Predigten

 

Der gleiche Mensch - Der andere Gott (Gen 6-8)
Ökumenischer Gottesdienst am 9.10.2005 - 10.30 Uhr St. Michael Tübingen
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Prediger: Thomas Steiger / Heinrich Braunschweiger

1. DAS TODESURTEIL
· Orgelvorspiel - Einzug
· Lied Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr = GL 621,1-2
· Liturgischer Gruß (St)
· Begrüßung (St)
· Gebet (Br)
· Einführung Texte (Br)
· Text I: Gen 6,5-7 (Br)
· Kyrie-Rufe (Pe) Du rufst uns, Herr, trotz unsrer Schuld = GL 523,1-3
· Auslegung (St)
· Chorgesang Mendelssohn-Bartholdy, Allein Gott in der Höh

2. DIE GNADE
· Text II: Gen 6,8; 7,1-5 (St)
· Antwortpsalm (Pe) Denn deine Gnade reicht, so weit der Himmel ist = GL 724,1-2
· Auslegung (Br)
· Lied Lobe den Herren, alle die ihn ehren = GL 671,1.4-6

3. SINTFLUT UND TAUBE
· Text III: Gen 7,10-8,13 (Br)
· Auslegung (St)
· Fürbittgebet und Vaterunser (St/Lektoren)
· Chorgesang Schütz, Herr, auf dich traue ich

4. NOAHS DANK UND GOTTES ZUSAGE
· Text IV: Gen 8,20-22 (St)
· Lied Nun saget Dank und lobt den Herren = GL 269,1-2
· Auslegung (Br)
· Orgelimprovisation (Wo)
· Vermeldungen
· Chorgesang Stockmeier, Christus ist König
· Segensbitte und Segen und Entlassung
· Schlußlied Sonne der Gerechtigkeit = GL 644,1.2.6.7
· Orgelnachspiel

 

 

Begrüßung (Thomas Steiger)

Wir sitzen alle in einem Boot: im Haus des Lebens, in unserem Leib und Geist, in Tübingen, in der evangelischen und katholi-schen Kirche, und global, da sowieso. Es gibt kein Entrinnen. Die Wasser des Lebens - entweder wir bewältigen sie gemeinsam, o-der gar nicht. Denn es gibt nur ein Schiff, das Bestand hat. Sehr oft scheint es so auszusehen, als ruderte jeder für sich allein, ge-geneinander im gleichen Boot, oder wolle einer gar den anderen hinauswerfen. Gewinne ich, darf ich den Siegespreis für mich al-leine behalten. Verliere ich, kommt es auch nicht mehr darauf an, scheinbar.
In der ökumenischen Großwetterlage drängt sich allenthalben der Eindruck auf, als wolle jede Seite sich den Zutritt zur Arche Noah selbst erkämpfen, ertrotzen durch Unnachgiebigkeit und Selbstgewißheit: Abendmahl, Amt, die Kirchenfrage, Bibelüber-setzung. Es fällt mir nicht eben schwer vorzustellen, daß es auf diesem Hintergrund Gott auch in diesen Tagen reut, daß er Menschen gemacht hatte auf Erden, wenn sie sich so benehmen. Dabei sollte doch die Kirche eben jene Arche sein für alle über Bord Gegangenen und an fremden Ufern Gestrandeten. Und die Taufe die Eintrittskarte in diese göttliche Fluchtburg. So deutet bereits die Alte Kirche die Geschichte von der großen Flut und er Rettung des auserwählten Menschen in der Arche.
Pfr. Braunschweiger und ich wollen uns mit Ihnen heute daran machen, die alte Geschichte aufs neue zu deuten, uns auch schonungslos mit seiner Härte zu konfrontieren, die dem menschli-chen Wesen auf den Zahn fühlt. Wir tun es mit Freude an Gottes Wort, das für uns beide und für unsere Gemeinden die maßge-bende Grundlage ist - egal ob Einheitsübersetzung oder Luther-text. Miteinander und mit Ihnen ringen wir um das, was Gott uns sagen will. Und wir wollen - so nebenbei - auch ein bißchen gut Wetter machen, auf daß zumindest hier in Tübingens Süden Gott keinen Anlaß finde für ein neue Sintflut.

