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Predigt
zu den Seligpreisungen (Mt
5, 1-12) St. Michael an Allerheiligen 2001 In unserem Lobpreis,
in unserer Danksagung am Fest aller Heiligen stehen wir in der Ge-meinschaft
der Heiligen, all derer, deren menschliches Wirken Gott erfüllt
und vollendet hat. Man möchte
geradezu mit dem Psalmisten singen: Heilig, heil sein
heißt integer sein, nicht ausschließlich auf der moralischen
Ebene, sondern ganzheitlich verstanden.
Aber wie ernst nehmen
wir dann die Verheißungen, die Jesus seinen Jüngern, dann
der Menge, die sich um ihn versammelt hat und uns zuspricht. Wie ernst
nehmen wir die von ihm angesprochenen Verhaltensweisen: keine Gewalt
anwenden, hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, Frieden schaffen,
das sind Regeln, die den Privatsektor weit übersteigen, ihn auf-sprengen.
Die betreffen unser soziales, gesellschaftliches, auch religiöses
Zusammenleben. Und ein zweites Gegenargument: Jesus steigt wie Mose auf den Berg, da schwingt die Gesetzesverkündigung auf dem Sinai mit, durch die das Volk zum Volk Gottes wurde. Er steigt auf den Berg, um das für diese Gemeinschaft gegebene Gesetz, die Anweisungen zum rechten Leben und Zusammenleben, recht auszulegen, um die wahre Gerechtigkeit zu predigen. Die Seligpreisungen sind im Indikativ formuliert, nicht im Imperativ wie der Dekalog, den Mose empfangen hat. Jesus erzählt in dieser Auslegung des Dekalogs in den Seligpreisungen die eigene Erfahrung der Wirklichkeit, die Urrealität Gottes, die ihm tagtäglich in ihrer Vollkommenheit offenbar ist. Aus der Fülle des Herzens redet der Mund. Jesus bietet mit seinem Wort den Menschen das Leben an, das Leben in Fülle, das nicht in einer Frömmigkeitsmonade zu finden ist, das dort einbricht, aufbricht, zu wachsen beginnt, wo die Beziehung zu mir, zum Mitmenschen und zu Gott stimmig ist. In diese drei Dimensionen sind die Zusagen der Seligpreisungen einzuordnen, nicht allein in die Ebene der privaten Frömmigkeit. Die Seligpreisungen
sind eine Art Profil des Glaubenden, eines Menschen, der in der Kraft
seines Glaubens Gewaltiges bewirken kann - wir erinnern uns an die Versetzung
des Maulbeerbaumes. Dort war vom Glaubensakt die Rede, von der Kraft,
die aus dem Grundvertrauen auf Gott erwächst, von einer Kraft,
die auch furchtbares Unheil anrichten kann, wie Beispiele der Geschichte
und jüngste Ereignisse erschreckend deutlich werden lassen. Das
Basisprogramm, Profil, das Jesus mit den Seligpreisungen, vorstellt,
weist einen anderen Weg für den Glaubenden: Er ist glücklich,
wenn er arm, bettelarm ist im Geist, wie es in uns geläufigen Übersetzungen
heißt. Wir wissen, daß Übersetzungen von einer Sprach-
und Denkwelt in eine andere nie rein mechanisch und damit glatt ablaufen
können, sondern Interpretationen sind - und sehr rasch zu Verengungen
und Mißverständnissen führen können: Wenn Schopenhauer
meinte, es sei an dieser Stelle von einem Mangel an Geistesbildung,
von einem faden Bewußtsein die Rede ist dies ein sprechendes Beispiel
dafür, daß nicht nur die Aussage der griechischen Begriffe
nicht getroffen wurde, sondern noch viel weniger, die Bild- und Sinngehalte
der hebräischen oder aramäischen Sprache, in der ja Jesus
gelehrt hat. Wir müssen also hinter dem griechischen Text unseres
NT noch einen Übersetzungsvorgang mitbedenken: Die Armen sind soziale
Notfälle und Randgruppen, denen schon im AT der Freudenbote die
Verheißung der Befreiung im Jubeljahr brachte; sie sind aber nicht
nur wirtschaftlich schwach, sie sind aber auch innerlich arm, ihnen
fehlt etwa die Selbstsicherheit; dieses Armsein bringt sie dazu, nichts
von sich selbst und alles von Gott zu erwarten. Die Armen im Geist sind
also die, die sich vor Gott als bedürftige Bettler verstehen, die
alles von ihm er-warten, die wohl wissen, daß sie Gottes Reich
nicht herbeizwingen können, nicht für die Welt und nicht für
sich. Es sind die Glaubenden, die offen sind für die Wahrnehmung
des Wirkens Gottes, die offen sind für seine schöpferische
Liebe, die offen sind für den lebenschaffenden Geist Gottes... Glücklich zu
schätzen sind die, die Trauer zulassen können, die Schmerz
über angetanes oder erlittenes Unrecht nicht verdrängen, sondern
durchleben können. Die Trauer empfinden, wenn Gottes Wirken und
Wille mißachtet werden, die bedrückt sind von der Weltordnung,
sich aber nicht erdrücken lassen wollen. Wenn wir die Trauer akzeptieren,
nicht als unabänderliche, sondern als Not-wendende Aufgabe, wenn
