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... aus der
Presse
und für Sie zur Diskussion gestellt:
Publik-Forum,
Nr. 7, 9. April 2004, S. 50-52
Ruth Lapide
Sieben Fragen
an Mel Gibson
Wenn es stimmt, Herr Gibson,
dass heutzutage ein Filmerfolg davon abhängt, wie viel Gewalt gezeigt
wird - so ist Ihr Jesus-Film ein voller Erfolg. So viel blutige Gewalt,
geradezu sadomasochistisch dargestellt, sieht man selten, noch dazu
mit einem Heiligenschein versehen. Nach qualvollem Zuschauen stellte
sich mir die nagende Frage, was soll das Ganze eigentlich? Als jüdische
Theologin, die sich der Versöhnung von Christen und Juden widmet,
lassen mich folgende Fragen nicht zur Ruhe kommen:
1. Hat nicht der - christlich
verstandene - Gott nach dem Johannesevangelium (Kapitel 3, 16) seinen
"eingeborenen Sohn dahingegeben", um sich mit der Welt zu
versöhnen? So sagt es ja auch Paulus im Römerbrief (Kapitel
8, 32). Es handelt sich also um ein geplantes und gewolltes Schicksal
des Nazareners. Was eigentlich soll dann das ganze Theater mit Ihrem
Film?
2. Jesus selbst hat ganz
deutlich von seinem bevorstehenden Tod, ja von seinem stellvertretenden
Sühneleiden, gesprochen: "Keiner nimmt mir mein Leben - ich
gebe es selbst dahin" (Johannesevangelium, Kapitel 10, 18). Wenn
also alles so freiwillig angenommen und vollzogen wurde, warum müssen
Sie in Ihrem Film diese gewollte Geschichte mit so viel Blut, Schweiß
und Tränen breittreten?
3. Können Sie sich nicht
vorstellen, dass Jesus auch hätte in Nazareth bleiben können?
Dort wäre er dann friedlich alt geworden, hätte seine Kindeskinder
erlebt und wäre ein berühmter Rabbi gewesen. Stattdessen ging
er freiwillig in die "Höhle des Löwen Pilatus" nach
Jerusalem, um dort zu sterben. Also, was soll's? Als jüdische Theologin
würde ich wünschen, Jesus wäre lieber in seinem Dorf
in Galiläa geblieben.
4. Glauben Sie denn, dass
Jesus und die beiden Räuber neben ihm die einzigen von Pontius
Pilatus gekreuzigten Männer waren? Es ist doch belegt, dass Pilatus
während seiner zehnjährigen Statthalterschaft in Judäa
6000 jüdische Männer ans Kreuz schlagen ließ. Erlitten
die nicht genau denselben Schmerz wie Jesus?
5. Von Pilatus berichten
nicht nur jüdische, sondern auch römische Quellen: Er war
einer der grausamsten Statthalter Roms. Überdies lesen wir im Lukasevangelium,
dass Pilatus häufig jüdische Pilger hinterlings umbringen
ließ - ohne zum Beispiel mit ihnen zuvor über die Frage zu
diskutieren: Was ist Wahrheit? Wie kommen Sie also dazu, Pilatus in
Ihrem Film geradezu als humanitären Schöngeist, als Mann von
sanfter Menschenfreundlichkeit dazustellen? Nach Ihrem Pilatus-Modell
könnte dann demnächst wohl auch Adolf Eichmann als geneigter
Judenfreund in die Geschichte eingehen? Madame Pilatus erscheint bei
Ihnen ja ohnedies als gütige Vorläuferin von Mutter Teresa.
6. Die ganze riesige Kinoleinwand
ist minutenlang schwarz von wild herumgestikulierenden, geifernden Priestern
und Mitgliedern des Hohen Rates. Warum verheimlichen Sie uns, um Himmels
willen, dass Jesus tausende ihm wohlgesonnener Anhänger unter den
Pharisäern hatte? Wir lesen zum Beispiel bei Lukas, dass er von
Pharisäern vor den Nachstellungen seiner Feinde gewarnt wurde,
womit diese Pharisäer sein Leben gerettet haben. Und dies ist kein
Einzelfall. Jesus gehörte bekanntlich zu einer der pharisäischen
Richtungen und führte, wie die Evangelien immer wieder zeigen,
viele Religionsgespräche mit seinen Kollegen. Mit den Angehörigen
der rund vierzig Familien der sadduzäischen Priester-Hierarchien
lagen sie alle zusammen im Clinch und führten heftige Streitgespräche.
