|
Mehr Kirche
- mehr Glaube -
mehr Gott?
Predigt über Lk 18,8b-14
(Thomas Steiger)
Ehrenamtlichenfest
13.1.2006 - St. Michael Tübingen
Es kann Ihnen kaum entgehen,
liebe Schwestern und Brüder, daß jenes Beispiel, das Jesus
nach dem Zeugnis des Evangelisten Lukas wählt, um über Gerechtigkeit
- und zwar in Glaubensangelegenheiten und damit vor Gott - etwas auszusagen,
daß dieses Beispiel eine gezielte Provokation ist. Wenn es bei
Ihnen nicht so angekommen ist, dann müßte ich es nochmals
lesen
(??)
Denn tatsächlich will
Jesus hier allen Selbstzufriedenen, Berufsoptimisten und Schönrednern
eine Breitseite verpassen: Gebt acht, ihr frommen Beter, ihr, die ihr
mit Gott und euch selbst im reinen zu sein meint! Prüft lieber,
ob euer Glaube wirklich Glaube ist, oder ein im Laufe der Lebensgeschichte
eingespieltes Instrument der Auto-Anästhesie, also der psychologischen
Narkose, um die Wirklichkeit schöner zu machen, als sie ist, sozusagen
ein religiöses Doping, das nur deshalb noch nicht aufgeflogen ist,
weil das eigene Existenz-System bislang stabil genug blieb mit ihr.
Aber wehe, wenn diese Praxis nicht mehr trägt, weil meine heile
Welt ins Wanken gerät und es ernst wird mit dem Glauben. Was, wenn
ich zum Räuber werde und es bemerke, zum Betrüger, Ehebrecher,
Zöllner?
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
der Vergleich des äußerlich frommen Pharisäers mit dem
innerlich frommen Zöllner zeigt recht deutlich, daß Gerechtigkeit
im Glauben keine Frage von sichtbaren Ergebnissen ist: Auch das leise,
nahezu unbemerkte Gebet kann heuchlerisch sein, wenn die Gottesanrede
nur ein Feigenblatt ist, um sofort wieder bei sich selber zu sein, und
eben nicht bei Gott. Daß diese große Gefahr den auf sich
selbst gerichteten Beobachtungen in Kirchenkreisen der jüngeren
Zeit innewohnt, darauf will ich aufmerksam machen. Es ist viel von neuer
Religiosität die Rede, vom Aufschwung im Glauben, von wachsender
Kirchlichkeit, von einem Aufbruch, der endlich wieder Gott ins Spiel
bringe in unserem Land, dem man zuvor eine zunehmende Gottvergessenheit
nachgesagt hatte. Tatsache ist, daß viele Menschen der Kirche
den Rücken gekehrt haben in den letzten Jahren; die Austritte auch
in unserer Gemeinde sprechen beredt davon. Unübersehbar war aber
im letzten Jahr und schon etwas zuvor auch die Tendenz etlicher, sich
wieder der Kirche zuzuwenden durch Taufe, Firmung, Eintritt, durch zumindest
sporadisches Interesse am Gemeindeleben. Die Ereignisse um und mit den
Päpsten im vergangenen Jahr schienen dies befördert und verstärkt
zu haben. Allerdings sage ich "schienen", und dem entnehmen
Sie zumindest eine gewisse Skepsis meinerseits, daraus nun die große
Trendwende abzuleiten. Sie nämlich käme mir, um das Beispiel
Jesu dafür zu bemühen, allzu pharisäisch vor. Wie eine
Kirche, die aus dem Winkel der aufgezwängten Schüchternheit
heraustritt, um sich selber einzureden: Ach, Gott, es ist doch alles
gar nicht so schlimm; wir waren doch immer schon die besseren, tun,
was recht ist - die anderen haben's bloß nicht gemerkt!
