Kirchenasyl allgemein

 
 
  Kurt Scharf, Altbischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg (Berlin-West)
Beitrag auf der Veranstaltung gegen Abschiebungen in den Libanon am 21. Januar 1989, Passionskirche, Berlin-Kreuzberg.

Liebe Freunde, liebe Schwestern und Brüder, mein Themenbeitrag heute abend soll die Frage behandeln nach dem Verhalten des Christen, der einzelnen Gemeinde, der Kirche in einem bestimmten Gebiet gegenüber - wie es die Bibel ausdrückt - dem Fremdling, der in dieses Gebiet geflüchtet ist.

Das alte Testament, aber auch das neue Testament, Jesus Christus, denken dabei zuerst an geflüchtete Sklaven aus einem anderen Land. Die Antwort ist eindeutig. Gott fordert: "Liebe ihn wie dich selbst! Sorge dafür, daß der entlaufene Sklave bei dir in deinem Land nicht unterdrückt wird"

Nicht unterdrückt, das heißt, daß er nicht unter den Bedingungen leben muß, wie die es waren, denen er sich entzogen hat. Nimm ihm die Sorge vor dem kommenden Tag! Befreie ihn von der Angst und der Ungewissheit über sein Schicksal hier oder gar dort, wiederum dort, woher er kam! Gewähre ihm Schutz, ja, hilf ihm zu einem Wohlergehen, wie du es selbst genießt oder dir wünschst! So lautet die Forderung des Wortes Gottes. Unabhängig von den Gründen, um deretwillen der Fremde geflohen ist, und unabhängig auch von Belastungen und Gefährdungen, die solche Hilfe an jenem anderen dir zumutet und auferlegt.

Von daher ist mein Urteil über die Gesamtproblematik, über die wir heute Abend hier so Ergreifendes und Eindrückliches und gut Begründetes gehört haben: Wer kommt, soll Aufnahme finden und Beistand durch unsere Gesellschaft und die Glieder unserer Gemeinden.

Niemand verläßt seine Heimat gern. Terre des hommes hat das wohlbegründet und eindringlich in ihrem Flugblatt dargelegt. Sollten einige wenige aus Abenteuerlust oder Gewinnsucht das Land ihrer Geburt verlassen, so ist der Prozentsatz von diesen unter der Zahl der aus Bedrängnis Fliehenden so gering, daß er nicht ins Gewicht fällt. Kommen sie aber aus Angst vor Bedrängnis durch ihre Regierung oder eine mächtige Gruppe in ihrem Land, aus der Angst, durch Kriegs- und Bürgerkriegshandlungen getroffen zu werden, oder kommen sie, weil ihre Kinder bitter Hunger leiden, ist es Christenpflicht, unseren Wohlstand, unsere Sicherheit mit ihnen zu teilen. Wir haben nicht zu untersuchen, ob der einzelne, der zu uns flieht, mehr als der Durchschnitt seiner Landsleute in seiner Heimat gefährdet ist und zu leiden hat. Wir haben den, der in Not oder auch nur aus dem subjektiven Empfinden von Not uns sucht, anzunehmen und für ihn einzustehen. Jede Überprüfung der Beweggründe ist Verletzung der Menschenwürde des zu uns Geflüchteten.

Diese Pflicht wird nicht eingeschränkt oder aufgehoben durch Regelungen unseres eigenen Staates. Geraten wir durch die Hilfe an den geflüchteten Fremdlingen unter uns in Widerspruch zu vom Staat erlassenen Gesetzen, dürfen wir die Verletzung staatlicher Ordnung nicht scheuen. Es ist sicher nicht falsch, die Handhabung staatlicher Verwaltung auch mit der Waffe des Rechtes, der des Grundgesetzes, zu bekämpfen. Aber wo der Appell, die Beschwerde an Verwaltungsgerichte und das Bundesverfassungsgericht ohne Erfolg bleiben, endet die Pflicht der Hilfe nicht: Wir protestieren gegen Abschiebungen, gegen jede Abschiebung. Wir protestieren gegen Verurteilungen von Asylsuchenden, die gegen die Anordnung der Ausländerbehörde bei uns bleiben. Wir protestieren gegen die Verurteilung von Helfern der sogenannt illegal bleibenden Flüchtlinge, wenn solche Verurteilungen erfolgen sollten. Aber wir lassen es nicht bei Protesten bewenden und wir lassen uns durch gerichtliche Entscheidungen nicht abhalten von dem christlich gebotenen Tun.
Es ist christlich geboten, notfalls von der Abschiebung Bedrohte in unseren Gemeinden aufzunehmen, auch zu verstecken. Freunde, wer dafür bestraft werden sollte, leidet um einer höheren christlichen Gerechtigkeit Willen und dient der Sache des Rechts. Er hilft dazu, daß die Entscheidungen unserer Parlamente und Behörden öffentlich diskutiert werden; er beeinflußt das öffentliche Bewußtsein, hilft, es zu schärfen und wird mit anderen gemeinsam Erkenntnis und Verhalten der Regierenden zum Besseren lenken.

Die Äußerung der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Frage der Freiheit des Widerstandes auch im demokratischen Rechtsstaat deckt ein solches Verhalten. Die Denkschrift unserer Kirche rechnet damit, daß der Christ aus Gründen des Gewissens auch gegen gesetzliche Regelungen handeln muß. die von demokratischer Mehrheit im Staat erlassen und von der Mehrheit der Bevölkerung gebilligt werden.

Gestern fand in der Wannsee-Villa draußen eine Gedenkstunde statt zur Erinnerung an den Beschluß der Endlösung der Judenfrage vor 45 Jahren. Eine Gedenkstunde, in der die aufgrund jener furchtbaren Schuld besondere Verpflichtung der Deutschen gegenüber den Fremdlingen unter uns, 'den Fremdrassigen, den Ausländern überhaupt von den Rednern, auch von denen der Regierung, hervorgehoben wurde.
Nach den Erfahrungen unserer Geschichte, im Kontext, im Zusammenhang mit dem Verhalten der europäischen Nachbarländer gegenüber den aus Deutschland fliehenden Gefährdeten kann nur gefordert werden: Staatliche Regelungen, staatliche Einschränkung und Bedingungen für Asylgewährung dürfen die Kirchen, dürfen den einzelnen Christen nicht binden. Mehr als die Schweiz oder Frankreich. die Niederlande oder Großbritannien hat Deutschland, hat die Bundesrepublik die Grenzen offen zu halten für flüchtende Fremde, und wo sie das nicht tut, haben wir Christen den Regierenden in den Arm zu fallen, haben wir die Regierenden und die Regierten an Gottes Gebot und Gerechtigkeit zu erinnern, wie die Bekennende Kirche es auf der Barmer Synode 1934 gegen den totalen Staat proklamiert hat.
Der Flüchtling Jesus Christus, schon von Geburt an gefährdet, ist an der Seite der Flüchtenden, er hat Teil an ihrem Schicksal, er ist auf der Seite derer, die Unbill auf sich nehmen, um Flüchtlingen zu helfen. Das sollen wissen. die Regierungsverantwortung tragen, aber auch alle Bürger im Lande, insbesondere wir Christen.

 

 
 

 

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