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Vom Umgang
mit der Angst
Predigtgedanken über
1 Kön 19,9-13 und Röm 9,1-5 und Mt 14,22-33. 19. Sonntag im
Jahreskreis A - 6./7.8.2005 in St. Petrus Tübingen-Lustnau (Thomas
Steiger)
Das Hauptthema der biblischen
Texte dieses Sonntags ist Angst!
Paulus schreibt sich in Röm 9 seine Furcht von der Seele, das von
Gott erwählte Volk Israel, seine Glaubensgeschwister, könnten
Jesus übersehen und dabei nicht einmal bemerken, was sie verpassen:
daß in ihm das Heil sei für alle Welt, daß in ihm Gott
sich zu erkennen gebe und nicht mehr länger ein ferner Gott sei,
ja, daß das Warten auf den Erlöser-Messias ein Ende habe.
Darunter leidet der Apostel, das macht ihn traurig, und er hat Angst
davor, daß seine ganzen Anstrengungen umsonst gewesen sein könnten.
Mein ganzes Lebenswerk - nichts! All meine Mühen - umsonst! Das
macht ihm Angst.
Ganz ähnlich in der
ersten Lesung beim Propheten Elija. Der verkündeten Stelle voraus
geht ja sein Wunsch zu sterben, weil er keinen Sinn mehr im Leben sieht.
Daß er sich schließlich überhaupt aufgemacht hat zum
Gottesberg Horeb erzählt von seinem letzten Mut, der Angst doch
noch etwas entgegen zu setzen, der Angst, das eigene Leben verplempert
zu haben und vor Gott nicht bestehen zu können. Was sich in der
Gottesbegegnung dann draußen vor der Höhle auf dem Berg abgespielt
hat, das vermögen wir nur zu erahnen. Die entfesselten Naturgewalten
jedenfalls muten alles andere als harmlos an und lassen es nahegelegen
sein, daß Elija um sein Leben bangte, vor Angst schier zerflossen
sein mag - und trotzdem ausgehalten hat, die Begegnung mit sich selbst
und mit seinem Gott. Und daß er dann verstand, schließlich,
jenseits der Angst!
Allen voran handelt das Evangelium
heute von der Angst, in dem sie sogar zweimal namentlich ausgesprochen
wird. Die Jünger im Boot gemeinsam haben Angst, so sehr Angst,
daß sie zu schreien beginnen. Und Petrus allein draußen
auf dem See bekommt Angst und ruft Jesus um Hilfe an. Gibt es dazu einen
Grund? Aber die Frage nach dem Warum von Angst ist im allgemeinen nicht
sehr ergiebig und schon gar nicht hilfreich. Angst tritt zumeist spontan
auf, überraschend, unerwartet, deshalb ist sie auch mit Erschrecken
verbunden. Mit einem Mal schränkt sich der eigene Horizont total
ein. Zu jeder normalen Reaktion sind wir unfähig. Nur weg von hier;
aber das geht eben meistens auch nicht. Verurteilt sind wir, den Schrecken
auszuhalten, der Angst ins Auge zu blicken. Und wahrscheinlich ist das
(vgl. Elija!) auch der einzige Weg überhaupt mit Angst umzugehen.
Die Situationen im Boot auf
dem See und die auf dem Berg wecken eigene Erfahrungen in uns, Ängste,
wie wir sie aus eigener Anschauung kennen. Drei von ihnen möchte
ich nennen und etwas näher mit Ihnen zusammen ansehen. Und ich
möchte Ihnen Mut machen, den Narben, die eine Angst schon geschlagen
hat in Ihnen anzusehen, um der kommenden Angst willen dem ins Auge zu
blicken.
· Zunächst: Die Angst, allein zu sein, einsam, ohne ein
verläßliches Umfeld, den Boden unter den eigenen Füßen
zu verlieren. Von frühester Kindheit an gibt es diese höchst
existenzbedrohende Angst in uns: Ob die Mama mich wirklich lieb hat,
ob der Papa auch wirklich wieder nach Hause kommt - und das dazu gehörende
Erschrecken, wenn die Eltern länger ausbleiben als angekündigt.
