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Plädoyer gegen den Irak-Krieg:
Jürgen Todenhöfer stellte im Audimax sein Buch vor
"Wer weint schon um Abdul
und Tamaya?" fragt T ü b i n g e n s ehemaliger CDU-Bundestagsabgeordneter
Jürgen Todenhöfer in seinem neuen Buch. Gestern Abend las er
daraus auf Einladung der Osianderschen Buchhandlung vor etwa 300 Zuhörern
im Audimax. Zunächst die Geschichte, wie er 1984 einem afghanischen
Flüchtling die ärztliche Betreuung in Tübingen ermöglichte
("er wog nur noch 27 Kilo"), dann im Wechsel mit der Osiander-Auszubildenden
Hanna Vöhringer Schilderungen afghanischer und irakischer Kinder
und Eindrücke von Todenhöfers Irak-Reisen. "Bagdad ist
eine tief verwundete und gebrochene Stadt." Mehr als 500000 Kinder
seien seit 1992 an den Folgen der UN-Sanktionen gestorben. Der Ex-Abgeordnete
warnte vor einem "Jahrhundert des Terrors", kritisierte den
Krieg gegen den Irak und forderte: "Die Bundesregierung darf die
USA in keiner Weise unterstützen." Anti-amerikanisch, weil dem
US-Rechtsstaat widersprechend sei die Politik von George W. Bush: "Man
darf keine Zivilbevölkerung und Kinder töten, um einen Diktator
zu stürzen", meinte Todenhöfer in der Diskussion mit den
Zuhörern. "Saddam Hussein ist ein drittklassiger Schurke. Wir
haben auf der Welt 30 bis 50 Diktatoren dieser Sorte. Die Frage, ob die
Iraker durch Bomben befreit werden wollen, sollen die Iraker im Irak entscheiden."
2006, warnte der Buchautor, hätten die USA einen größeren
Militärhaushalt als alle anderen Staaten zusammen. Gefragt, wie man
einen Stimmungswandel in den USA erreichen könne, meinte er: "Mit
den Mitteln der Diplomatie. Es gibt kein Patentrezept, um die mächtigste
Macht der Welt im Zaum zu halten." Vor der Lesung übergaben
IG-Metall-Jugend und die Gruppe "Wonderbrothers" 2000 Euro von
einem Benefizkonzert in der Reutlinger Kaiserhalle.
re / Bild: Berardi
Irak-Krieg
stärkt den Terrorismus
Jürgen
Todenhöfer bezieht als konsequenter Kriegsgegner Stellung gegen die
US-Politik
Von Dina Stahn
TÜBINGEN. 13 Jahre
lang war es still um Jürgen Todenhöfer. Nach seinem freiwilligen
Abgang als Bundestagsabgeordneter der CDU hatte sich der Politiker, der
im Wahlkreis Tübingen einst glänzende Stimmenergebnisse erzielte,
vorgenommen, "den Mund zu halten". Jetzt meldet sich der ehemalige
Rechtsaußen zurück und bezieht als Privatmann Stellung gegen
die USA und deren "völkerrechtswidrigen" Irak-Krieg: "Was
jetzt stattfindet, ist eine Zäsur", so Todenhöfer gestern
im Gespräch mit dem TAGBLATT vor seiner Lesung im Audimax (siehe
auch unser ÜBRIGENS und das NOTABENE).
Noch im Januar hat Jürgen
Todenhöfer den Irak gemeinsam mit seiner Tochter bereist. Wie können
die Amerikaner einen Krieg beginnen, so habe die 19-Jährige ihn jetzt
gefragt, "der Sicherheitsrat hat nicht zugestimmt!" Todenhöfers
Antwort: "Sie können es, weil sie die Macht dazu haben."
Für den Juristen ist der Krieg gegen den Irak nichts weniger als
ein Bruch des Völkerrechts, "und die USA weiß das".