 

Die Sintflutgeschichte

1. Lesung (Gen. 6, 5-7)
Als aber der HERR sah, dass der Menschen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar, da reute es IHN, dass ER die Menschen gemacht hatte auf Erden, und es schmerzte IHN in seinem Herzen, und ER sprach:
Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, vertilgen von der Erde, vom Menschen an bis zum Vieh und bis zum Gewürm und bis zu den Vögeln unter dem Himmel; denn es reut mich, dass ich sie gemacht habe.

2. Lesung (Gen. 6,8; 7,1-5.7.16 c)
Noah aber fand Gnade vor dem HERRN.
Und der HERR sprach zu Noah: Geh in die Arche, du und dein ganzes Haus. Von allen reinen Tieren nimm zu dir je sieben, das Männchen und sein Weibchen, von den unreinen Tieren aber je ein Paar, das Männchen und sein Weibchen. Desgleichen von den Vögeln unter dem Himmel je sieben, das Männchen und sein Weibchen, um das Leben zu erhalten auf dem ganzen Erdboden. Denn von heute an in 7 Tagen will ich regnen lassen auf Erden 40 Tage und 40 Nächte und vertilgen von dem Erdboden alles Lebendige, das ich gemacht habe.

Und Noah tat alles, was ihm der HERR gebot. Und er ging in die Arche mit seinen Söhnen, seiner Frau und den Frauen seiner Söhne, bevor die Wasser der Sintflut kamen. Und der HERR schloss hinter ihm zu.

3. Lesung (Gen. 7, 10-12.17b.22.23; 8,6.8-12.13b)
Und als die 7 Tage vergangen waren, kamen die Wasser der Sintflut auf Erden. Und ein Regen kam auf Erden 40 Tage und 40 Nächte. Und die Wasser wuchsen und hoben die Arche und trugen sie empor über die Erde. Alles, was Odem des Lebens hatte auf dem Trockenen, das starb. So wurde vertilgt alles, was auf dem Erdboden war, vom Menschen an bis zum Vieh und zum Gewürm und zu den Vögeln unter dem Himmel; das wurde alles von der Erde vertilgt. Allein Noah blieb übrig und was mit ihm in der Arche war.
(6)Nach 40 Tagen tat Noah an der Arche das Fenster auf, das er gemacht hatte und ließ eine Taube ausfliegen, um zu erfahren, ob die Wasser sich verlaufen hätten auf Erden. Da aber die Taube nichts fand, wo ihr Fuß ruhen konnte, kam sie wieder zu ihm in die Arche; denn noch war Wasser auf dem ganzen Erdboden. Da tat er die Hand heraus und nahm sie zu sich in die Arche. Da harrte er noch weitere 7 Tage und ließ abermals eine Taube fliegen aus der Arche. Die kam zu ihm um die Abendzeit, und siehe, ein Ölblatt hatte sie abgebrochen und trugs in ihrem Schnabel. Da merkte Noah, dass die Wasser sich verlaufen hatten auf Erden. Aber er harrte noch weiter 7 Tage und ließ eine Taube ausfliegen; die kam nicht wieder zu ihm.
Da tat Noah das Dach von der Arche und sah, dass der Erdboden trocken war.

4. Lesung (Gen. 8, 20-22)
Noah aber baute dem HERRN einen Altar und nahm von allem reinen Vieh und allen reinen Vögeln und opferte Brandopfer auf dem Altar. Und der HERR roch den lieblichen Duft und sprach in seinem Herzen:
Ich will hinfort die Erde nicht mehr verfluchen um des Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was lebt, wie ich getan habe. Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.

 

(Heinrich Braunschweiger)

Liebe Schwestern und Brüder!
Noah, die Sintflut und die Arche - Sie alle kennen diese Geschichte.
Wer ist Noah? Noah, so erzählt die Bibel, Noah ist der Sohn Lamechs. Lamech soll Noah im stattlichen Alter von 182 Jahren gezeugt haben.
Woran Sie schon sehen können, daß wir mit Noah auf der Ebene der Symbole sind, man könnte auch sagen: im Bereich der biblischen Dichtung.
Noah ist schon in der Bibel zu einem Archetyp geworden. Gemeint ist damit jetzt nicht, daß Noah der Typ gewesen ist, der die Arche gebaut hat, - das war er natürlich auch, sondern gemeint ist im psychologischen Sinn ein Vorbild oder Urbild. Noah ist in der Bibel das Urbild richtigen Verhaltens.
Einen historischen Noah hat es wohl kaum je gegeben. Und so ist es auch ein vergebliches Unterfangen, auf dem Berg Ararat nach den Resten der Arche Noahs zu suchen.

