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"O
komm, du Geist der Wahrheit..."
Predigt an Pfingsten 15./16.5.2005 in
der Eberhardsgemeinde (Beate Schröder)
Liebe Pfingstgemeinde!
Alle Jahre wieder gibt es Umfragen, die zeigen, dass nur ein Bruchteil
der Bevölkerung weiß, warum wir Pfingsten feiern.
Die Pfingstgeschichte, die wir gerade gehört haben, bleibt den
Menschen scheinbar unanschaulich und fremd. Seltsame Erscheinungen werden
beschrieben:
ein gewaltiger Wind, der das Haus erfüllt,
Feuerzungen auf den Köpfen der Jünger,
und das Wunder, dass die Jünger von den vielen Menschen ganz unterschiedlicher
Nationalitäten verstanden wurden.
Und das alles wird beschrieben, als habe jemand von Ferne das Geschehen
beobachtet, der sonst nichts damit zu tun hat.
Wir erfahren nicht, was in den Jüngern vor sich gegangen ist, was
sie an diesem Tag bewegt hat.
Was ist diesem Tag voraus gegangen?
Wenn wir uns die Vorgeschichte
dieser Ereignisse vergegenwärtigen, kommen wir vielleicht auch
dem etwas näher, was die Jünger bewegte.
"Sie waren alle an einem Ort beieinander." So beginnt die
Pfingstgeschichte. Sie waren beieinander, seitdem Jesus sie verlassen
hatte. Das war an Himmelfahrt. Auf dem Ölberg hatten sie gestanden
und ihm nach gestarrt. So erzählt es die Apostelgeschichte. Gemeinsam
waren sie zurück nach Jerusalem gegangen und hatten sich in das
Obergeschoss eines Hauses zurückgezogen, zusammen mit den Frauen,
die Jesus gefolgt waren und der Mutter Jesu und seinen Brüdern
- "und waren alle stets beieinander einmütig im Gebet".
So heißt es.
Die verlassenen Jünger und Jüngerinnen suchten Trost in der
Gemeinschaft der Freunde und Freundinnen. Vielleicht spürten sie:
"Wir brauchen einander. Gemeinsam müssen wir versuchen zu
verstehen, was in den letzten Wochen geschehen ist. Gemeinsam müssen
wir überlegen, wie es jetzt weitergeht."
Vielleicht haben sie sich
in diesen 10 Tagen zwischen Himmelfahrt und Pfingsten vergegenwärtigt,
was sie mit Jesus erlebt haben: wie sie mit ihm von einem Ort zum anderen
gezogen sind, wie er Menschen geheilt und getröstet hat, wie sie
zusammen gegessen und gefeiert haben. Vielleicht kamen ihnen dabei auch
die Worte in den Sinn, mit denen Jesus sie auf seinen Abschied vorbereitet
hatte. Damals hatten sie sie vielleicht noch gar nicht ganz begreifen
können. Doch jetzt klangen sie ganz anders. Sie sind der Predigttext
für das heutige Pfingstfest. Ich lese Joh 16, 5-16:
Jesus spricht zu seinen Jüngern:
5 Jetzt aber gehe ich
hin zu dem, der mich gesandt hat; und niemand von euch fragt mich: Wo
gehst du hin?
6 Doch weil ich das zu euch geredet habe, ist euer Herz voll Trauer.
7 Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich
weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu
euch. Wenn ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden.
8 Und wenn er kommt, wird er der Welt die Augen auftun über die
Sünde und über die Gerechtigkeit und über das Gericht;
9 über die Sünde: dass sie nicht an mich glauben;
10 über die Gerechtigkeit: dass ich zum Vater gehe und ihr mich
hinfort nicht seht;
11 über das Gericht: dass der Fürst dieser Welt gerichtet
ist.
12 Ich habe euch noch
viel zu sagen; aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen.
13 Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, wird er euch
in alle Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selber reden; sondern
was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist,
wird er euch verkündigen.
14 Er wird mich verherrlichen; denn von dem Meinen wird er's nehmen
und euch verkündigen.
15 Alles, was der Vater hat, das ist mein. Darum habe ich gesagt: Er
wird's von dem Meinen nehmen und euch verkündigen.
16 Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und
abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen.
Liebe Gemeinde!
Jesus bereitet die Jünger auf den Abschied vor, als er noch mitten
unter ihnen ist. Er verspricht ihnen Trost, bevor die Trauer sie nach
seiner Hinrichtung ganz blind machen wird.
Er verweist auf den Tröster, der bei ihnen sein wird, wenn er gegangen
ist.
Wer ist dieser Tröster?
Das griechische Wort Paraklet, das Luther hier mit Tröster übersetzt
könnte man auch mit Anwalt, Beistand oder Fürsprecher übersetzen.
Ein Anwalt verfolgt nicht seine eigenen Interessen, sondern die Interessen
eines anderen. "Er wird nicht aus sich selber reden, sondern was
er hören wird, das wird er reden." (V. 13)
Ein Anwalt ist der Wahrheit
auf der Spur im Interesse seines Mandanten. Nur wenn er die ganze Wahrheit
kennt, kann er ein wirklicher Fürsprecher seines Mandanten sein.
