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Am 21. Mai 2006 schrieb uns Herr xy.:
Unsere
Antwort: Sehr geehrter Herr xy, Sie haben Ihre Frage sehr
dicht formuliert. Eine Antwort lässt sich (leider) in dieser Kürze
nicht geben. Wir bitten Sie also um Geduld beim Lesen. Um über Sündenvergebung im Namen Jesu reden zu können und dabei nicht aneinander vorbei zu reden, müssen wir uns zunächst Gedanken machen, was unter Sünde, Schuld und Vergebung zu verstehen ist. Das ist notwendig geworden, weil der moderne Mensch sich sehr schwer mit diesen Begriffen tut. Zum einen hat die moderne Sozialwissenschaft vieles von dem alten in der abendländisch-christlichen Kultur überlieferten Begriff der Sünde in Frage gestellt und als gesellschaftlich vermittelte Sittennorm aufgedeckt. Es waren in der Tat nicht nur die Religionsgemeinschaften, sondern nicht weniger auch die weltliche Macht, die mithilfe ihrer Sündendefinitionen "Ordnung" herstellen wollten und damit leider auch Menschen unterdrückt haben. Vieles von dem, was früher als Sünde erklärt wurde, erscheint uns heute als Bagatelle oder aber zu wenig streng formuliert (z.B. im Bereich der Umweltvergehen, bei Kriegen oder im Bereich der Wirtschaft). Und was gestern z.B. als "Todsünde" definiert wurde, erklärt sich heute manchmal überzeugender mit Modellen der Psychologie als Form und Ergebnis von Krankheit oder als Folge gesellschaftlicher Einwirkungen. Dem Einzelnen kann man bei Krankheit häufig keine Schuld und Verantwortung mehr zuschreiben. Um über Sünde, Schuld und Vergebung verständlich reden zu können, müssen wir die Handlungsfähigkeit, Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen voraussetzen. Zum anderen haben wir als
moderne Menschen Mühe mit den Begriffen Sünde und Schuld,
weil sie uns durch die Ungeheuerlichkeit der kollektiven Verbrechen
der Menschheit unfassbar und unverständlich geworden sind: Genozide
wie z.B. der Holocaust, der Völkermord in Rwanda oder die Verbrechen
im Jugoslawienkrieg, Kriege wie z.B. in Vietnam, Afghanistan, im Irak
und den unzähligen Kriegsschauplätzen in Afrika, Verbrechen
wie sie fast täglich von terroristischen Attentätern begannen
werden - und alle Formen der Umweltzerstörung und des menschengemachten
Leidens und Sterbens im Namen des Kapitals haben uns sprachlos und ratlos
werden und uns eher als Opfer denn als Täter empfinden lassen.
- Wenn man Wesen und Sinnbestimmung des Menschen u.a. als Gemeinschaftswesen
in Freiheit und Verantwortlichkeit bezeichnet, könnte man vereinfachend
sagen, dass alle Handlungen und Verhaltensweisen, die dieser Wesenbestimmung
entgegenwirken, in den Bereich von Sünde und Schuld bzw. bei reduzierter
Freiheit und Verantwortungsfähigkeit in den Bereich des Krankhaften
gehören. Damit sind alle Formen des Egoismus und der Aggression
gemeint wie auch die Beeinträchtigung der Freiheit anderer und
seiner eigenen, und die Schädigung der Lebensbedingungen für
sich selbst und für andere. Gemeint sind aber nicht nur Formen
des Egoismus beim Individuum sondern auch mit Blick auf das Kollektiv
Rassismus, Fremdenhass, Nationalismus, Intoleranz, Fundamentalismus
und alles, was das Zusammenleben der Menschheit schwer macht. Das Christentum
muss bei einer Neuinterpretation des Sündenbegriffs diese Ebene
der Ethik miteinbeziehen. Als gläubige Christen
gehen wir im biblischen Verständnis davon aus, dass wir als Menschen
"Wesen der radikalen Schuldbedrohtheit" (Karl Rahner) und
in Folge dessen auch erlösungsbedürftig sind. Als Einzelne
wie auch als Gruppen (Völker, Menschheit usw.) sind wir - wie oben
schon angedeutet - ständig in der Lage und gefährdet, uns
durch unser freies Handeln schuldig zu machen - an dem uns geschenkten
und anvertrauten Leben, an den dazu notwenigen Lebensgütern, an
anderen Menschen und an ihrem Eigentum, ja sogar an der Wahrheit. Diese
Schuldbedrohtheit und die daraus im Einzelfall entstehende und vom Gewissen
her zu verantwortende Schuld bedarf der Erlösung und Vergebung.