Die Frage des Menschensohnes
aber ist eine andere, eine sehr, sehr grundsätzliche. Und eben
die kann ich und darf niemand, der Jesus in die Mitte der Kirche stellen
will, ausblenden: Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, auf der
Erde (noch) Glauben vorfinden? Es ist die Frage nach dem innersten Innern
von Glauben, wenn wir alles Ikonische des Sterbens und der Beerdigung
von Papst Johannes Paul II. wegnehmen, wenn wir die großen Bilder
der Amtseinführung seines Nachfolgers abziehen, wenn wir die mediale
Wirksamkeit des Weltjugendtags so bewerten, wie es ihr zukommt: als
Begleiterscheinung, die nicht den Inhalt ersetzen darf. Wo also der
Glaube? Es gilt nun zu überlegen, kritisch, ehrlich, was sich denn
nun wirklich geändert hat, und ob das wirklich etwas mit dem zu
tun hat, was der Menschensohn sich sehnlichst wünscht, wo er aber
doch skeptisch seine Bedenken anmeldet. Lukas greift diese Frage Jesu
ja nicht deshalb auf, weil er der Religiosität des Menschen nichts
zutraut, sondern weil er echten Glauben will - kein Strohfeuer, keine
Events, die lediglich an der Oberfläche haften bleiben. Er wünscht
sich, daß hinter dem, was der Mensch in bezug auf Gott tut, eine
glaubwürdige, persönliche, tragende Entscheidung steht.
Vielleicht, liebe Schwestern
und Brüder, würde es uns helfen, wenn wir uns selbst prüften,
ob denn die Ereignisse des vergangenen Jahres in uns etwas verändert
haben: Ist es ein Mehr an Identifikation mit meiner Kirche? Ist es nur
das? Oder hat damit auch Gott einen anderen Stellenwert erhalten in
meiner Lebensweise, in meinen Prinzipien. So ein Blick auf den eigenen
Glauben könnte uns dabei helfen, das Glauben anderer nüchterner
und realistischer zu betrachten - und damit die Verhältnisse in
unserer Gesellschaft, in unserem Land. Wahrscheinlich müssen wir
dabei unser starkes persönliches Engagement hier in St. Michael/St.
Pankratius abziehen, damit unser Blick nicht getrübt, gefärbt
ist von den ach so normalen Eigengesetzen des Gemeindelebens. Das Leben
in einer Gemeinde, die Zugehörigkeit zur Kirche ist ja nicht einfach
identisch mit dem Glauben, nicht gleichbedeutend mit unserer Nähe
zu Gott. Dieses Fragezeichen richtete der Evangelist Lukas schon damals
unmißverständlich an die Christen, für die er schreibt,
und es bleibt sehr deutlich aufgerichtet, wenn wir ein Mehr an Kirche
erleben: Verbirgt sich dahinter wirklich ein Mehr an Glaube, an Gott?
Ich wünsche mir das
sehr, so sehr wie die Religionssoziologen, wie unser Bischof, der darauf
auch in seiner Neujahrsansprache heute vor einer Woche eingegangen ist.
Ich zitiere die entsprechende Stelle:
Ich meine die empirisch erhobene
Wahrnehmung, daß Gott wieder wichtiger wird in unserer zeitgenössischen
Kultur. Wir erleben gegenwärtig eine neue Sensibilität für
Religion und für Spiritualität. Theologen und Religionswissenschaftler
gehen davon aus, daß Religiosität wieder eine zunehmend sichtbare
Rolle spielt. Viele Menschen reagieren auf den sozialen Wandel, auf
politische Umbrüche, auf eine generelle Verunsicherung mit der
Suche nach oder dem Wiederfinden von verläßlichen Orientierungen.
Der Mensch sei nun einmal "ein religiöses Wesen, das auf absolute
Ewigkeit wartet."
In einem bösartigen
Leserbrief hat einer in Tübingen bekannter Religionswissenschaftler,
ehedem Prof. an der Evangelisch-Theologischen Fakultät, unseren
Bischof attackiert und mit beißendem Spott überzogen. Das
hat Bischof Gebhard nicht nur nicht verdient, nein, es entbehrt auch
einer ernsthaften Betrachtung der Verhältnisse. Denn das sich hier
soziologisch beobachtbar etwas verändert (hat), das ist offenkundig.
