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Askese und Genuss
Pater Pierre ist Braumönch
und Organist im Kloster Saint Remy. Er hat sein Glück hinter den
Mauern gefunden
Alois Berger
BRÜSSEL. Manchmal packen
Pater Pierre die Zweifel. "Ich frage mich dann, was ich hier im
Kloster eigentlich mache", erzählt er, "dann überlege
ich ernsthaft, ob ich nicht doch besser zurückgehen soll in die
Gesellschaft." Solche Fragen ließen sich nicht einfach wegschieben,
sagt er. Es sei dieses Gefühl, einsam durch einen langen Tunnel
zu gehen. "Aber irgendwann ist jeder Tunnel zu Ende, und dann bin
ich froh, dass ich hier geblieben bin."
Seit fast 40 Jahren lebt Pater Pierre im Kloster Saint Remy in Rochefort
in den belgischen Ardennen. Mit 19 trat er in den Trappisten-Orden ein,
einen Reformzweig der Zisterzienser. Aber die Entscheidung sei viel
früher gereift, erinnert er sich. Mit 15 oder 16 habe er sich entschlossen,
sein Leben Gott zu weihen. Die Familie habe ihn bestärkt, und als
er dann von Brüssel, wo er aufgewachsen ist, nach Rochefort umzog,
da haben ihn seine Eltern begleitet. 45 Mönche lebten damals in
Saint Remy, heute sind es noch 15. Von Zeit zu Zeit holt sich Pater
Pierre beim Abt die Erlaubnis, die 100 Kilometer nach Brüssel zu
fahren und seine Mutter im Altersheim zu besuchen.
Schweigegebot gelockert
Aber er kommt gern zurück. Pater Pierre mag sein meditatives Leben
in St. Remy, die Spaziergänge in den Blumengärten, zwischen
den Birnbaumspalieren an den Backsteinmauern und die Choräle in
der hellen romanischen Klosterkirche. Gut ein Viertel ihres Tages verbringen
die Mönche von Rochefort in dieser Kirche. Wenn sie morgens um
drei ihre weißen Kutten überwerfen und zur Vigil, dem ersten
Gesang des Tages, in die Kirche kommen, dann ist es draußen noch
dunkel. Wenn sie abends am selben Ort die Komplet, den Tagesabschluss,
singen, dann ist die Sonne wieder untergegangen. Dazwischen studieren
sie Bibeltexte, gehen immer wieder in die Kirche, erfüllen Aufgaben,
die ihnen der Abt zugeteilt hat, und versuchen bei all dem, so wenig
wie möglich zu sprechen.
Bis vor einiger Zeit verständigten sich die Mönche in St.
Remy ausschließlich in Zeichensprache, doch der Abt hat das Schweigegebot
gelockert, weil man, wie er sagt, auch mit Zeichen Unsinn reden kann.
Deshalb dürfen die Mönche heute sprechen, dabei sollen sie
sich aber zurückhalten.
Pater Pierre ist der Organist des Klosters und zwischen den sieben täglichen
Gebetszeiten ist er der Braumönch. Dabei sieht er ganz und gar
nicht so aus, wie man sich einen Braumönch vorstellt: Hager ist
er, nicht einmal der Ansatz eines Bauches drückt sich durch die
Kutte. Pater Pierre hat dafür eine einfache Erklärung: "In
St. Remy brauen wir zwar Bier, aber wir trinken es nicht."
Nur am Freitagvormittag, kurz nach elf Uhr, geht Pater Pierre auf ein
paar Schlückchen ins Labor. Ein Assistent hat dann schon drei bauchige
Gläser mit den dunklen, schweren Rochefort-Bieren gefüllt
und die Flaschen versteckt. Braumeister Vital Streignard, Brauingenieur
Guymer Santos und der Pater sollen unbeeinflusst testen. "Ich bin
für die Qualität verantwortlich", erklärt Pater
Pierre selbstbewusst, "wir geben das Bier nur zum Verkauf frei,
wenn es einwandfrei ist." Wenn er dann am Glas nippt, sieht man
ihm an, dass er das Bier genießt und dass es ihm nicht immer leicht
fällt, sich an die Askesevorschriften des Heiligen Benedikt zu
halten. Er lobt den Braumeister und ist auch ein bisschen stolz, vor
allem, weil der Brauingenieur berichtet, dass das besonders starke Rochefort
No.10 in einer amerikanischen Internet-Umfrage schon wieder zum drittbesten
Bier der Welt gewählt wurde.
Draußen, auf dem Weg zum Mittagsgebet, müht sich Pater Pierre,
die Dinge zurechtzurücken. Man müsse aufpassen, dass man die
Arbeit und alles drum herum nicht zu wichtig nehme. Die Brauerei sei
für das Kloster da, nicht umgekehrt. Er erinnert daran, dass die
belgischen Trappisten-Klöster früher vor allem von der Landwirtschaft
lebten. In den 50er-Jahren begriffen die Mönche schneller als andere,
dass Ackerbau und Viehzucht wenig Zukunft hatten, vor allem aber, dass
keine Zeit fürs Beten bleibt, wenn man den Unterhalt für Mönche
und Kloster allein mit Landbau bestreiten will. Nach einigen Versuchen
stellte sich heraus: Mit traditionellen Klosterbieren ist ein gutes
Geschäft zu machen.