7. Wieso haben Sie all das
Schöne und Gute (das der Rabbi Jesus im Grunde nur seinem eigenen
Volk verkündete) unter den theologischen Teppich gekehrt? Selbst
die Auferstehung kommt im Film nur so nebenbei vor, abstrakt und ohne
Zeugen. Ist sie nicht wichtiger als die ganze "Viecherei"
der Kreuzigung? Schließlich stammt die Auferweckungshoffnung als
solche, wie so vieles weitere christliche Glaubensgut, aus jüdischem
Wurzelgrund. Nach dem Erfolg diese Films stellt sich die Frage nach
einer möglichen Fortsetzung. Wie wäre es mit einem weiteren
Gruselthriller: Das letzte Röcheln von Auschwitz?
Friedrich Schorlemmer
Frohe Botschaft,
ersäuft in Blut und Leid
Der
Erfolg des Mel-Gibson-Films "Die Passion Christi" gibt zu
denken. Was treibt die Leute in die Kinos: die distanzlose Gewaltorgie
oder religiöse Fragen?
Wenn ich einen Wunsch frei
hätte, dann wünschte ich mir, dass das alte Europa von dieser
Horrorklamotte aus Hollywood verschont bliebe. Es sollte Jesus erspart
werden, auf diese schreckliche Weise auf unseren Großleinwänden
nachgebildet zu werden. Was da vorkommt, verschlägt einem den Atem,
lässt dem Zuschauer kaum Raum, Christi Leiden - mitsamt den Leiden
dieser Welt - für sich zu bedenken und zu durchdringen. Niemals
wird man auf diese Weise erfahren, wie das Leiden Jesu Christi uns Leiden
ersparen kann und uns helfen kann, Leiden zu überwinden. Noch wird
deutlich. wie wir durch sein Leben Leben gewinnen, selbst wenn wir es
verlieren,
Ich hätte nicht erwartet,
dass es im Jahre 2004 möglich sein würde, !n einem scheinbar
historisch objektiven Sinne die Evangelien und spätere Nonnenvisionen
so blutrünstig zusammenzurühren und damit ein Massenpublikum
zu erreichen. Das aber hat Regisseur Mel Gibson in "Die Passion
Christi" vollbracht. Dass inzwischen sowohl der Bischof voll Rom
wie der Bischof von Eisenach kaum Anstößiges am Film finden,
verheißt nichts Gutes für die weitere Diskussion, die "das
christliche Europa" tief spalten dürfte.
Der Film beginnt mit einem
schwülstigen Gethsemane-Szenario, das vom ersten Bild, vom ersten
Ton an deutlich macht, welch lautmalender Schmarren, welch gruselige
Effekthascherei einen erwartet Obszön, wie Gibson Leiden genüsslich-übertreibend
inszeniert. Peinlich, wie sich künstlich wirkende Szenen bei aller
geschickt verpackten Suggestion des Realistischen aneinander reihen.
Jesus wird vorgeführt als einer, der seine Unsterblichkeit zeigen
soll, indem er alle Martern übersteht, übermenschlich-leidenstapfer
und dadurch grausig un- und übermenschlich. Keiner kann solche
Peinigung aushalten. Selbst die Lust der Peiniger ist aufgesetzt. weckt
eher Ekel als Mitleid.
Der Teufel huscht als fahl-kahl-kalt-stumm-androgynes
Wesen - als Gegenbild zur Mutter Maria - durch die Szene. Die Juden
begegnen uns durchgehend als ein einziger geifernder Mob, Pilatus, der
Statthalter Roms, als heimlicher Held. Es gibt einige Rückblenden,
die wohl tun, weil sie ein anderes Tempo, eine andere Wirklichkeit einblenden
und der Seele ein wenig Erholung gönnen: die Verbindung zwischen
letztem Mahl und Fußwaschung, das Gebot der Feindesliebe aus der
Bergpredigt, eine legendäre Kindheitsszene. Einzig die Szene, in
der die Selbstgerechten eine Ehebrecherin steinigen wollen, erreicht
in ihrer Indirektheit und symbolischen Verfremdung eine inhaltliche
und künstlerische Qualität, wie man sie dem gesamten Film
gewünscht hätte.