Die Sintflutgeschichte ist also keine Geschichte, bei der der Reporter dabei gewesen wäre. Der Stoff ist altes Sagenmaterial, das die biblischen Erzähler vorfanden und in die so genannte Urgeschichte einfügten. Und die Urgeschichte ist etwas anderes als Historie. Sie erzählt nicht von vergangener Geschichte, sondern sie deckt das Wesen der menschlichen Geschichte auf, die Geschichte des Gott entfremdeten Menschen, des Gottesflüchtlings, also unsere Geschichte.
Es sind übrigens zwei Autoren, die in der Urgeschichte zu Wort kommen, auch in der Sintflutgeschichte, zwei Erzählströme, die ein unbekannter Redaktor ineinander gearbeitet hat.

Noch ein Zweites:
Wenn man also bei den Texten der Urgeschichte nicht einfach sagen kann: das, was da erzählt wird, ist nur Vergangenheit, dann stellt sich im Blick auf die Sintflutgeschichte die Frage umso dringlicher, was sie uns Heutigen zu sagen hat.
Zwar gab es zu allen Zeiten sintflutartige Katastrophen, die im kollektiven Gedächtnis der Menschheit aufbewahrt sind, aber erst heute am Beginn des 21. Jahrhunderts begreifen wir ganz neu und vielleicht besser als je zuvor dieses "Sint" - zu deutsch "gesamt" - in dem Wort "Sint-flut".

Das Gesamte, das Allgemeinste ist bedroht: die Luft, die wir atmen, der Ozonschild, der uns schützt, das Wasser, von dem wir leben, der Boden, diese einzige Erde, die wir haben, -
ja der Weltraum wird in die Katastrophenpläne schon mit einbezogen.
"Alles schwimmt weg". Das ist das Zeitgefühl. Und das ist jetzt nicht nur im Blick auf die Wirbelstürme und die verheerenden Überschwemmungen der vergangenen Tage und Wochen gemeint -
also nicht nur im Blick auf unsere Umwelt gilt das, es gilt auch im Blick auf unsere Inwelt.
Wir kennen den Sinn nicht mehr, den Sinn des Ganzen. Die Philosophen, die Sinndeuter sagen es ganz offen.
Das tödliche Wasser rinnt schon durch die Ritzen und Fugen des Kastens, in dem wir sitzen. Sintflut ist also eine ganz reale Sache.
Und es erhebt sich nun nicht mehr nur individuell, sondern im Blick auf das Ganze die Frage: Was trägt durch? Trägt überhaupt noch etwas - oder Einer durch?
Und wir fragen nach dem Seinsgrund, nach dem absoluten Halt.
Ein Freiburger Philosoph hat unsere Existenz mit einer hellerleuchteten Kugel verglichen, einer Art Restaurant, das in einem unendlichen, nachtdunklen Universum schwebt.
Die hellen Lichter innen drin lassen nicht nach außen schauen, aber allmählich erlöschen sie. Und die ungeheure Schwärze außen macht uns mehr und mehr angst.
Da die Sintflutgeschichte ein langer Text ist, bringen wir jetzt nur ein paar Ausschnitte zu Gehör. Auf die Lesung folgt dann jeweils eine Auslegung. Hören wir nun die

1. Lesung (6,5-8):

 

 

