Fragen
und Antworten
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Am 9. Januar 2005 schrieb uns Frau X.: Subject: Zwickmühle
Immerhin ist
es so, dass ich wirklich nicht an Gott glaube. Ich respektiere den Nutzen
und den moralischen Wert des Glaubens und der Kirche sehr wohl. Aber
ich bin nicht bereit, mich in die Kirche aufnehmen zu lassen und damit
eine Lüge zu leben. Mich würde
nun interessieren, was sie davon halten. Diese Fragen sind wirklich
ernst gemeint, und ich bitte sie inständig, mich nicht falsch zu
verstehen. Mich beschäftigt das wirklich, vor allem, weil ich meinen
Freund sehr gern habe und mir ein Leben mit ihm durchaus vorstellen
könnte. Würde ich, wenn ich mich denn taufen ließe und
damit heucheln würde, an Gott zu glauben, nicht gegen das Kirchenrecht
verstoßen? Könnte ein Pfarrer die Verantwortung für
so etwas auf sich nehmen? Ich habe meinen Freund schon öfter zu
Sonntagsmessen begleitet und da wurde sogar gesagt, wer nicht zu einer
Messe kommt und kurz darauf stirbt landet auf direktem Wege in der Hölle.
Wäre das dann mit mir - nach Christlichem Glauben - nicht auch
so? Was denken sie
über den Willen meiner "Schwiegereltern"? ich sollte
vielleicht dazu sagen, dass mein Freund hinter mir steht und niemals
von mir verlangen würde, mich taufen zu lassen. Dennoch ist ihm
die Meinung seiner Eltern sehr wichtig und es wäre auch nicht in
meinem Sinne, Unfrieden in der Familie zu stiften. Ich weiß,
dass im Katholizismus eine solche Ehe möglich ist. Trotz allem
würde es dabei sicherlich Probleme mit den Eltern meines Freundes
geben. Man könnte dies also als Zwickmühle bezeichnen, auch,
wenn das Thema bis jetzt noch nicht zur Debatte steht. Ich hoffe, dass
sie mir - Trotz meines Unglaubens - eine Antwort auf meine Fragen geben
können. Ich persönlich würde mich sehr darüber freuen
und mein Freund hat schon reges Interesse angekündigt. Unsere Antwort Liebe Frau X., Ich antworte Ihnen - trotz
meiner Skepsis - im Sinne eines Dialogs: Ich nehme Sie ernst und glaube
Ihnen (d.h. ich stelle alle Vorurteile zurück). Vieles kann man
aber nicht mit einer schnellen Antwort lösen, man muss den Briefpartner
erst verstehen: Ich erwarte also auch Ihre Antworten. Hier also meine
erste "Antwort" auf Ihren Brief. Als Einstieg zunächst ein paar Sätze über die Taufe Erwachsener: Die offiziellen Texte der Kirche (z.B. das kath. Kirchenrecht) sagen, dass nur der getauft werden kann, der an die Botschaft Jesu Christi glaubt. Das ist auch logisch, denn die Taufe bedeutet die bewusste Annahme des Christentums als Lebensform und den offiziellen Eintritt in die Gemeinschaft der Christen, d.h. derer die nach der Botschaft Jesu leben wollen und an sie glauben. (Sekundär ist dabei und nur bei uns praktiziert, dass der offizielle Eintritt in eine der christlichen Kirchen auch im Standesamt gemeldet wird und damit steuerliche Folgen hat.) Aber die Annahme dieser Botschaft heißt nicht, dass der Taufkandidat einen fundamentalistischen Buchstabenglauben beweisen muß, d.h. die wörtliche Übernahme der Bibel oder der kirchlichen Glaubensformeln. Wir kommen bei dem Stand der gegenwärtigen Theologie nicht mehr ohne eine "Übersetzung" und Aktualisierung dieser in alter Sprache und alten Vorstellungen geschrieben Texte aus. Über den so "rekonstruierten" Kern der Botschaft Jesu müsste man sicherlich mehr reden und Sie haben auch schon einiges in unseren Antworten