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Am
15. Dezember 2011 schrieb uns Matthias L.:
Ist
Glauben so schwer ?
Hallo,
ich bin zufällig auf
Ihre Seite gestoßen und fand viele Ihrer Antworten sehr interessant.
Nun wollte ich meine eigene Frage stellen die mich seit Jahren quält.
Wieso kann es manchmal so schwer sein zu glauben? bzw. Gibt es eine
Lösung, ein Gedankengang der einem echten Christen 100%ige Glaubenskraft
schenkt?
Dazu möchte ich hinzufügen, dass ich bis vor zwei, drei Wochen
nicht besonders religiös war. Ich habe zwar schon immer versucht
an Gott zu glauben und respektiere die Religion an sich, ich gehe jedoch
nicht regelmäßig in die Kirche. Jetzt habe ich angefangen
die Bibel zu lesen weil mir einige schöne, inspirierende Sachen
passiert sind die ich nicht durch Zufall erklären kann sondern
einen tieferen Sinn darin sehe. Ich bete jetzt öfters und versuche
auch netter zu sein und Menschen zu akzeptieren und zu respektieren
so wie sie sind, (auch wenn es noch manchmal nicht so sehr klappt).
Jedoch bringt auch die kleinste Erschütterung, d.h. schwere Lebenssituation
dieses Glauben zum schwanken. Ich stelle mir dann die Frage ob es Ihn
wirklich gibt, ob Jesus wirklich Sohn Gottes bzw. die Incarnation Gottes
war oder ob die Bibel die Wahrheit sagt. Im Internet ist es sinnlos
nach Antworten zu suchen denn dort gerate ich in einer Schlacht zwischen
Atheisten und Extremgläubigen.
Da ich alle Naturwissenschaftlichen Fächer gut beherrsche, erscheint
mir die Hypothese, dass das Universum durch Zufall und Evolution entstanden
ist als plausibel. Dann würde das Leben an sich keinen tieferen
Sinn haben und das finde ich unlogisch. Ich will glauben, dass Gott
dahinter steckt und ich will glauben, dass ich die Ewigkeit mit Personen
verbringen werde, die ich gern habe und nicht dass ich nach dem Tod
aufhöre zu existieren. Es gibt jedoch kaum handfeste Beweise für
Gott die nicht auch durch Zufall bzw Evolution erklärbar wären.
Ich habe mir vor kurzem gedacht, dass Gott vielleicht nicht in diese
Welt eingreifen will und dass er sozusagen den Zufall beherrscht und
dadurch unseren Weg erleichtert.
Wieso kann ich denn immer noch nicht 100%ig glauben? Wieso ist Glaube
so schwer und Nicht-Glauben so einfach? Und vor allem sind meine Gründe
warum ich glauben will egoistisch?
Ich habe mir auch gedacht, dass es ein Bestandteil des Glaubens ist,
Gott blind zu vertrauen obwohl man keine richtigen Beweise für
seine Existenz hat. Logisch - sonst würde es nicht Glauben sondern
Wissen heißen. Glauben wäre dann die kleine Leistung, die
Gott von uns erwartet.
Jedoch, wieso fällt es mir so schwer Ihm zu vertrauen und bin ich
ungläubig? - zu schwach zu glauben?
Zum Schluss möchte ich
noch den berühmten Satz zitieren: "I want to believe!"
;)
Ich bedanke mich schon mal
im voraus für eine Antwort und entschuldige mich für die bestimmt
zahlreich vorhandenen Rechtschreibfehler, Grammatikfehler und allgemein
für die Unordnung meiner Nachricht.
Vielen Dank und Viele Grüße,
Matthias
Unsere
Antwort:
Lieber Herr L.
Vielen Dank für Ihre Mail mit den Fragen, die Sie beunruhigen.
Da Sie in Ihrem Brief durchscheinen lassen, dass Sie auch einige Mühe
aufwenden wollen, um das Problem des Glaubens zu verstehen, halten wir
es für angezeigt, zuvor den Begriff "Glauben" ein wenig
zu durchleuchten. Wir beziehen in unserer Antwort zunächst den
manchmal synonym verwendeten Begriff "Glaube" mit ein. Beide
Begriffe meinen manchmal aber Unterschiedliches. Dies wird deutlich,
wenn Sie die beiden einschlägigen Artikel im Internetlexikon wikipedia
nachlesen: http://de.wikipedia.org/wiki/Glauben
- http://de.wikipedia.org/wiki/Glaube.
Wir versuchen, Ihren
Brief sehr vereinfachend und mehr aus einer allgemeinen (religionsphilosophischen)
Sicht zu beantworten. Ihr Brief ermutigt uns auch, Ihnen etwas schwerere
Kost und wiederholtes Lesen und Nachdenken zuzumuten.