Der Tröster ist also kein Vertröster. Sein Trost besteht nicht
darin, dass er Tatsachen zudeckt, sondern aufdeckt. Deswegen nennt Jesus
ihn auch "Geist der Wahrheit"
Die Wahrheit ist allerdings manchmal schwer zu ertragen. Sie kann Angst
machen. Jesus mutet seinen Jüngern nicht die ganze Wahrheit zu.
Er sagt ihnen nicht, wie er von dieser Welt gehen wird, nichts über
Verfolgung, Folter und Hinrichtung: "Ich habe euch noch viel zu
sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen." Doch es wird
eine Zeit kommen, in der sie die ganze Wahrheit erkennen und ertragen
werden.
Liebe Gemeinde!
Jesus nimmt in seiner Abschiedsrede den Weg der Trauer, den die Jünger
von Karfreitag bis Pfingsten gehen müssen, quasi vorweg. Er verheißt
ihnen, dass sie auf diesem Weg nicht allein sein werden - und sie werden
verstehen und nicht verzweifeln.
Als dann der Karfreitag kommt
und die Jünger das erste Mal Abschieds nehmen müssen, können
sie zunächst wirklich schier nicht ertragen, was geschieht. Sie
können nicht mit ansehen, was die Menschen ihrem Herrn und Meister
antun. Sie sind am Verzweifeln. Sie laufen fort... Doch der Auferstandene
sammelt sie wieder ein - wie eine Henne ihre Küken: die einen findet
er auf dem Weg nach Emmaus, die anderen am See von Tiberias, die Frauen
direkt in der Nähe des Grabes.
Sie versammeln sich in Jerusalem, um an Himmelfahrt ein zweites Mal
Abschied zu nehmen.
Und diese Mal können sie es ertragen. Sie bleiben zusammen, stärken
sich gegenseitig und warten auf das, was Jesus verheißen hat:
"Wenn ich aber gehe, will ich den Tröster zu euch senden."
Dann kommt Pfingsten. 50
Tage nach dem Passahfest ist das jüdische Wochenfest. Wieder sind
viele Menschen in Jerusalem. Sie feiern Erntedank und erinnern sich,
wie Gott dem Volk Israel auf dem Sinai erschien in Wind und Feuer und
Rauch. Mose stieg auf den Berg und empfing die Tafeln mit den 10 Geboten.
Auch die Jünger und Jüngerinnen haben als Juden und Jüdinnen
das Wochenfest gefeiert. Sie haben sich die Offenbarung am Sinai vergegenwärtigt
und Gott für die Gabe der Gebote gedankt.
Die Gebote dienen dazu, zwischen Gut und Böse, richtig und falsch
unterscheiden zu können. Sie helfen, Sünden zu erkennen, Recht
zu sprechen und Gerechtigkeit herzustellen.
Sünden, Gerechtigkeit, Gericht...
Der Tröster, so hat Jesus gesagt, wird, wenn er kommt, der Welt
die Augen auftun über Sünde, über Gerechtigkeit und Gericht
und "dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist."
Liebe Pfingstgemeinde!
Den Jüngern gehen die Augen auf. Ganz neu haben sie vielleicht
diese alte Geschichte gehört. Es ist ja erst wenige Wochen her,
dass sie den Fürst dieser Welt erlebt haben. Sie waren Zeugen größter
Ungerechtigkeit. Ein Unschuldiger wurde hingerichtet, der nichts anderes
getan hat als die Menschen zu lehren, wie sie in Frieden und Gerechtigkeit
leben können. Und waren die Jünger nicht selber in der Gefahr,
als Unschuldige verfolgt und getötet zu werden? Und sind sie es
nicht noch immer? Sicher waren auch jetzt zum Wochenfest viele Soldaten
in der Stadt.
Doch jetzt sind sie beisammen. Sie sind nicht allein. Sie spüren
den Trost des Trösters. Sie spüren: Jesus selber ist unter
ihnen. "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin
ich mitten unter ihnen."
Sie wissen von dem Fürst dieser Welt, doch er macht ihnen keine
Angst mehr.. Sie wissen von Sünde, von Gerechtigkeit und Gericht
und erkennen den Weg, den sie jetzt gehen müssen. Und dieser Weg
führt sie hinaus aus der Wohnung im Obergeschoss des Hauses auf
die Straßen von Jerusalem. Die Zeit des Rückzugs ist vorbei.
Sie reden von den großen Taten Gottes, geben weiter, was ihnen
wichtig geworden ist.
Sie haben sich verändert.
Die Trauer um ihren Meister und die Kraft des Heiligen Geistes hat sie
wachsen lassen. Sie sind jetzt nicht mehr ausschließlich Gefolgsleute
von Jesus, sondern sie sind zu Menschen geworden, die selber handeln.
