Fragen und Antworten

 
  Am 10. März 2002 bekamen wir folgende Mail:

Warum müssen menschen leiden?
Was ist die Erklärung für Leid?
Biite noch heute antworten!
danke

Wenn ich Ihre Frage richtig verstanden habe, wollen Sie keine Antwort aus dem Bereich der Medizin oder Psychologie: Geburt, Krankheit, Leiden und Tod gehören in ihrer Sicht wesentlich zum Leben. Und diese Vorgänge sind (vermittelt durch die Sinnesorgane des betreffenden Lebewesens) mit Gefühlen verbunden, die wir als Schmerz oder Leiden bezeichnen. Wir wissen nichts Genaues, wie Pflanzen und Tiere leiden - ich denke, das ist auch bei der schnellen Antwort heute nicht unser Thema, obwohl das Mitleiden mit dem Leiden anderer Geschöpfe Bestandteil des menschlichen Leidens ist und zu den unverzichtbaren Werten unseres Menschseins gehört. - Wir können vorsichtig sagen, dass beim Menschen das Leiden eine tiefere Bedeutung gewinnt, weil er "Bewusstsein" hat und über den Sinn solcher Vorgänge nachdenken kann. Warum leide ich? Warum muss die von mir geliebte Person leiden? Warum muss ein guter, unschuldiger Mensch leiden? Warum kann ich es nicht verhindern, dass andere Menschen durch mich leiden?
Oder noch radikaler: Warum lässt Gott das Leiden zu? Kann ein guter Gott eine so schlechte Welt geschaffen haben, in der Leiden und das Böse möglich ist? Ist nicht das Leiden und das Böse der Beweis dafür, dass es gar keinen Gott gibt?

Solche Fragen stellt sich die Menschheit immer schon. Antworten dazu (oft in Form von Mythen, Weisheitslehren und Verheissungen) gibt es in allen Religionen. Und viele Menschen haben mit solchen Antworten ihr Leid ertragen können. Viele Menschen freilich haben Mühe nach dem Schock des Holocaust und den täglich hereinbrechenden Horrornachrichten - von Ruanda, Jugoslawien bis Afganistan - noch glauben und beten zu können. Und wer am Krankenlager eines Krebskranken oder psychisch Kranken sitzt oder selbst von Krankheit betroffen ist, kann selten einen Sinn im Leiden finden.
Ich habe ehrlich gestanden auch keine allgemein gültige Antwort, warum Menschen leiden müssen. Ein solche "Erklärung für Leid"
fällt mir schwer. Ich kann auch keinem konkreten Menschen, der leidet, sagen, warum sein Leiden einen Sinn hat. Ich kann Ihnen nur das sagen, was meine Antwort für mich ist. Die Frage nach dem Sinn ist letztlich immer nur persönlich zu beantworten. Und sicherlich nicht schnell und mit Patentrezepten.

Zunächst einmal meine Antwort von rückwärts, also im Rückblick auf meine eigenen Leidenserfahrungen: Leiden ist im Augenblick des Erlebens immer extrem unannehmbar und nicht vergleichbar mit dem Leiden anderer. Psychisches Leiden erlebt man meist stärker als physiologisch bedingtes Leiden. Aber da sich körperliche und seelische Vorgänge nicht trennen lassen und sich gegenseitig beeinflussen, schlägt das Leiden immer die ganze Person und macht es ihr schwer, von sich weg zu kommen. Mir ging es dabei immer besser, wenn es mir gelang, den Blick von mir weg zu lenken und zu sehen, dass andere auch leiden und meist sogar noch mehr. Das eigene Leiden wird im Anblick des Leidens vieler anderer oft unbedeutender. Und wenn es mir gelang, das Leiden anzunehmen, wurde es erträglicher. So konnte ich im Rückblick feststellen, dass mich das Leiden reifer gemacht hat; das haben mir auch viele andere mit ähnlichen Erfahrungen bestätigen können. Ich habe auch beim Leiden die das Leiden lindernde Zuwendung anderer Menschen erfahren und bin sehr dankbar dafür. Ihr Mitleiden hat mir geholfen und verpflichtet mich aus dieser Erfahrung heraus, bei anderen das Gleiche zu tun. Aber wie gesagt, dieser Sinn des Leidens gilt zunächst für mich und lässt sich nicht ohne weiteres übertragen.

Am meisten Hilfe brachte mir freilich immer mein christlicher Glaube. Verbunden damit ist das Eingeständnis, dass wir unfähig sind, größere Zusammenhänge zu erkennen, und nie wissen, was für uns gut ist. Unsere menschliche Existenz ist im Universum so winzig und unbedeutend, dass auch das Leiden des einzelnen Menschen relativ wird. In dieser Dimension gibt es für uns Menschen einen höheren Sinn im Leiden, den wir freilich nicht "erkennen" und "wissen" können, sondern nur "glauben". Der Glaube an einen Gott, von dem alles Leben (samt Leiden) ausgeht, der alle Menschen (gute wie schlechte!) bedingungslos liebt, der auch in uns lebt und der folglich sogar mitleidet und in dessen göttliches Leben wir beim Tod zurücksterben, half mir und ich hoffe trägt auch noch, wenn das Leid wieder zuschlägt. Dabei ist es tröstlich zu wissen, dass Jesus in seinem Leiden die Gottverlassenheit wie wir Normalverbraucher auch durchlitten hat.

Ich hoffe, dass Sie mit dieser schnellen Antwort nach dem Sinn weitersuchen können und wünsche Ihnen viel Geduld und Kraft, Leiden zu ertragen - im gemeinsamen Wissen, dass alle Menschen leiden und wir nie allein sind.


 

 


 
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