gelesen. Solche Gespräche führen auch alle Pfarrer sehr sorgfältig bei der Taufvorbereitung Erwachsener. In den meisten Fällen wird ein erfahrener Seelsorger aber erkennen, wann eine Zulassung zur Taufe nicht mehr sinnvoll ist. Aber keiner ist in der Lage, in Ihr Herz zu schauen. Wenn Sie ihn anlügen, ist er auch nicht verantwortlich oder muss bei richtiger Durchführung einer solchen Taufvorbereitung auch keine Verantwortung übernehmen. Ihre Frage nach einem Verstoß gegen das Kirchenrecht oder der Übernahme von Verantwortung kann ich daher nicht nachvollziehen. Schließlich leben wir nicht mehr im Zeitalter der Inquisition und das Christentum ist auch keine Staatsreligion mehr. Niemand darf und kann zu einem Glauben gezwungen werden, weder mit der Daumenschraube noch mit subtileren Mitteln der Emotion. Seit dem 18. Jh. gilt für Christen wie auch für Atheisten Kants Definition von Aufklärung: "Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung." Heuchelei und Lüge ist dabei absurd. Taufe in den offiziellen
Texten der christlichen Kirchen ist immer auch mit einer Aussage über
das Heil der Menschen verbunden. Bei vielen der älteren Texte wie
auch bei den Texten im Neuen Testament wird leider das Heil den Nichtgetauften
abgesprochen. Für Paulus sind Nichtgetaufte verloren, d.h. vom
Heil ausgeschlossen. Daher hat sich auch seit Paulus im Christentum
eine Praxis der Mission entwickelt. Daher ist in der Kirche auch die
Kindertaufe entstanden. Daher sorgen sich auch heute immer noch viele
gläubige Eltern, wenn ihre Schwiegertöchter oder Schwiegersöhne
nicht getauft sind. - Seit dem 2. Vatikanischen Konzil denkt man aber
in der kath. Kirche weniger pessimistisch und dogmengewiss über
das Heil der Nichtgetauften. Als Christen des 21. Jh. können, ja
dürfen wir diese alte Sicht nicht mehr nachvollziehen. - Auch darüber
müssten wir ausführlicher ins Gespräch kommen. Die Botschaft Jesu ist in
unserem heutigen Verständnis keine Drohbotschaft gewesen. Wenn
die Vertreter der Kirchen dies daraus gemacht haben, hat das sicher
erklärbare Hintergründe, deren Weiterführung aber für
uns moderne Menschen nicht entschuldbar ist. Wenn jemand heute noch
das Nichtbesuchen des sonntäglichen Gottesdienstes (wie es leider
immer noch im kath. Kirchenrecht steht) als "schwere Sünde"
bezeichnet oder gar eine Höllenstrafe damit androht, hätte
Anlass im Sinne einer zeitgemäßen Seelsorge über die
Frohbotschaft Jesu nachzudenken, der den Pharisäern gerade in solcher
Hinsicht sehr unbequeme Worte sagte. Auch darüber müsste man
ausführlicher reden. - Wenn Sie Ihren Atheismus überzeugt
leben und ihn glauben, verstehe ich Ihre Frage nicht so ganz. Was heißt für
Sie konkret "nicht an Gott glauben"? Was ist für Sie
Atheismus? Was ist für Sie Glaube? Was bedeutet für Sie der
Mensch in Ihrem Glauben? Soweit mein (hoffentlich nicht zu sehr provozierender oder verletzender) Beitrag für die erste Gesprächsrunde. Die Frage nach der "Zwickmühle" habe ich bewusst noch ausgeklammert. Ich wünsche Ihnen fruchtbare und "dialogische" Gespräche mit Ihrem Freund und seinen Eltern. Dialog und Liebe sind die höchsten Ziele der Menschheit, also für Christen und Nichtchristen. Der christliche Dialog mit Atheisten und Andersgläubigen und der Dialog der Religionen (incl. Atheismus) untereinander gehört zu den zentralen Aufgaben unserer Zeit. Nur so ist menschenwürdiges Leben in der Zukunft denkbar. Frau X antwortete uns am 12. Januar Vielen Dank
