Französiches
Viertel
Südstadt |
Schwäbisches
Tagblatt, Samstag, 29. Juni 2002, S. 29 |
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Breites Bündnis für langen TunnelChristian Achnitz machte ein B 27-Problem anschaulich TÜBINGEN (ec). Seit
mehr als zwanzig Jahren gibt es in der Südstadt eine Bürgerinitiative,
die mit Erfolg für die Interessen vieler Stadtteilbewohner eintritt.
Das Thema, das die Aktivisten bis heute am meisten drückt, ist
die Bundesstraße 27. Vor drei Jahren trat eine zweite Gruppe auf
den Plan, die ebenfalls in der Südstadt verankert ist und gleichfalls
die B 27-Sache vertritt: das Forum Französisches Viertel. Eine Menge Aufmerksamkeit
gewann das Forum, als es die Ergebnisse einer Umfrage im Französischen
Viertel vorlegte: Die Mehrzahl der Wohnungsbesitzer, so erklärte
Achnitz im Gemeinderat, befürchtet Wertminderung an den Immobilien,
nicht wenige würden wegziehen, wenn von der B 27-Neubautrasse das
preisgekrönte Stadtviertel zusätzlich verlärmt würde.
Möglicherweise haben erst in diesem Moment nicht mit allen Details
der Planung vertraute Lokal- und Bundespolitikerinnen begriffen, was
im Tübinger Süden auf dem Spiel steht. Jahrelang waren BI
Südstadt und Gartenstadt-Bewohner gegen lange, steile und falsch
geplante Zufahrtsrampen angerannt. Erst als der gelernte Psychologe
Achnitz unter anderem mit einer drastischen Fotomontage anschaulich
machte, dass sich in diesem zentralen Manko die kurze Tunnel-Variante
(2 + 2-Lösung) nicht von der offenen Trasse unterscheidet, kam
die Botschaft an. Auf dem Österberg und
in Lustnau war man ebenfalls hellhörig geworden. Bei entsprechendem
Wetter trägt der Wind jetzt schon das Wummern der Reifen vom Neckartal-Asphalt
in die höheren Wohnlagen. Um wie viel stärker, so prophezeite
Achnitz bei etlichen Veranstaltungen in den vergangenen Monaten, würde
also der mit hoher Drehzahl den Anstieg zum Schindhau hinaufkeuchende
Verkehr auch in entfernten Gegenden zu hören sein. Mit Ausdauer schmiedet der 38-Jährige an der Allianz für den langen Tunnel, dabei sowohl die Nähe zum Grünen-Bundestagsabgeordneten Winfried Hermann wie das Ohr der SPD-Ministerin Herta Däubler-Gmelin suchend. Aus Koalitionshändeln hält er sich klugerweise raus, da ist ihm sein Wohnviertel näher als die September-Wahl. 17 Unterstützter-Grupperi mobilisierte Achnitz für die Info-Tafeln, die seit wenigen Tagen unübersehbar Tübinger Straßenränder zieren. Vom Fahrrad- bis zum Verkehrsclub, von der West- bis in die Oststadt-BI, von den Naturfreunden bis zur Kirchengemeinde, BUND, Umweltzentrum und Bürger-Büro ohnehin - alle stehen mit Namen und Kostenbeteiligung für ein "So nicht!" und sagen stattdessen "Ja zum langen Tunnel".
Nur noch selten wundert sich
der 38-Jährige, wenn er, was immer wieder vorkommt, von einem aufgeregten
Viertel-Bewohner gefragt wird, ob es denn stimme, dass gleich hinterm
Landkutschersweg eine vierspurige Straße ... ? Da gebe es "schlimme
Informationsdefizite", sagt der Psychologe. Auch die Stadtverwaltung
habe "nicht hinreichend informiert". Beweis: Im amtlichen
Rahmenplan der Südstadt ist ein langer Tunnel eingezeichnet, aber
keine Notiz, dass andere Planer anderes planen. An die 500 Studierende wohnen
im Französischen Viertel, kaum eine(r) kam je zu einer Forums-Sitzung.
"Höchstens, wenn's in einer Kneipe nachts mal zu laut war",
erinnert sich Christian Achnitz, "man wird doch bloß noch
in eigener Sache aktiv." Wenn es um den Ort für den Brunnen,
um die Form von Sitzbänken oder die Größe der Kindergarten-Freifläche
geht, ist das Forum oft Ansprechpartner der Stadtverwaltung. Und das Zusammenwachsen neuer
und alter Südstadt-Teile, alteingesessener und mobiler Leute, will
erst noch organisiert sein. Südlich ans Viertel grenzt der Wennfelder
Garten an. Wenn die Universitätsstadt je ein Arbeiterviertel hatte,
man dürfte es hier im "Backofen" vermuten. In den großen
Mietshäusern an der Königsberger Straße, sie liegen
westlich der früheren Hindenburg-Kaserne, wohnen überdurchschnittlich
viele nichtdeutsche Tübinger, während im Französischen
Viertel selber die Ausländerquote sehr gering ist. Auch von der Altersschichtung her ist das Viertel von Christian Achnitz sehr speziell. Bei Wahlen reicht es Rot-Grün locker zur Zweidrittel-Mehrheit, lokale Konservative wie die UFW schrumpfen zur Splittergruppe. Ob solche Differenzen sich im quartiersübergreifenden Alltag störend bemerkbar machen? Der Psychologe wagt keine Prognose. Für Kinder, so hat er bei seinem kleinen Sohn beobachtet, "ist die Gegend hier anregend und spannend". Unser Donnerstagsgast
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