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Am
24. Januar 2010 schrieb uns Alexander T.: Hallo! Dabei konnte
mir die Kirche nicht viel helfen. ich bin evangelisch und seit 4 Jahren
getauft und konfirmiert. Jetzt bin ich mir nicht mehr sicher, ob das
richtig war, denn je mehr ich mich mit dem Glauben beschäftige,
desto weniger kann ich mich mit dem identifizieren, was da so an Metaphern,
Bildern, Gleichnissen etc. angeboten wird. Kann es denn
keine moralischen Menschen geben, ohne Religionen - womöglich auch
noch "Gegenerische", die sich gegenseitig bekämpfen,
versuchen, den jeweils anderen von seiner Meinung zu überzeugen,
Kriegeführen? Ist es nicht
möglich in einer Gesellschaft zu leben, die nicht durch strenge
Regeln und Gesetze geprägt ist und ohne eine schwarz weiße
Gut-Böse-Einteilung auskommt? Kann es denn
nicht so sein, dass die Menschen sich einfach an einer gewissen Moral
orientieren, die jeder einsehen und mit der jeder glücklich werden
kann? Ich plädiere ja nicht für ein totalitäres Utopia,
sondern einfach nur für eine Welt, die "erwachsen" genug
ist, auch ohne das Bestimmen des "normalen" oder "richtigen"
zurecht zu kommen. So, dass jeder einsieht, dass er ein Individuum ist,
das sich nicht in irgendeine Erwartungshaltung der Außenwelt hineinzwengen
muss um angenommen zu werden, sondern das so leben kann, dass es selbst
und die anderen glücklich sind... Ich hoffe meine
Gedanken sind halbwegs verständlich. Formulieren ist nicht gerade
meine Stärke. Ich denke einfach nur, dass man aufhören sollte,
sich an ein wiedersprüchliches und einfach nur bequemes Gottesbild
zu klammern und statt dessen selbst stark genug sein sollte, um einer
Wirklichkeit ohne höhere Instanz ins Gesicht zu schauen. Eine Welt,
die nunmal so ist, wie sie ist, ohne, dass man sie zu verstehen versucht. Ich denke auch
nicht, dass die Naturwissenschaften eine Religion ersetzen können,
denn sie helfen uns ja nur das zu beschreiben, was wir auch verstehen
können - alles weitere müsste unweigerlich so weit heruntergebrochen
und abstrahiert werden, dass man den eigentlichen Sinn mit menschlichen
Mitteln einfach nicht erfassen kann. Ich denke man
könnte mich gut als Agnostiker bezeichnen. Jetzt, wo Sie meine
Gedanken zum Thema Glaube etwas kennen, fände ich eine Einschätzung
sehr hilfreich, ob ich es überhaupt noch mit mienem Gewissen vereinbaren
kann, Christ zu sein. Auch fände ich eine Rückmeldung zu meinen
Gedanken sehr nett. Ich denke in einer direkten Diskussion wäre
es mit nicht so möglich gewesen, meine Gedanken zu formulieren. Ich fühle
mich einfach unsicher und habe das Gefühl, dass irgendein Stück
meiner Weltanschauung noch nich komplett ist. Daher bedanke ich mich
schon jetzt für die Hilfe und ihre Antwort. Alexander. Unsere
Antwort: Lieber Alexander, vielen Dank für Deinen so offenen und Tiefe suchenden Brief. Es tut gut zu sehen, dass es junge Christen Deines Kalibers gibt, die sich auf der Suche nach sich selbst und ihrer Spiritualität unbequeme Gedanken machen. Dass Du in der Kirche und Gesellschaft Mühe hast, Deine Identität zu finden, bedeutet ja nicht unbedingt, dass Dein Weg bisher falsch war. Es gibt auch bei den "Erwachsenen" und Etablierten genügend Leute, die sich mit der derzeitigen äußerlich gelebten Form des Christentums schwer identifizieren können und leiden. Sie können Deine Gedanken über Christentum, Weltanschauung und Moralität verstehen. Das Finden seiner Identität ist ja kein Akt, der z.B. mit dem Abschluss des Jugendalters mehr oder weniger von selber eintritt, sondern ein meist mühevoller Prozess bis zum Ende des Lebens. Aber was ist das Christentum, was ist der christliche Glaube? Ist es das was die christlichen Kirchen als Glaubensinhalte festlegen? Christentum ist, so könnte man vereinfachend sagen, die Nachfolge, das Nachleben der "frohen" Botschaft von Jesus von Nazareth. Wir finden sie in den Schriften und in der Tradition. Und dennoch scheinen sich die Kirchen und