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Predigt
zu Eph 1, 15-20 am
4. Sonntag nach Epiphanias, 29.1.2006 Eberhardskirche
(Beate Schröder)
Liebe Gemeinde!
Der heutige Predigttext steht im ersten Kapitel des Epheserbriefes.
Der Apostel Paulus schreibt an die junge, christliche Gemeinde in Ephesus.
Persönlich kennt er die Christen dort nicht. Er hat sie noch nicht
besucht. Er weiß von ihnen nur aus Erzählungen. In nächster
Zeit wird er sie auch nicht besuchen können, denn er sitzt im Gefängnis.
Trotz seiner schwierigen Lage und der großen Entfernung möchte
er die Christen in Ephesus ermutigen und im Glauben stärken. Er
wählt große Worte. Und diese Worte fügt er zusammen
zu einem einzigen kunstvoll verschlungenen Satz.
Dieser Satz ist unser heutiges Evangelium. In der deutschen Übersetzung
hat man aus dem einen griechischen Satz mehrere Sätze gemacht,
damit wir ihn besser verstehen.
15-16: "Ich höre nicht auf, für euch zu danken, wenn
ich in meinen Gebeten an euch denke. Denn ich habe von eurem Glauben
an Jesus, den Herrn, und von eurer Liebe zu allen Heiligen gehört.
17: Der Gott Jesu Christi, unseres Herrn, der Vater der Herrlichkeit,
gebe euch den Geist der Weisheit und Offenbarung, damit ihr ihn erkennt.
18-19: Er erleuchte die Augen eures Herzens, damit ihr versteht,
- zu welcher Hoffnung ihr durch ihn berufen seid,
- welchen Reichtum die Herrlichkeit seines Erbes den Heiligen schenkt,
- und wie überragend groß seine Macht sich an uns, den Gläubigen,
erweist durch das Wirken seiner Kraft und Stärke.
20: Er hat sie an Christus erwiesen, den er von den Toten auferweckt
und im Himmel auf den Platz zu seiner Rechten erhoben hat,
21: hoch über alle Fürsten und Gewalten, Mächte und Herrschaften."
Liebe Gemeinde!
Der Gruß des Paulus an die Gemeinde in Ephesus ist voll großer
Worte, über die man predigen könnte. Ein Wort hat mich schon
beim ersten Lesen besonders angesprochen. Lassen Sie uns ein wenig bei
diesem Wort verweilen.
"Gott erleuchte die
Augen eures Herzens, damit ihr versteht zu welcher Hoffnung ihr durch
ihn berufen seid." (V. 18)
"Gott erleuchte die Augen eures Herzens..."
Hat denn das Herz Augen?
Ja, das Herz hat Augen. Natürlich
nicht im physischen Sinn, aber das Herz nimmt Dinge wahr, die unsere
Augen im Kopf nicht unbedingt wahrnehmen. Das weiß, wer schon
einmal verliebt war. Einen Menschen, den ich schon hundert Mal gesehen
habe, ohne dass er mir besonders aufgefallen wäre, lässt plötzlich
mein Herz schneller schlagen, ohne dass ich es kontrollieren könnte.
Auch wenn ich Angst habe,
beginnt mein Herz zu klopfen. Meine Augen haben vielleicht noch gar
nichts Beängstigendes wahrgenommen. Vielleicht war es nur ein Geräusch,
das mich beunruhigt hat, oder ein Schatten, der vorbei gehuscht ist.
Und doch habe ich plötzlich Angst. Die Augen des Herzens sehen
Dinge, die die Sinnesorgane nicht wahrnehmen.
Manchmal ist es hilfreich,
für einen Moment die Augen zu schließen, um die Bilder wahrzunehmen,
die aus dem eigenen Herzen kommen. Einzelne Bilder, Wünsche, Sehnsüchte...
Bilder, die entstehen, wenn ich die Augen schließe und Musik höre,
oder wenn ich einer Wolke am Himmel mit den Augen folge.
