... aus der Presse
und für Sie zur Diskussion gestellt:

Schwäbisches Tagblatt/Südwestpresse, 15. Juni 2007, S. 27

Opfer des Welthandels

Gewerkschafter in Kolumbien ermordet /
Uniklinikum boykottiert Coca-Cola

TÜBINGEN (dhe). Sieben Coca-Cola-Arbeiter wurden seit 1994 in Kolumbien ermordet. Sie gehörten zu Edgar Paez' Gewerkschaft Sinaltrainal. Am Mittwochabend berichteten er und die Menschenrechtsaktivistin Cecilia Naranjo im Tübinger Schlatterhaus aus Kolumbien..

"Sie erhielten Todesdrohungen von Paramilitärs, wurden vom Arbeitsplatz vertrieben oder inhaftiert und der Rebellion und des Terrorismus angeklagt", sagte Paez. Bei sieben Coca-Cola-Arbeitern blieb es nicht bei den Todesdrohungen. Andere Gewerkschafter seien im Gefängnis gefoltert geworden, berichtete Paez vor rund 60 Zuhörer(inne)n zwischen 18 und 65 Jahren im Schlatterhaus. Eingeladen hatten unter anderen der Personalrat des Tübinger Uniklinikums, der Verdi-Bezirk Fils-Neckar-Alb, der Verdi-Ortsverein Reutlingen-Tübingen sowie die Freie Schüler/innen-Organisation Tübingen (FSO).

Der Personalrat am Tübinger Uniklinikum solidarisiert sich schon länger mit den kolumbianischen Gewerkschaftern. Schon seit der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 ruft die Arbeitnehmer-Vertretung zum Boykott von Coca-Cola auf. Mit Erfolg: Die Brause wird in den Getränke-Automaten und in den Personalcasinos am Uniklinikum Anfang Juli durch eine andere Limonadenmarke ersetzt.

Ein Fall für die US-Justiz

Nicht etwa die kolumbianische Staatsanwaltschaft, sondern Coca-Cola habe die Arbeitervertreter wegen "Terrorismus" angezeigt, berichtete Paez. Daraufhin wurden fünf von ihnen im Betrieb verhaftet. Inzwischen laufen vier Prozesse wegen dieser Verbrechen beim US-Bezirksgericht in Miami - wegen Mord, Entführung und Ermordung, Todesdrohungen und Folter.
"Einige Opfer wandten sich an die US-Justiz." Das Unternehmen habe sich nie von sich aus an die Behörden gewandt, "um diese Morde aufklären zu lassen". Drei Klagen wurden inzwischen abgewiesen, doch es wird Berufungsverfahren geben. "Seit den Klageerhebungen hat Coca-Cola 13 Abfüllanlagen in Kolumbien einfach geschlossen." Die Limonaden-Marke sei in Kolumbien durch Massenentlassungen, Kinderarbeit, U
mweltverschmutzung und prekäre Beschäftigungsverhältnisse bekannt.

Dennoch ist der Fall Coca-Cola ist für den engagierten Gewerkschafter ebenso wie für die katholische Ordensschwester Cecilia Naranjo nur eines von zahlreichen Beispielen für die Verflechtungen von multinationalen und kolumbianischen Konzernen, Staats-macht und Paramilitärs in seinem Land. "Im Zusammenhang mit den Morden kamen Paramilitärs in die Fabriken und zwangen Arbeitervertreter, aus der Gewerkschaft auszutreten." Der Bananen-Multi Chiquita soll den rechten Paramilitärs 3400 Gewehre und fünf Millionen Projektile finanziert haben. "Die Regierung tut nichts, um die Paramilitärs zu entwaffnen." Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie Verschwindenlassen, Folter, Massaker und Morde seien bisher straflos geblieben. "Diese Menschenrechtsverletzungen und Morde sind Teil der Regierungspolitik."

4000 Gewerkschafter wurden in den letzten 20 Jahren in Kolumbien ermordet. 1986 gründeten die Arbeitervertreter einen gemeinsamen Dachverband. Unter den Mordopfern waren 21 aus Paez' eigener Gewerkschaft Sinaltrainal. Paez war 19 Jahre lang bei dem Nahrungsmittel-Multi Nestle beschäftigt. Acht seiner Kollegen dort bezahlten ihr Engagement mit dem Tod. Sie hatten sich für Menschenrechte, für das Recht auf Nahrung und für die Einhaltung von Tarifabkommen und internationalen Arbeiterrechten eingesetzt.

Raubbau für Biodiesel

Die Nonne Cecilia Naranjo wirft den Groß-Konzernen die Zerstörung der Artenvielfalt, der Biodiversität, in Kolumbien vor. Naranjo gehört zum katholischen Orden Sacre Coeur und ist Präsidentin der Menschenrechtsorganisation "Justicia y Pas" (Gerechtigkeit und Frieden) mit Sitz in Bogotà. Die Region beim Fluss Curbarado sei unlängst "komplett mit Ölpalmen bepflanzt" worden. Ölpalmen sind der Rohstoff für Biodiesel.

Ein gemeinsamer Großeinsatz von Militär und Paramilitärs ging voraus. Angeblich sollten sie die Guerilla in der Region "vernichten", sagte Naranjo. "Tatsächlich wurde die gesamte Zivilbevölkerung ausgelöscht oder vertrieben." Häuser, Kirchen, Friedhöfe - "alles wurde plattgemacht".

Als die Bewohner nach vier Jahren Militärpräsenz nachsehen kamen, hätten sie geweint angesichts der Zerstörung. In dem Gebiet lebten indianische Ureinwohner und Afrokolumbianer, die vor der Sklaverei dorthin geflohen waren. "Eigentlich schützt ein Gesetz das Land, es darf nicht verkauft werden", berichtete Naranjo. Seit 1996 seien in der Region 106 Menschen ermordet worden. Es kam zu 13 Vertreibungen. "19 Mal wurden Dörfer geplündert und angezündet." Ob sie selbst in Gefahr schwebt? "Ohne die internationale Unterstützung wären wir schon längst tot."

Inzwischen gab es zwei Landnahme-Aktionen: Im April 2006 kehrten die ersten 40 Familien zurück, fällten fünf Hektar Ölpalmen und bauten wieder Nahrungspflanzen an. Im September 2006 folgten weitere 400 Familien. Die Folge waren Strafverfahren und Haftbefehle. Naranjo: "Man bezeichnet sie als Guerilleros, damit man sie töten kann."

Umweltfrevel
und Mord

Für den großflächigen Anbau des Biodiesel-Rohstoffs Ölpalmen lassen internationale Konzerne in Kolumbien den Regenwald roden. Dort ansässigen Bauern drohen brutale Vertreibungen durch rechte Paramilitärs und sogar Mord. Das berichtete die kolumbianische Ordensschwester Cecilia Naranjo am Mittwochnachmittag im Tübinger Rathaus. Oberbürgermeister Boris Palmer will nun bei den Stadtwerken Schwäbisch Hall, die ein Palmöl-Kraftwerk anstreben, darauf drängen, ausschließlich zertifizierte Ölpalmen-Produkte zu verwenden. Der Energieversorger ist ein Partnerunternehmen der Stadtwerke Tübingen.

Der Gewerkschafter Edgar Paez und die Ordensschwester
Cecilia Naranjo, Präsidentin der kolumbianischen Menschenrechtsorganisation "Justicia y Pas" ("Gerechtigkeit und Frieden") am Mittwochabend vor dem Schlatterhaus.

Bild: Metz


 

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