Beginnen wir mit einem Satz
von Max Planck: "Die Naturwissenschaften braucht der Mensch zum
Erkennen, den Glauben zum Handeln. Religion und Naturwissenschaft schließen
sich nicht aus, wie heutzutage manche glauben und fürchten, sondern
sie ergänzen und bedingen einander. Für den gläubigen
Menschen steht Gott am Anfang, für den Wissenschaftler am Ende
aller Überlegungen."
Dort wo im Laufe der Menschheitsentwicklung
die Erkenntnismöglichkeiten des Menschen nicht ausreichend waren,
um bestimmte Phänomene zu erklären, um Existenzangst zu überwinden
oder um Sinn in Ereignissen des Lebens wie Tod, Unglück und Krankheit
zu finden, musste der Mensch die Religion zu Hilfe nehmen. Religion
gab es schon lange vor der Wissenschaft. Ihre Antworten sind immer Versuche,
Sinn in ungelöste Fragen des Menschen zu bringen. Meist geschieht
dies mit Formen des Kults, der Inhalte des religiösen Glaubens
ausdrücken kann; dazu gehören auch Vorstellungen von Gott
(bzw. Göttern), d.h. Gottesbilder. Wir könnten also sagen:
Glauben ist Sinnstiftung und Orientierung. Glauben gibt Antwort
auf Fragen, die uns der Verstand, die Erfahrung, die Forschung und Wissenschaft
nicht geben kann.
Glauben ist aber nicht in
erster Linie Kognition und Wissensverarbeitung, wie gern missverstanden
wird. Glauben kann man nicht "mit dem Kopf" lernen, sondern
eigentlich nur einüben. Dazu ein Beispiel: Wenn ein Mensch von
der Schönheit der Natur (Sonnenauf- oder -untergang, Blumen, Tiere
usw.) ergriffen ist und ein Gefühl der Dankbarkeit und Freude empfindet,
vollzieht sich Glaube: Durch sein Gefühl empfindet, findet er Sinn
in seinem Dasein und in der Schöpfung. Dieser Akt des Fühlens
hat etwas mit Kontemplation zu tun. Von der kontemplativen Freude über
das Schöne in der Natur ist der Bezug zum Schöpfer dieser
Natur ganz nah. Ähnlich wie in den "Schöpfungspsalmen"
(z.B. Ps 104) gibt es dafür Belege in allen Religionen.
Die kontemplative Begegnung mit dem Naturschönen war für den
Philosophen Kant die Brücke zum Sittlich-Guten. Einübung des
Glaubens müsste hier - beim Emotionalen - beginnen, nicht beim
kognitiven Lernen von Glaubensinhalten.
Wir haben hier bewusst den Glauben und das Schöne in Beziehung
gesetzt und Kant ins Spiel gebracht. Nach Kant kann der Mensch etwas
als schön beurteilen, wenn das Subjekt es ohne begriffliche Definition,
ohne Interesse (d.h. haben wollen) und ohne Zweck und Nutzen wahrnimmt.
Das gilt abgewandelt auch für den Glauben. Glauben muss frei sein
von Nützlichkeitsabsichten. In der Vergangenheit wurde leider in
manchen Religionen der Glaube sogar mit Zwang eingetrichtert und unter
dem Aspekt des Nutzens gelernt, z.B. um das Seelenheil zu erlangen.
Wenn Glauben Suchen nach
Sinn, Sinnstiftung bedeutet, dann kann damit nur das Individuum gemeint
sein. Das kann man auch aus Ihrer Mail herauslesen. Sinn geben, Sinn
stiften kann sich nur der Einzelne. Der Mensch ist aber auch ein Sozialwesen.
Betrachtet man die Entwicklung des Menschen von der Geburt an, dann
wird sehr schnell deutlich, dass das völlig hilflose und abhängige
Kind zunächst alles von seiner Familie bekommt, nicht zuletzt die
Kultur und damit die Weltanschauung und Religion. Im Laufe seiner Entwicklung
wird dann dieser "Kinderglaube" immer mehr in die Vorstellungswelt
des Heranwachsenden übernommen und verändert. - Der Glaube
wir also zuerst in der Familie eingeübt. Das muss uns in unseren
Vorstellungen vom Glauben bescheiden und tolerant machen. Denn nicht
alle Kinder können mit der Erfahrung von verlässlicher Geborgenheit
und Liebe aufwachsen, die wir brauchen um später Glauben, Lieben
und Hoffen zu können. Diese Erfahrung ist aus der Sicht der (Neuro)Wissenschaft
grundlegend.
