Predigten

 

Predigt zu den Seligpreisungen (Mt 5, 1-12)

St. Michael an Allerheiligen 2001

In unserem Lobpreis, in unserer Danksagung am Fest aller Heiligen stehen wir in der Ge-meinschaft der Heiligen, all derer, deren menschliches Wirken Gott erfüllt und vollendet hat.
Im heutigen Evangelium ermuntert uns Jesus, auch in unserem Tun, in unserem Verhalten, den Himmel zu öffnen.
Wir wollen Gott loben und danken dafür, daß allen Menschen das Angebot zugesprochen wird, heil zu werden.

Man möchte geradezu mit dem Psalmisten singen:

Wohl den Menschen, die Kraft finden in dir, wenn sie sich zur Wallfahrt rüsten
Ziehen sie durch das trostlose Tal, wird es für sie zum Quellgrund, und Frühregen hüllt es in Segen.
Sie schreiten dahin mit wachsender Kraft; dann schauen sie Gott auf dem Zion.

Heilig, heil sein heißt integer sein, nicht ausschließlich auf der moralischen Ebene, sondern ganzheitlich verstanden.

Das Gegenteil ist krank, das heißt beziehungslos wie Sandkörner am Meer liegen;
atomisiert - wie eine Monade;
im Gefängnis des Ich, nur die eigenen Ziele verfolgend.
Wir wissen um die Fragmentarität, um die Flüchtigkeit unseres Tuns; wir sind oft nicht wirk-lich präsent in unserem Tun.
Wir brauchen Gottes Mithilfe, Stärkung und Erbarmen, darum bitten wir...


Wenn dich einer auf die eine Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin. Was heißt diese Forderung nach dem 11. September. Sollen wir weitere Türme und Flugzeuge zur Zer-störung anbieten?

Also hatte Bismarck doch recht, wenn er meinte, mit der Bergpredigt lasse sich keine Politik machen - ich will jetzt nicht die Frage vertiefen, ob es dann überhaupt christliche Politik ge-ben kann. Auch Luther könnten wir zustimmen, der festgestellt hat, daß man mit den Selig-preisungen nicht aufs Rathaus gehen könne.

Also beschränken wir am besten doch die Seligpreisungen, diese fulminante Ouvertüre der sogenannten Bergpredigt, dieses umstrittene Stück Weltliteratur, geradezu ein Prisma der Rede, der Lehre Jesu, quasi ein Bergkristall, in dem sich das Licht in ein buntes Spektrum aufbricht, beschränken wir die Seligpreisungen, auf den privaten Frömmigkeitskontext, auf das stille Kämmerlein, auf die private Beziehungspflege zu Gott.

Aber wie ernst nehmen wir dann die Verheißungen, die Jesus seinen Jüngern, dann der Menge, die sich um ihn versammelt hat und uns zuspricht. Wie ernst nehmen wir die von ihm angesprochenen Verhaltensweisen: keine Gewalt anwenden, hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, Frieden schaffen, das sind Regeln, die den Privatsektor weit übersteigen, ihn auf-sprengen. Die betreffen unser soziales, gesellschaftliches, auch religiöses Zusammenleben.

Und ein zweites Gegenargument: Jesus steigt wie Mose auf den Berg, da schwingt die Gesetzesverkündigung auf dem Sinai mit, durch die das Volk zum Volk Gottes wurde. Er steigt auf den Berg, um das für diese Gemeinschaft gegebene Gesetz, die Anweisungen zum rechten Leben und Zusammenleben, recht auszulegen, um die wahre Gerechtigkeit zu predigen.

Die Seligpreisungen sind im Indikativ formuliert, nicht im Imperativ wie der Dekalog, den Mose empfangen hat. Jesus erzählt in dieser Auslegung des Dekalogs in den Seligpreisungen die eigene Erfahrung der Wirklichkeit, die Urrealität Gottes, die ihm tagtäglich in ihrer Vollkommenheit offenbar ist. Aus der Fülle des Herzens redet der Mund. Jesus bietet mit seinem Wort den Menschen das Leben an, das Leben in Fülle, das nicht in einer Frömmigkeitsmonade zu finden ist, das dort einbricht, aufbricht, zu wachsen beginnt, wo die Beziehung zu mir, zum Mitmenschen und zu Gott stimmig ist. In diese drei Dimensionen sind die Zusagen der Seligpreisungen einzuordnen, nicht allein in die Ebene der privaten Frömmigkeit.

