|
Predigt
zu Mt 26, 6-13 am Sonntag Okuli (19.3.06) Eberhardskirche (Beate Schröder)
Jesus wird
ermutigt durch eine unbekannte Frau
Liebe Gemeinde!
Jesus ist enttäuscht. Wir haben am letzten Sonntag davon gehört,
wie er in den Tempel ging und wie ihn dort ein heiliger Zorn überkam.
Wie er ausgerastet ist und die Tische der Geldwechsler und die Stände
der Taubenhändler umgestoßen und Händler und Tiere aus
dem Tempel getrieben hat. "Mein Haus soll ein Bethaus sein, ihr
aber macht eine Räuberhöhle daraus." So hat er gerufen.
Jesus war enttäuscht. Enttäuscht, dass die Menschen die Zeichen
der Zeit nicht erkannten. Dabei hatte es doch so hoffnungsvoll angefangen.
Er war in Jerusalem eingeritten, als Friedefürst auf einem Esel,
und die Menschen hatten ihm zugejubelt: "Hosianna, dem Sohn Davids!".
Es schien, als hätten sie verstanden: Die Zeit des Christus, das
Friedensreich, das Reich Gottes steht unmittelbar bevor.
Voller Erwartung war Jesus dann zum Tempel gekommen, zum Haus Gottes
auf dem Zion, zum Bethaus für alle Völker. Doch welch herbe
Enttäuschung musste er hier erleben: Betriebsame Geschäftigkeit
wie eh und je herrschte im Tempel, Kauf und Verkauf, Geldwechselei und
Geldmacherei. Nein, das war kein Bethaus für alle Völker.
Vom kommenden Reich Gottes war auf dem Tempelberg nichts zu spüren.
Noch immer gab es auch hier die, die sich ein Opfertier leisten konnten
und die es nicht leisten konnten. Es gab Männer, die sich dem Heiligen
nähern durften und Frauen, die das nicht durften. Es gab Gläubige,
die dazu gehörten und Fremde, die auf Abstand gehalten wurden....
Nicht einmal hier im Tempel, im Haus Gottes, hatte sich die Ordnung
der Welt bisher verändert. Wie sollte sich dann in der Welt etwas
ändern?
Jesus war enttäuscht. Enttäuscht verließ er am Abend
die Stadt. Auch der Feigenbaum, an dem er vorbeikam, erkannte die Zeichen
der Zeit. Wenn der Messias kommt, so heißt es in alten Schriften,
fangen die Bäume an zu blühen und trägt Früchte
auch zur Unzeit. Der Feigenbaum tat es nicht.
Jesus übernachtete bei Freunden in Bethanien, einem kleinen Ort
vor den Toren Jerusalems.
Hier, im Abseits der großen Stadt, jenseits riesiger Volksmengen
und religiöser Betriebsamkeit begegnet er einer Frau, die ihn als
einzige zu verstehen scheint, die ihn und die Zeichen der Zeit zu erkennt.
Von ihr und ihrer Begegnung mit Jesus handelt unser heutiges Evangelium.
Ich lese aus dem Matthäus-Evangelium, Kapitel 26 :
6 Als nun Jesus in Betanien
war im Hause Simons des Aussätzigen,
7 trat zu ihm eine Frau, die hatte ein Glas mit kostbarem Salböl
und goss es auf sein Haupt, als er zu Tisch saß.
8 Als das die Jünger sahen, wurden sie unwillig und sprachen: Wozu
diese Vergeudung?
9 Es hätte teuer verkauft und das Geld den Armen gegeben werden
können.
10 Als Jesus das merkte, sprach er zu ihnen: Was betrübt ihr die
Frau? Sie hat ein gutes Werk an mir getan.
11 Denn aArme habt ihr allezeit bei euch, mich aber habt ihr nicht allezeit.
a) 5.Mose 15,11
12 Dass sie das Öl auf meinen Leib gegossen hat, das hat sie für
mein Begräbnis getan.
13 Wahrlich, ich sage euch: Wo dies Evangelium gepredigt wird in der
ganzen Welt, da wird man auch sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie
getan hat.
Amen
Liebe Gemeinde!
Wir wissen nicht, wer die Frau ist, die Jesus salbt. Sie hat keinen
Namen und sie sagt kein einziges Wort. Allein durch ihre Handlung zeigt
sie, dass sie versteht.
