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Sonnenblumen,
Lotusblumen, Schönheit
und Stille
Sonnenblumen
sind von alters her in der westlichen Kultur ein Symbol der Hingabe
und Zuwendung zu Gott. Im
asiatischen Kulturraum
hat
die Lotusblume diese
Rolle, ist dort aber noch mehr das Symbol der Schönheit und des
sich hingebenden meditativen Schweigens. In dem folgenden Text von
Umberto Eco werden die beiden Blumen in dieser Tradition der "vita
activa" und "vita contemplativa" charakterisiert: Die
Sonnenblume richtet sich aktiv
nach der Sonne, singt und spricht ihr Gotteslob. Die Lotusblume bleibt
dagegegen unbeweglich sitzen, öffnet sich nur und verharrt in
schweigendem Beten. Sie ist die Blume der Meditation.
Der
Text Ecos aus seinem jüngsten Roman "Baudolino" schildert
die Begegnung Baudolinos mit Hypatia, einem wunderschönen weisen
Fabelwesen, oben Frau - vom Bauch an ziegengestaltig, die ihn in die
Geheimnisse ihrer nichtchristlichen Religion einführt. Der Text
kann in vielfacher Weise Anregung geben, über religiöse
Erfahrung, insbesondere über die Schönheit und das Schweigen
nachzudenken.
Die von Hypatia vertretenen polytheistischen, pantheistischen oder
gnostischen Positionen sollen dabei nicht Gegenstand fundamentaltheologischer
Diskussion sein. Die Wahrheit Gottes läßt sich nicht monopolisieren
und manifestiert(e) sich "viele Male und auf vielerlei Weise"
(vgl. Heb 1,1) durch Propheten und Philosophen, in Wissenschaft und
Kunst, und nicht zuletzt in anderen Religionen. Der Ort der Wahrheit
ist der Dialog.
Eines Tages erklärte
sie ihm, wie die Hypatien es anstellten, den göttlichen Funken
in allen Dingen zu entzünden, damit diese aus Sympathie auf etwas
verwiesen, das vollkommener war als sie, nicht direkt auf Gott, aber
auf seine minder geschwächten Emanationen. Sie führte ihn
an eine Stelle am See, wo Sonnenblumen am Ufer wuchsen, während
auf dem Wasser Lotosblumen schwammen.
"Siehst du, was die Sonnenblume macht? Sie dreht sich zur Sonne,
sucht sie, folgt ihr und betet zu ihr, und es ist schade, daß
du noch nicht das Brausen in der Luft hören kannst, das sie macht,
während sie ihre Drehung im Laufe des Tages vollführt. Du
würdest gewahr werden, daß sie der Sonne ihren Hymnus singt.
Nun sieh dir die Lotosblüte an: Sie öffnet sich beim Aufgang
der Sonne, bietet sich ihr in voller Pracht dar, wenn sie mittags
im Zenit steht, und schließt sich, wenn die Sonne am Abend geht.
Sie lobt die Sonne, indem sie ihre Blätter öffnet und schließt,
so wie wir unsere Lippen öffnen und schließen, wenn wir
beten. Diese Blumen leben in Sympathie mit dem Himmelskörper,
und darum bewahren sie sich einen Teil seiner Kraft. Wenn du auf die
Blume einwirkst, wirkst du auf die Sonne ein, wenn du auf die Sonne
einzuwirken verstehst, kannst du ihre Wirkung beeinflussen und dich
von der Sonne aus mit etwas verbinden, was in Sympathie mit der Sonne
lebt und vollkommener ist als sie. Aber das geschieht nicht nur bei
den Blumen, es geschieht auch bei den Steinen und bei den Tieren.
In jedem von ihnen wohnt ein kleiner Gott, der sich durch die jeweils
größeren mit dem gemeinsamen Ursprung zu vereinigen sucht.
