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       Meditation 
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       Karlfried Graf Dürkheim:  
         Der Bezug des Menschen zum Oben und Unten, zur Welt und zu sich selbst Aus der leibhaftigen 
        Erscheinung des Menschen aus dem Leib, der er „ist“, spricht uns jeweils 
        ein Dreifaches an:  Immer drängt das Wesen des Menschen auf Verwirklichung in einer Gestalt, in der es offenbar werden kann in der Welt. Wo das möglich ist, ist der Mensch in seiner Mitte. Dies „In-seiner-Mitte-sein“ des Menschen ist nie etwas nur innerliches, sondern betrifft den Menschen auch in seinem Dasein in der Welt, das heißt in seinem Leibe. Die Gestalt, das heißt die Weise, wie ein Mensch da ist, ist daher dann „richtig“, wenn er in ihr transparent ist für sein Wesen und das in seinem Wesen anwesende Sein. Diese Transparenz ist aber nur in einem ganz bestimmten Verhältnis des Menschen zum Oben und Unten, zur Welt und zu sich selbst gegeben und gewährleistet. Das durch die inneren und äußeren Umstände jeweilig mitbedingte Sosein des Menschen entspricht dem Inbild des rechten Verhältnisses aber nie ganz. Er ist also immer nur auf dem Wege zu der ihm aufgegebenen vollkommenen und in der rechten Mitte zentrierten Gestalt. 1. Ob der Mensch mit Bezug auf die Beziehung zwischen Oben und Unten in Ordnung ist, wird vor allem an seiner „Haltung“ sichtbar, das heißt an der Art und Weise, wie er die ihm als Menschen im Unterschied zum Tier zugedachte Vertikale darlebt. Ist diese nicht ein Symbol seines himmlischen Ursprungs? Ist er in der rechten Weise „aufrecht“, dann verbindet er in seiner Haltung Himmel und Erde. Seine Gebundenheit nach unten bringt sein Aufgerichtetsein nicht in Gefahr, und in seinem Aufgerichtetsein liegt keine Verneinung seiner Gebundenheit an die Erde. Er ist vielmehr im Kontakt mit einem Unten, das wie das Wurzelwerk des Baumes seiner Aufwärtsbewegung nicht nur nicht widerspricht, sondern sie gleichsam mit hervorbringt und sichert. Zugleich hat seine Strebung nach oben nicht den Charakter einer ihn von der Erde wegziehenden Bewegung, sondern einer die lebenspen-dende Wurzelkraft bezeugenden Aufwärtsbewegung. Die mit Bezug auf das Verhältnis vom Oben zum Unten „rechte“ Erscheinung bringt unverstellt und harmonisch zum Ausdruck, daß der Mensch zugleich in der Erde gegründet und auf den Himmel bezogen, von der Erde gespeist und getragen und vom Himmel gezogen wird, an die Erde gebunden ist und zugleich himmelwärts strebt. 2. Ist die lebendige Gestalt dem rechten Verhältnis zur Welt, zu Mensch, Ding und Natur gemäß, so besagt sie: Er ist ihr gegenüber sowohl geschlossen wie geöffnet, zugleich klar konturiert und im durchlässigen Kontakt, von der Welt abgesetzt und zugleich mit ihr ver-bunden, der Welt gegenüber zugleich „verhalten“ und aufgeschlossen. Als in rechter Weise lebendige Gestalt atmet er die Welt gleichsam stetig in sich ein und atmet sich ruhig in sie aus. 3. Bekundet die lebendige 
        Gestalt das rechte Verhältnis des Menschen zu sich selbst, dann erscheint 
        er in ihr sowohl gehalten als gelassen, sowohl in einer sich bewahrenden 
        Form als auch beseelt von lebendiger Dynamik und im rechten Verhältnis 
        von „gespannt“ und „gelöst“.  Im Hinblick auf die drei Erscheinungsformen des rechten Verhältnisses zu Himmel und Erde, zur Welt und zu sich selbst zeigt sich nun, in welcher Weise und in welchem Ausmaß der Mensch, der seine Mitte noch nicht gefunden hat oder sie wieder verliert, das seinem Wesen innewohnende immanente Gesetz zu einer ihm gemäßen Gestalt verletzt. Jede Verfehlung des im Grunde Gemeinten tritt als Störung des Gleichgewichtes zwischen zwei Polen in Erscheinung, so als Übergewicht des „Himmels“ über die „Erde“ oder der Erde über den Himmel, des Ichs über die Welt oder der Welt über das Ich, der Form über das ihr innewohnende und in sie hineindrängende Leben oder des Lebens über die seiner Bezeugung dienende Form. 1. So sehen wir die 
        Menschen den ihnen zugedachten Bezug zu Himmel und Erde verfehlen, wo 
        sie – im Stehen, Sitzen und Gehen – entweder übertrieben und einseitig 
        nach oben gereckt sind oder aber in einer Weise nach unten absacken, die 
        alle Gerichtetheit von unten nach oben auslöscht. Im letzten Fall 
        tritt an die Stelle eines lebendigen Getragenseins von der Erde der Eindruck 
        lebloser Trägheit oder Herabgedrücktheit, Das Gegründetsein 
        in den Wurzeln erscheint als lastende Schwere, das Basishaben als ein 
        Kleben am Boden. Solche Menschen gehen nicht, sondern schleppen sich dahin, 
        sie sitzen nicht, sondern sacken zusammen, sie stehen nicht, sondern fallen 
        nur eben nicht um.  2. Das Fehlen des 
        rechten Verhältnisses zur Welt zeigt sich in einem Verhalten, darin 
        der Mensch entweder die auf ihn zukommende Welt nicht zuläßt 
        und sich gegen sie abschließt oder ihr haltlos ausgeliefert erscheint. 