für ihre ehrliche Antwort. Ich habe ihnen deswegen geschrieben,
weil ich wissen wollte, wie ein "Vermittler des katholischen Glaubens"
über diese Sache denkt. Ich wollte eine Antwort aus ihrer Sicht
haben, weil ich den Eltern meines Freundes wahrscheinlich sonst nie
eine für sie akzeptable Antwort gegen kann, warum ich mich eben
nicht "katholisch machen" lassen will. Ich kann ihnen sagen
"Ich glaube nicht an Gott", aber das würde ihnen sicher
nicht reichen. Nun aber habe ich wenigstens etwas in der Hand. Mich
hat es nicht erschreckt, als ich erfahren habe, dass mein Freund katholisch
ist. Ganz und gar nicht, eigentlich, denn eine solche Erziehung vermittelt
oft Werte, die für viele Kinder nicht von Bedeutung zu sein scheinen. An dieser Stelle
sollte ich hinzufügen, dass meine Eltern mich nicht religiös
erzogen haben. Es hieß dabei immer, dass ich selbst für alles,
was ich tue, die Verantwortung übernehmen soll und zum Schluss
auch mit den Konsequenzen zu leben habe. Ich weiß, dass es auch
hierzu in Katholizismus die verschiedensten Ansichten gibt. Eine Freundin
hat mir gestern erzählt, dass ihr Religionslehrer (ein katholischer
Pfarrer) im Unterricht verkündet hat, dass alles, was geschehe,
im Sinne Gottes sei. Er hat dabei sogar gesagt, wenn eine Frau beispielsweise
vergewaltigt wird, sei das nur eine Prüfung Gottes für sie
und den Täter. Mein Freund
hat allerdings erzählt, dass nicht jeder Pfarrer und jeder Gläubige
das so sieht. Ich bin von
meinen Eltern auch dazu erzogen worden, alles zu hinterfragen und Dinge
nicht einfach hinzunehmen. Und in meiner Brust schlägt das Herz
eines Naturwissenschaftlers. Es ist faszinierend, wie sich beispielsweise
durch die Evolution die einzelnen Spezies entwickelt haben und wie die
Erde ein geschlossenes biologisches System bildet, das sich abermals
in einem Universum befindet, in dem - genau wie auf der Erde - Wechselwirkungen
auftreten und Kreisläufe stattfinden. Es gibt natürlich zu
all dem nur Theorien und das wenigste davon ist wirklich bewiesen. Wenn man also
Gottes Einfluss auf das Minimum beschränkt, zum Beispiel, dass
er eben den Urknall ausgelöst und damit "unser" System
in Gang gesetzt haben könnte, gibt es immer noch genug Theorien,
die dieses Ereignis erklären könnten. Ich finde es
wunderbar, wie der Glaube an eben dieses Wesen und an eine Existenz
nach dem Tod, den Menschen Hoffnung und vielleicht auch Kraft gibt,
ihr eventuell unschönes Leben weiter zu führen. Aber ich habe
diesen Glauben nicht. Ich weiß nicht, was noch auf mich zu kommt,
was ich noch erleben werde und welche "Schicksalsschläge"
(ich glaube nicht an ein vorbestimmtes Schicksal) ich noch werde einstecken
müssen. Vielleicht wird mich irgendwann auch die Hoffnung ergreifen,
dass da tatsächlich etwas ist, nach dem Tod. Denn die Aussicht,
dass der Geist eben danach erlischt, erscheint doch sehr traurig und
trostlos. Aber das kann ich im Moment nicht sagen. Und wenn ich denn
dann zu glauben, oder besser zu hoffen beginne, dann doch eher an eine
Existenz nach dem irdischen Leben oder an Wiedergeburt, aber nicht an
einen Gott. Aber kann man
denn diese Hoffnung, als Glauben bezeichnen? Trotz allem
weiß ich nun eigentlich nicht, wie ich mich verhalten soll. Ich
bin weder gläubiger Christ (um ehrlich zu sein, könnte ich
mich mit dem Buddhismus am ehesten anfreunden), noch getaufter Katholik.
