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Pressestimmen
Schwäbisches Tagblatt vom 22. März 2003

 

Plädoyer gegen den Irak-Krieg:
Jürgen Todenhöfer stellte im Audimax sein Buch vor

"Wer weint schon um Abdul und Tamaya?" fragt T ü b i n g e n s ehemaliger CDU-Bundestagsabgeordneter Jürgen Todenhöfer in seinem neuen Buch. Gestern Abend las er daraus auf Einladung der Osianderschen Buchhandlung vor etwa 300 Zuhörern im Audimax. Zunächst die Geschichte, wie er 1984 einem afghanischen Flüchtling die ärztliche Betreuung in Tübingen ermöglichte ("er wog nur noch 27 Kilo"), dann im Wechsel mit der Osiander-Auszubildenden Hanna Vöhringer Schilderungen afghanischer und irakischer Kinder und Eindrücke von Todenhöfers Irak-Reisen. "Bagdad ist eine tief verwundete und gebrochene Stadt." Mehr als 500000 Kinder seien seit 1992 an den Folgen der UN-Sanktionen gestorben. Der Ex-Abgeordnete warnte vor einem "Jahrhundert des Terrors", kritisierte den Krieg gegen den Irak und forderte: "Die Bundesregierung darf die USA in keiner Weise unterstützen." Anti-amerikanisch, weil dem US-Rechtsstaat widersprechend sei die Politik von George W. Bush: "Man darf keine Zivilbevölkerung und Kinder töten, um einen Diktator zu stürzen", meinte Todenhöfer in der Diskussion mit den Zuhörern. "Saddam Hussein ist ein drittklassiger Schurke. Wir haben auf der Welt 30 bis 50 Diktatoren dieser Sorte. Die Frage, ob die Iraker durch Bomben befreit werden wollen, sollen die Iraker im Irak entscheiden." 2006, warnte der Buchautor, hätten die USA einen größeren Militärhaushalt als alle anderen Staaten zusammen. Gefragt, wie man einen Stimmungswandel in den USA erreichen könne, meinte er: "Mit den Mitteln der Diplomatie. Es gibt kein Patentrezept, um die mächtigste Macht der Welt im Zaum zu halten." Vor der Lesung übergaben IG-Metall-Jugend und die Gruppe "Wonderbrothers" 2000 Euro von einem Benefizkonzert in der Reutlinger Kaiserhalle.

re / Bild: Berardi

Irak-Krieg stärkt den Terrorismus

Jürgen Todenhöfer bezieht als konsequenter Kriegsgegner Stellung gegen die US-Politik

Von Dina Stahn

TÜBINGEN. 13 Jahre lang war es still um Jürgen Todenhöfer. Nach seinem freiwilligen Abgang als Bundestagsabgeordneter der CDU hatte sich der Politiker, der im Wahlkreis Tübingen einst glänzende Stimmenergebnisse erzielte, vorgenommen, "den Mund zu halten". Jetzt meldet sich der ehemalige Rechtsaußen zurück und bezieht als Privatmann Stellung gegen die USA und deren "völkerrechtswidrigen" Irak-Krieg: "Was jetzt stattfindet, ist eine Zäsur", so Todenhöfer gestern im Gespräch mit dem TAGBLATT vor seiner Lesung im Audimax (siehe auch unser ÜBRIGENS und das NOTABENE).

Noch im Januar hat Jürgen Todenhöfer den Irak gemeinsam mit seiner Tochter bereist. Wie können die Amerikaner einen Krieg beginnen, so habe die 19-Jährige ihn jetzt gefragt, "der Sicherheitsrat hat nicht zugestimmt!" Todenhöfers Antwort: "Sie können es, weil sie die Macht dazu haben." Für den Juristen ist der Krieg gegen den Irak nichts weniger als ein Bruch des Völkerrechts, "und die USA weiß das".