christlichen Gruppen (katholische Kirche, orthodoxe Kirchen, evangelische Kirchen, Freikirchen und sonstigen christlichen Gruppierungen) über das Wesentliche dieser Botschaft alles andere als einig zu sein. Sie vertreten Positionen von strengstem Fundamentalismus bis zum unverbindlichen Relativismus. - Wenn man diesbezüglich Deinen Brief liest, so wird auch nicht sehr deutlich, was Du unter Christentum verstehst. Was ist für Dich der Kern dieser Frohbotschaft? Wenn wir Deinem Anliegen um Rückmeldung, Dialog und Hilfe nachkommen sollen, bräuchten wir hier konkretere Aussagen. Wir schlagen Dir daher vor, die Grundfragen Deines Briefes wie z.B. der Orientierung "an einer gewissen Moral" vor dem Hintergrund des Neuen Testaments zu suchen und zu artikulieren. Du könntest Deine Suche nach Identität auch mit den Texten der Evangelien wagen und sie bewusst unkonventionell lesen. Wo durchbricht Jesus z.B. die Gut-Böse-Einteilung? Wo ist sein Gottesbild bequem? Wo lassen sich in den Evangelien Glaubenskriege und überstrenge Spielregeln rechtfertigen? Zwar haben Christen zu allen Zeiten alles aus diesen Texten für die jeweilige Rechtfertigung herausgelesen - auch für Kreuzzüge und Hexenverfolgungen -, dennoch aber gibt es keine Grund an der unkonventionellen Frohbotschaft Jesu zu zweifeln. Du könntest z.B. eine solche Lektüre vielleicht mit der Geschichte von Jesus und der Ehebrecherin (Joh 7,53 - 8,11) beginnen. Wenn Du dazu Hilfe brauchst lies ggf. den Text hier in der Homepage der Kirch am Eck http://www.kirchameck.de/Pred138GFBS.htm . Es gibt noch viele andere Stellen, die Dir auf der Identitätssuche mit einer "neuen" oder "anderen" Moral hilfreich sein könnten und Dich über die Haltung Jesu begeistern könnten. Du schriebst, dass es Dir
schwer falle, Dein naturwissenschaftliches Interesse mit Deinem
Glauben zu vereinbaren. Auch hier gilt, dass man vorher darüber
im Gespräch konkreter werden müsste, was Dein Glaube ist.
Denn ganz abgesehen von der Position weniger fundamentalistischer Gruppen
im Christentum (z.B. Kreationisten in Amerika), gibt es derzeit kaum
noch große Gräben zwischen der Naturwissenschaft und dem
christlichen Glauben. So wie bei der Mehrheit ernst zu nehmender Naturwissenschaftler
niemand mehr Positionen des alten Materialismus und Positivismus vertritt,
so findet sich in Zentraleuropa auch bei den Vertretern der großen
christlichen Kirchen kaum noch jemand der z.B. die Wissenschaftlichkeit
und Relevanz der Evolutionstheorie bezweifelt. - Lesevorschlag: Brian
Swimme: Das Universum ist ein grüner Drache: Ein Dialog über
die Schöpfung und die mystische Liebe zum Kosmos. Kamphausen Verlag
2007. - Interessant könnte für Dich auch sein: Hans-Peter
Dürr/Raimon Panikkar: Liebe - Urquelle des Kosmos - Ein Gespräch
über Naturwissenschaft und Religion, Herder Verlag. (Herder Tb.5965),
Freiburg 2008. Alle diese Denker, ob Naturwissenschaftler, Philosophen oder Theologen, setzen für ihre ungelösten Fragen aber keine "bequemen Gottesbilder" ein, um z.B. Naturwissenschaft durch Religion zu ersetzen - oder umgekehrt. Da kann man Dir nur zustimmen. Dennoch kann man aber auf das Verstehen auch nicht verzichten. Mit der Beschreibung und Empirie erfassen wir nur einen Teil der Wirklichkeit. - Aber diese Diskussion sollte man auf später verschieben. Jedenfalls verlangt man von Dir mit 17 Jahren noch kein wissenschaftstheoretisches Vorwissen, um sich mit dem Christentum identifizieren zu können. Jesus war auch kein Philosoph. Dein Brief wirft die Frage
auf: Was ist Religion? Darüber sollten wir auch noch ins
Gespräch kommen. Als Einstieg könnte man die Lektüre
des Wikipedia-Artikels im Internet voraussetzen: http://de.wikipedia.org/wiki/Religion
. - Legt man die in diesem Artikel verwendete Herkunft und Bedeutung
des Wortes Religion auf das lat. religio von lat relegere
oder religare zugrunde, dann lassen sich zwei Merkmale aller
Religionen diskutieren, die auch in Deinem Brief kritisch vermerkt werden.
