Fragen und Antworten

 

 

 

 

Am 9. Januar 2005 schrieb uns Frau X.:

Subject: Zwickmühle
Date: Sun, 9 Jan 2005 22:39:19 +0100

Hallo!
Ich bin 20 Jahre alt, und seit nunmehr 1 ½ Jahren mit meinem Freund zusammen. Und ich weiß, dass es noch zu früh ist, sich um eine Ehe Gedanken zu machen. Dennoch beschäftigt mich das Thema, vor allem, weil es da ein Problem gibt: Ich bin Atheistin. Mein Freund aber ist Katholik (aus Überzeugung) und seine Familie ist das, was man im allgemeinen ländlich-konservativ nennt. Ich merke, dass sie es nicht mögen, ihren Sohn in einer Beziehung mit einer Atheistin zu sehen. Verstehen sie das nicht falsch, sie sind nicht unfreundlich zu mir, eher im Gegenteil. Aber es kam eben auch schon die Frage "Wann machen wir dich katholisch?"
Ich war damals schockiert darüber und wusste zunächst nicht, was ich dazu sagen sollte.

Immerhin ist es so, dass ich wirklich nicht an Gott glaube. Ich respektiere den Nutzen und den moralischen Wert des Glaubens und der Kirche sehr wohl. Aber ich bin nicht bereit, mich in die Kirche aufnehmen zu lassen und damit eine Lüge zu leben.

Mich würde nun interessieren, was sie davon halten. Diese Fragen sind wirklich ernst gemeint, und ich bitte sie inständig, mich nicht falsch zu verstehen. Mich beschäftigt das wirklich, vor allem, weil ich meinen Freund sehr gern habe und mir ein Leben mit ihm durchaus vorstellen könnte. Würde ich, wenn ich mich denn taufen ließe und damit heucheln würde, an Gott zu glauben, nicht gegen das Kirchenrecht verstoßen? Könnte ein Pfarrer die Verantwortung für so etwas auf sich nehmen? Ich habe meinen Freund schon öfter zu Sonntagsmessen begleitet und da wurde sogar gesagt, wer nicht zu einer Messe kommt und kurz darauf stirbt landet auf direktem Wege in der Hölle. Wäre das dann mit mir - nach Christlichem Glauben - nicht auch so?

Was denken sie über den Willen meiner "Schwiegereltern"? ich sollte vielleicht dazu sagen, dass mein Freund hinter mir steht und niemals von mir verlangen würde, mich taufen zu lassen. Dennoch ist ihm die Meinung seiner Eltern sehr wichtig und es wäre auch nicht in meinem Sinne, Unfrieden in der Familie zu stiften.

Ich weiß, dass im Katholizismus eine solche Ehe möglich ist. Trotz allem würde es dabei sicherlich Probleme mit den Eltern meines Freundes geben. Man könnte dies also als Zwickmühle bezeichnen, auch, wenn das Thema bis jetzt noch nicht zur Debatte steht.

Ich hoffe, dass sie mir - Trotz meines Unglaubens - eine Antwort auf meine Fragen geben können. Ich persönlich würde mich sehr darüber freuen und mein Freund hat schon reges Interesse angekündigt.
Mit freundlichen Grüßen,
X.

Unsere Antwort

Liebe Frau X.,
vielen Dank für Ihren langen und interessanten Brief. Sie hoffen am Schluss Ihrer Ausführungen, dass ich Ihnen - trotz Ihres Unglaubens - eine Antwort auf Ihre Fragen geben kann. Ihre Formulierung "trotz Unglaubens" hat mich schmunzeln lassen und ähnlich wie bei anderen Stellen Ihres Briefes leichte Skepsis über Ihren Text hochkommen lassen. Kann man jemand eine Antwort geben, der vielleicht gar keine will? Und was will eine Schreiberin, die einerseits als "Atheistin" an ein erfreulich selbständiges Denken gewohnt zu sein scheint, andererseits stellenweise nach Antworten verlangt, die sie sich selber geben könnte?