Erschwerend kommt hinzu, dass der Freund einer Cousine meines Freundes,
sich auf ihren Wunsch hin nun auch "katholisch machen" lässt.
Ich finde das nicht schlimm, er muss seine Entscheidungen selbst treffen.
Im Übrigen war er Protestant, so weit ich weiß, und der "Abstand"
zum Katholizismus von daher nicht so groß wie bei mir. Aber ich
weiß, dass sich nun die Familie meines Freundes auch Hoffnungen
machen wird, dass das mit mir gelingen könnte. Im Übrigen
habe ich auch das Gefühl, dass sie nicht, wie sie erwähnten,
um mein Seelenheil besorgt sind, sondern, dass es ihnen einfach nicht
passt, weil ich so nicht in die Familie hinein passe. ich habe keine
Ahnung, ob es viele Gläubige gibt, die sich in diesem Maße
bemühen, ihre Mitmenschen zu bekehren. Ich wohne mit 5 katholisch
getauften jungen Menschen zusammen und alle waren beinahe entsetzt,
als ich ihnen von meinen "Schwiegereltern in Spe" erzählt
habe. Was der Mensch
für mich bedeutet? Ich sollte dazu sagen, dass ich die zehn Gebote
für allgemein gültige moralische Grundregeln halte. Und nicht,
weil es für Verstöße gegen sie eventuell später
mal eine Strafe gibt, sondern weil man dadurch auch andere Menschen
verletzen kann. Und das, denke ich, sollte jeder Mensch für sich
festhalten. Egal ob nun christlich, oder nicht. Fürs erste
möchte ich mich noch einmal für ihre Antwort bedanken. An
einem Dialog wäre ich ebenso interessier. Schon mein Großvater
hat es geliebt, zu diskutieren und zu debattieren, und es scheint, als
habe ich einiges von ihm geerbt ;) Unsere Antwort: Liebe Frau X., lassen Sie mich zunächst
für meine Zweifel Abbitte leisten: Wir bekommen auf dieser Internetseite
oft Briefe, deren Schreiber andere Absichten haben. - Ihr Brief hat
mich gefreut, nicht nur weil es Mut erfordert, solche Themen so offen
und ernsthaft anzugehen, sondern auch weil dahinter Ihre Persönlichkeit
sichtbar wird. Bei der heutigen Antwort
möchte ich mit dem schon angesprochenen "Dialog" beginnen,
um unserem "Frage-Antwort-Spiel", wie Sie es nennen, eine
Richtschnur zu geben (aber nicht nur für uns, sondern vielleicht
auch für den Austausch mit Ihren Schwiegereltern!). - Im Dialog
geht es nicht um das Beweisen, wer Recht hat; das wäre ein Streitgespräch.
Im Dialog darf ich den anderen auch nicht missionieren, bekehren oder
herumbringen wollen; das wäre eher ein Monolog, wie z.B. ein manipulierendes
Werbegespräch. Um einen Dialog zu führen, muss ich zuerst
zuhören können, mich öffnen, den anderen "einlassen"
und auf ihn eingehen, "an der Stelle des anderen denken",
wie das Kant nennt. Sich öffnen heißt, mich (soweit es geht)
öffnen und transparent machen, mich nicht verstellen, ehrlich sein.
Dialog ist daher schon sehr nahe an dem, was die Menschheit schon seit
Jahrtausenden mit Liebe umschreibt. Auch in der Liebe muss ich frei
werden vom "Haben-wollen", von Manipulation, vom "Nicht-Geben",
vom "Für-sich-behalten". Geben und Nehmen sind die Grundbewegungen
des Lebens und daher auch für den Dialog und die Liebe. Dass das
alles nicht ganz einfach ist und wir dabei immer wieder auf die Nase
fallen, gehört zu den Basiserfahrungen aller Menschen (und natürlich
aller Liebenden). Das meiste Blutvergießen in der Menschheitsgeschichte
kam vom "Haben-wollen" und vom Unterwerfen des anderen unter
die eigenen Überzeugungen ("Jeder muss so denken wie wir".)