Die Konsequenzen seien in ihrer Tragweite noch gar nicht absehbar. "Wenn der Krieg schnell zu Ende geht und es wenig Opfer gibt, dann ist die Versuchung vielleicht groß zu sagen, jetzt nehme ich mir das nächste Land vor - vielleicht Syrien, Iran?" Todenhöfer, ein erklärter Freund Amerikas, unterstellt solche Gedankenspiele den Bushs und Powells, kurz der "neokonservativen Schule" der Republikaner, nicht den Amerikanern der Couleur eines Jimmy Carter.

Doch um was geht es den USA beim Irak-Krieg? Todenhöfer spricht von einer "Gemengelage innenpolitischer Motive". So seien die Antiterror-Maßnahmen nach dem 11. September nicht erfolgreich gewesen: "Bin Laden ist der größten Armee der Welt auf dem Rücken eines Esels entkommen." Auch den Kampf ums Öl macht Todenhöfer als Grund für diesen Krieg aus, außerdem die Angst der USA vor einer fundamentalistischen Obermacht, ja sogar vor einem Putsch in der Golfregion. "Sie wollten wohl ein Exempel statuieren und der Welt zeigen, dass mit ihnen nicht gut Kirschen essen ist."

Wirksame Terrorismusbekämpfung kann der 62-jährige Offenburger in diesem Vorgehen der US-Regierung jedoch nicht erkennen. "Die Politik gegen den Irak wird den Terrorismus weiter stärken." Dieser Krieg werde als Ungerechtigkeit empfunden und "Ungerechtigkeit ist der Boden, auf dem Terrorismus gedeiht."

Dem ehemaligen Richter, selbst Vater von drei Kindern, treibt jedoch in erster Linie das Leid der Zivilbevölkerung um, der Menschen, die im Bombenhagel sterben werden. "Heute sind 80 Prozent der Kriegsopfer Frauen und Kinder." Auf seinen Reisen nach Afghanistan zur Zeit der sowjetischen Bombardements hatte er in den Krankenhäusern "Hunderte von schwerverletzten Kinder" gesehen. Auch der amerikanische Bombenhagel im Kampf gegen Al-Qaida traf afghanische Zivilisten. 3000 Menschen seien beim Anschlag aufs World Trade Center umgekommen, und 6000 Zivilisten in Folge der US-amerikanischen Angriffe auf Afghanistan. "Kein Mensch hat um sie getrauert." Es werde aber auch alles getan, dass diese Opfer "kein Gesicht" bekämen - "zensierte Berichterstattung".

Todenhöfer ist ein führender Manager bei Burda, einem Verlagshaus, das weltweit 250 Zeitschriften herausgibt, allein 50 in Deutschland. Wäre es für einen Mann, der Vorgesetzter von über 1000 Journalisten ist, nicht ein leichtes, einen Protest gegen Irak-Krieg zu initiieren? Doch der Mann, dessen Stimme im Gespräch immer gleichbleibend weich bleibt und sich nie erhebt, nutzt diese geballte Medienmacht nicht: "Ich nehme Rücksicht auf die innere Redaktionsfreiheit."

Stimme gibt er den Menschen in Bagdad und Afghanistan auf andere Weise - in seinem Buch "Wer weint schon um Abdul und Tanaya", das im Januar erschien und bereits 140 000 Mal verkauft wurde. Mit seinen Honoraren aus Buchverkauf und Lesungen unterstützt er mehrere humanitäre Projekte, unter anderem ein Waisenhaus in Kabul, das eine medizinische Abteilung für verletzte Kinder unterhält sowie ein Unicef-Ausbildungszentrum für Straßenkinder in Bagdad.

Das Buch feiert große Irrfolge nicht nur bei alteingeschworenen Kriegsgegnern, sondern, so Todenhöfer, ebenso bei CDU-Parteimitgliedern. "In der CDU ist die Mehrheit gegen diesen Krieg." Das konsequente Nein der Regierung Schröder zum Irak-Krieg hält er "im Kern für richtig", aber "man hätte diplomatisch geschickter verhandeln können."

