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Am
27. November 2011 schrieb uns Roswitha G.:
Nachfolge
Hallo,
eine Frage beschäftigt mich sehr: Haben einige der Aposteln ihre
Familien verlassen, um Jesus nachzufolgen und wenn es so war, was wurde
dann aus ihren Frauen und Kindern?
LG
Roswitha G.
Unsere
Antwort:
Liebe Frau G.,
in Ihrer Frage schwingen Töne mit, die nur Sie beantworten können.
Für eine erste Antwort unsererseits lässt sich folgendes sagen:
Wenn man die Berufungsgeschichten
in den Evangelien und die Tradition der frühen Kirche zu Rate zieht,
dann haben diese Berufungen von Männern und Frauen ohne Zweifel
etwas Radikales. Berufung bedeutet bedingungslose Nachfolge, Nachahmung
des Lebens Jesu, also einer Lebensweise ohne gesicherter Existenz in
der Familie: "Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel
ihre Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt
hinlegen kann." Bedingungslos ist diese Nachfolge auch in ihrem
damaligen soziokulturellen Kontext. Das macht Jesus in derselben Passage
(Mt 8,19-22) deutlich: "Ein anderer aber, einer seiner Jünger,
sagte zu ihm: Herr, lass mich zuerst heimgehen und meinen Vater begraben!
Jesus erwiderte: Folge mir nach; lass die Toten ihre Toten begraben!"
Man kann also annehmen, dass
einige der Apostel ihre Familien verlassen haben, um Jesus nachzufolgen.
Das ist umso verständlicher, wenn man die Situation dieser Menschen
mit bedenkt. Sie hielten Jesus für den Messias, der die letzten
Tage der Menschheit einleitet, in denen es vor dem letzten Gericht nur
noch um das "Himmelreich" geht. Wenn es um das Himmelreich
geht, kann man auch auf die Ehe verzichten: "Denn es ist so: Manche
sind von Geburt an zur Ehe unfähig, manche sind von den Menschen
dazu gemacht und manche haben sich selbst dazu gemacht - um des Himmelreiches
willen. Wer das erfassen kann, der erfasse es.
Da brachte man Kinder zu ihm, damit er ihnen die Hände auflegte
und für sie betete. Die Jünger aber wiesen die Leute schroff
ab. Doch Jesus sagte: Lasst die Kinder zu mir kommen; hindert sie nicht
daran! Denn Menschen wie ihnen gehört das Himmelreich." (Mt
19,12-14)
Wir müssen umkehren und werden wie die Kinder, sonst werden wir
nicht in das Königreich Gottes eintreten (Mt 18,3)
Damit haben wir schon einige
Anhaltspunkte für Ihre Frage:
Die Radikalität der Berufung zum Apostel und ihre Konsequenz für
die Familien hat etwas mit der damaligen Naherwartung des Reiches Gottes
auf Erden zu tun. In unseren Zeiten ist die Nachfolge Jesu zwar nicht
minder radikal, muß aber wohl anders gelöst werden. -
Was konkret aus den Frauen und Kindern dieser damaligen Berufenen wurde,
wissen wir nicht - weder aus historischen Quellen, noch aus den Texten
des Neuen Testaments. Wir wissen aus den Zeugnissen des Neuen Testaments
aber, dass im Gefolge Jesu immer Frauen dabei waren und dass einige
Apostel verheiratet waren. Wenn man die oben zitierte Hochachtung Jesu
für Kinder zu Grunde legt, kann man nicht ausschließen, dass
im Gefolge Jesu auch immer einige Frauen und Kinder der Apostel dabei
waren.
Die wissenschaftliche Theologie nimmt mit Übereinstimmung an, dass
Jesus auch Frauen als Jüngerinnen berufen hat, u.a. weil es auch
schon in der Urkirche Frauen in besonderen Funktionen und Ämtern
gab, und weil die Berufung von Männern zu Aposteln nur ihren Grund
in der damaligen patriarchalen Grundeinstellung des Judentums hatte.
Man hätte etwas anderes noch nicht verstanden. - Die Hochachtung
der Kinder war nicht nur eine Besonderheit Jesu, sie gehört zu
den Charakterzügen des Judentums aller Zeiten. Man kann also mit
Sicherheit annehmen, dass die Nachfolge Jesu zum Apostel so geregelt
war, dass sich die Jünger- und Jüngerinnengruppe um die betroffenen
Frauen und Kinder gekümmert hat. Christentum kann man nicht von
den Werten einer engagierten Humanität trennen.