Später ist es wohl mehr die Angst, den Partner zu verlieren und
auf einmal alleine dazustehen. Oder die Isolation in einer Gruppe, in
der man sich nicht angenommen fühlt. Vielleicht der Schrecken,
bei allen ach so guten Freundschaften plötzlich doch mutterseelenallein
zu sein, weil die Beziehungen so wenig tragen, wie das Wasser, auf dem
Petrus steht, weil sie nur scheinbar verläßlich sind.
Und mein Glauben? Nicht nur
einmal beschlichen mich Zweifel wie jenen Ersten unter den Jüngern,
abgrundtief, ob mein Leben denn wirklich gegründet sei in Gott,
und ich nicht fallen könne, geschehe, was da wolle. Was, wenn das
alles, auf was ich meinen Beruf, meine Werte, meine Prioritäten
baue, wenn das alles doch nicht stimmt? Was wird aus mir, wenn mein
Vertrauen nicht ausreicht für ein ganzes Leben? Bisher bin ich
noch nie ganz unter gegangen, nicht ertrunken in meinen Zweifeln; wie
bei Petrus hat sich immer eine Hand gefunden. Aber die nächste
Nacht auf hoher See kommt bestimmt.
· Dann: Die Angst
vor dem Neuen, Unbekannten, dem Fremden. Die Jünger sind so mit
sich selbst beschäftigt, daß sie im Ungeahnten eine Bedrohung
erleben müssen. Was da von außen auf sie zukommt, muß
etwas Furchtbares sein, und so fürchten sie sich, geraten in Panik,
das ist der Fluchtpunkt jeglicher Angst. Ihre Sinne, ihr gesunder Menschenverstand
versagt. So irrationale und angstbesetzt reagieren Menschen häufig.
Z.B. in der Konfrontation mit einer neuen Aufgabe, die wir ablehnen
noch bevor wir sie überhaupt begriffen haben. Veränderungen,
Ortswechsel, neue Kollegen - sie machen uns grundsätzlich Angst,
ohne die Chancen, die in ihnen stecken können auch nur anschauen
zu wollen. So verpassen die Jünger um Haaresbreite ihren Herrn
und Meister. So verpassen wir im Neuen wohl häufig genug Gottes
Wege in unserem Leben. Weil die Angst uns lähmt.
· Schließlich:
Die Angst zu versagen, nicht zu genügen, den Ansprüchen anderer
nicht, aber auch nicht den eigenen inneren Vorstellungen, dem Bild,
das ich mir von mir selbst gemacht habe. Womöglich ist das der
tiefste innere Anlaß bei Petrus und Elija für deren Angstattacke.
Dort hat sie es besonders leicht, die Angst, uns gefügig und letztlich
wehrlos zu machen, an den Projektionen der eigenen Empfindlichkeiten
und Sehnsüchte: Ich will gut sein. Ich will es recht machen. Ich
will besser sein als andere. Ich will fromm, klug, schnell genug sein.
Ich will mutiger sein als die übrige Welt. Dort in der Tat, das
weiß ich gut aus eigener schmerzlicher Erfahrung, dort hat die
Angst es leicht. Es braucht nur eine kleine Überforderung, ein
leichtes Versagen, schon stürzt das Kartenhaus der selbstgebastelten
Welt in sich zusammen und die Furcht, daß alles nicht wahr ist,
grassiert.
Es ist gut, das alles sehr
genau zu kennen, die Mechanismen der eigenen Seele immer besser zu verstehen.
Und dennoch sind uns oft die Hände gebunden. Die Angst läßt
sich nicht gut vertreiben, wenn sie erst einmal aufgetreten ist. Was
also tun? Elija hält geduldig aus, Paulus schreibt sich die Wut
vom Herzen, Petrus schreit um Hilfe. All das ist gut und es ist ausdrücklich
erlaubt - angesichts der Angst. Die Bibel sagt: Auf diese Weise kommt
Gott mit ins Spiel, als Begleiter an unserer Seite: nicht als Vernichter
der Angst, wohl aber als der, der auch dann noch da ist, wenn uns die
Luft zum Atmen auszugehen droht.
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