wir an ihr und mit ihr arbeiten, dann ist Gott in diesem Prozeß
mit tätig, hilft uns dabei, dann können wir auch Trauer als
Weg zur Befreiung, zu Neujustierung erfahren, dann erwächst uns
Trost, werden wir getröstet. Glücklich sind
die zu nennen, die sanftmütig sind, die milde und freundlich sind,
die innerlich gelassen und wohlwollend bleiben, auch in der Auseinandersetzung,
mit denen, die ihnen nachstellen, die sie bedrücken. Das hat sehr
wenig mit einem tölpelhaften Geduldslamm zu tun und sehr viel mit
Einsicht, Ausgeglichenheit, Weisheit, mit der Zuversicht, daß
die Sanft-mut die Gewalt überwindet, durchbricht, daß die
Gewalt, konfrontiert mit diesem Mut zur Gelassenheit und Ausgeglichenheit,
ihre Unordnung entdeckt. Glücklich,
auf dem Weg zum Heil sind wir wenn wir danach hungern und dürsten
gerecht zu sein, wenn wir mit allen Fasern unseres Seins uns einsetzen
wollen für die Gerechtigkeit, die weit mehr ist als bloße
Verteilungsgerechtigkeit; wir müssen hier das hebräische zaddik
als Gottesprädikat mitschwingen hören - also eine Einheit
von Gerechtigkeit, Güte und Liebe. Carl Friedrich von Weizsäcker
umschreibt diese Haltung von Platon her mit "vollendeter
Geistesgegenwart". Wenn du ganz gegenwärtig bist, in dem,
was du tust, das heißt, daß du das deine tust, daß
du das tust, was zu tun dir zufällt. Also keine mechanischen Verrichtungen,
sondern mit ganzem Ernst und vollem Einsatz im Präsens tun - wie
ein Kind so ganz im Spiel aufgehen kann. - Mit diesem Zu- und Anspruch
wird gleichsam ein Sauerteig in uns einge-pflanzt, diese Gerechtigkeit
des Schöpfers in heiliger Ungeduld zu verwirklichen, die Schuldigkeit
des Bedürftigen zum Maßstab zu machen, Gott in der Begegnung
mit den Armen, den Fremden, den Aussätzigen, den Witwen und Waisen
gerecht zu werden. Der soziale Aspekt kommt wesentlich zum religiösen
hinzu. Man kann nicht als einzelner Frommer gerecht werden. Die Freude über
den Barmherzigen schließt sich nahtlos an ein solches Verständnis
von Ge-rechtigkeit an. Erbarmen zu üben ist vor allem eine Sache
Gottes. Sie wird hier den Jüngern nahegelegt, denn Gott will Barmherzigkeit,
nicht Opfer; Gott will, daß der Mensch werde, der er ist, ein
Ebenbild seines Schöpfers, vollkommen, wie der Vater im Himmel
vollkommen ist, heißt es im Fazit der Bergpredigt. Wie diese Barmherzigkeit
realisiert wird, veranschaulicht Jesus im Gleichnis vom barmherzigen
Samariter: Ohne Ansehen der Rasse, des Standes, des Geschlechts, der
Religion da zu sein, für den Menschen, der mich gerade braucht
- so wie die Mutter mit ihrem Kind mitleidet, den Schmerz mitträgt,
es nicht verstößt, auch wenn es sich abwendet (rachamim von
rähäm). Sanftmütige,
Gerechte, Barmherzige werden ein reines Herz haben, sie werden eine
ungeheuchelte Gesinnung haben, gegen Gott und die Menschen, die aufrichtig
sind, ohne Trug, ohne Geltungsdrang oder Gewinnsucht. Sie haben ein
nicht von Vorurteilen und vorschnellen Urteilen verstelltes Bewußtsein
und Wahrnehmungsvermögen. Das ist die Voraussetzung, um in den
Tempel eingelassen zu werden, um Gott schauen zu können. Gottesschau
spricht die eschatologische Dimension an, ohne Zweifel; mir scheint
es aber auch nicht falsch zu sein, auch die präsentische mitzuhören:
Sie werden Gottes Wirken, das sich in allem Geschaffenen zeigt, erkennen,
erfahren, sie können hinter dem Vordergründigen den tragenden
Grund erkennen. Glücklich,
die Frieden schaffen, die zuinnerst mitwirken an Gottes Schöpfungstat,
denn Schalom, Friede im biblischen Verständnis ist letztlich die
Summe des Heils, die nur von Gott gewirkt werden kann. Schalom meint
Ganz-Sein in meinem Inneren, meint eins Sein mit Gott und mit den Menschen.
Schalom bezieht sich auf den sozialen, den politischen, den religiösen
Bereich, auf Natur und Kultur. Aber wer sich so auf Gott einläßt,
wer sich Gott so angleicht, der kann mitwirken an der Versöhnung,
am Ausgleich, in seiner näheren Umgebung, aber auch im politischen
Bereich. Ist das nun alles
Utopie, soll das keinen Platz finden können in unserer Welt, in
unserem Leben, ein Programm nur für wenige Auserwählte, für
eine religiöse Aristokratie? Wenn wir vollkommen
sein sollen und wollen, wie Gott, dann müssen wir an diesem Profil
arbeiten, immer wieder, immer wieder neu, dann müssen wir unserem
Denken, Wahrnehmen, Trachten und Tun diese andere Richtung geben - im
Vertrauen darauf, daß Gott mitwirkt, daß er unser Tun bewirkt
und in der Zuversicht, daß auch aus einem Senfkorn ein großer
Strauch werden kann. |