Liebe Frau G., soweit unsere
Antwort. Wenn Sie sich nicht verstanden fühlen, bitten wir Sie
um eine erneute Frage- und Antwortrunde.
Wir wünschen Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest und viel Zeit
zum Nachdenken
Ihr
Team von der Kirch am Eck
Frau
G. antwortete uns am 20. Dezember 2011:
Liebes Team von der Kirch
am Eck,
vielen Dank für die Beantwortung meiner Frage.
Diese war übrigens keineswegs provokant gemeint.
Mein Vater starb, als ich gerade 13 geworden war, und meine Mutter stand
mit
uns 3 Kindern alleine da. Von daher hat so eine Situation etwas Traumatisches
für mich. -
Vor einigen Wochen erhielt ich die Diagnose Brustkrebs und habe durch
den
Glauben an Jesus viel Trost und Hoffnung erfahren.
Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest.
LG
Roswitha G.
Unsere
Antwort:
Liebe Frau G.,
Ihre Antwort hat uns berührt und etwas Licht in Ihre Frage nach
dem Schicksal der zurückgeblieben Frauen und Kindern gebracht.
Betroffen gemacht hat uns auch Ihre gesundheitliche Situation. Bei solchen
Schicksalsschlägen erfahren wir durch den Glauben viel Hilfe.
Tod, Krankheit und der Verlust
geliebter Menschen gehören ja eher zum grauen Alltag und scheinen
weit entfernt zu sein von jenen heroischen Berufungs- und Sonntagsgeschichten.
Ihre Frage und Ihr Mitfühlen setzt auf bewundernswerte Weise bei
den sonst meist unbeachteten Menschen an, die solche "radikalen"
Entscheidungen zu tragen haben.
Aber ist die Nachfolge Jesu oder - mit anderen Worten - die Suche nach
Gott nicht eher im grauen Alltag daheim? Finden wir Gott immer nur hinter
der Trennungsmauer zwischen dem Heiligen und Profanen? Ist er nicht
überall in allen Wesen und Dingen des "profanen" Alltags
erkennbar? Hier können wir sehr viel von den Mystikern lernen.
Der jüdische Philosoph
Martin Buber hat bei der Beschreibung der chassidischen (mystischen
!) Bewegung des Ostjudentums geschrieben :
"Die Welt, in der du lebst, so wie sie ist, und nichts anderes,
gewährt dir den Umgang mit Gott, ihn, der dich und das in der Welt
weilende Göttliche, soweit es dir anvertraut ist, zugleich erlöst.
Und deine eigene Beschaffenheit, dies eben wie du bist, ist dein besonderer
Zugang zu Gott, deine besondere Möglichkeit für ihn. Laß
dich deiner Lust an Wesen und Dingen nicht verdrießen, laß
sie sich nur in den Wesen und Dingen nicht verkapseln, sondern durch
sie zu Gott vordringen; empöre dich nicht wider deine Begierden,
sondern fasse sie und binde sie an Gott; nicht ertöten sollst du
deine Leidenschaft, sondern sie heilig wirken und heilig ruhen lassen
in Gott. Aller Widersinn, mit dem die Welt dich kränkt, tritt dich
an, damit du den Sinn in ihm entdeckst, und aller Widerspruch, der in
dir selbst dich peinigt, wartet auf deinen Spruch, ihn zu bannen. Alles
Urleid will Eingang in deine begeisterte Freude.
Diese deine Freude aber ist es nicht, wonach du strebst. Sie wird dir
zuteil, wenn du danach strebst, "Gott zu erfreuen". Deine
Freude erhebt sich, wenn du nichts mehr willst als die göttliche
Freude - nichts mehr als die Freude selber." (Martin Buber: Die
Erzählungen der Chassidim. Manesse Verlag 1949, S. 18 f.)
Liebe Frau G.,
vielleicht finden Sie in solchem Nachdenken über die Nachfolge
Ihren Weg durch Ihre gegenwärtige Lebenssituation. Wir wünschen
Ihnen dazu den Segen Gottes, der als göttliches Kind in unseren
Alltag geboren wurde. Frohe Weihnachten!
Ihr
Team von der Kirch am Eck
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