Ich antworte Ihnen - trotz meiner Skepsis - im Sinne eines Dialogs: Ich nehme Sie ernst und glaube Ihnen (d.h. ich stelle alle Vorurteile zurück). Vieles kann man aber nicht mit einer schnellen Antwort lösen, man muss den Briefpartner erst verstehen: Ich erwarte also auch Ihre Antworten. Hier also meine erste "Antwort" auf Ihren Brief.

Als Einstieg zunächst ein paar Sätze über die Taufe Erwachsener: Die offiziellen Texte der Kirche (z.B. das kath. Kirchenrecht) sagen, dass nur der getauft werden kann, der an die Botschaft Jesu Christi glaubt. Das ist auch logisch, denn die Taufe bedeutet die bewusste Annahme des Christentums als Lebensform und den offiziellen Eintritt in die Gemeinschaft der Christen, d.h. derer die nach der Botschaft Jesu leben wollen und an sie glauben. (Sekundär ist dabei und nur bei uns praktiziert, dass der offizielle Eintritt in eine der christlichen Kirchen auch im Standesamt gemeldet wird und damit steuerliche Folgen hat.) Aber die Annahme dieser Botschaft heißt nicht, dass der Taufkandidat einen fundamentalistischen Buchstabenglauben beweisen muß, d.h. die wörtliche Übernahme der Bibel oder der kirchlichen Glaubensformeln. Wir kommen bei dem Stand der gegenwärtigen Theologie nicht mehr ohne eine "Übersetzung" und Aktualisierung dieser in alter Sprache und alten Vorstellungen geschrieben Texte aus. Über den so "rekonstruierten" Kern der Botschaft Jesu müsste man sicherlich mehr reden und Sie haben auch schon einiges in unseren Antworten gelesen. Solche Gespräche führen auch alle Pfarrer sehr sorgfältig bei der Taufvorbereitung Erwachsener. In den meisten Fällen wird ein erfahrener Seelsorger aber erkennen, wann eine Zulassung zur Taufe nicht mehr sinnvoll ist. Aber keiner ist in der Lage, in Ihr Herz zu schauen. Wenn Sie ihn anlügen, ist er auch nicht verantwortlich oder muss bei richtiger Durchführung einer solchen Taufvorbereitung auch keine Verantwortung übernehmen. Ihre Frage nach einem Verstoß gegen das Kirchenrecht oder der Übernahme von Verantwortung kann ich daher nicht nachvollziehen. Schließlich leben wir nicht mehr im Zeitalter der Inquisition und das Christentum ist auch keine Staatsreligion mehr. Niemand darf und kann zu einem Glauben gezwungen werden, weder mit der Daumenschraube noch mit subtileren Mitteln der Emotion. Seit dem 18. Jh. gilt für Christen wie auch für Atheisten Kants Definition von Aufklärung: "Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung." Heuchelei und Lüge ist dabei absurd.

Taufe in den offiziellen Texten der christlichen Kirchen ist immer auch mit einer Aussage über das Heil der Menschen verbunden. Bei vielen der älteren Texte wie auch bei den Texten im Neuen Testament wird leider das Heil den Nichtgetauften abgesprochen. Für Paulus sind Nichtgetaufte verloren, d.h. vom Heil ausgeschlossen. Daher hat sich auch seit Paulus im Christentum eine Praxis der Mission entwickelt. Daher ist in der Kirche auch die Kindertaufe entstanden. Daher sorgen sich auch heute immer noch viele gläubige Eltern, wenn ihre Schwiegertöchter oder Schwiegersöhne nicht getauft sind. - Seit dem 2. Vatikanischen Konzil denkt man aber in der kath. Kirche weniger pessimistisch und dogmengewiss über das Heil der Nichtgetauften. Als Christen des 21. Jh. können, ja dürfen wir diese alte Sicht nicht mehr nachvollziehen. - Auch darüber müssten wir ausführlicher ins Gespräch kommen.