        Ist das erste der Fall, dann wirkt der Mensch nicht geschlossen, sondern 
        verschlossen, nicht lebendig konturiert, sondern in seinen Zügen 
        verhärtet, erstarrt, unbeseelt. Er ist kontaktlos wie eine leblose 
        Figur. Seine Verhaltenheit ist nicht Ausdruck eines natürlichen, 
        freien Abstandes, sondern abweisender Krampf. Insgesamt wirkt er nicht 
        mehr als eine vom lebendigen Atem durchpulste Gestalt, sondern als eine 
        in sich festgezogene, unbeseelte Form. Er schwingt nicht in einem lebendigen 
        Bezug von Ich und Du. Er atmet nicht im lebendigen Rhythmus von Halten 
        und Lassen, von Hin-gabe und Zurückhaltung, von Hereinlassen und 
        Hergeben. Es fehlt das Vermögen zu der sich der Welt zuneigenden 
        und sich ihr zugleich öffnenden oder mit ihr verbindenden Gebärde. 
         3. Das rechte Verhältnis 
        des Menschen zu sich selbst wird verfehlt, wo im Wechselspiel von innerem 
        Leben und gewordener Form ein Mißverhältnis sichtbar wird, 
        sei es als überwiegendes Hervorquellen des von innen hervordrängenden 
        Lebens oder aber in Gestalt einer sich diesem inneren Leben gegenüber 
        allzusehr wahrenden und versteifenden Form.  Das „innere Leben“ 
        kann zweierlei bedeuten: die natürlichen Energien ursprünglicher 
        Kräfte oder auch das ins Unbewußte verdrängte, nicht gelebte 
        Leben, der Schatten. Die Schale wirkt dann wie ein Panzer, in dem es erstickt. 
        In beiden Fällen fehlt die zugleich zentrierende und entfaltende 
        Mitte, in der der Widerspruch zwischen der jeweils gewordenen Form und 
        dem inneren Leben immer wieder aufgehoben wird. Ist die Mitte vorhanden, 
        dann mutet uns das Erscheinungsbild an als ein unverstellter Ausdruck 
        inneren Lebens, und es wirkt immer harmonisch-bewegt. Form und Leben sind 
        dann nicht gegeneinander, sondern füreinander da. Die Form wirkt 
        weder gemacht noch zu lässig, weder aufgelöst noch starr, sondern 
        in der Weise, wie sie sich wahrt und dabei doch stetig verwandelt, schlechthin 
        lebendig. Von Augenblick zu Augenblick erfüllt sich das innere Leben 
        in einer ihm gemä-ßen Form, und umgekehrt erneuert sich in 
        steter Verwandlung die Form aus dem in ihr sich darleibenden Leben. In 
        jedem Augenblick ist die Erscheinung Ausdruck eines schöpferisch 
        neu formenden und das Gewordene immer wieder einlösenden Lebens. 
        Alle Glieder scheinen von einem unzerstörbaren Zentrum her zugleich 
        harmonisch bewegt und beseelt und geladen mit lebendiger Kraft. Das Ganze: 
        gelöste Form – geformte Gelöstheit.  Die leibliche Gestalt ist Ausdruck einer gesamtmenschlichen Verfassung. So ist auch der die Mitte anzeigende Schwerpunkt, mag man auch in der Lage sein, ihn in einer bestimmten Stelle des Leibes zu lokalisieren, doch immer eine Bestimmtheit der Gesamtverfassung der Person, die sich in Leib und Seele manifestiert. Der sich im leiblichen wie im seelisch-geistigen Verhalten bekundende rechte Schwerpunkt ist also Ausdruck eines Dritten. Und was ist dieses Dritte? Eben der ganze Mensch, der sich als „Person im Werden“ in zugleich wesensgemäßer und weltgerechter Verfassung, das bedeutet auch nie endender Verwandlung, befindet. Spricht man vom ganzen 
        Menschen, so versteht man darunter in natürlicher Sicht etwas anderes 
        als in initiatischer.  Im Verhältnis des Menschen zur Welt betrifft der rechte Kontakt zur Mitwelt wie zu den Dingen für den natürlichen Menschen nicht das gleiche wie für den initiatischen Menschen. Für jenen erfüllt der Kontakt die Voraussetzungen für das gesicherte Dasein, für eine sinnvolle Existenz und die Geborgenheit in seiner Gemeinschaft – entspricht also den drei Anliegen des natürlichen Welt-Ichs. Für den initiatischen Menschen aber bedeutet der Kontakt das Sich-eins-Fühlen im Wesen, dessen Präsenz letztlich unzerstörbares LEBEN, Sinn und Geborgenheit unabhängig von Sicherheit, Gerechtigkeit und Gemeinschaft im Sinne der Welt erfahren läßt. Das Verhältnis des Menschen zu sich selbst betrifft, solange es nur in Hinsicht auf den natürlichen Menschen gesehen wird, die Beziehung zwischen dem selbst- und weltbewußten Ich und dem charakterlich und biographisch bedingten „persönlichen Unbewußten“. Für den initiatischen Menschen ist dagegen das entscheidende Thema das Verhältnis des bewußten Ichs zu dem im „Kollektiven Unbewußten“ wesenden archetypischen Hintergrund und zwischen dem von der Welt her bedingten Ich, dem unter den Bedingungen der Welt gewachsenen Schicksalsleib und dem unbedingten, aber unter allen Bedingungen der Welt zu seiner Form drängenden Wesen (V).  | 
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