1 Das Todesurteil

Eigentlich will man sich ja sofort fragen, wie denn Gott, der Herr, darauf komme, daß der Mensch böse sei nur und immerdar. Wo er das bloß her hat dieses Bild in sich, daß unser Geschlecht ganz und gar verderbt sei, keine gute Seite an uns, überall und in jeder Sekunde? Und wir könnten ansetzen mit einer kleinen Verteidigungstirade, da sei doch auch das andere, das Gute: die Liebe zwischen zwei Partnern und die Freude an der Schöpfung, das Bemühen, Gott die Ehre zu geben und die Suche nach Gerechtigkeit. Aber im nächsten Augenblick beschleicht uns die Befürchtung: Hat er nicht doch recht, liebe Schwestern und Brüder, daß der Teufel stets im Detail steckt und der Keim der Mutation ins Böse immer allem innewohnt? Das Dichten und Trachten - so übersetzt Martin Luther einfühlsam und klug - des Menschenherzens sei böse. Wir tun, was wir tun, weil wir dabei für uns selbst etwas Gutes erhoffen, weil wir an uns zuerst denken, nicht an den anderen und nicht an Gott. Wir strengen uns zwar an, und es kommt hin und wieder etwas Gutes dabei heraus. Aber im Grunde unseres Herzens sind wir hoffnungslose Egoisten, deren einzige Motivation es ist, für sich selber einen Vorteil zu erwirtschaften, zum mindesten gut dazustehen vor anderen, vor Gott, als ob dieser es nicht bemerkte.
Was Dichten und Trachten wir denn? Luftschlösser zumindest bauen wir in Gedanken gern, Gebäude, die in den Himmel ragen, wie der babylonische Turm: Von einer Welt, in der jeder Mensch sein Lebensrecht hat. Von einer Gesellschaft, in der alle Arbeit haben als elementares Recht jedes Individuums. Von einer einzigen Kirche, in der alle Christen Platz finden, ohne Konfessionen und die unlösbare Wahrheitsfrage. Die nüchterne Wirklichkeit, in der sich das verdichtet, woran wirklich unser Herz hängt, sieht leider anders aus. Sie gibt dem recht, was JHWH so sehr ärgert und aufbringt gegen uns: Der Egoismus ist die Wurzel alles Bösen, und zumeist unterliegen wir im Kampf mit ihm.
Immerhin, wir könnten anders. Diese Möglichkeit, gut zu sein, ist es, die die Sintflutgeschichte von Anfang an auch in sich trägt. Der Mensch könnte seine Freiheit nützen, um sich von Gott leiten zu lassen, um zu tun, was gottgefällig ist. Ausdrücklich so hat der Herr uns erschaffen: frei und groß in unserem Potential, beinahe so groß und mächtig wie Gott selbst; davon erzählt das Buch Genesis fünf Kapitel davor. Allein, das Projekt Mensch droht Gott aus dem Ruder zu laufen, es verselbständigt sich. Der Mensch will selber Gott sein, unsterblich, grenzenlos in seiner Freiheit. Einpassen in die Gott gegebene Ordnung will er sich nicht. Und daran, liebe Schwestern und Brüder, hat sich nichts geändert. Auch wir sind Teil dieses Problems der Schöpfungsordnung, daß der Mensch immer der gleiche bleibt, unheilbar in seiner Selbst-Sucht. Stellen Sie sich vor, mit Gott verhielte es sich genauso … Dann hätten wir allen Grund anzunehmen, daß von jetzt an nicht mehr viel Zeit vergehen kann, bis Gott seinem Schmerz Luft macht und uns in die Schranken weist: eine neue Sintflut, wieder ein Todesurteil als einzige Möglichkeit, wie er sein Gottsein schützen kann, wie er - wieder und immer wieder - die ursprüngliche Schöpfungsordnung herstellen will. Neuschöpfung durch Vernichtung. Aber so geht die Geschichte nicht. So menschlich denkt Gott nicht. Die Noach-Geschichte erzählt vielmehr davon, daß Gott das zu tun vermag, was eigentlich uns Menschen gut anstünde: sich verwandeln.

2. Lesung: Gen 6,8;7,1-5

 

 

2. "Noah aber fand Gnade vor dem HERRN."

Warum gerade Noah? Der andere Erzähler erklärt das damit, dass Noah ein gerechter Mann und ohne Tadel gewesen sei, er also das Todesurteil nicht verdient habe.
Doch davon ist hier beim älteren Autor nicht die Rede. Er verliert kein Wort über Noahs Vorleben oder seinen Charakter.
Er verweist nicht auf Noah, sondern auf Gottes Gnade.