Die Botschaft Jesu ist in unserem heutigen Verständnis keine Drohbotschaft gewesen. Wenn die Vertreter der Kirchen dies daraus gemacht haben, hat das sicher erklärbare Hintergründe, deren Weiterführung aber für uns moderne Menschen nicht entschuldbar ist. Wenn jemand heute noch das Nichtbesuchen des sonntäglichen Gottesdienstes (wie es leider immer noch im kath. Kirchenrecht steht) als "schwere Sünde" bezeichnet oder gar eine Höllenstrafe damit androht, hätte Anlass im Sinne einer zeitgemäßen Seelsorge über die Frohbotschaft Jesu nachzudenken, der den Pharisäern gerade in solcher Hinsicht sehr unbequeme Worte sagte. Auch darüber müsste man ausführlicher reden. - Wenn Sie Ihren Atheismus überzeugt leben und ihn glauben, verstehe ich Ihre Frage nicht so ganz.

Was heißt für Sie konkret "nicht an Gott glauben"? Was ist für Sie Atheismus? Was ist für Sie Glaube? Was bedeutet für Sie der Mensch in Ihrem Glauben?

Soweit mein (hoffentlich nicht zu sehr provozierender oder verletzender) Beitrag für die erste Gesprächsrunde. Die Frage nach der "Zwickmühle" habe ich bewusst noch ausgeklammert. Ich wünsche Ihnen fruchtbare und "dialogische" Gespräche mit Ihrem Freund und seinen Eltern. Dialog und Liebe sind die höchsten Ziele der Menschheit, also für Christen und Nichtchristen. Der christliche Dialog mit Atheisten und Andersgläubigen und der Dialog der Religionen (incl. Atheismus) untereinander gehört zu den zentralen Aufgaben unserer Zeit. Nur so ist menschenwürdiges Leben in der Zukunft denkbar.


Frau X antwortete uns am 12. Januar

Vielen Dank für ihre ehrliche Antwort. Ich habe ihnen deswegen geschrieben, weil ich wissen wollte, wie ein "Vermittler des katholischen Glaubens" über diese Sache denkt. Ich wollte eine Antwort aus ihrer Sicht haben, weil ich den Eltern meines Freundes wahrscheinlich sonst nie eine für sie akzeptable Antwort gegen kann, warum ich mich eben nicht "katholisch machen" lassen will. Ich kann ihnen sagen "Ich glaube nicht an Gott", aber das würde ihnen sicher nicht reichen. Nun aber habe ich wenigstens etwas in der Hand. Mich hat es nicht erschreckt, als ich erfahren habe, dass mein Freund katholisch ist. Ganz und gar nicht, eigentlich, denn eine solche Erziehung vermittelt oft Werte, die für viele Kinder nicht von Bedeutung zu sein scheinen.

An dieser Stelle sollte ich hinzufügen, dass meine Eltern mich nicht religiös erzogen haben. Es hieß dabei immer, dass ich selbst für alles, was ich tue, die Verantwortung übernehmen soll und zum Schluss auch mit den Konsequenzen zu leben habe. Ich weiß, dass es auch hierzu in Katholizismus die verschiedensten Ansichten gibt.

Eine Freundin hat mir gestern erzählt, dass ihr Religionslehrer (ein katholischer Pfarrer) im Unterricht verkündet hat, dass alles, was geschehe, im Sinne Gottes sei. Er hat dabei sogar gesagt, wenn eine Frau beispielsweise vergewaltigt wird, sei das nur eine Prüfung Gottes für sie und den Täter.