Im Hauptgeschehen schreckt
Gibson in seinen monströsen Leidenskitzeln vor nichts zurück,
weil ihm jeder Maßstab für das, was human und humanisierend
genannt werden kann, verloren gegangen ist. Ein einziger virtueller
Sadismusrausch auf dem Rücken des Nazareners. Verzückte Augen
der Folterknechte, Wolllust des Schlagens, aufgerissenes Menschenfleisch.
Das ist nicht die christliche, auf Be-Deutung hin orientierte
Passionsgeschichte, sondern eher heidnisches Opferspektakel. Dass da
"einer für alle" eintritt, wird völlig verdeckt,
indem alles Interesse darauf gerichtet wird, wie ein Geopferter alles
auskosten muss, was es an Qualen gibt. Der Betrachter wird dabei gnadenlos
zum passiven Zeugen gemacht. Das Blut fließt, strömt, trocknet,
versickert. Der Einschlag des Nagels erfolgt genüsslich in Großaufnahme,
dazu schwülstige Musik. Wozu? Das Metall, das sie ihm in die Hand
treiben, wird wichtiger als die Hand der Bergpredigt, die in eine offene,
menschliche, erfreuliche Zukunft weist. Im Neuen Testament aber ist
der Helfer für Kranke und Arme, Vergessene und Ausgestoßene
wichtiger als ein Hass und Folter Ausgesetzter, der nach Gott schreit
- Warum? -, der aber als Gekreuzigter noch seine Arme segnend
über die erlösungsbedürftigen Menschen ausbreitet. Seine
Botschaft bleibt Liebe, mitten in der Welt von Hass, Gewalt und Tod.
Dieser Film mit seinem Zeitlupengrauen
sagt wohl mehr über die Psyche des Finanziers, Drehbuchautors und
Regisseurs Mel Gibson als über Jesus von Nazareth. Und die bisherigen
Besucherzahlen sagen wenig über Jesus, aber viel über die
Zuschauer und ihre massenhafte Bereitschaft, am Gewaltspektakel in der
Weise teilzunehmen, wie es
die johlenden Massen zur Zeit Jesu getan haben mögen, wenn sie
gerufen wurden, um Kreuzigungen oder den Zerfleischungen in den römischen
Arenen beizuwohnen. Inzwischen werden schon Devotionalien verkauft.
Ein Nagel gefällig?
Wie viel geistige Verblödung,
wie viel geistliche Verwirrung, emotionale Verrohung, ästhetische
Entgleisung, wie viel antijudaistische Ressentiments herrschen in einer
Zeit, in der solch ein über-drehtes Machwerk solche Zuschauerzahlen
bekommt? Es ist unchristlich, sich am Leiden zu weiden. Das Leiden Jesu
will mir etwas sagen: Wer leidet da, warum leidet er? Musste das so
sein? Warum konnte die Welt gerade solch einen Menschen nicht ertragen?
Wem wurde er gefährlich? Was hinterlässt er denen, die ihm
voll Vertrauen folgen? Was ist das für ein Gott-Vater, der seine
Menschwerdung auf diese Weise auskostet?
Wir sollen nicht Voyeure
des Grauens werden, das so sinnlos wie verwerflich erscheint. Bedenken
der Passion Jesu will vielmehr Mitleid mit dem wecken, was "vor
unseren Au-gen" geschieht. Mitleid ist eines der Gefühle,
die im Menschen wachsen sollen, weg von unserer ewigen Selbstbezogenheit
- aber ein Mitleid, das ins Mitleiden als Haltung führt, die aktiv
Leiden mindert oder vermeidet.
Dieser Film macht nicht solidarisch,
er mobilisiert nicht zu Widerstand oder zu Empörung über das
Leid. Er führt in emotionale Aufwühlung - bis zum blanken
Ekel. Nichts wird sichtbar von der ermutigenden Botschaft dessen, der
anderen die Füße wäscht und der auf dem Berg der Seligpreisungen
in die Zukunft des Reiches Gottes schaut, die in uns und unter uns heute
schon möglich wird. Der Zuschauer hat keine Chance, die Bedeutung
dieser Passion zu erfassen, einer Passion, in deren Mittelpunkt ein
Kreuz steht. Und einer, der das Kreuz - unser Kreuz! - trägt
und abnehmen will die Last, die wir mit uns herumschleppen, der
uns ein Beispiel geben will für aufopfernde Liebe. Hier hat einer
wirklich gelitten, wenn man denn ernst macht damit, dass Gott Mensch
wurde und alles durchlebt hat, was menschliches Leben ist: all sein
Glück und sein Leid, seine Hoffnung und seine Vergeblichkeiten,
seine Niederlagen und sein Auf-stehen. Ein Mensch, "der Menschensohn",
steht uns vor Augen, mit einem Leben, das durch die Tode hindurchgeht
und über dem immer wieder der Himmel offen ist.
