und Ausdauer wird aber der kurdischen Familie selbst abverlangt. Denn diese fünf Personen sind entwurzelt und befinden sich in einer Situation von außerordentlicher Perspektivlosigkeit.

Entwurzelung und Perspektivlosigkeit

Entwurzelung beschreibt das Verhältnis der Familie Sakiz zu ihrer Vergangenheit. Es ist ein Schicksal, das viele Menschen aus Kurdistan so oder so ähnlich erfasst hat. Seit elf Jahren ist Herr Sakiz auf der Flucht. Er und seine Frau haben kaum ein gemeinsames Leben, erst in Furtwangen kam es zu einer Familiensituation. Die drei Töchter kamen in der Schweiz und in Deutschland zur Welt. Allerdings steht dies unter dauernder Bedrohung und Ungewissheit im Blick auf die Zukunftsaussichten. Lebensplanung ist so nicht möglich. So kennzeichnet momentan eine große Perspektivlosigkeit das Verhältnis der Familie Sakiz zu ihrer Zukunft. Die Fähigkeit einerseits mit der Entwurzelung, andererseits mit der Perspektivlosigkeit umzugehen, ist die Gegenwartsaufgabe dieser Familie. Das Alltagsleben von Familie Sakiz ist eigentlich das eines individuellen Ausnahmezustands. Gehen wir davon aus, dass viele, wenn nicht die meisten Menschen aus Kurdistan in mehr oder weniger vergleichbaren Grenzbereichen zwischen Entwurzelung und Perspektivlosigkeit leben müssen, wird vielleicht verständlicher, mit welchen Gefühlen die Entführung des PKK-Führers Öcalan aufgenommen wird. Eine wie auch immer geeignete Identifikations- und Integrationsfigur ist in Gefahr und das je eigene Schicksal verliert einen Hoffnungsinhalt, wenn diese Figur nun schwach und in Haft ist. Dieser kollektive Gesichtspunkt wird wohl in der gegenwärtigen Aufregung vernachlässigt, Verständnislosigkeit gegenüber den Ausschreitungen militant engagierter Kurdenkreise herrscht vor.

Zurück zum Kirchenasyl für Familie Sakiz: Es verhindert die drohende Abschiebung zwar, verschärft den schon vorher latent vorhandenen Ausnahmezustand. Der Unterstützerkreis bemüht sich um Geborgenheit und eine vertrauensvolle Umgebung für Familie Sakiz, kann aber natürlich keine Lösung des Problems bieten. Und dieses liegt in der Vergangenheit, der konkreten politischen Verfolgung der Kurden durch den türkischen Staat, der Krieg gegen eine Minderheit führt und dessen Vorgehen sogar von eigenen Parlamentariern angegriffen wird .
Entwurzelung bedeutet hier Verlust von Vergangenheit, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Am gravierendsten ist der Vergangenheitsverlust, der durch Traumatisierung erlitten wurde. Herr Sakiz wurde in türkischen Gefängnissen gefoltert, und nur durch lange und mit viel Einfüh-lungsvermögen geführte Gespräche beim Roten Kreuz kam zur Sprache, was es mit seiner Entwurzelung auf sich hat. Die seelische Konstellation und Konstitution des Asylsuchenden spielt bei dessen Erstvernehmung vor deutschen Behörden keine Rolle. Wer am glattesten seine Argumente vorbringt, hat hier die besten Chancen – das gilt nach wie vor. Ergebnisse der Traumaforschung gehen am deutschen Staatswesen vorbei.

