Predigten

 
 

Tragfähige Fundamente?

Predigt über Mt 7,21-27
9. Sonntag im Jahreskreis A - 28./29.5.2005 in Tübingen und Bühl (Thomas Steiger)

Liebe Schwestern und Brüder,
keine Frage beschäftigt mich derzeit stärker als jene, die nach den tragfähigen Grundlagen unserer Gesellschaft fragt. Worauf wollen wir gemeinsam bauen, damit es uns gut geht? Es geht also ausdrücklich nicht um mich, nicht um den einzelnen und seine Bedürfnisse, sondern um das Ganze der Menschengemein-schaft, in der wir leben - Staat, Gesellschaft, Kirche nennen wir diese sozialen Systeme. Was trägt uns alle dort? Ist es die Solidarität, die so oft in vieler Mun-de ist, bei Politikern, bei Kirchenleuten, wenn es um zu erbringende Opfer geht? Ist es die Soziale Marktwirtschaft, die beschworen wird im Zusammenhang mit einer Massen-Arbeitslosigkeit, die in der Tat das Gefüge unseres Miteinanders in Frage stellt?

Viele Redner versprechen wunderbare Besserung, seit Jahren bereits, treten auf und rufen: Solidarität, solidarisches Handeln! Arbeit, Arbeit für alle! Gerechtig-keit, gerechte Lastenverteilung! Und was geschieht? Die einen werden abge-wählt, die anderen stimmen das gleiche Lied an, befördern jetzt die Maßnahmen, die sie zuvor abgelehnt hatten. Aber ans Eingemachte, an die wirklich erforder-lichen Umdenkprozesse, an einen Paradigmenwechsel des Systems, des gesam-ten gesellschaftlichen Miteinanders will eigentlich gar niemand heran. Hinter dem Wortgeklingel der Reden verbirgt sich zuletzt doch das egoistische Interes-se der Sicherung des eigenen Bestands: Solidarität meint dann nicht echtes Tei-len, Verzicht gar, sondern Almosen. Arbeit wird nicht als Grundrecht jedes Menschen zur Sicherung der persönlichen Würde und der eigenen Identität ver-standen, sondern als ökonomische Funktion der Gewinnerreichung vieler, aber eben beileibe nicht aller. Und auch der Ruf nach Gerechtigkeit nimmt vor allem das eigene Recht in den Blick und nicht das Bedürfnis der ganzen Gemeinschaft eines Landes.

Verräterisch erinnert dieses Szenario an die kritischen Jesusworte, mit denen Matthäus ihn seine große programmatische Bergpredigt abschließen läßt: Herr, Herr! sagen viele, und sie treten als Propheten auf, im Namen des Herrn. Aber was sie sagen und tun, ihre Fassade, ihr Anspruch - sie haben keinen Bestand, sie tragen nicht. Die hohlen Worte, sie reichen nicht aus, um ein tragfähiges Fundament zu schaffen für ein Leben, das Stürmen, Anfechtungen ausgesetzt ist. Die Titel, das Vitamin B sind nicht der Fels, auf das man eine Existenz auf-bauen könnte. Jesus ermahnt eindringlich dazu, es mit der Offenbarung Gottes nicht so zu machen, sie vielmehr absolut ernst zu nehmen. Was Gott uns sagt, das hört und danach handelt! Einzig dann wird das Lebenshaus Bestand haben, nicht zerstört werden. Nur wer Jesus inhaltlich ernst nimmt, nicht nur pro forma Christ ist, nur wer über das bloße Wort-Bekenntnis zu einem der Tat hinaus kommt, der wird die Grundlage legen, die dem Leben dient - für sich selbst und für andere!
Und was sind diese meine Worte? Das Evangelium dieses Sonntags bildet - wie gesagt - den Abschluß einer groß angelegten Komposition des Matthäus, die wir als Bergpredigt kennen, und in der er die wesentlichen Inhalte und vor allem die entscheidenden Prinzipien der Botschaft Jesu bündelt und in einen logischen Zu-sammenhang bringt. Das beginnt mit den Seligpreisungen, führt weiter über die wesentlichen Konfliktfelder menschlichen Lebens (Sünde und Versöhnung, E-hebruch, Lüge und Wahrheit, Feindesliebe) zu den Grundprinzipien des religiö-sen Zusammenlebens (Teilen - Beten - Verzichten), dann weiter zur enorm be-deutsamen Frage der inneren Freiheit, der Befreiung von unnötiger Sorge und der Konzentration auf das Wesentliche, bis hin zur Goldenen Regel als Grund-prinzip des menschlichen Zusammenlebens überhaupt: Alles, was ihr von ande-ren erwartet, das tut auch ihnen. Darin besteht das Gesetz und die Propheten. Wer sich an diese Prinzipien hält, wer sie vorab anerkennt als den rechten Weg, der zum Leben führt, und zwar für möglichst viele Menschen auf unserer Erde, dem Ziel nach für alle, der gehört nicht zu den Schaumschlägern und Viel-versprechern, sondern zu den Realisten des Reiches Gottes, die sagen, von was sie zuinnerst überzeugt sind und die tun, was sie sagen. Die braucht es in unserer Kirche und für unsere Welt mehr denn je! (àDiakon Kubetschek)

Stellen Sie sich vor, liebe Schwestern und Brüder, in ihrer Ehe oder Familie wä-re es so, wie in der Politik (àFam. Del Priore, Silberhochzeit): Große Verspre-chungen, nichts dahinter! Ein opportunistisches Wechselspiel der Positionen, die Austauschbarkeit der Programme und Inhalte; jeder steht für alles und damit für nichts! Kein wahrer Mut, an den Zuständen etwas grundsätzlich zu verändern. Oder schlimmer, sie kennen diese Erfahrung, und wissen, daß darob ihre Part-nerschaft in die Brüche ging, ihre Familie aus dem Lot geraten ist. Malen Sie sich aus, was es bedeuten könnte, wenn sich daran nicht ändert in überschauba-rer Zeit: eine Gesellschaft, die keine inneren Werte kennt, die sie tragen, keine Grundpositionen, die alle anerkennen, für die alle im Ernstfall zu kämpfen bereit sind.
Es kann wohl eine Weile noch gehen, daß wir uns auf diese Weise durchlavie-ren. So lange vielleicht, wie die es mitmachen, auf deren Rücken dies geschieht: die ohne Interessenvertretung, ohne Lobby, die schwächsten Glieder im Zu-sammenspiel der gesellschaftlichen Kräfte - Kinder, Jugendliche. Der einzige Weg aus dieser tiefsitzenden Krise unseres Landes führt für mich über den Kopf. In unseren Köpfen muß sich das verankern, was dem gerechten, dem ver-träglichen Zusammenleben dient, dem Fundament für unser gemeinsames Haus in Deutschland. Und wir als Christen haben etwas anzubieten dafür, beispiels-weise die Jesus-Prinzipien der Bergpredigt. Lesen Sie nach, morgen/heute am Jesus-Tag. Wir können anfangen, als Christen, als Staatsbürger. Amen.