Fast könnte man meinen, der eine der Autoren, der ältere, der allein auf Gottes Gnade abhebt, sei evangelisch gewesen, und der jüngere, der die guten Werke und sein untadeliges Leben hervorhebt, sei katholisch gewesen.
Und der Redaktor, der beide Erzählströme zusammenfügte, zeigt, wie einfach doch die theologischen Streitigkeiten überwunden werden können: man stellt beide Theologien nebeneinander. Läßt beides gelten.
Und weil ich nun mal den evangelischen Part spiele, versuche ich, die Theologie des älteren Erzählers zur Sprache zu bringen:
"Noah aber fand Gnade vor Gott" - warum gerade er, das wissen wir nicht.
Es ist Gottes Gnade, die nicht zulassen kann, daß die ganze Schöpfung widerrufen wird.
Es ist Gottes Gnade, seine leidenschaftliche Liebe, die es einfach nicht übers Herz bringt, ein totales Strafgericht konsequent durchzuführen.
Gott ist eben kein Prinzip und Gott-sei-Dank auch kein Prinzipienreiter.
Nicht der Gott der Philosophen. Nicht der unbewegte Beweger. Gott hat ein Herz, nicht ein menschliches, sondern ein göttliches Herz. Und dieses Herz hat sich nun mal für den Menschen entschieden.
Und darum, so sagt dieser biblische Erzähler, darum hat Gott schon vor der Katastrophe, vor dem Strafgericht, den Mann ausersehen, an dem er später sein Schöpfungs- und sein Heilswerk wieder anknüpfen kann.
Indem er das Todesurteil spricht, schafft er zugleich den Weitergang und Fortbestand, schafft er zugleich die Hoffnung.
Das Nein, das Gott zum gottwidrigen Menschen gesprochen hat, hebt das große Ja Gottes, das am Anfang der Schöpfung steht nicht auf.

Und wieder: auch in die Hoffnung, auch in die Rettung ist "Bruder Tier" mit eingeschlossen - und zwar in der Vielgestalt der "reinen", d.h. der nützlichen und der "unreinen", der scheinbar nutzlosen und unerfreulichen Tiere.
Und nun sind die Begnadeten also alle in der Arche. Und da fügt der Erzähler wieder so ein seltsames Sätzlein hinzu:
"Und der HERR schloß hinter ihm zu." Wenn's nicht so ernst wäre, wär's fast zum Schmunzeln. Gott schließt die Tür.
Was soll das? Ein Ausleger schreibt - sehr originell: "Mit dem Schließen der Türe ist jetzt also jeder Verbindung zur Außenwelt abgeschnitten. Denn: Gott will keine Zuschauer, wenn er Gericht hält. Er duldet nicht, daß seine Geretteten, vielleicht gar als Selbstgerechte, durch die Fenster spähen oder an Deck promenieren, um zu sehen, wie die Welt untergeht."
Liebe Gemeinde, es soll Leute gegeben haben, fromme Christen, die angesichts der Katastrophe in New Orleans, die sie im Fernsehen mitverfolgen konnten, sagten, das sei die gerechte Strafe für diese sündige Stadt: Drogen, Sex, Alkohol, Gewalt, Abtreibung seien in diesem Sündenbabel allgegenwärtig.
Allerdings gab es Gott-sei-Dank auch viele andere, ebenfalls Christen, die die obdachlos Gewordenen in ihre Häuser und Wohnungen aufnahmen. So las ich in einer Wochenzeitung.

Lied: Lobe den Herren, alle die ihn ehren (GL 671,1.4-6)

3. Lesung:Gen 7,10-8,13

 

 