Es geht im Christentum wie bei allen Religionen um die innere Seite
und um die äußere Seite. Mit lat. relegere nachlesen,
skrupelhaft überprüfen, wird die äußere Seite
der Religion definiert. Bei der äußeren, kultischen Seite
der Religion verliert das Individuum an Bedeutung und die feiernde und
bekennende Gemeinschaft tritt in den Vordergrund. Diese Bedeutung kommt
u.a. aus der antiken Religionspraxis, bei der die formale Richtigkeit
z.B. einer Opferhandlung, eines kultischen Aktes oder eines Gebets ausschlaggebend
für den Erfolg gesehen wurde. Daher relegere, genaues nachlesen
und nachprüfen der Formeln und Kultformen. Diese äußere
Seite führte manchmal zur buchstabengetreuen Auslegung von Texten.
Die fundamentalistische und formalistische Auslegung religiöser
Texte kann bis zur Unterdrückung des Individuums führen. Andererseits
erklären sich die gegenwärtigen fundamentalistischen Tendenzen
vieler Religionen aus der Globalisierung, die beim Individuum Ängste
und den Ruf nach Sicherheit, nach Schwarz-Weiß-Modellen hervorruft.
- Der Mensch braucht wohl auch in den Religionen die beschriebenen Formen
des Äußeren und Inneren. Das Individuum kann nicht ohne die
Gemeinschaft und die Gemeinschaft nicht ohne das Individuum leben. Die
Ausgewogenheit der inneren und äußeren Seite der Religion
ist ausschlaggebend dafür, dass die Religionen ihren befreienden
und friedensstiftenden Beitrag zur Humanität leisten können.
(Vgl. dazu "Weltethos" http://www.weltethos.org/) Fundamentalisten sind meist keine bösartigen Bombenleger, sondern Menschen, die von Ängsten geplagt sind - oft unbwußten Ängsten - und nach Sicherheiten, nach festen Formeln suchen. Es sind Menschen, die manchmal Angst vor zuviel Entscheidungsfreiheit haben. Leider können solche Menschen aber auch Angst machen und mit ihrer Enge andere Menschen unterdrücken. Das ist Dein geschildertes Problem in Kirche und Gesellschaft. Hier sollten wir aber noch tiefer ins Gespräch kommen. Denn die Flucht aus der Enge der Institutionen in die bequemere Ecke der Agnostiker kann die Menschheit auch nicht weiter bringen. Wir brauchen vielmehr überall tolerante und dialogfreudige Menschen, die eine eigene feste Position vertreten können ohne andere zu unterdrücken. Dazu muss man viel lernen und üben und auch Geduld mit sich selber haben. Lieber Alexander, brechen
wir für heute unser Gespräch ab. Wenn Du den Dialog weiter
führen willst, kannst Du ja auf unsere Antwort eingehen. Wir wünschen
Dir Kraft und Freude für Deine Suche und wir hoffen, dass Dir dabei
die innere Seite des Christentums, Gebet und Meditation, Hilfe bieten. Dein
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