Doch in diesem Film geht
es kaum um Liebe. Der Zuschauer soll sehen, wen er alles hassen muss
und wie wenige übrig bleiben, die gut sind. Christus stirbt in
diesem Blutstreifen nicht für Sünder, sondern für die,
die sich für gerecht halten, also eher für Selbstgerechte.
Aus der Frohbotschaft wird eine Augen aushackende Drohbotschaft. Da
der Film beansprucht, eine als historisch genommene Geschichte "eins
zu eins" zu verfilmen, unterliegt er einem grundlegenden Missverständnis:
Die etwa 40 Jahre nach dem Geschehenen geschriebenen Berichte der Evangelisten
erzählen Geschichte deutend. Der historische Vorgang selber ist
nicht entscheidend, sondern die Bedeutung, die er für den bekommt,
der diese Geschichte liest und sich fragt, wo er in dieser Geschichte
steht: bei dem Petrus, der das Schwert erhebt, bei dem Petrus, der seine
unerschütterliche Treue bekennt und binnen drei Tagen zum Verleugner
aus Angst wird. So kann man Szene für Szene der so genannten "Stationen"
der Passion durchgehen: Dir ist es gesagt, nicht damals
ist es geschehen, vor deinen Augen, heute geschieht es. Ich erkenne:
Was Menschen Menschen antun können, wie verführbar der Einzelne
oder eben der Mensch in Masse werden kann - mit oder ohne Befehl der
Oberen. Alles ist möglich: im Deutschland der Jahre '33 bis '45,
in Ruanda, Tschetschenien, Dschenin oder Jerusalem, in Armenien oder
Kambodscha. Dieser Film voller Leidenskitsch lässt Jesus in der
Welt des Horrors ankommen, wo alle Tabus gebrochen sind, wo der "Independence
Day" in den 11. September mündet und man kaum
mehr zu unterscheiden weiß, was grausiger Film und was grausige
Wirklichkeit ist - ob in Tschetschenien, in Dschenin, Tel Aviv, Madrid
oder bei Mel Gibson.
Dieser Film provoziert einen
religiös-christlichen Antijudaismus, der ganz schnell in einen
rassistischen Antisemitismus mündet. Er stellt das jüdische
Volk als den eigentlich treibenden Akteur des Mordes an Jesu dar und
die Juden bis auf wenige Ausnahmen als völlig verblendet. Fatal,
dass es weit gehend wieder den Juden selber zufällt, auf antisemitisch
wirkende Passagen verweisen zu müssen!
Diesem Film fehlt es an Würde.
Er lässt sie keinem: Jesus nicht, den Akteuren nicht, de Zuschauern
nicht. Diesem Film fehlt das Aufhellende, Aufhebende und Aufrichtende
eines Glaubens, der sich in der Person Jesu und seiner Passion der
Wirklichkeit unsere Welt stellt, illusionslos, aber nicht hoffnungs-
und nicht gnadenlos. Dieser Film ist keine Kunst, sondern eine monumental
Klamotte. Ein Quälfilm auf Breitwand mit ohrenbetäubender
Quadrofonie. Ein sadistischer Dauerterror auf dem Kreuzweg, den ein
Simon von Kyrene nicht ändern kann. Eine bluttriefende Übertreibungsorgie,
prall voll von Klischees. Befremdlich, distanzlos schamlos, gnadenlos
- samt einem entsetzlichen Pathos, einem Voyeurismus des Grauens mit
einem Happy End, das so wenig glaubwürdig wirkt, als dass es zum
Glauben mit einer humanisierenden Zuversicht führen könnte.
Armer Jesus. Ver-rückte Welt. Seelen aufgerissen. Kassen gefüllt.
Meine herzliche Bitte: Ersparen
Sie sich diese Blutorgie und lesen Sie Lukas: Kapitel 22-24 oder Johannes,
Kapitel 18-19.
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