Den Inhalt des Glaubens, der Weltanschauung haben die Eltern freilich
nicht selbst erfunden sondern sie stehen meist im Traditionsstrang eines
Glaubenskollektivs, einer Religionsgemeinschaft. Wir glauben zunächst
den "Glauben unserer Väter", unserer Vorfahren. Wir übernehmen
seit Generationen z.B. die Gottesbilder unserer Vorfahren. Manchmal
sind sie immer noch anthropomorph (aus unserer menschlichen Sicht) und
stellen Gott z.B. als alten Mann mit Bart oder als strafenden Richter
vor, der die Ungläubigen vernichtet. Manchmal wurden Glaubensinhalte
als gemeinschaftsstützende Grenzlinien und Formeln (Credo, Dogmen)
missbraucht und zu fundamentalistischen Kampfbegriffen gemacht, die
den "ungläubigen" anderen das "Heil" absprechen.
Aber wie beim Glauben des Individuums, von dem wir oben sprachen, entwickelt
sich auch der Glaube der Religionsgemeinschaften. Nach unzähligen
Religionskriegen sind wir in einem Zeitalter des religiösen
Dialogs angekommen, bei dem Konfrontationsdenken zum Beziehungsdenken
wird, bei dem nicht zunächst das Trennende sondern das Gemeinsame
des Glaubens gesucht wird.
Wir könnten das hier
kurz Angedeutete zusammenfassen:
Glauben ist dynamisch. Er muß sich sowohl in der Ich-Form
als in der Wir-Form zum mündigen "Erwachsensein" weiterentwickeln
und darf nicht stehen bleiben oder in alte Stufen und Formen zurückfallen.
Wenn für die Menschen im Altertum und Mittelalter magisch-animistische
Geister- und Göttervorstellungen noch angebracht waren, sind sie
für uns "globalisierte" Menschen, nicht mehr tragbar.
Den Rückfall in schon überwundene Stufen erleben wir derzeit
als "Regressionen" zum Fundamentalismus in den großen
monotheistischen (abrahamitischen) Religionen wie Judentum, Christentum
und Islam.
Glauben ist ganzheitlich: Er muß die Leiblichkeit bejahen
und Sinne, Gefühl und Verstand integrieren und darf die Vernunft
nicht ausschließen. Ganzheitlicher Glaube mündiger Erwachsener
braucht den Zweifel und die Kritik. Und da jeder Mensch unterschiedlich
fühlt und denkt - und auch die Freiheit und das Recht dazu hat
- muss Zweifel und Kritik intensiv mit Toleranz verbunden sein.
Glauben ist dialogisch: Das Ich ist auf das Du angewiesen. Glaube
muss sich frei ausdrücken können und muss den Glauben anderer
tolerieren. Wenn der Ort der Wahrheit der Dialog ist, wie die Philosophie
verkündet, gilt das insbesondere für den Glauben, der etwas
für wahr hält, was man nicht wissen kann.
Mit diesem allgemeinen Einstieg
haben wir einige Ihrer angedeuteten Fragen noch nicht beantwortet. Wir
haben auch bewusst die Glaubeninhalte des Christentums noch ausgeklammert,
weil wir meinen, dass nun zunächst Sie an der Reihe sind, die angebotenen
Impulse zu verarbeiten. Lesen Sie dazu zur Einstimmung einen Aufsatz,
der vor einigen Jahren in der ZEIT zu lesen war: http://www.zeit.de/2007/07/Die_christliche_Revolution
. -
Unsere Antwort bringt Ihnen also Arbeit und keine Patentrezepte zum
Glauben. Das haben Sie wohl auch nicht erwartet, wenn Sie schreiben:
"Gibt es eine Lösung, ein Gedankengang der einem echten Christen
100%ige Glaubenskraft schenkt?" Oder doch? -
Kann es überhaupt einen 100%igen Glauben geben? Was wäre das?
Die Gesamtheit der Glaubensinhalte? Wer legt die fest und wer liefert
dazu die Berechnung und Einstufung? Oder 100% in der Qualität des
Glaubens? Wer könnte dann besser glauben, ein Theologieprofessor
oder ein Kind oder gar ein Ketzer? - Wie auch immer, der christliche
Glaube ist damit wohl nicht gemeint, denn Jesus hatte Sünder und
ähnliche Menschen als Adressaten und weniger die Frommen und 100%igen,
also Leute wie wir, Normalverbraucher, die einen einfachen Glauben brauchen.
Das könnte Ihnen Mut machen.
Wir wünschen Ihnen Kraft und Freude beim Einüben des Glaubens.
Ihr
Team von der Kirch am Eck
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