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Weltablehnende und innerweltliche
Askese
Entweder ist dies
eine spezifische Gabe aktiv ethischen Handelns mit dem Bewußtsein,
daß Gott dies Handeln lenke: daß man Gottes Werkzeug sei.
Wir wollen für unsere Zwecke diese Art der durch religiöse
Heilsmethodik bedingten Stellungnahme eine religiös- "asketische
" nennen, - ohne irgendwie zu bestreiten, daß man den
Ausdruck sehr wohl auch in anderem, weiteren Sinn brauchen kann und
braucht: der Gegensatz dazu wird später deutlich werden. Dann führt
die religiöse Virtuosität stets dazu, neben der Unterwerfung
der Naturtriebe unter die systematisierte Lebensführung auch die
Beziehung zum sozialen Gemeinschaftsleben mit seinen unvermeidlich nicht
heroischen, sondern utilitarisch-konventionellen Tugenden einer ganz
radikalen, religiös-ethischen Kritik zu unterwerfen. Die
bloße "natürliche" Tugend innerhalb der Welt gewährleistet
nicht nur das Heil nicht, sie gefährdet es durch Hinwegtäuschen
über das eine, was allein not tut. Die sozialen Beziehungen, die
"Welt" im Sinne des religiösen Sprachgebrauchs, ist daher
Versuchung nicht nur als Stätte der vom Göttlichen gänzlich
abziehenden, ethisch irrationalen Sinnenlust, sondern noch mehr als
Stätte selbstgerechter Genügsamkeit mit der Erfüllung
jener landläufigen Pflichten des religiösen Durchschnittsmenschen
auf Kosten der alleinigen Konzentration des Handelns auf die aktiven
Erlösungsleistungen. Diese Konzentration kann ein förmliches
Ausscheiden aus der "Welt", aus den sozialen und seelischen
Banden der Familie, des Besitzes, der politischen, ökonomischen,
künstlerischen, erotischen, überhaupt aller kreatürlichen
Interessen notwendig, jede Betätigung in ihnen als ein von Gott
entfremdendes Akzeptieren der Welt erscheinen lassen: weltablehnende
Askese. Oder sie kann umgekehrt die Betätigung der eigenen
spezifisch heiligen Gesinnung, der Qualität als erwählten
Werkzeugs Gottes gerade innerhalb und gegenüber den Ordnungen der
Welt verlangen: innerweltliche Askese. Die Welt wird im letzteren
Fall eine dem religiösen Virtuosen auferlegte "Pflicht".
Entweder in dem Sinn, daß die Aufgabe besteht, sie den asketischen
Idealen gemäß umzugestalten. Dann wird der Asket ein rationaler
"naturrechtlicher" Reformer oder Revolutionär, wie ihn
das "Parlament der Heiligen" unter Cromwell, der Quäkerstaat
und in anderer Art der radikale pietistische Konventikel-Kommunismus
gekannt hat. Stets aber wird dann, infolge der Verschiedenheit der religiösen
Qualifikation, ein solcher Zusammenschluß des Asketentums [zu]
einer aristokratischen Sonderorganisation innerhalb oder eigentlich
außerhalb der Welt der Durchschnittsmenschen, die sie umbrandet,
- darin von "Klassen" prinzipiell nicht unterschieden. Sie
kann die Welt vielleicht beherrschen, aber nicht in ihrer Durchschnittsqualität
auf die Höhe des eigenen Virtuosentums heben. Alle religiös
rationalen Vergesellschaftungen haben diese Selbstverständlichkeit,
wenn sie sie ignorieren, in ihren Konsequenzen an sich erfahren müssen.
Die Welt als Ganzes bleibt, asketisch gewertet, eine "massa perditionis".
Also bleibt die andere Alternative eines Verzichts darauf, daß
sie den religiösen Ansprüchen genüge. Wenn nun dennoch
die Bewährung innerhalb ihrer Ordnungen erfolgen soll, so
wird sie eben, weil sie unvermeidlich [ein] natürliches Gefäß
der Sünde bleibt, gerade um der Sünde willen und zu deren
möglichster Bekämpfung in ihren Ordnungen eine "Aufgabe"
für die Bewährung der asketischen Gesinnung. Die [Welt] verharrt
in ihrer kreatürlichen Entwertetheit: eine genießende Hingabe
an ihre Güter gefährdet die Konzentration auf das Heilsgut
und dessen Besitz und wäre Symptom unheiliger Gesinnung und fehlender
Wiedergeburt. Aber die Welt ist dennoch, als Schöpfung Gottes,
dessen Macht sich in ihr trotz ihrer Kreatürlichkeit auswirkt,
das einzige Material, an welcher das eigene religiöse Charisma
durch rationales ethisches Handeln sich bewähren muß, um
des eigenen Gnadenstandes gewiß zu werden und zu bleiben. Als
Gegenstand dieser aktiven Bewährung werden die Ordnungen der Welt
für den Asketen, der in sie gestellt ist, zum "Beruf",
den es rational zu "erfüllen" gilt. Verpönt also
ist der Genuß von Reichtum, - "Beruf" aber die rational
ethisch geordnete, in strenger Legalität geführte Wirtschaft,
deren Erfolg, also: Erwerb, Gottes Segen für die Arbeit des Frommen
und also die Gottgefälligkeit seiner ökonomischen Lebensführung
sichtbar macht. Verpönt ist jeder Überschwang des Gefühls
für Menschen als Ausdruck einer den alleinigen Wert der göttlichen
Heilsgabe verleugnenden Vergötterung des Kreatürlichen, -
"Beruf" aber die rational nüchterne Mitarbeit an den
durch Gottes Schöpfung gesetzten sachlichen Zwecken der rationalen
Zweckverbände der Welt. Verpönt ist die kreaturvergötternde
Erotik, - gottgewollter Beruf "eine nüchterne Kindererzeugung"
(wie die Puritaner es ausdrücken) innerhalb der Ehe. Verpönt
ist Gewalt des Einzelnen gegen Menschen, aus Leidenschaft oder Rachsucht,
überhaupt aus persönlichen Motiven, - gottgewollt aber die
rationale Niederhaltung und Züchtigung der Sünde und Widerspenstigkeit
im zweckvoll geordneten Staate. Verpönt ist persönlicher weltlicher
Machtgenuß als Kreaturvergötterung, - gottgewollt die Herrschaft
der rationalen Ordnung des Gesetzes. Der "innerweltliche Asket"
ist ein Rationalist sowohl in dem Sinn rationaler Systematisierung seiner
eigenen persönlichen Lebensführung, wie in dem Sinn der Ablehnung
alles ethisch Irrationalen, sei es Künstlerischen, sei es persönlich
Gefühlsmäßigen, innerhalb der Welt und ihrer Ordnungen.
Stets aber bleibt das spezifische Ziel vor allem: "wache"
methodische Beherrschung der eigenen Lebensführung. In erster Linie,
aber je nach seinen einzelnen Abschattierungen in verschiedener "Konsequenz",
gehörte der asketische Protestantismus, welcher die Bewährung
innerhalb der Ordnungen der Welt als einzigen Erweis der religiösen
Qualifikation kannte, diesem Typus der "innerweltlichen Askese"
an.
Aus: Max Weber: Wirtschaft
und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie. (1922)
Zitiert hier bei: http://www.textlog.de/7935.html
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