Die Seligpreisungen sind eine Art Profil des Glaubenden, eines Menschen, der in der Kraft seines Glaubens Gewaltiges bewirken kann - wir erinnern uns an die Versetzung des Maulbeerbaumes. Dort war vom Glaubensakt die Rede, von der Kraft, die aus dem Grundvertrauen auf Gott erwächst, von einer Kraft, die auch furchtbares Unheil anrichten kann, wie Beispiele der Geschichte und jüngste Ereignisse erschreckend deutlich werden lassen. Das Basisprogramm, Profil, das Jesus mit den Seligpreisungen, vorstellt, weist einen anderen Weg für den Glaubenden:

Er ist glücklich, wenn er arm, bettelarm ist im Geist, wie es in uns geläufigen Übersetzungen heißt. Wir wissen, daß Übersetzungen von einer Sprach- und Denkwelt in eine andere nie rein mechanisch und damit glatt ablaufen können, sondern Interpretationen sind - und sehr rasch zu Verengungen und Mißverständnissen führen können: Wenn Schopenhauer meinte, es sei an dieser Stelle von einem Mangel an Geistesbildung, von einem faden Bewußtsein die Rede ist dies ein sprechendes Beispiel dafür, daß nicht nur die Aussage der griechischen Begriffe nicht getroffen wurde, sondern noch viel weniger, die Bild- und Sinngehalte der hebräischen oder aramäischen Sprache, in der ja Jesus gelehrt hat. Wir müssen also hinter dem griechischen Text unseres NT noch einen Übersetzungsvorgang mitbedenken:

Die Armen sind soziale Notfälle und Randgruppen, denen schon im AT der Freudenbote die Verheißung der Befreiung im Jubeljahr brachte; sie sind aber nicht nur wirtschaftlich schwach, sie sind aber auch innerlich arm, ihnen fehlt etwa die Selbstsicherheit; dieses Armsein bringt sie dazu, nichts von sich selbst und alles von Gott zu erwarten. Die Armen im Geist sind also die, die sich vor Gott als bedürftige Bettler verstehen, die alles von ihm er-warten, die wohl wissen, daß sie Gottes Reich nicht herbeizwingen können, nicht für die Welt und nicht für sich. Es sind die Glaubenden, die offen sind für die Wahrnehmung des Wirkens Gottes, die offen sind für seine schöpferische Liebe, die offen sind für den lebenschaffenden Geist Gottes...

Glücklich zu schätzen sind die, die Trauer zulassen können, die Schmerz über angetanes oder erlittenes Unrecht nicht verdrängen, sondern durchleben können. Die Trauer empfinden, wenn Gottes Wirken und Wille mißachtet werden, die bedrückt sind von der Weltordnung, sich aber nicht erdrücken lassen wollen. Wenn wir die Trauer akzeptieren, nicht als unabänderliche, sondern als Not-wendende Aufgabe, wenn wir an ihr und mit ihr arbeiten, dann ist Gott in diesem Prozeß mit tätig, hilft uns dabei, dann können wir auch Trauer als Weg zur Befreiung, zu Neujustierung erfahren, dann erwächst uns Trost, werden wir getröstet.

Glücklich sind die zu nennen, die sanftmütig sind, die milde und freundlich sind, die innerlich gelassen und wohlwollend bleiben, auch in der Auseinandersetzung, mit denen, die ihnen nachstellen, die sie bedrücken. Das hat sehr wenig mit einem tölpelhaften Geduldslamm zu tun und sehr viel mit Einsicht, Ausgeglichenheit, Weisheit, mit der Zuversicht, daß die Sanft-mut die Gewalt überwindet, durchbricht, daß die Gewalt, konfrontiert mit diesem Mut zur Gelassenheit und Ausgeglichenheit, ihre Unordnung entdeckt.

Glücklich, auf dem Weg zum Heil sind wir wenn wir danach hungern und dürsten gerecht zu sein, wenn wir mit allen Fasern unseres Seins uns einsetzen wollen für die Gerechtigkeit, die weit mehr ist als bloße Verteilungsgerechtigkeit; wir müssen hier das hebräische zaddik als Gottesprädikat mitschwingen hören - also eine Einheit von Gerechtigkeit, Güte und Liebe. Carl Friedrich von Weizsäcker umschreibt diese Haltung von Platon her mit "vollendeter Geistesgegenwart". Wenn du ganz gegenwärtig bist, in dem, was du tust, das heißt, daß du das deine tust, daß du das tust, was zu tun dir zufällt. Also keine mechanischen Verrichtungen, sondern mit ganzem Ernst und vollem Einsatz im Präsens tun - wie ein Kind so ganz im Spiel aufgehen kann. - Mit diesem Zu- und Anspruch wird gleichsam ein Sauerteig in uns einge-pflanzt, diese Gerechtigkeit des Schöpfers in heiliger Ungeduld zu verwirklichen, die Schuldigkeit des Bedürftigen zum Maßstab zu machen, Gott in der Begegnung mit den Armen, den Fremden, den Aussätzigen, den Witwen und Waisen gerecht zu werden. Der soziale Aspekt kommt wesentlich zum religiösen hinzu. Man kann nicht als einzelner Frommer gerecht werden.