Was sie von Jesus gelernt haben, ist zu einem Teil ihrer selbst geworden.
Deswegen haben sie keine Angst. Das machte sie so überzeugend.
Die Menschen auf der Straße
verstehen sie, egal woher sie kommen. Viele ließen sich taufen
und blieben bei ihnen. Sie waren beieinander im Brotbrechen und im Gebet
und hatten alle Güter gemeinsam. So entstanden die ersten christlichen
Gemeinschaften....
"Wenn aber jener,
der Geist der Wahrheit kommen wird, wird er euch in alle Wahrheit leiten."
Jesus hat seine Jünger auf das Pfingstereignis vorbereitet
- und sie haben verstanden.
Liebe Pfingstgemeinde!
Sind auch wir bereit, uns vom Geist der Wahrheit leiten zu lassen? Wirkt
der Geist von Pfingsten auch in unserer Welt?
In der Frauenkirche haben wir in der letzten Woche von einem Mann gehört,
der sich in der Tat von diesem pfingstlichen Geist der Wahrheit leiten
ließ.
Wir haben einen Film gesehen mit dem Titel: "Romero - Seine Waffe
war die Wahrheit."
1980, vor 25 Jahren wurde der salvadorianische Erzbischof Oscar Romero
ermordet. Weil man ihn für harmlos und unpolitisch hielt, wurde
er 1977 zum Erzbischof ernannt. Er selbst nannte sich einen Bücherwurm,
der doch eigentlich zu diesem Amt gar nicht befähigt ist.
Pfarrer seiner Diözese öffneten ihm die Augen für die
schweren Menschenrechtsverletzungen in ihrem Land. Sie lebten mit den
Menschen des Volkes und setzten sich ein für Demokratie und Menschenrechte.
Er warf ihnen vor, den Umsturz herbei führen zu wollen.
Als dann aber einer nach dem anderen von ihnen durch die Militärjunta
ermordet wurde, trat der Erzbischof selber an ihre Stelle. Zunächst
schützte ihn sein Status als Erzbischof. Dann erhielt auch er Todesdrohungen.
Doch er konnte die Augen nicht mehr verschließen vor den Menschen,
nicht vor ihrem Leid und vor ihrer Liebe zu ihm. Der Geist der Wahrheit
hatte ihn ergriffen. Er stellte sich an die Seite des Volkes. Seine
Sprache wurde schärfer. Doch den bewaffneten Widerstand lehnte
er bis zum Schluss entschieden ab. "Seine Waffe war seine Wahrheit".
Bis er selber von den Todesschwadronen ermordet wurde. Er stand hinter
dem Altar und feierte die Eucharistie, als er starb.
Erzbischof Romero hat sich anstecken lassen vom Geist der Wahrheit,
der an Pfingsten über die Jünger kam. Dieser Geist gab dem
kränklichen Mann eine ungeheure Kraft und Zuversicht. Die Zuversicht,
dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist und der Geist der Wahrheit
siegen wird.
"Es soll nicht durch Heer oder Kraft geschehen, sondern durch
meinen Geist, spricht der Herr Zebaoth".
Liebe Pfingstgemeinde!
Wir leben in einem demokratischen Staat und werden als Christen nicht
verfolgt. Trotzdem ist mir manchmal angst und bange, wenn ich an die
Zukunft dieser Welt denke.
Wenn ich sehe,
wie Menschen verzweifeln, weil sie ihren Arbeitsplatz verlieren und
von Hartz IV betroffen sind.
Wie andere mutlos werden, weil jedes Engagement so sinnlos erscheint.
Wie Einsamkeit um sich greift, weil Beziehungen in die Brüche gehen.
Liebe Schwestern und Brüder!
Was Jesus den Jüngern sagte, das spricht er auch uns zu: "Wenn
ich gehe, will ich den Tröster zu euch senden."
ER tröstet ohne zu vertrösten. ER schenkt Kraft, die Augen
zu öffnen und vor allem sie offen zu halten auch in schweren Zeiten.
Die Jünger hatten plötzlich keine Angst mehr, als sie in Jerusalem
auf die Straße traten und zu den Menschen sprachen. Auch Erzbischof
Romero hatte ab einem bestimmten Punkt keine Angst mehr, auch wenn er
ahnte, dass ihm sein Engagement das Leben kosten könnte.
Auch wir brauchen keine Angst zu haben. Wir können uns wie sie
neben die stellen, die verzweifelt, mutlos oder traurig sind
Lassen wir uns anstecken von dem Geist von Pfingsten, der die Angst
vertreibt und Barrieren zwischen Menschen nieder reißt, dass jeder
mit jedem sprechen kann.
Lassen Sie uns bitten um das Wirken des Heiligen Geistes in unserer
Welt:
"O komm, du Geist der Wahrheit und kehre bei uns ein,
verbreite Licht und Klarheit, verbanne Trug und Schein.
Gieß aus dein heilig Feuer, rühr Herz und Lippen an,
dass jeglicher Getreuer den Herrn bekennen kann."
Amen
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