Mein Freund hat allerdings erzählt, dass nicht jeder Pfarrer und jeder Gläubige das so sieht.
Ein gläubiger Katholik kann sich also entweder die Frage stellen: "Tue ich das richtige?" oder die Verantwortung einem höheren Wesen zuschreiben, wie es schon in früheren Zeiten der Fall war (zum Beispiel bei der "Eroberung" Südamerikas im 15./16. Jahrhundert). Aber wie Sie schon sagten, leben wir im 21. Jahrhundert und damalige Ereignisse stehen momentan ja nicht zur Debatte ;)

Ich bin von meinen Eltern auch dazu erzogen worden, alles zu hinterfragen und Dinge nicht einfach hinzunehmen. Und in meiner Brust schlägt das Herz eines Naturwissenschaftlers. Es ist faszinierend, wie sich beispielsweise durch die Evolution die einzelnen Spezies entwickelt haben und wie die Erde ein geschlossenes biologisches System bildet, das sich abermals in einem Universum befindet, in dem - genau wie auf der Erde - Wechselwirkungen auftreten und Kreisläufe stattfinden. Es gibt natürlich zu all dem nur Theorien und das wenigste davon ist wirklich bewiesen.
Und als eine "Theorie" könnte man die Existenz eines höheren Wesens, zum Beispiel Gott, ansehen, der vielleicht den Urknall ausgelöst haben könnte. Das ist aber bei weitem die einfachste Theorie. Ich möchte sie nicht leugnen, ich halte sie schlicht für unwahrscheinlich.

Wenn man also Gottes Einfluss auf das Minimum beschränkt, zum Beispiel, dass er eben den Urknall ausgelöst und damit "unser" System in Gang gesetzt haben könnte, gibt es immer noch genug Theorien, die dieses Ereignis erklären könnten.
Verstehen sie, was ich meine?

Ich finde es wunderbar, wie der Glaube an eben dieses Wesen und an eine Existenz nach dem Tod, den Menschen Hoffnung und vielleicht auch Kraft gibt, ihr eventuell unschönes Leben weiter zu führen. Aber ich habe diesen Glauben nicht. Ich weiß nicht, was noch auf mich zu kommt, was ich noch erleben werde und welche "Schicksalsschläge" (ich glaube nicht an ein vorbestimmtes Schicksal) ich noch werde einstecken müssen. Vielleicht wird mich irgendwann auch die Hoffnung ergreifen, dass da tatsächlich etwas ist, nach dem Tod. Denn die Aussicht, dass der Geist eben danach erlischt, erscheint doch sehr traurig und trostlos. Aber das kann ich im Moment nicht sagen. Und wenn ich denn dann zu glauben, oder besser zu hoffen beginne, dann doch eher an eine Existenz nach dem irdischen Leben oder an Wiedergeburt, aber nicht an einen Gott.

Aber kann man denn diese Hoffnung, als Glauben bezeichnen?
Lässt sich diese Hoffnung gar in ein religiöses System zwängen?
Hierfür möchte ich kurz wiedergeben, wie ich die erste Messe, an der ich teilgenommen habe, empfunden habe. Ich kannte so etwas gar nicht und war deswegen selbstverständlich sehr unsicher. Und als es dann los ging, fühlte ich mich denkbar unbehaglich zwischen all den Leuten, die in den Sprechgesang des Pfarrers mit einstimmten. Verstehen sie mich nicht falsch, sie werden das sicher anders sehen, weil sie schlicht mit diesem "Ritual" aufgewachsen sind. Aber ich empfand es als sehr beängstigend. "Wie in einer Sekte!", habe ich gedacht (Bitte nehmen sie mir das nicht übel. ich bin, wie gesagt, völlig unwissend, was auf mich zukommt, mitgegangen.)
Und als es dann ans Beten ging, wurde ich von einer Alten Dame, die hinter mir saß, unsanft nach vorn gestoßen, weil ich nicht wie alle anderen kniete. Wenn ich jetzt mit in die Kirche gehe, sitze ich oben neben dem Harmonium, was weit weniger unangenehm ist. Trotz allem habe ich das Gefühl, dort nicht hin zu gehören. Ich tue das nur, weil es meinem Freund Freude bereitet, und seine Eltern es gerne sehen.