Mit den Augen des Herzen
kann ich einen anderen Menschen erspüren, seine Gefühle und
Stimmungen. Ich spüre, ob ich ihm nahe bin oder fern.
"Gott erleuchte die Augen eures Herzens..."
Mich erinnern die Worte des Paulus an eine kleine Geschichte aus dem
Büchlein "Der kleine Prinz" von De Saint-Exupery:
Der kleine Prinz trifft den Fuchs und sagt zu ihm: "Komm, spiel
mit mir!"
Der Fuchs antwortet: "Ich kann nicht mit dir spielen. Ich bin noch
nicht gezähmt."
Der kleine Prinz überlegt einen Moment und fragt: "Was bedeutet
das: zähmen?"
Der Fuchs antwortet: "Wenn du mich zähmst, werden wir einander
brauchen. Jetzt bist du für mich noch ein Knabe, der 100.000 anderen
Knaben gleicht. Dann wirst du für mich einzig sein in der Welt.
Und ich werde für dich einzig sein in der Welt.... Du siehst da
drüben das Weizenfeld? Ich esse kein Brot. Für mich ist der
Weizen zwecklos. Die Weizenfelder erinnern mich an nichts. Und das ist
traurig. Aber du hast weizenblondes Haar. Oh, es wird wunderbar sein,
wenn du mich einmal gezähmt hast! Das Gold der Weizenfelder wird
mich an dich erinnern. Und ich werde das Rauschen des Windes im Getreide
lieb gewinnen..."
So machte der kleine Prinz den Fuchs mit sich vertraut. Und als die
Stunde des Abschieds nahe war, sagte der Fuchs: "Ach, ich werde
weinen."
"Das ist deine Schuld" sagte der kleine Prinz. "Du hast
gewollt, dass ich dich zähme. Und jetzt hast du nichts gewonnen!
"Ich habe", sagte der Fuchs, "die Farbe des Weizens gewonnen."
Und als der kleine Prinz sich vom Fuchs verabschiedete, sagt der Fuchs
zu ihm: "Adieu. Ich schenke dir noch ein Geheimnis. Es ist ganz
einfach: man sieht nur mit den Herzen gut. Das Wesentliche ist für
die Augen unsichtbar."
"Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar", wiederholte
der kleine Prinz, um es sich zu merken." So weit die Geschichte.
Die Augen des Herzens sehen
die Welt in ihrer Einzigartigkeit und bewahren einzigartige Bilder im
Innern auf. Der kleine Prinz hat sich dem Fuchs vertraut gemacht und
ist dadurch einzigartig geworden. Deshalb kann der Fuchs ihn lieben
und beim Abschied um ihn weinen. Nur was vertraut und einzigartig ist,
kann lieben und geliebt werden.
"Man sieht nur mit dem Herzen gut." sagte der Fuchs.
"Gott erleuchte die Augen eures Herzens", schreibt Paulus.
Was aber, wenn die Augen nicht erleuchtet, sondern blind geworden sind?
Wenn sie nichts mehr spüren und wahrnehmen können von der
Einzigartigkeit des anderen oder von dem Gold des Weizenfeldes? Wenn
der kleine Prinz und der Fuchs sich in ihrer Einzigartigkeit nicht mehr
erkennen und sich deshalb auch nicht mehr vertraut miteinander machen
können?
Liebe Gemeinde!
In unserer Zeit strömen so viele Einflüsse von außen
auf die Sinne ein, dass wir sie kaum noch verarbeiten können. Wir
sind so damit beschäftigt, die Bilderflut, die von außen
kommt, zu verarbeiten, dass wir die Bilder unseres inneren Auges manchmal
gar nicht mehr wahrnehmen. Fremde Bedürfnisse werden so zu unseren
Bedürfnisse, fremde Sehnsüchte zu unseren Sehnsüchten.
Die Medienwelt unserer Zeit ist darauf angelegt. Sie überhäuft
die Menschen mit Bildern. Mit statischen und vor allem mit bewegten
Bildern, so dass die Bilder unseres inneren Auges sozusagen überblendet
werden von den fremden Bildern. So kann das Herz blind werden für
das eigene, weil es kein Auge mehr hat für das Andere.