Wir könnten sonst der psychischen Krankheit nicht entgehen. (Die
Griechen kannten in diesem Zusammenhang die Rachegöttinnen, die
Erinnyen, die den schuldigen Menschen in den Wahnsinn trieben.) Das
gehört zur Menschheitserfahrung und daher kennen alle Religionen
das Grundmuster des vergebenden und barmherzigen Gottes. Denn immer
schon hatte die Menschheit erahnt und erkannt, dass die Vergebung von
Sünde und Schuld letztlich die menschlichen Kompetenzen übersteigt;
- zu rätselhaft und ungeheuer sind die Möglichkeiten des Menschen,
sich schuldig und sündig zu machen. Die Menschheitsgeschichte spricht
hier Bände. Man kann verstehen, wenn
sich die Zeitgenossen über Jesus empört und ihn der Gotteslästerung
bezichtigt haben, als er in eigener Vollmacht Sünden vergab (Mk
2,7, Lk 7,49). Und daran halten wir als Christen fest: Nur Gott kann
Sünden vergeben. Daher beten wir im Vaterunser in einem Atemzug:
Unser tägliches Brot gib uns heute und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern (vgl. Mt 6,12, Lk 23,34, Apg
7,60). Als bedürftige Menschen bitten wir Gott nicht nur um das
Lebensnotwendige sondern auch und nicht zuletzt um Vergebung unserer
Sünden. Beides gehört zusammen. Im Sinne dieses ständigen
Nehmens und Gebens geben wir auch dem Nächsten: wir geben ihm das
Lebensnotwendige und vergeben ihm. Weil Gott zu uns gut ist und vergibt,
sind wir es auch zum anderen. Wir sind nach seinem Bilde erschaffen
und wollen auch danach leben. Damit sind wir bei der ersten
und wichtigsten Voraussetzung angelangt: Gott liebt bedingungslos. Sündenvergebung
ist nur durch Gott möglich und nur dann, wenn wir es ihm gleich
tun und anderen auch vergeben. So hat es uns Jesus vorgelebt und viele
andere gute Menschen. Dem Durchschnittsmenschen wird vielleicht nicht
immer klar, was das bedeutet. Wer die Erfahrung von schwerer Schuld
gemacht hat und wie ausweglos und finster Schuld sein kann, kann die
Größe der Liebe Gottes erahnen. "Vergebung ist das größte
und unbegreifliche Wunder der Liebe Gottes, weil Gott selbst in ihr
sich mitteilt und dies einem Menschen gegenüber, der in einer bloß
scheinbaren Banalität des Alltags das Ungeheure fertiggebracht
hat, zu Gott Nein zu sagen." (Karl Rahner, Grundkurs des Glaubens,
S. 405f.) Die bedingungslose Selbstmitteilung Gottes macht dabei den
Anfang ("Im Anfang war das Wort"!), nur durch dieses Gnadenwort
der Vergebung ist die Umkehr möglich. Der
Kern der Botschaft Jesu ist der Aufruf zur Umkehr. Wenn wir ihm als
schuldige Menschen folgen, hören wir auf dieses Wort in unserem
Gewissen und antworten durch unsere Reue und wenden uns wieder liebend
und vertrauend Gott zu. Und damit sind wir bei einer
weiteren Voraussetzung für die Sündenvergebung: Ohne das reuige
Sich-Wieder-Zuwenden zu Gott, ohne Umkehr, ist kein Vollzug der Vergebung
denkbar. Ihre Frage "Welche Vorraussetzung muß ein Mensch
erfüllen, damit er im Namen Jesu Sünden vergeben kann?"