3 Sintflut und Taube

Abgekapselt sitzt Noah in der Arche, und mit ihm alle, die nach Gottes Geheiß vom Untergang bewahrt bleiben sollen. 40 Tage und 40 Nächte, so die biblische Zahl der großen Umkehr, haben sie Zeit, um in sich zu gehen, dort Gott zu begegnen und ihn zu verstehen: Wie muß ich werden? Was muß sich ändern? Ich stelle mit vor, daß da am Anfang ein ziemliches Gezwitscher und Gebrüll, ein schier heilloses Durcheinander gewesen sein muß drinnen im Bauch des Schiffes, daß Noah hin und her getigert ist zwischen Katz und Maus, Taube und Adler, sich zermartert hat über der Frage, was denn nun wirklich zu erwarten sei, ja, ob überhaupt etwas in Zukunft anzunehmen sei. Was in ihm und den anderen Verschonten vorgegangen ist, davon erfahren wir im biblischen Bericht nichts.
Liebe Schwestern und Brüder, von Gott auszugehen, ihm die Handlungsführung zu überlassen, das ist das eine: JHWH vernichtet in der Sintflut die Schöpfung so weit es nur irgend geht, um einen neuen Anfang zu machen. Es ergibt aber auch einen Sinn, die Bewohner der Arche in den Mittelpunkt zu stellen. Der Mensch muß sich um des Menschen willen für den Menschen Noah interessieren dürfen, an ihm ablesen, wie es gehen kann, mit Gott im reinen zu sein. Jedenfalls stelle ich mir weiter vor, daß nach einer gewissen Zeit in der Arche Ruhe eingekehrt ist, Ruhe vermischt mit Niedergeschlagenheit bis hin zu Angst. Wenn alles um mich herum dem Untergang anheim fällt, dürfen dann nicht Zweifel aufkommen, ob es mit mir gut ausgehen wird? Wie an vielen Stellen in der Bibel wird auch hier im Buch Genesis den Vertrauenskräften des Menschen nachgespürt. Ohne sie hätte aus den berechtigten Zweifeln eine tödliche Verzweiflung werden müssen; denn offenkundige und eindeutige Anhaltspunkte für das gelingen des Arche-Projekts gab es ja nicht. Wie Abraham später fährt Noah ins Ungewisse, nur auf das Geheiß seines Herrn hin. Natürlich, er hatte keine Wahl. Und genau dies ist der Punkt, den wir so oft nicht zu sehen bereit sind: daß wir nur die Wahl haben, es mit Gott zu wagen oder unterzugehen; daß uns nur die Einordnung in Gottes Kosmos bleibt, die Unterordnung unter seine Gesetze - oder eben der Untergang. Daß die erste Option aber auch das Leben in sich birgt, allem äußeren Anschein zum Trotz.
Ich darf mit in die Arche, ich sitze bereits drin. Ich muß nur lernen, zum rechten Zeitpunkt das Fenster aufzumachen, damit Licht ins Dunkel kommt. Ich muß mich wieder und wieder in Geduld üben, um den langem Atem Gottes für meine eigene Lebenskraft zu nützen. Ich werde es einmal, zweimal, dreimal probieren, die Taube ausfliegen lassen, meine Hand ausstrecken nach dem Ölblatt und dem freien Himmel. Gott hat es versprochen: Ich werde trockenen Boden unter den Füßen haben, immer wieder.
Liebe Schwestern und Brüder, solchen Glauben zu haben - das ist das Vermächtnis des Noah. Darum wieder und wieder im Gebet zu bitten, steht uns gut an.

4. Lesung Gen 8,20-22

 

 

Was ist das erste, das Noah, der bewahrte Mensch, tut, als er wieder die Erde betritt?
Er feiert einen Dankgottesdienst.
Und das ist wohl immer eines der Motive, der Funktionen des Gottesdienstes: der Dank für Bewahrung, indem wir unser bewahrtes Leben mit DEM verbinden, der es bewahrt hat.
Jeder Tag birgt viele Gründe, um Gott zu danken und sei es nur für die schlichte und doch wunderbare Tatsache, die der Dichter Wilhelm Raabe so ausdrückte:
"So schönes Wetter - und ich noch dabei!"

Aber nun das Eigentliche und Entscheidende, mit dem die Geschichte von der Sintflut schließt:
Gott hat den Fluch zurückgenommen und einen bleibenden Segen daraus gemacht.
Er hat in diese Erde, die allezeit um und um bedroht ist, eine Garantie der Hoffnung hineingelegt. W a r u m ? Was ist denn anders geworden? Etwa der Mensch? Etwa Noah und seine Nachkommen?

Nicht der Mensch, Gott sei's geklagt! "Denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist und bleibt verkehrt von Jugend auf."
Das klingt sehr pessimistisch. Aber wenn wir die Geschichte der Völker und Menschen studieren, dann ist sie über weite Strecken gezeichnet von Unrecht und Gewalt.
Nein, der Mensch hat sich wohl nicht grundsätzlich zum Guten gewandelt. Das ist die biblische Sicht, der biblische Realismus.

Aber nun wagt der biblische Erzähler eine atemberaubend kühne Aussage: Der Mensch ist derselbe geblieben, aber Gott ist nach der Flut ein anderer geworden.
Für wen Gott ein ehernes Prinzip ist, also nur ein seiner Logik entsprungener Gedankengott, der kann hier nur die Nase rümpfen.

Wer aber gelten lässt, daß Gott die Liebe ist, wie es im 1. Johannes-brief heißt, der weiß auch, daß dieser Gott ein Herz hat, das sich berühren lässt, ein heißes Herz, das er, wie wir Christen glauben, in diese Eiswüste Welt hineingesenkt hat in jenem Menschen Jesus von Nazareth.
Gott, so heißt es hier in unserer Geschichte, resigniert nicht einfach angesichts seines Geschöpfes, das in sich den Hang zum Bösen hat. Die Liebe resigniert nie.
Nein, Gott liebt diesen Menschen, dich und mich, trotz unserer Verkehrtheit und Abgründigkeit.
Zum Zeichen dafür ist nun der Bund gestiftet:
"Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht."
Freilich, wir wissen es: Ein Versicherungsschein gegen Wirbelstürme, Erdbeben, Dürre- und Flutkatastrophen ist dieser Bund nicht.
Das Leben bleibt bedroht, und der Mensch ist wie er ist. Aber der Bund ist ein Hinweis auf das einzig Stabile und Tragfähige, den absolut tragfähigen und treuen Gott.
Er allein hält die helle Kugel mit dem flimmernden und zuckenden Licht in der Schwärze des Universums in seiner barmherzigen Hand. Und sein Herz bleibt wohl bekümmert.