Wie erging es Herrn Sakiz? Das Ökumenische Kirchenasyl bezieht sich aus der Sicht der abschiebenden Behörde lediglich auf Herrn Sakiz. Nur er ist ausgeschrieben zur Fahndung. Das hat damit zu tun, dass Herr und Frau Sakiz getrennt in die Bundesrepublik eingereist sind und darum auch getrennt abgeschoben werden können. Der Schutz der Familie ist hier also grundsätzlich aufgehoben. Das theoretische Spiel mit dem Gedanken, wo dann die Kinder bleiben würden, ist grausam ... Aus gemeinsamer ethischer Verantwortung erstreckt sich das konkrete Kirchenasyl aber auf die ganze Familie. Nun zum persönlichen Schicksal von Herrn Ali Sakiz. Er ist das drittjüngste von sieben Kindern. Alle sechs Geschwister sind seit den 80er Jahren nach Europa geflüchtet und haben einen Asylantrag gestellt. Mehrere der Geschwister waren inhaftiert. Die beiden älteren Brüder – einer wohnt in der Schweiz, ein anderer im Großraum Stuttgart – sind seit mehreren Jahren als Asylberechtigte anerkannt. Das gilt auch für die in Frankreich lebende ältere Schwester. Die zweite ältere Schwester hält sich irgendwo in Europa auf, ihr genauer Aufenthaltsort ist Herrn Sakiz nicht bekannt. Die zwei jüngeren Brüder sowie die jüngere Schwester leben ebenfalls bei Stuttgart. Bei der Schwester ist das Asylverfahren noch nicht abgeschlossen. Herrn Sakiz' Mutter lebt als einzige aus der Familie noch in ihrem Heimatdorf in der Nähe der Stadt Pazarcik (Regierungsbezirk Kahraman Maras). Der Vater wurde 1978 beim Maras-Massaker ermordet. Familie Sakiz hat drei Töchter. Die älteste (8 Jahre) wurde in der Schweiz geboren, die beiden jüngeren (vier- und einjährig) in Deutschland. Die achtjährige Tochter besucht in Furtwangen die Grundschule, die vierjährige den Kindergarten. Herr Sakiz lebte vor seiner Flucht in die Schweiz wie seine Eltern von der Landwirtschaft. 1985-87 leistete er Militärdienst in der Türkei. Ende 1987 gelang ihm die Flucht in die Schweiz. Diese Flucht wurde ausgelöst durch seine ständige Verfolgung in der Türkei. Finanziell recht gut gestellt, wurde er nach dem Militärdienst durch die türkischen Behörden ständig unter Druck gesetzt, sog. paramilitärischer „Dorfschützer“ im Kampf gegen die PKK zu werden. Man hat ihn ständig beschuldigt, die PKK zu unterstützen. Soldaten ließen ihm keine Ruhe. Er floh also in die Schweiz wurde aber nach sieben Jahren von dort wieder in die Türkei abgeschoben. Schon am Flughafen in Istanbul hat man ihn verhaftet und in den Keller einer Polizeistation verbracht. Unter dem Vorwand, er habe auf eine einfache Frage gelogen, wurde ein Polizeihund auf ihn gehetzt, gleichzeitig hat ihn ein Polizist angegriffen. Von dem Hund wurde er schlimm gebissen. Während des ganzen Vorgangs sollte Herr Sakiz Fragen beantworten. Er wurde auch geschlagen und lag letztlich auf dem Boden, hat Blut erbrochen und erwachte schließlich in einem Militärkrankenhaus. Mittlerweile war Frau Sakiz aus der Schweiz in die Bundesrepublik gelangt. Sie war damals mit der zweiten Tochter schwanger. Er hatte nachkommen wollen, war aber in schweizerischer Abschiebehaft, danach in besagter dreimonatiger Untersuchungshaft in Istanbul. Nach dieser Zeit ging Herr Sakiz in sein Heimatdorf und versuchte sich cirka 12 Monate lang, eine neue Existenz dort aufzubauen. Er eröffnete eine Art Lebensmittelladen, der nach wiederholten Beschuldigungen und Angriffen von Seiten des türkischen Militärs von Soldaten geschlossen wurde. Mehrfach wurde das Haus seiner Mutter vom Militär durchsucht, man hat dabei Zeitschriften und Bilder von Herrn Sakiz mitgenommen. Auch wurde auf das Haus seiner Schwiegereltern geschossen, weil man ihn dort vermutete. Die Schwiegereltern wurden dabei verletzt. Herrn Sakiz' Mutter wurde unter Druck gesetzt, und bei einem Polizeiverhör so geschlagen, daß sie taub wurde. Wiederholt wurde er auch in dieser Zeit aufgefordert, „Dorfschützer“ zu werden. Man hat ihn mit acht weiteren Dorfbewohnern in die sog. „Antiterror-Kampfstation“ nach Kahraman Maras verbracht.