Die Konsequenzen seien in ihrer
Tragweite noch gar nicht absehbar. "Wenn der Krieg schnell zu Ende
geht und es wenig Opfer gibt, dann ist die Versuchung vielleicht groß
zu sagen, jetzt nehme ich mir das nächste Land vor - vielleicht Syrien,
Iran?" Todenhöfer, ein erklärter Freund Amerikas, unterstellt
solche Gedankenspiele den Bushs und Powells, kurz der "neokonservativen
Schule" der Republikaner, nicht den Amerikanern der Couleur eines
Jimmy Carter.
Doch um was geht es den USA
beim Irak-Krieg? Todenhöfer spricht von einer "Gemengelage innenpolitischer
Motive". So seien die Antiterror-Maßnahmen nach dem 11. September
nicht erfolgreich gewesen: "Bin Laden ist der größten
Armee der Welt auf dem Rücken eines Esels entkommen." Auch den
Kampf ums Öl macht Todenhöfer als Grund für diesen Krieg
aus, außerdem die Angst der USA vor einer fundamentalistischen Obermacht,
ja sogar vor einem Putsch in der Golfregion. "Sie wollten wohl ein
Exempel statuieren und der Welt zeigen, dass mit ihnen nicht gut Kirschen
essen ist."
Wirksame Terrorismusbekämpfung
kann der 62-jährige Offenburger in diesem Vorgehen der US-Regierung
jedoch nicht erkennen. "Die Politik gegen den Irak wird den Terrorismus
weiter stärken." Dieser Krieg werde als Ungerechtigkeit empfunden
und "Ungerechtigkeit ist der Boden, auf dem Terrorismus gedeiht."
Dem ehemaligen Richter, selbst
Vater von drei Kindern, treibt jedoch in erster Linie das Leid der Zivilbevölkerung
um, der Menschen, die im Bombenhagel sterben werden. "Heute sind
80 Prozent der Kriegsopfer Frauen und Kinder." Auf seinen Reisen
nach Afghanistan zur Zeit der sowjetischen Bombardements hatte er in den
Krankenhäusern "Hunderte von schwerverletzten Kinder" gesehen.
Auch der amerikanische Bombenhagel im Kampf gegen Al-Qaida traf afghanische
Zivilisten. 3000 Menschen seien beim Anschlag aufs World Trade Center
umgekommen, und 6000 Zivilisten in Folge der US-amerikanischen Angriffe
auf Afghanistan. "Kein Mensch hat um sie getrauert." Es werde
aber auch alles getan, dass diese Opfer "kein Gesicht" bekämen
- "zensierte Berichterstattung".
Todenhöfer ist ein führender
Manager bei Burda, einem Verlagshaus, das weltweit 250 Zeitschriften herausgibt,
allein 50 in Deutschland. Wäre es für einen Mann, der Vorgesetzter
von über 1000 Journalisten ist, nicht ein leichtes, einen Protest
gegen Irak-Krieg zu initiieren? Doch der Mann, dessen Stimme im Gespräch
immer gleichbleibend weich bleibt und sich nie erhebt, nutzt diese geballte
Medienmacht nicht: "Ich nehme Rücksicht auf die innere Redaktionsfreiheit."
Stimme gibt er den Menschen
in Bagdad und Afghanistan auf andere Weise - in seinem Buch "Wer
weint schon um Abdul und Tanaya", das im Januar erschien und bereits
140 000 Mal verkauft wurde. Mit seinen Honoraren aus Buchverkauf und Lesungen
unterstützt er mehrere humanitäre Projekte, unter anderem ein
Waisenhaus in Kabul, das eine medizinische Abteilung für verletzte
Kinder unterhält sowie ein Unicef-Ausbildungszentrum für Straßenkinder
in Bagdad.
Das Buch feiert große
Irrfolge nicht nur bei alteingeschworenen Kriegsgegnern, sondern, so Todenhöfer,
ebenso bei CDU-Parteimitgliedern. "In der CDU ist die Mehrheit gegen
diesen Krieg." Das konsequente Nein der Regierung Schröder zum
Irak-Krieg hält er "im Kern für richtig", aber "man
hätte diplomatisch geschickter verhandeln können."