Und noch etwas: Gott wird die Erde nicht mehr verfluchten - aber das heißt nicht, daß er auf ein Gericht verzichtet.
Wir haben es dankbar im Ohr: "Solange die Erde steht, wird nicht mehr aufhören Saat und Ernte."
Aber wir haben auch im Ohr das Wort des Apostels Paulus: "Irret euch nicht, Gott lässt seiner nicht spotten. Denn was der Mensch sät, das wird er ernten."

Es liegt also an uns. Denn das Gesetz von Säen und Ernten steht jetzt über allem, was wir tun und denken, was wir projektieren und produzieren - zum Segen und zum Gericht.

Und darum ist jener Appell, der vor mehr als 25 Jahren von einer ökumenischen Versammlung, fast möchte ich sagen: von einem ökumenischen Konzil unter der Schirmherrschaft des Physikers und Philosophen Carl Friedrich Weizsäcker ausgegangen ist, der bleibende und treibende Auftrag für uns Christen:
Der Aufruf, sich für die Gerechtigkeit und den Frieden einzusetzen und für die Bewahrung der Schöpfung.
Wir leben unter einer großen Verheißung, liebe Freunde, wir sind hineingenommen in den Bund Gottes, der seinen Segen nicht mehr von der Erde nehmen wird. Und darum gilt für uns, die wir von ihm wissen, nicht mehr das frivole Wort der Madame Pompadour: "Nach uns die Sintflut!"
Sondern für uns gilt: "Vor uns das Reich des Christus, der neue Himmel und die neue Erde, in denen Gerechtigkeit wohnt."

Dieses Neue aber hat Gott jetzt schon auf der alten Erde beginnen lassen in dem Einen, dessen Platzhalter Noah im Grunde war: Jesus Christus.
Diese Neue will durch uns, seine Brüder und Schwestern, weiterwachsen -, nach eben dem Gesetz von Saat und Ernte. Denn, sagt der Prophet, wer Gerechtigkeit sät, wird Frieden Ernten!
Gott helfe uns dazu. Amen

 

 

Fürbitten


Im Namen aller Gemeinden, die als Christen zusammen leben, rufen wir den Herrn, unseren Gott an:

· Wir bitten für Menschen aller Lebensalter, für alle, die - jung oder alt - zusammengehören und miteinander durchs Leben gehen: daß sie durch nichts voneinander getrennt werden.

· Wir bitten für unsere Kinder um eine glückliche Jugend: daß ihnen nichts Böses zustößt, daß sie nicht verbildet werden, daß sie Menschen finden, die mit ihnen gehen.

· Wir bitten für die jungen Menschen, die das Leben noch vor sich haben: daß sie offen ihrer Zukunft entgegen gehen, mit Unsicherheiten zu leben wagen und den Enttäuschungen gewachsen sind.

· Wir bitten für alle, die mitten im Leben stehen: daß sie nicht sich selbst suchen, sondern das Wohl des anderen, daß sie die Erde bewohnbar halten auch für die nächste Generation.

· Wir beten für alle erwachsenen Menschen: daß sie - ob in der Ehe oder ehelos, nicht einsam sind, daß sie Freundschaften suchen und zunehmen an Menschlichkeit.

· Wir beten für alle betagten und alten Menschen: daß ihr Herz jung bleibt und daß sie mit ihren Lebenserfahrungen vielen beistehen können.

· Wir beten für uns selbst, für alle, die hier miteinander feiern: daß wir durch Gottes Gnade neue Menschen werden, daß wir Zwietracht und Mißtrauen aus unserer Mitte verbannen.

Dazu bewahre uns Gott, der Herr, durch seinen Sohn Jesus Christus - heute und an allen Tagen bis in Ewigkeit. Amen.

 

 

 

 

 

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