Trotz allem weiß ich nun eigentlich nicht, wie ich mich verhalten soll. Ich bin weder gläubiger Christ (um ehrlich zu sein, könnte ich mich mit dem Buddhismus am ehesten anfreunden), noch getaufter Katholik. Erschwerend kommt hinzu, dass der Freund einer Cousine meines Freundes, sich auf ihren Wunsch hin nun auch "katholisch machen" lässt. Ich finde das nicht schlimm, er muss seine Entscheidungen selbst treffen. Im Übrigen war er Protestant, so weit ich weiß, und der "Abstand" zum Katholizismus von daher nicht so groß wie bei mir. Aber ich weiß, dass sich nun die Familie meines Freundes auch Hoffnungen machen wird, dass das mit mir gelingen könnte. Im Übrigen habe ich auch das Gefühl, dass sie nicht, wie sie erwähnten, um mein Seelenheil besorgt sind, sondern, dass es ihnen einfach nicht passt, weil ich so nicht in die Familie hinein passe.

ich habe keine Ahnung, ob es viele Gläubige gibt, die sich in diesem Maße bemühen, ihre Mitmenschen zu bekehren. Ich wohne mit 5 katholisch getauften jungen Menschen zusammen und alle waren beinahe entsetzt, als ich ihnen von meinen "Schwiegereltern in Spe" erzählt habe.

Was der Mensch für mich bedeutet? Ich sollte dazu sagen, dass ich die zehn Gebote für allgemein gültige moralische Grundregeln halte. Und nicht, weil es für Verstöße gegen sie eventuell später mal eine Strafe gibt, sondern weil man dadurch auch andere Menschen verletzen kann. Und das, denke ich, sollte jeder Mensch für sich festhalten. Egal ob nun christlich, oder nicht.

Fürs erste möchte ich mich noch einmal für ihre Antwort bedanken. An einem Dialog wäre ich ebenso interessier. Schon mein Großvater hat es geliebt, zu diskutieren und zu debattieren, und es scheint, als habe ich einiges von ihm geerbt ;)
Ich denke allerdings, dass unsere Diskussion den Rahmen des Frage-Antwort-Spieles auf ihrer Internet-Seite sprengen würde. Aber das müssen sie selbst entscheiden ;)
MF
X.


Unsere Antwort:

Liebe Frau X.,

lassen Sie mich zunächst für meine Zweifel Abbitte leisten: Wir bekommen auf dieser Internetseite oft Briefe, deren Schreiber andere Absichten haben. - Ihr Brief hat mich gefreut, nicht nur weil es Mut erfordert, solche Themen so offen und ernsthaft anzugehen, sondern auch weil dahinter Ihre Persönlichkeit sichtbar wird.

Bei der heutigen Antwort möchte ich mit dem schon angesprochenen "Dialog" beginnen, um unserem "Frage-Antwort-Spiel", wie Sie es nennen, eine Richtschnur zu geben (aber nicht nur für uns, sondern vielleicht auch für den Austausch mit Ihren Schwiegereltern!). - Im Dialog geht es nicht um das Beweisen, wer Recht hat; das wäre ein Streitgespräch. Im Dialog darf ich den anderen auch nicht missionieren, bekehren oder herumbringen wollen; das wäre eher ein Monolog, wie z.B. ein manipulierendes Werbegespräch. Um einen Dialog zu führen, muss ich zuerst zuhören können, mich öffnen, den anderen "einlassen" und auf ihn eingehen, "an der Stelle des anderen denken", wie das Kant nennt. Sich öffnen heißt, mich (soweit es geht) öffnen und transparent machen, mich nicht verstellen, ehrlich sein. Dialog ist daher schon sehr nahe an dem, was die Menschheit schon seit Jahrtausenden mit Liebe umschreibt. Auch in der Liebe muss ich frei werden vom "Haben-wollen", von Manipulation, vom "Nicht-Geben", vom "Für-sich-behalten". Geben und Nehmen sind die Grundbewegungen des Lebens und daher auch für den Dialog und die Liebe. Dass das alles nicht ganz einfach ist und wir dabei immer wieder auf die Nase fallen, gehört zu den Basiserfahrungen aller Menschen (und natürlich aller Liebenden). Das meiste Blutvergießen in der Menschheitsgeschichte kam vom "Haben-wollen" und vom Unterwerfen des anderen unter die eigenen Überzeugungen ("Jeder muss so denken wie wir".) Religionskriege sind bekanntlich die schlimmsten.