Irgendwann wird auch dieser
Krieg enden. "Und es gibt auch eine Zeit nach George W. Bush."
Weltweite Probleme - Gesundheit, Ernährung, Rohstoffe - werden zu
lösen sein. "Die Amerikaner können das nur mit den anderen
zusammen."
Jürgen
Todenhöfer Bild: Mozer
INFO:
Wer Kindern in Bagdad und Afghanistan helfen will, kann Spenden auf folgende
Konten überweisen:
- Unicef, Deutsche Bank
Köln, Konto-Nummer 2 22 00 44, BLZ 370 700 60. Stichwort "Straßenkinder
Bagdad".
- Oder auch : Verein für
Afghanistan-Förderung e.V. Deutsche Bank Bonn, Konto-Nummer 074
811 111, Bankleitzahl 380 700 24, Stichwort "Abdul und Tanaya".
Ich rechne
mich in Euro und bin gerade 31 Jahre alt.
Jürgen
Todenhöfer, Erfolgsautor und Tübinger Ex-Bundestagspolitiker,
im Redaktionsgespräch beim SCHWÄBISCHEN TAGBLATT
Übrigens...
Wundersame
Wandlung
Zehn Jahre lang mischte er
den Wahlkreis Tübingen auf wie keiner vor ihm, keiner nach ihm und
keine mit ihm respektive gegen ihn. Jürgen Todenhöfer, der das
SCHWÄBISCUE TAGBLATT als seinen ex-"liebsten Feind" und
seine Jahre im Steinlachtal als "mit die schönsten meines Lebens"
empfindet (siehe auch unser NOTABENE auf Seite 28), kehrte "rein
aus Emotionalität" für einen halben Tag zurück an
den Tatort. Und, oh wundersame Wandlung, wird hier von allen willkommen
geheißen als überzeugend humanistische Identifikationsfigur
der Friedensbewegung, den amerikanischen Irak-Krieg geißelnd als
"völkerrechtswidrig, kontraproduktiv, unmoralisch und überflüssig".
Mit einer solchen Deutlichkeitsposition hätte er in der Merkel-CDU
keine Chance!
Als er von 1980 bis 1990 mit
jeweils über 50 Prozent der CDU-Wählerstimmen seine schon damals
Herta Däubler-Gmelin heißende SPD-Konkurrentin stets als "verehrte
gnädige Frau" ansprach, begann sich diese, so der TAGBLATT-Bericht
vom 21. Januar 1987, "schon aufzuregen". Die zwei waren wie
Feuer und Wasser. Todenhöfer profilierte sich in Tübingen als
einer der kältesten der kalten Krieger und hörte 1990 auf mit
der Politik, weil er, der übrigens nie vom Gedanken einer deutschen
Wiedervereinigung gelassen hatte, in seinem Tübinger Vorvorgänger
Heiner Geißler ein Weichei mit "links-liberal modischer Schickimicki-Politik"
die CDU dominieren sah, eine CDU, die er nicht länger mit seinem
polarisierenden Hardliner-Image in Einklang bringen mochte.
Und jetzt dies! Das Ehrenmitglied
des CDU-Gemeindeverbands Ofterdingen (nicht Bodelshausen, wo er wohnte)
hat sein Afghanistan-Engagement nahtlos übertragen auf den Irak,
wo aus den von ihm damals bekämpften Russen nun Amerikaner geworden
sind. Die Welt ändert sich und mit ihr auch die Einstellung eines
Politikers, und womöglich der ganze Mensch.
Einer, den die "Prawda"
(nicht die "Neckar-Prawda"!) einen Schüler Goebbels nannte,
der bei den Grünen rot sah und der eine Fraktionskollegin als "ausgetrocknete
und unbefriedigte Krampfhenne" titulierte, ein solcher übertrifft
nun mit Links jede Grünen-Position, wenn es darum geht, das Verbrecherische
des amerikanischen Angriffskriegs genau dort beim Namen zu nennen, wo
es am folgenschwersten ist. Ein Saulus wurde zum Paulus. Und alle Christenmenschen
sollten sich darüber freuen.
Christoph Müller
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