Die Freude über den Barmherzigen schließt sich nahtlos an ein solches Verständnis von Ge-rechtigkeit an. Erbarmen zu üben ist vor allem eine Sache Gottes. Sie wird hier den Jüngern nahegelegt, denn Gott will Barmherzigkeit, nicht Opfer; Gott will, daß der Mensch werde, der er ist, ein Ebenbild seines Schöpfers, vollkommen, wie der Vater im Himmel vollkommen ist, heißt es im Fazit der Bergpredigt. Wie diese Barmherzigkeit realisiert wird, veranschaulicht Jesus im Gleichnis vom barmherzigen Samariter: Ohne Ansehen der Rasse, des Standes, des Geschlechts, der Religion da zu sein, für den Menschen, der mich gerade braucht - so wie die Mutter mit ihrem Kind mitleidet, den Schmerz mitträgt, es nicht verstößt, auch wenn es sich abwendet (rachamim von rähäm).

Sanftmütige, Gerechte, Barmherzige werden ein reines Herz haben, sie werden eine ungeheuchelte Gesinnung haben, gegen Gott und die Menschen, die aufrichtig sind, ohne Trug, ohne Geltungsdrang oder Gewinnsucht. Sie haben ein nicht von Vorurteilen und vorschnellen Urteilen verstelltes Bewußtsein und Wahrnehmungsvermögen. Das ist die Voraussetzung, um in den Tempel eingelassen zu werden, um Gott schauen zu können. Gottesschau spricht die eschatologische Dimension an, ohne Zweifel; mir scheint es aber auch nicht falsch zu sein, auch die präsentische mitzuhören: Sie werden Gottes Wirken, das sich in allem Geschaffenen zeigt, erkennen, erfahren, sie können hinter dem Vordergründigen den tragenden Grund erkennen.

Glücklich, die Frieden schaffen, die zuinnerst mitwirken an Gottes Schöpfungstat, denn Schalom, Friede im biblischen Verständnis ist letztlich die Summe des Heils, die nur von Gott gewirkt werden kann. Schalom meint Ganz-Sein in meinem Inneren, meint eins Sein mit Gott und mit den Menschen. Schalom bezieht sich auf den sozialen, den politischen, den religiösen Bereich, auf Natur und Kultur. Aber wer sich so auf Gott einläßt, wer sich Gott so angleicht, der kann mitwirken an der Versöhnung, am Ausgleich, in seiner näheren Umgebung, aber auch im politischen Bereich.
Friede ist Art Gottes
Der Messias ist der Friedensbringer
Söhne Gottes, nicht Kinder Gottes, mitverantwortliche Akteure
Das rabbinische Bild: Feuer, Wasser, Kochtopf, Speise.

Ist das nun alles Utopie, soll das keinen Platz finden können in unserer Welt, in unserem Leben, ein Programm nur für wenige Auserwählte, für eine religiöse Aristokratie?
Es gehört zum Menschen, das Unerreichbare anzustreben, Gegebenheiten nicht als unveränderlich hinnehmen.
"Ich bin sogar der Meinung, daß diese Bergpredigt völlig realistisch ist, wenn unsere zerstrittene Welt nicht an Selbstzerfleischung zugrunde gehen soll... Denn wenn Angst, Egoverkrampfung und Gehässigkeit weiterwuchern, wer soll uns dann vom globalen Selbstmord retten..." (Pinchas Lapide)

Wenn wir vollkommen sein sollen und wollen, wie Gott, dann müssen wir an diesem Profil arbeiten, immer wieder, immer wieder neu, dann müssen wir unserem Denken, Wahrnehmen, Trachten und Tun diese andere Richtung geben - im Vertrauen darauf, daß Gott mitwirkt, daß er unser Tun bewirkt und in der Zuversicht, daß auch aus einem Senfkorn ein großer Strauch werden kann.
Amen


 

 

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