Aber was das ist, ja, da wäre ich vorsichtig, da würde ich
mir als Pfarrer wünschen, daß wir als Gemeinde dem aus der
Tiefe des Evangeliums und der persönlichen Gottesbeziehung entgegen
sehen.
Im Beispiel Jesu geht am
Ende der Zöllner als Gerechter vor Gott nach Hause. Und der Zöllner
ist wohl der, der nicht zur Gemeinde gehört, der keine Kirchensteuer
zahlt, der sich nicht ehrenamtlich engagiert, der selten betet und so
gut wie nie zum Gottesdienst ging bislang, der aber - und das ist die
Pointe! - im richtigen Augenblick seiner Biographie sich als Sünder
versteht und die Gnade dessen erbittet, den er als den Größeren
anerkennt.
Liebe Brüder, liebe
Schwestern, ich will damit nicht sagen, alle, die zu einer Gemeinde
gehören, seien deshalb Pharisäer; das wollte ich für
mich nicht und könnte es für Sie nicht wünschen. Gleichwohl
könnte es nützlich sein, uns die Unterscheidung in der Frömmigkeit,
im Glauben zwischen den beiden Prototypen da bei Lk einzuprägen
- und daraus Gewinn zu ziehen für die Entwicklung des Glaubens
und der individuellen Glaubenswege in unserer Gemeinde. Wenn wir die
Hoffnung einlösen wollen, die allenthalben in Kirchenkreisen beschworen
wird, dann müssen wir in diesem Sinne kritisch und am Ball bleiben.
Gestatten Sie mir, daß ich abschließend dazu ein paar konkrete
Wünsche und Hoffnungen meinerseits an Sie weitergebe:
- · Die individuellen
Wege zu Gott, als glaubender Mensch, werden künftig eine noch
größere Rolle spielen als bislang. Den Typus der standardisierten
Kirchensozialisation wird es weniger denn je geben. Um so wichtiger
ist es, daß unsere Gemeinde ein Ort ist, in dem jede Lebensgeschichte
mit ihren Brüchen und Verwerfungen einen angemessenen, ja den
gleichen Platz hat.
- · Die Konfrontation
mit Sünde und schuldhaften Verstrickungen gehört zum Alltag
eines jeden Menschen. Dies zu akzeptieren und damit angemessen umzugehen,
wünsche ich mir dort, wo Gott ins Spiel kommt. Gemeinde muß
mehr zu einem Ort werden, an dem Versöhnung gelebt und gesehen
werden kann.
- · Um die Tiefe
des eigenen Glaubens zu erforschen und zu vertiefen, braucht es zweierlei:
angemessene Orte der Liturgie und dort v.a. der Stille, und einen
Resonanzraum im Austausch mit anderen Christen. Ich wünsche mir
deshalb einerseits, daß viele Menschen sich regelmäßig
sonntags zur Eucharistie versammeln, daran mitgestalten; anderseits
Begegnungen im nachbarschaftlichen Umfeld, die von alleine, aus glaubender
Eigeninitiative entstehen (Bibelteilgruppen, Hauskreise, Gebetszirkel).
- · Schließlich
und bewußt zuletzt will ich daran erinnern, daß Jesus
für ein Mehr an Leben einstand, ein Leben in Fülle wollte
für jeden einzelnen Menschen. Ein Mehr an Glauben soll zu einem
Mehr an Lebensmöglichkeiten für möglichst viele führen.
Dazu gibt es schöne und gelungene Beispiele in unserer Gemeinde
- an denen gerade Sie alle mitwirken! Danke! Je mehr andere bemerken,
daß dies bei uns so ist, und daß wir daran weiterbauen
wollen, desto mehr werden Menschen sich zum Glauben an einen Gott,
der dafür steht, begeistern lassen.
|