Dieses Thema zu durchdenken lohnt sich auch für Naturwissenschaftler und Vertreter ihrer Denkrichtung. Es gibt zum Thema Dialog viele philosophische Schriften, z.B. Martin Buber: Ich und Du, oder von ihm Das dialogische Prinzip. Die Naturwissenschaft kann darüber nämlich keine Antworten geben. Sie kann nur Antworten geben über die Ursachen, die Wirkungen und vielleicht noch über das Wesen von Sachverhalten und Dingen der Natur. Sie erforscht ihre Gegenstände quantitativ, d.h. durch Messen usw. Aber sie kann keine Aussagen über das Soll, die Moral, das richtige Leben (das Gute) machen. Sie kann auch nichts über das Schöne aussagen. Sie hat auch Mühe, die empirische Seite des Erkennens zu übersteigen, sie ist auf die sinnlich erfahrbare (empirische) Welt beschränkt. - Darüber wurde in der Philosophie und auch in Weisheitslehren schon viel geschrieben und ich möchte Sie neugierig machen und motivieren, sich hier etwas einzulesen. Auf unserer Homepage können Sie einen kleinen Anfang machen mit einem Text des Benediktiner-Paters und Zen-Meisters Willigis Jäger: Auf dem Grund des Bechers wartet Gott. Wie die Naturwissenschaft die Erfahrung der mystischen Spiritualität bestätigt. http://www.kirchameck.de/Meditation1.html . - Interessant wäre dazu auch die Predigt des Pfarrers der ev. Eberhardsgemeinde in Tübingen vom 6.Januar (auch hier auf unserer Homepage); aber ich will Sie mit Religion verschonen. Ihre (Zwangs-)Kontakte mit dem Katholizismus machen Ihnen Mühe genug.

Berührt hat mich nämlich in Ihrer Mail Ihre Schilderung des Gottesdienstbesuchs. Ich kann Ihr Leiden sehr gut nachempfinden. Zu Ihrem Trost sei gesagt, dass diese von Ihnen geschilderte Art praktizierter Frömmigkeit auch für viele junge oder moderner orientierte Katholiken sehr schwer verständlich und bisweilen sogar unerträglich ist. Aber Religionen sind historisch und immer in jeweiligen Kulturen gewachsen, für die Gläubigen fast immer vom "Herz" her bestimmt; und weil sie ja "Antworten" oder "Lösungen" und Orientierung für die Nöte der jeweiligen Menschen waren, häufig auch festgefahren. Alle Religionen haben hinter ihren kultischen Handlungen und Gebräuchen einen "irrationalen" Kern, der den Gläubigen oft selbst nicht mehr verständlich ist. Es gibt auch zeitbedingte Irrwege und Abweichungen. Daher müssen sich Religionen und Kirchen ständig erneuern und reformieren. Das Christentum nahm durch Jesus so einen Anfang. Er hatte sich mit festgefahrenen Traditionen im Judentum angelegt. Und es erlitt dann schon wenige Jahrhunderte später dieselben Verkrustungen. Und als die Reformation (sicherlich nicht ohne das Verschulden der alten Kirche) zur Bildung neuer Kirchen führte, ging es diesen nicht besser. Menschen sind eben aus Fleisch und Blut, leben mehr mit dem Gefühl als mit dem Kopf, brauchen Traditionen und feste Bräuche. Außenstehende können das dann alles nicht mehr verstehen, stoßen an das Fremde und Andere, reagieren sogar manchmal mit Angst. Das erleben wir derzeit in der Begegnung mit dem Islam. Das erleben Sie in der Begegnung mit Traditionschristentum.