Wir lernen von Kindheit an eine Kunst auszuüben, die uns erlaubt,
auf die größeren Götter einzuwirken und die abgerissene
Verbindung wiederherzustellen."
"Was heißt das?"
"Ganz einfach. Wir lernen, Steine, Kräuter, Aromen zusammenzufügen,
die vollkommen und göttergleich sind, um aus ihnen ... wie kann
ich dir das erklären ... Gefäße der Sympathie zu bilden,
die die Kraft vieler Elemente bündeln und kondensieren. Du mußt
wissen, eine Blume, ein Stein, sogar ein Einhorn, sie alle haben göttlichen
Charakter, aber von allein gelingt es ihnen nicht, die größeren
Götter anzurufen. Unsere Mixturen reproduzieren dank der Kunst
die Essenz, die wir anrufen wollen, indem sie die Kraft eines jeden
Elementes vervielfachen."
"Und wenn ihr diese größeren Götter angerufen
habt?"
"Das ist erst der Anfang. Wir lernen, Botinnen zu werden zwischen
dem, was oben, und dem, was unten ist, wir beweisen, daß der
Strom, in dem Gott sich per Emanation in die Ferne ausdehnt, zurückverfolgt
werden kann, ein kleines Stück nur, aber damit zeigen wir der
Natur, daß es möglich ist. Die höchste Aufgabe ist
jedoch nicht, eine Sonnenblume mit der Sonne zu verbinden, sondern
uns selbst mit dem Ursprung wiederzuvereinigen. Hier beginnt die Askese.
Zuerst lernen wir, uns tugendhaft zu benehmen, wir töten keine
lebenden Wesen, wir bemühen uns, zwischen den uns umgebenden
Wesen Harmonie zu verbreiten, und schon dadurch können wir überall
verborgene Funken wecken. Siehst du diese Grashalme? Sie sind schon
gelb geworden und neigen sich zu Boden. Ich kann sie berühren
und noch vibrieren lassen, ich kann sie noch spüren lassen, was
sie schon vergessen hatten. Schau, allmählich gewinnen sie ihre
Frische zurück, als keimten sie gerade jetzt aus der Erde auf.
Aber das genügt noch nicht. Um diesen Grashalm wiederzubeleben,
muß man die natürlichen Kräfte reaktivieren, die Perfektion
des Gesichtssinns und des Gehörs, die Kraft des Körpers,
das Gedächtnis und die Lernfähigkeit, die Feinheit der Lebensart,
und das erreicht man durch häufige Waschungen, Reinigungszeremonien,
Hymnen, Gebete. Man tut einen Schritt vorwärts, indem man Weisheit,
Festigkeit, Mäßigung und Gerechtigkeit kultiviert, und
schließlich gelingt es, die reinigenden Tugenden zu erwerben:
Wir probieren, die Seele vom Leib zu trennen, wir lernen, die Götter
zu beschwören ? nicht von den Göttern zu reden, wie es die
anderen Philosophen taten, sondern auf sie einzuwirken, indem wir
mit Hilfe einer magischen Kugel Regen fallen lassen, indem wir uns
Amulette gegen die Erdbeben umhängen, indem wir die wahrsagerischen
Kräfte der Dreifüße erkunden, indem wir die Statuen
mit Leben erfüllen, um von ihnen Orakel zu erhalten, indem wir
Asklepios anrufen, daß er die Kranken heile. Aber wohlgemerkt,
während mir dies alles tun, müssen wir immer vermeiden,
von einem Gott besessen zu sein, denn wer besessen ist, gerät
in Verwirrung und erregt sich und entfernt sich infolgedessen von
Gott. Man muß lernen, dies alles in absolutester Ruhe zu tun."
Hypatia nahm Baudolinos Hand, und er hielt seine Hand ganz still,
damit dieses wunderbare Wärmegefühl nicht aufhörte.