Religionskriege sind bekanntlich die schlimmsten. Dieses Thema zu durchdenken
lohnt sich auch für Naturwissenschaftler und Vertreter ihrer Denkrichtung.
Es gibt zum Thema Dialog viele philosophische Schriften, z.B. Martin
Buber: Ich und Du, oder von ihm Das dialogische Prinzip.
Die Naturwissenschaft kann darüber nämlich keine Antworten
geben. Sie kann nur Antworten geben über die Ursachen, die Wirkungen
und vielleicht noch über das Wesen von Sachverhalten und Dingen
der Natur. Sie erforscht ihre Gegenstände quantitativ, d.h. durch
Messen usw. Aber sie kann keine Aussagen über das Soll, die Moral,
das richtige Leben (das Gute) machen. Sie kann auch nichts über
das Schöne aussagen. Sie hat auch Mühe, die empirische Seite
des Erkennens zu übersteigen, sie ist auf die sinnlich erfahrbare
(empirische) Welt beschränkt. - Darüber wurde in der Philosophie
und auch in Weisheitslehren schon viel geschrieben und ich möchte
Sie neugierig machen und motivieren, sich hier etwas einzulesen. Auf
unserer Homepage können Sie einen kleinen Anfang machen mit einem
Text des Benediktiner-Paters und Zen-Meisters Willigis Jäger: Auf
dem Grund des Bechers wartet Gott. Wie die Naturwissenschaft die Erfahrung
der mystischen Spiritualität bestätigt. http://www.kirchameck.de/Meditation1.html
. - Interessant wäre dazu auch die Predigt des Pfarrers der ev.
Eberhardsgemeinde in Tübingen vom 6.Januar (auch hier auf unserer
Homepage); aber ich will Sie mit Religion verschonen. Ihre (Zwangs-)Kontakte
mit dem Katholizismus machen Ihnen Mühe genug. Berührt hat mich nämlich
in Ihrer Mail Ihre Schilderung des Gottesdienstbesuchs. Ich kann Ihr
Leiden sehr gut nachempfinden. Zu Ihrem Trost sei gesagt, dass diese
von Ihnen geschilderte Art praktizierter Frömmigkeit auch für
viele junge oder moderner orientierte Katholiken sehr schwer verständlich
und bisweilen sogar unerträglich ist. Aber Religionen sind historisch
und immer in jeweiligen Kulturen gewachsen, für die Gläubigen
fast immer vom "Herz" her bestimmt; und weil sie ja "Antworten"
oder "Lösungen" und Orientierung für die Nöte
der jeweiligen Menschen waren, häufig auch festgefahren. Alle Religionen
haben hinter ihren kultischen Handlungen und Gebräuchen einen "irrationalen"
Kern, der den Gläubigen oft selbst nicht mehr verständlich
ist. Es gibt auch zeitbedingte Irrwege und Abweichungen. Daher müssen
sich Religionen und Kirchen ständig erneuern und reformieren. Das
Christentum nahm durch Jesus so einen Anfang. Er hatte sich mit festgefahrenen
Traditionen im Judentum angelegt. Und es erlitt dann schon wenige Jahrhunderte
später dieselben Verkrustungen. Und als die Reformation (sicherlich
nicht ohne das Verschulden der alten Kirche) zur Bildung neuer Kirchen
führte, ging es diesen nicht besser. Menschen sind eben aus Fleisch
und Blut, leben mehr mit dem Gefühl als mit dem Kopf, brauchen
Traditionen und feste Bräuche. Außenstehende können
das dann alles nicht mehr verstehen, stoßen an das Fremde und
Andere, reagieren sogar manchmal mit Angst. Das erleben wir derzeit
in der Begegnung mit dem Islam. Das erleben Sie in der Begegnung mit
Traditionschristentum. Sie wollen von mir konkrete
Antworten, wie Sie sich mit Ihren Schwiegereltern verhalten sollen.