Im Oktober 1995 ist ihm die zweite Flucht gelungen. Man hat ihn allerdings an der bundesdeutschen Grenze festgenommen, doch auf Umwegen konnte er schließlich in Karlsruhe einen Asylantrag stellen. Die endgültige Ablehnung und Androhung der Abschiebung erfolgte dann im September 1998. Herr Sakiz klagt über anhaltende, ausgeprägte Schlafstörungen mit Alpträumen (wenig Nachtschlaf), starkes Schwitzen und Zittern. Er hat Angstzustände, Konzentrationsschwierigkeiten, auch momentane Orientierungsprobleme und eine Neigung zum Grübeln. Er ist sehr angespannt und innerlich unruhig. Früher, so sagt er, sei er gesund und körperlich stark gewesen. Wenn er nachts so wachliege und das Gefühl habe, sein ganzer Körper „fiebere“, dann denke er, der Tod wäre eine Erleichterung von den quälenden Dingen. Diese Befindlichkeiten sind eindeutig die Folgeerscheinungen des vor allem während der Untersuchungshaft in Istanbul erlittenen Traumas. Zu diesem Ergebnis kommt der psychologische Befund des DRK aufgrund vieler Einzelgespräche: „Die bei Herrn Sakiz festzustellenden Symptome belegen nach der internationalen Klassifikation psychischer Störungen der Weltgesundheitsorganisation WHO eindeutig die Diagnose der posttraumatischen Belastungsstörung“. Und: „In den Lebensdaten des Patienten finden sich Hinweise und Anhaltspunkte dafür, daß die Biographie seit der Pubertät eine Kette von Bedrohung, Verfolgung und Folter ist, wobei das zentrale Ereignis die dreimonatige Inhaftierung nach der Abschiebung darstellt. ... Die erlittene und absichtlich zugefügte Eriedrigung , Demütigung und Folter haben bei dem Patienten zu einer tiefgehenden seelischen Verletzung geführt. Die Ausführungen des Patienten sind schlüssig und glaubhaft, die emotionale Reaktionsweise kongruent mit den psycho-dynamischen Gesetzmäßigkeiten.“ Der Befund appelliert „aus humanitären Gründen daran, der Familie eine erneute Verfolgung und Folter zu ersparen. Eine Rückkehr in die Heimat würde eine erneute Entwurzelung für die Familie und einen Bruch für die inzwischen positiv integrierten Kinder bedeuten.“ Ein weiterer wichtiger und nicht zu unterschätzender Gesichts-punkt besteht darin, daß Familie Sakiz zur Glaubensgemeinschaft der Aleviten gehört. Über die Verfolgungssituation der Aleviten in der Türkei gibt es unterschiedliche Auffassungen. An dieser Stelle kann nicht ausführlich darauf eingegangen werden, lediglich soviel: Es kann von einer in den 80er Jahren erfolgten und auch jetzt andauernden „Sunnisierung“ in der Tür-kei gesprochen werden, die einen „Übergriff auf das Alevitentum“ darstellt, „der nicht mehr nur der bisher der Glaubensgemeinschaft entgegengebrachten Ignoranz und Geringschätzung entsprach, sondern der es in seiner Besonderheit negierte und der es gleichzeitig für den sunnitischen Islam zu vereinnahmen trachtet.“ Deutsche Gerichte haben auch in dieser Hinsicht eine ganz andere Wahrnehmung ...

Perspektivlosigkeit - oder gibt es Hoffnung?

Die eingangs beschriebene Gegenwartsaufgabe der Familie Sakiz, nämlich die Spannung zwi-schen Entwurzelung und Perspektivlosigkeit auszuhalten, kann durch Gewährung des Asyls durch den deutschen Staat aufgehoben werden. Die Anerkennung und weitergehende Integration des Familie in Deutschland würde neue Perspektiven eröffnen. Darum ist derzeit ein Asylfolgeantrag durch einen Rechtsanwalt in Vorbereitung. Der Unterstützerkreis des Ökumenischen Kirchenasyls versucht, Familie Sakiz in dieser ungeklärten Situation zu begleiten. Für die Arbeit mit solchermaßen traumatisierter Menschen ist keiner von uns professionell ausgebildet. Außerdem stehen alle in der gesellschaftlich vermittelten Spannung, eigentlich etwas Illegales zu unterstützen. Die Tatsache jedoch, dass eine Familie mit drei kleinen Kindern getrennt abgeschoben werden kann, weil sie auch getrennt eingereist sei, die Tatsache, dass Folterpraxis in der Türkei zum normalen Justizvollzug gehört und deshalb auch nicht als Verfolgungsgrund anerkannt werden kann, die Tatsache, dass zerstörte Heimatdörfer und damit verbunden der Entzug aller Lebensgrundlagen innerhalb der Türkei, verbunden mit der Tatsache, dass es in der Türkei für Kurden eben keine inländische Fluchtalternativen gibt, wie das von deutschen Gerichten immer wieder behauptet wird – das alles ist – neben den allgemein ethischen und genuin christlichen Überzeugungen – Motivation und Grund für die Beteiligten, sich weiter zu engagieren. Wir hoffen alle darauf, dass sich eine gute Lösung finden lässt – auch im Gespräch mit Politikerinnen und Politikern. Wobei diese Hoffnung manchmal getrübt wird, wenn etwa Frau Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast in ihrer Eigenschaft als Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister des Inneren auf eine Anfrage an Frau Hertha Däubler-Gmelin aus unserem Unterstützerkreis antwortet: „Ihr Schreiben an die Bundesjustizministerin offenbart mehr noch als Ihre Gewährung von Kirchen-Asyl es tut, einen fundamentalen Zweifel an der Tragfähigkeit unseres demokratischen Rechtsstaates, der mich sehr nachdenklich macht und über den man gemeinsam nochmals nachdenken sollte.“ Was mehr Anlass zur Hoffnung gibt, ist, dass drei Gemeinden verschiedener Konfession sich zusammentun, um wenigstens hier einmütig zu helfen. Hoffentlich bleibt es so! Wir fühlen und wissen uns eins und einig in dem Satz der Hebräischen Bibel „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Lev 19,18). In der Einheitsübersetzung wird zu diesem Teilvers angemerkt: „Jesus hat es (= das Gebot der Nächstenliebe) nach Mt 5, 43 und Lk 10, 27-37 auf alle Menschen ausgedehnt.“ Dem ist abschließend hinzuzufügen, dass in Lev 19, 33f das Gebot der Nächstenliebe zugespitzt und fokussiert wird auf die Fremden unter uns: „Wenn bei dir ein Fremder in eurem Land lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken. Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen. Ich bin der Herr, dein Gott.“



 

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