müssen wir nach dem bisher Gesagten neu durchdenken. Klar dürfte
geworden sein, dass es wohl nicht das Vergebungswort eines wie auch
immer bevollmächtigten einzelnen Menschen sein kann. Das wäre
Magie. Kein Mensch kann aus seiner eigenen Kraft heraus Sünden
vergeben. Es ist auch zunächst keine Voraussetzung für den
im Namen Jesu Sprechenden zu erfüllen, weil es der durch das Vergebungswort
Gottes angestoßene reuige Mensch ist, der durch seine Reue und
den Wunsch der Wiedergutmachung und Versöhnung mit Gott die Vergebung
bewirkt. Was gelegentlich über die Beichtpraxis in den Kirchen
missverstanden wird, ist just diese (grammatikalische) Verwechslung
von Subjekt und Objekt. Der "Beichtvater" kann streng genommen
keine Sünden vergeben, auch wenn er nach dem Sündenbekenntnis
noch so gläubig und überzeugt sein "Ich spreche dich
los von deinen Sünden..." sagt. Der bekennende und reuige
"Sünder" ist nicht das Objekt des Beichtvaters, sondern
er ist selbst der Handelnde. Gott hat ihn zum Subjekt gemacht, das jetzt
reuig umgekehrt ist. Umkehr, Reue über das
Falschgemachte, Buße und Wiedergutmachung bedeutet Rückkehr
zu Gott. Jesus steht mit seiner Botschaft der Umkehr in einer alten
jüdischen Tradition, die nicht nur private, sondern auch öffentliche
Bußakte kannte. Das hat sich auch für das frühe Christentum
nicht verändert. Da der Mensch ein Gemeinschaftswesen ist, haben
seine Fehler und Sünden immer auch einen Gemeinschaftsbezug und
folglich gibt ein öffentliches Bekenntnis seiner Sünden auch
Sinn (vgl. Jak 5,16; 1 Joh 1,8f). Buße und Vergebung werden in
(öffentliche) Rituale und liturgische feste Formen gebunden. Für
die junge Kirche ist Buße eins mit dem konsequenten und handlungsorientierten
Glauben an den gekreuzigten und auferstandenen Jesus. In ihm hat das
Vergebungswort des bedingungslos liebenden Gottes seinen Höhepunkt
gefunden. Jesus solidarisierte sich in seinem Tod mit dem sündigen
Menschen. In dieser "letzten Tat seines Glaubens, Hoffens und Liebens"
erfuhr er "die Finsternis unserer Schuld" und nahm das Vergebungswort
Gottes für uns an. Und so bleibt dieses geschichtlich unwiderrufbar
gewordene Vergebungswort in der Gemeinde, die an die Vergebung glaubt.
"Ich glaube an die Vergebung der Sünden" beten wir im
Apostolischen Glaubensbekenntnis. Man kann daher die Kirche als das
"Grundsakrament dieses Vergebungswortes Gottes" bezeichnen
(vgl. Karl Rahner, Grundkurs, S. 406). Die Kirche verwaltet das Vergebungswort
Gottes an den seine Schuld bekennenden und bereuenden getauften Christ
im Bußsakrament. - Lesen Sie dazu den Artikel "Beichte"
in dem vorzüglichen Internetlexikon Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Beichte
. Damit sind wir bei der letzten
Antwort auf Ihre Frage angelangt, welche Voraussetzungen ein Mensch
erfüllen müsse, damit er im Namen Jesu Sünden vergeben
kann. Mit der Bindung des Vergebungswortes an die Kirche lassen sich
nun doch Voraussetzungen knüpfen. Freilich nicht mehr allgemein,
sondern je nach Kirche und Konfession unterschiedlich. Weil in der orthodoxen
und in der katholischen Kirche das Bußsakrament sogar als ein
formelles Vergebungswort verstanden wird, das der Kirche anvertraut
ist, bedarf es dazu eines geweihten Priesters. Andere Kirchen haben
andere Regelungen. Diese schmerzlichen Unterschiede innerhalb der Christenheit gehören auch zur "radikalen Schuldbedrohtheit des Menschen", von der wir oben sprachen. Kirchenmitglieder an jedem Ort der Hierarchieleiter sind bekanntlich Sünder wie andere Menschen. Auch für sie gilt das Wort Jesu von der Umkehr und der Verheißung des Vergebungswortes. Der bedingungslos liebende
Gott liebt aber alle Menschen ohne Unterschied gleich - und vergibt
allen, die darum bitten.
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