"Baudolino, vielleicht habe ich dich glauben lassen, ich sei
schon fortgeschritten in der Askese wie meine größeren
Schwestern ... Wenn du wüßtest, wie unvollkommen ich noch
bin! Ich vertue mich immer noch, wenn ich eine Rose in Kontakt mit
der höheren Macht bringen will, mit der sie befreundet ist...
Und außerdem, du hörst ja, ich rede noch viel zuviel, und
daran sieht man, daß ich noch nicht weise bin, denn die Tugend
erwirbt man im Schweigen. Aber ich rede soviel, weil du da bist und
unterwiesen werden mußt, und wenn ich eine Sonnenblume unterweise,
warum dann nicht auch dich? Wir werden eine höhere Stufe der
Vollkommenheit erreichen, wenn es uns gelingt, zusammenzusein, ohne
zu reden. Dann genügt eine Berührung, und du wirst trotzdem
verstehen. Wie bei der Sonnenblume." Sie streichelte schweigend
die Sonnenblume. Dann begann sie, immer noch schweigend, Baudolinos
Hand zu streicheln, und sagte am Ende nur: "Merkst du?"
Am nächsten Tag sprach sie über das bei den Hypatien geübte
Schweigen, damit auch er es erlerne, wie sie sagte. "Man muß
eine absolute Stille ringsum erzeugen. Dann setzen wir uns in entlegener
Einsamkeit vor das, was wir uns dachten, uns ausdachten und empfanden.
So gelangen wir zu Ruhe und Frieden. Wir werden dann weder Zorn noch
Verlangen, weder Schmerz noch Glück mehr empfinden. Wir werden
aus uns selbst herausgetreten sein, entrückt in absoluter Einsamkeit
und tiefster Stille..."
Aus: Umberto Eco: Baudolino.
München: Hanser 2001, S. 494-497.
Photos der Lotusblumen:
Annette Wilk
STILLE
Stille sein
in der Hektik dieser Welt,
weil alles nur in der Stille
seinen Sinn erhält.
Stille werden
im Strom unserer Tage,
weil ich dann Kraft bekomme
und nicht verzage.
Stille leben,
für alle Menschen um mich her,
das fällt uns allen so unsagbar schwer.
Stille ist
die Herausforderung an mein Leben,
ein ständiges Kämpfen,
Nehmen und Geben.
Stille werden
kann ich nur vor Dir, o Gott.
Schenke Du mir
die Stille immer mehr.
Ich kann nur
aus dieser Stille zu Dir leben,
und nur dadurch gekräftigt
auch anderen weitergeben.
Das Bild einer SONNENBLUME
Der Stengel der Sonnenblume
ist hart und stabil.
Doch oben am Hals - ganz weich und elastisch.
Wenn die Sonne scheint, bewirkt die Wärme der Sonnenstrahlen,
dass die
Sonnenblume sich zur Sonne hin ausrichtet.
Die Bewegung entsteht nicht durch den Willen oder die Anstrengung
der Sonnenblume.
Es ist das Wahrnehmen der Sonnenstrahlen und der Wärme,
was die Sonnenblume sich hinwenden lässt.
Die Haltung der Stille
entspricht diesem Bild von der Sonnenblume.
Im stillen Sitzen und Wahrnehmen werde ich empfänglich für
das, was von Gott kommt.
ER schaut mich im Innersten an.
Sein liebender Blick zieht mein Herz an und richtet mich zu Ihm hin
aus.
In diesem Vertrauen darf
ich vor Ihm da sein und mich Ihm öffnen.
"Wende Dich mir zu
und sei mir gnädig." (Psalm 86,16)
Sonnenblumen
und Lotusblumen lassen uns an den Sommer denken. Meditation ist aber
nicht minder eine "Aktivität" für den Winter,
wo die Nächte lang sind und uns frühmorgens in der Dunkelheit
das Kerzenlicht an das göttliche Licht denken läßt.
"Dem Advent Gottes eine Chance geben"
heißt der folgende Text für die Winterszeit.
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