Sie wollen von mir konkrete Antworten, wie Sie sich mit Ihren Schwiegereltern verhalten sollen. - Wo Individuen (also unverwechselbare und einmalige Menschen) zusammentreffen, greifen keine Rezepte. Mir scheint aber, dass Sie gute Voraussetzungen mitbringen, um diese für Sie sehr schmerzliche ideologische Konfrontation zu bewältigen. Sie haben einen verständnisvollen Freund und Sie haben zumindest Schwiegereltern, die Sie ja gar nicht ablehnen, denn auch das könnte ja passieren, und Sie selber zeigen eine große Bereitschaft auf sie einzugehen. Wir alle werden in Familien hineingeboren, die wir uns nicht ausgesucht haben und unsere Partnerschaften und Ehen können langfristig nur dann glücklich werden, wenn wir mit den dazu gewonnenen Eltern und Verwandten in eine harmonische oder noch besser dialogische (!) Beziehung kommen. Das bedeutet gegenseitigen Respekt. Das bedeutet freilich auch gegenseitiges Verstehen. Zwangsbekehrungen und Zwangstaufen können nicht gut gehen, weil Religion der verletzbarste Teil unserer Menschenwürde ist - und dazu gehört meiner Meinung nach auch die Freiheit nicht zu glauben oder von einem "Nicht-glauben-können" überzeugt zu sein. - Ihr Weg kann m.E. nur über den Dialog mit Ihrem Freund beginnen. Der Dialog über Ihren "Glauben" und seinen Glauben wird Sie überdies auch zu einem gegenseitigen tieferen Verständnis führen. Überzeugungen und Glaubenshaltungen haben sich ja seit der Kindheit gebildet - Sie haben das ja beschrieben - und müssen ins Erwachsenenalter hinübergeführt werden d.h. von ihren kindlichen Vorstellungen befreit werden und neu in die Erwachsenenpersönlichkeit integriert werden. Das Problem vieler Christen (und anderer Religionsangehöriger) liegt darin, dass sie ihren Kinderglauben nicht abgelegt haben. Im Dialog mit Ihrem Freund haben Sie eine Chance, Ihre beiden Glaubenshaltungen zu vertiefen und von alten Klischees zu befreien. Von dem was Sie bisher geschrieben haben, scheint mir das sinnvoll und möglich zu sein. Dazu muss man sich freilich auch informieren oder Hilfe holen. Darüber könnte man ein andermal mehr reden.

Nur gemeinsam können Sie dann auch liebevoll aber selbstbewusst auf Ihre Schwiegereltern eingehen. Und wenn sie nicht in der Lage sind, von ihren Bekehrungsversuchen abzulassen, können Sie ja auch bestimmt und freundlich die Bitte äußern, dass Sie und Ihr Freund das nicht mehr wollen.

Ich bin noch nicht auf alle Fragen in Ihrer Mail eingegangen, es würde auch vorerst zu viel sein. Für heute möchte ich Ihnen noch Gedanken zumuten, die ich Ihnen aus dem Buch zitiere von Otto W. John (Hrsg.): Menschenwürde: das uneingelöste Versprechen. Erfahrungen, Anfragen, Deutungen. Tübingen: Katzmann Verlag 1987, S. 103-104:

Dieter Voll

Ein Mensch ist verletzbar

Beides erleben wir an Kindern: wie menschlich es ist, Religion zu haben und wie riskant. Religion - Geheimnis der Geborgenheit zwischen den Rätseln Woher und Wohin, Wunder des Gesprächs zwischen einem Unfassbaren und mir. Der Mensch hat seine Würde da, wo er verletzbar ist, also vor allem in der Religion. Um Würde zu verweigern und Religion zu ersticken, reicht schon ein Satz: "Jeden Abend betest du, der liebe Gott soll deine Eltern beschützen, aber beim Abwasch helfen willst du nicht."
So ein Kind hat eine bittere Lektion gelernt fürs Leben: Verbirg dein Inneres, sonst bist du dran. Verleugne deinen Glauben, sonst erpressen sie dich. Schweig und verwisch deine Spur. Roll einen Stein vor dein Herz und verbiete dir Gott. Dann bist du kein Heuchler, du nicht. Also reden Ehepaare lieber nicht von ihrem Glauben, über Sexuelles gern. Wer Wunden schlagen will, wähle den religiösen Bereich. Da geht es ganz tief. Die offene Flanke konfessioneller Mischehen. Woher der religiöse Kahlschlag kommt in den Familien? Vom Kopfschütteln, von der Ironie. Wer lässt sich schon einen Strick aus seinem Glauben drehen in einer Gesellschaft, der zum Stichwort Religion nur das Schlagwort Heuchelei einfällt.
Rat für Eltern, Eheleute, jedermann: Gutgemeint bewahrt nicht vor Affekten. Kein Streit heiligt die Mittel. Waffenverbot in der Intimsphäre. Und Religion ist sehr intim. Wer den Glauben eines Menschen denunziert, wertet dessen Würde ab. Viele Eltern wünschen ihren Kindern ein wenig Religiosität. Um sie noch mehr an sich zu binden? Oder ihnen eine menschliche Erfahrung zu vermitteln? Dann sollten sie sich eines untersagen: zweideutige Anspielungen auf Glauben und Beten der Kinder, wenn es an der Anpassung fehlt. Zu sich finden, angenommen werden, nicht geschimpft, leben und leben lassen vor Gott, ohne Konsequenzenmacherei - das wäre Religion im Sinne Jesu Christi.
In der Wüste brannte ein Dornbusch. Mose wollte nach dem Rechten sehen. Das sollte er nicht: "Tritt nicht herzu, ziehe deine Schuhe aus von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land!" Ein Dornbusch unter vielen. Bild eines Menschen unter vielen. Er genießt Sicherheit, aber um den Preis der Kontrolle. Wenn das Unerwartete geschieht, wenn dieser Busch zu brennen anfängt, holt nicht die Spritze. Löscht nicht. Zieht eure Schuhe aus, denn da ist heiliges Land. Ein Mensch ist verletzbar geworden. Seine Würde steht in eurer Hand.
Das Bündnis zwischen Macht und Religion scheint wahrscheinlicher als die Verbindung von Religion und Machtlosigkeit. Sie ist das Problem religiöser Minderheiten, der Juden etwa, aber auch der Christen im atheistischen Gegenwind. Sie ist das Resümee der Bergpredigt Jesu. Noch immer findet die Religion erst in der Machtlosigkeit wirklich zu sich. Wer ahnt heute noch, wie verletzbar, wie schutzbedürftig Religion ist, dieses Attribut der Menschlichkeit? Der pauschale Vorwurf der Heuchelei gibt die Religion zum Abschuss frei. Früheren Generationen ist es mit der Natur so gegangen. Man hat sie als Bedrohung erlebt. Heute erleben wir die Natur, und damit uns, als bedroht. Der Religion steht diese Wende zugunsten des Menschen noch bevor

Ich wünsche Ihnen viel Kraft zum Gespräch und Zeit und Ruhe zum Nachdenken!



 

 


 
Kirch am Eck
Predigten
Religiöse Fragen
Texte
Aktuelle Infos
Menschen in Not und Leid
Asylarbeit
Kirchenasyl
Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung
Für Sie gelesen
Humor
Französisches Viertel
Christlich-islamischer
Dialog
Die Seite für Ausländer
Links
Chat
 Wir über uns

 

Webmaster