Irgendwann wird auch dieser Krieg enden. "Und es gibt auch eine Zeit nach George W. Bush." Weltweite Probleme - Gesundheit, Ernährung, Rohstoffe - werden zu lösen sein. "Die Amerikaner können das nur mit den anderen zusammen."

Jürgen Todenhöfer Bild: Mozer

INFO: Wer Kindern in Bagdad und Afghanistan helfen will, kann Spenden auf folgende Konten überweisen:

  • Unicef, Deutsche Bank Köln, Konto-Nummer 2 22 00 44, BLZ 370 700 60. Stichwort "Straßenkinder Bagdad".
  • Oder auch : Verein für Afghanistan-Förderung e.V. Deutsche Bank Bonn, Konto-Nummer 074 811 111, Bankleitzahl 380 700 24, Stichwort "Abdul und Tanaya".

Ich rechne mich in Euro und bin gerade 31 Jahre alt.

Jürgen Todenhöfer, Erfolgsautor und Tübinger Ex-Bundestagspolitiker, im Redaktionsgespräch beim SCHWÄBISCHEN TAGBLATT

Übrigens...

Wundersame Wandlung

Zehn Jahre lang mischte er den Wahlkreis Tübingen auf wie keiner vor ihm, keiner nach ihm und keine mit ihm respektive gegen ihn. Jürgen Todenhöfer, der das SCHWÄBISCUE TAGBLATT als seinen ex-"liebsten Feind" und seine Jahre im Steinlachtal als "mit die schönsten meines Lebens" empfindet (siehe auch unser NOTABENE auf Seite 28), kehrte "rein aus Emotionalität" für einen halben Tag zurück an den Tatort. Und, oh wundersame Wandlung, wird hier von allen willkommen geheißen als überzeugend humanistische Identifikationsfigur der Friedensbewegung, den amerikanischen Irak-Krieg geißelnd als "völkerrechtswidrig, kontraproduktiv, unmoralisch und überflüssig". Mit einer solchen Deutlichkeitsposition hätte er in der Merkel-CDU keine Chance!

Als er von 1980 bis 1990 mit jeweils über 50 Prozent der CDU-Wählerstimmen seine schon damals Herta Däubler-Gmelin heißende SPD-Konkurrentin stets als "verehrte gnädige Frau" ansprach, begann sich diese, so der TAGBLATT-Bericht vom 21. Januar 1987, "schon aufzuregen". Die zwei waren wie Feuer und Wasser. Todenhöfer profilierte sich in Tübingen als einer der kältesten der kalten Krieger und hörte 1990 auf mit der Politik, weil er, der übrigens nie vom Gedanken einer deutschen Wiedervereinigung gelassen hatte, in seinem Tübinger Vorvorgänger Heiner Geißler ein Weichei mit "links-liberal modischer Schickimicki-Politik" die CDU dominieren sah, eine CDU, die er nicht länger mit seinem polarisierenden Hardliner-Image in Einklang bringen mochte.

Und jetzt dies! Das Ehrenmitglied des CDU-Gemeindeverbands Ofterdingen (nicht Bodelshausen, wo er wohnte) hat sein Afghanistan-Engagement nahtlos übertragen auf den Irak, wo aus den von ihm damals bekämpften Russen nun Amerikaner geworden sind. Die Welt ändert sich und mit ihr auch die Einstellung eines Politikers, und womöglich der ganze Mensch.

Einer, den die "Prawda" (nicht die "Neckar-Prawda"!) einen Schüler Goebbels nannte, der bei den Grünen rot sah und der eine Fraktionskollegin als "ausgetrocknete und unbefriedigte Krampfhenne" titulierte, ein solcher übertrifft nun mit Links jede Grünen-Position, wenn es darum geht, das Verbrecherische des amerikanischen Angriffskriegs genau dort beim Namen zu nennen, wo es am folgenschwersten ist. Ein Saulus wurde zum Paulus. Und alle Christenmenschen sollten sich darüber freuen.

Christoph Müller

 


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