Vielleicht ist es diese Erfahrung, die mich hellhörig werden ließ
für den Satz des Paulus:
"Gott erleuchte die Augen eures Herzens, damit ihr versteht zu
welcher Hoffnung ihr durch ihn berufen seid."
Oder anders gesagt: Gott befreie euch von der Blindheit des inneren
Auges, damit ihr seht, worauf ihr hoffen könnt.
Liebe Gemeinde!
Weihnachten liegt gerade erst hinter uns. Das Licht seiner Erscheinung
leuchtet noch in unserer Kirche. Vielleicht hat dieses Licht der Weihnacht
die Augen des einen oder anderen Herzen erleuchtet. Wie der kleine Prinz
sich dem Fuchs vertraut gemacht hat, so hat an Weihnachten sich Gott
uns vertraut gemacht. In Jesus von Nazareth ist er uns ganz nah gekommen.
Er ist Mensch geworden. Er ist also sozusagen mit uns ins Lebensboot
gestiegen. Und noch immer sitzt er mit uns im gleichen Boot. Er ist
mit uns auf der Fahrt neuen Ufern entgegen. Auch dann, wenn Nacht und
Sturm hereinbrechen und das Boot schier umzuwerfen drohen. Unsere verblendeten
Augen sehen ihn nicht immer. Sie sind mit so vielen anderen Bildern
beschäftigt. Doch das Licht der Weihnacht kann uns die Augen unseres
Herzens erleuchten, dass wir sehen: Er ist bei uns, auch wenn er schlafend
im Boot liegt.
Es kann in uns die Hoffnung wecken, dass er aufstehen wird, um zu dem
Sturm zu sagen: "Schweige und verstumme". Die Hoffnung darauf,
unversehrt am andern Ufer anzukommen.
Liebe Gemeinde!
In zwei Wochen wird der Weihnachtsfestkreis abgelöst von dem Osterfestkreis.
Dann werden die Sonntage von Ostern her gezählt. Das Licht der
Weihnacht wird von dem Licht der Osterkerze abgelöst.
Dazwischen liegt jedoch die Zeit der Passion, des Leidens .
Wir haben als Christen keine Garantie auf eine unversehrte Fahrt über
das Meer des Lebens. Wir haben keinen Anspruch darauf, dass unser Lebensboot
wohlbehalten am Ziel ankommt. Doch Gott bleibt auch bei den Versehrten.
Das hat er uns gezeigt in der Geschichte Jesu von Nazareth: Auch er
blieb nicht unversehrt. Sein Lebensboot schien untergegangen zu sein,
zerbrochen am Kreuz und an den Machenschaften der Menschen. Aber Gott
ist stärker als der Tod. Er hat Jesus aufgeweckt. Er hat ihm Macht
über Wind und Wellen gegeben. Dieser Gott hat auch Macht, ein zerbrochenes
und abgebrochenes Leben wieder neu zu machen. Darauf hoffen wir. Eine
Hoffnung, zu der wir berufen sind, sagt Paulus.
Es ist der Auferstandene, der sagt: "Siehe, ich bin bei euch alle
Tage bis an das Ende der Welt - bis wir am anderen Ufer sind."
Diese Zusage kann die Augen des Herzens hell machen, dass wir das sehen
und glauben können.
"Das Wesentliche ist
für die Augen unsichtbar", sagte der Fuchs. Aber ein Abglanz
dieses neuen Lebens scheint ganz sichtbar in unsere Zeit hinein. In
Brot und Wein dürfen wir schon hier teilhaben an diesem neuen Leben,
an der Herrlichkeit des Erbes Christi, an einer Zeit, in der Christus
über alle weltlichen Fürsten und Gewalten, Mächte und
Herrschaften erhoben wird.
"Gott erleuchte die Augen eures Herzens, damit ihr versteht, zu
welcher Hoffnung ihr durch ihn berufen seid."
Amen
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