- Wo Individuen (also unverwechselbare und einmalige Menschen) zusammentreffen,
greifen keine Rezepte. Mir scheint aber, dass Sie gute Voraussetzungen
mitbringen, um diese für Sie sehr schmerzliche ideologische Konfrontation
zu bewältigen. Sie haben einen verständnisvollen Freund und
Sie haben zumindest Schwiegereltern, die Sie ja gar nicht ablehnen,
denn auch das könnte ja passieren, und Sie selber zeigen eine große
Bereitschaft auf sie einzugehen. Wir alle werden in Familien hineingeboren,
die wir uns nicht ausgesucht haben und unsere Partnerschaften und Ehen
können langfristig nur dann glücklich werden, wenn wir mit
den dazu gewonnenen Eltern und Verwandten in eine harmonische oder noch
besser dialogische (!) Beziehung kommen. Das bedeutet gegenseitigen
Respekt. Das bedeutet freilich auch gegenseitiges Verstehen. Zwangsbekehrungen
und Zwangstaufen können nicht gut gehen, weil Religion der verletzbarste
Teil unserer Menschenwürde ist - und dazu gehört meiner Meinung
nach auch die Freiheit nicht zu glauben oder von einem "Nicht-glauben-können"
überzeugt zu sein. - Ihr Weg kann m.E. nur über den Dialog
mit Ihrem Freund beginnen. Der Dialog über Ihren "Glauben"
und seinen Glauben wird Sie überdies auch zu einem gegenseitigen
tieferen Verständnis führen. Überzeugungen und Glaubenshaltungen
haben sich ja seit der Kindheit gebildet - Sie haben das ja beschrieben
- und müssen ins Erwachsenenalter hinübergeführt werden
d.h. von ihren kindlichen Vorstellungen befreit werden und neu in die
Erwachsenenpersönlichkeit integriert werden. Das Problem vieler
Christen (und anderer Religionsangehöriger) liegt darin, dass sie
ihren Kinderglauben nicht abgelegt haben. Im Dialog mit Ihrem Freund
haben Sie eine Chance, Ihre beiden Glaubenshaltungen zu vertiefen und
von alten Klischees zu befreien. Von dem was Sie bisher geschrieben
haben, scheint mir das sinnvoll und möglich zu sein. Dazu muss
man sich freilich auch informieren oder Hilfe holen. Darüber könnte
man ein andermal mehr reden. Nur gemeinsam können
Sie dann auch liebevoll aber selbstbewusst auf Ihre Schwiegereltern
eingehen. Und wenn sie nicht in der Lage sind, von ihren Bekehrungsversuchen
abzulassen, können Sie ja auch bestimmt und freundlich die Bitte
äußern, dass Sie und Ihr Freund das nicht mehr wollen. Ich bin noch nicht auf alle
Fragen in Ihrer Mail eingegangen, es würde auch vorerst zu viel
sein. Für heute möchte ich Ihnen noch Gedanken zumuten, die
ich Ihnen aus dem Buch zitiere von Otto W. John (Hrsg.): Menschenwürde:
das uneingelöste Versprechen. Erfahrungen, Anfragen, Deutungen.
Tübingen: Katzmann Verlag 1987, S. 103-104: Dieter Voll Ein Mensch ist verletzbar Beides erleben wir an
Kindern: wie menschlich es ist, Religion zu haben und wie riskant. Religion
- Geheimnis der Geborgenheit zwischen den Rätseln Woher und Wohin,
Wunder des Gesprächs zwischen einem Unfassbaren und mir. Der Mensch
hat seine Würde da, wo er verletzbar ist, also vor allem in der
Religion. Um Würde zu verweigern und Religion zu ersticken, reicht
schon ein Satz: "Jeden Abend betest du, der liebe Gott soll deine
Eltern beschützen, aber beim Abwasch helfen willst du nicht." Ich wünsche Ihnen viel
Kraft zum Gespräch und Zeit und Ruhe zum Nachdenken!
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