Mit dieser Erkenntnis gehen die sechs belgischen Trappistenklöster
sehr unterschiedlich um. Die Mönche in Chimay zum Beispiel brauen
so viel, wie sie verkaufen können, um möglichst viele gute
Werke zu finanzieren. In Westvleteren dagegen brauen die Mönche
nur, wenn das Kloster Geld braucht. Alle paar Wochen staut sich dort
um sechs Uhr morgens der Verkehr vor dem Tor, weil jeder Kunde nur einen
Kasten mitnehmen darf.
Rochefort liegt irgendwo dazwischen. "Wir sind kein Bettelorden",
stellt Pater Pierre klar, "aber wir passen auf, dass uns die Arbeit
nicht auffrisst." Deshalb haben die Mönche beschlossen, nur
400 Hektoliter pro Woche zu brauen, obwohl sie fünfmal so viel
verkaufen könnten: "Das schafft Freiheit, wir müssen
vor unseren Kunden nicht auf die Knie gehen." Die geschäftliche
Unabhängigkeit, da ist sich der Mönch sicher, schlägt
sich auch in der Qualität nieder. "Hinter unserem Erfolg stecken
nicht irgendwelche Küchengeheimnisse, sondern unsere christliche
Ethik", meint Pater Pierre und zeigt hinüber zum Brauhaus,
das mitten im von Efeu umwachsenen Klosterhof steht. Durch die hohen
Fenster leuchten zwei kupferne Braukessel. "Wir können in
die beste Technik investieren, weil wir keine Aktionäre haben,
die selbst nichts tun." Da klingt der junge Pierre durch, der die
Diskussionen an seiner Oberschule 1968 in Brüssel miterlebte: "Wir
haben keine Aktionäre, die uns auspressen. Wir kommen auch ein
paar Jahre mit weniger Gewinn aus."
Der Mönch verschwindet zum gregorianischen Choral in der Kirche.
Nebenan bereitet der Koch in der Klosterküche das Mittagessen vor.
Spinat mit Ei, danach Salat. Am Tag davor gab es Nudeln mit Tomaten,
davor Fisch und davor Eier mit Spinat. "Im Kloster zu kochen, ist
nicht schwierig, aber etwas eintönig", sagt der Koch, denn
die Trappisten von St. Remy dürfen kein Fleisch essen. "Manchen
merkt man an, dass ihnen das nicht leicht fällt," sagt der
Koch verlegen: "Mönche sind auch nur Menschen."
Der Koch ist kein Mönch, ebenso wenig wie der Braumeister, der
Ingenieur, der Schneider und der Klosterschreiner Mönche sind.
Denn es gibt Arbeiten, die erledigt werden müssen, während
die Mönche beten. Deshalb beschäftigt das Kloster St. Remy
20 Zivilangestellte. "Es ist ein angenehmes Arbeiten hier",
erzählt der Koch, "ruhig und in einer herrlichen Umgebung.
Aber man muss Mönche mögen."
St. Remy liegt in einem abgelegenen Flusstal, hat seine eigene Quelle
und eine fast 800-jährige Geschichte. Doch auch in St. Remy rückt
die Welt immer näher. Ein Unternehmer will den nahen Steinbruch
erweitern. Das würde den Grundwasserspiegel senken und die Klosterquelle
austrocknen. Pater Pierre kämpft um die Quelle, schreibt Protestbriefe,
Eingaben, Briefe an die Anwälte. Vor Jahren hat er den Ausbau einer
Schweinefarm verhindert, später einen überdimensionierten
Geflügelhof. Damals ging das Kloster vor Gericht und bekam Recht.
Für Pater Pierre ist es nicht immer leicht, die Welt zu verstehen.
Er kommt nur selten heraus aus dem Kloster, Fernsehen gibt es nicht;
die wenigen Gäste kommen zum Meditieren und Schweigen, nicht zum
Reden. "Natürlich mache ich mir meine Vorstellungen",
erzählt er, "wie es wäre, wenn ich mir eine Wohnung suchen
und Geld verdienen müsste." Andere Mönche wie Bruder
Gregoire oder Bruder Maximilian waren in Ruanda und Marokko, haben Aidskranke
gepflegt und Missionsstationen mit aufgebaut. Pater Jacques-Emmanuel
war Mathematikprofessor in Burundi. Das Leben von Pater Pierre verlief
gleichmäßig und beschaulich. "Ich habe lange überlegt,
ob ich es verantworten kann, im Kloster zu bleiben, wenn draußen
Priester fehlen", sagt er. "Aber das gemeinsame Gebet ist
auch eine Aufgabe."
15 Mönche in einem Kloster, das für zehn Mal so viele gebaut
wurde: Da bleibt viel Platz. An manchen Wochenenden kommt Gael dazu,
ein 17-jähriger Franzose. "Wenn die Leute wüssten, wie
schön es hier ist", schwärmt er, "dann wären
die Klöster voll." Der Abt zögert, ihn aufzunehmen. Der
Junge soll erst die Schule beenden. Pater Pierre fühlt sich an
sich selbst vor 45 Jahren erinnert, wenn er Gael sieht. Er hält
kurz inne, bevor er sagt: "Alles in allem bin ich glücklich
in meinem Kloster."
Berliner Zeitung,
06.08.07
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/spezial/dossiers/wie_soll_ich_leben/82979/index.php
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