Jesus sitzt mit seinen Freunden beim Essen. Ungefragt tritt sie ein
in diese Männerrunde. Ungehörig für eine Frau. Sie geht
auf Jesus zu. Sie scheint ihn zu kennen. Wortlos öffnet sie die
Alabasterflasche und gießt ihm kostbare Salbe über das Haupt.
Wie der Prophet Samuel den David salbte, so salbt sie Jesus. Jesus wird
zum Gesalbten, zum Messias, zum Christus - im wahrsten Sinne des Wortes.
"Hosiannah dem Sohn Davids!"
Die Frau weiß, was im Tempel niemand zu wissen schien: Neue Zeiten
sind angebrochen, die alte Ordnungen außer Kraft setzen: Die Hierarchie
der Geschlechter z.B. Sie dreht sie einfach um: Wie eine Prophetin salbt
sie, eine unbekannte Frau, dem Meister und Lehrer das Haupt.
Die Jünger beobachten das Geschehen. Doch sie verstehen nicht,
erkennen nicht die Zeichen der Zeit. Sie sind gefangen in der alten
Welt mit ihrem oben und unten, mit ihrem Kaufen und Verkaufen, das alles
in Wert setzt, in Gebrauchswert oder Tauschwert. Das lässt sie
jammern: "Wozu die Verschwendung? Man hätte die Salbe teuer
verkaufen und den Erlös den Armen geben können."
Jesus versucht es ihnen zu erklären: Die alten Ordnungen gelten
nicht mehr. Ja, sie haben recht: In den Geboten heißt es: "Arme
habt ihr alle Zeit bei Euch.... Darum gebiete ich dir, dass du deine
Hand auftust deinem Bruder, der bedrängt und arm ist in deinem
Lande." (5. Mose 15,11)
Und das gilt auch weiterhin, aber nicht jetzt. Jetzt gelten andere Ordnungen,
jedenfalls in diesem kurzen Moment.
Bereits dreimal hatte Jesus versucht, seine Jüngern darauf vorzubereiten,
dass in Jerusalem Entscheidendes auf sie zukommen wird, dass es nicht
leicht sein wird, weder für ihn noch für sie. Die Jünger
wollten oder konnten es nicht hören.
Die einzige, die versteht, wie besonders diese Zeit ist wenige Tage
vor dem Passahfest in Jerusalem, ist die unbekannte Frau.
- Wird sie ihm seine Enttäuschung nehmen können?
- Wird sie seine Hoffnung auf das Reich Gottes aufrecht erhalten können?
- Wird sie ihm Kraft geben, erneut zu versuchen, die Menschen für
Gott zu gewinnen?
Ja, die Frau gibt ihm Kraft mit ihrer Salbung.Sie zeigt ihm: Du bist
der Christus. Mit Dir kommt Frieden und Gerechtigkeit auf die Welt.
Doch nicht in der Weise, in der wir es erwartet haben.
Die Frau gibt ihm Kraft, den anderen Weg zu gehen, den einsamen Weg.
Sie hilft ihm, zu erkennen: Die Menschen sind nicht reif für das
Reich Gottes, noch nicht, nicht einmal seine Jünger. Sie gehen
nicht mit ihm. Er muss alleine gehen.
Jesus läuft nicht fort vor dieser Erkenntnis. Er entscheidet, seinen
Weg zu Ende zu gehen, wenn nötig bis zum Tod.
Die Frau gibt ihm Kraft mit ihrer Salbung. Sie salbt ihn zum Messias,
zum Friedefürst - und zugleich salbt sie ihn für sein Begräbnis.
Liebe Gemeinde!
Jesus und die Frau in Bethanien erkennen ihre Niederlage vor der Welt,
und halten sie aus. Die Frau sieht prophetisch auf das Ende, aber es
ängstigt sie nicht. Sie läuft nicht davon, sondern geht auf
Jesus zu, um ihn zu stärken
Jesus ist bitter enttäuscht, aber nicht verbittert. ER wird am
nächsten Tag in die Stadt gehen und mit seinen Jüngern das
Passahfest feiern, mit seinen Freunden, die ihn so schwer verstehen
und dann seinen Weg weitergehen über Verrrat, Folter bis zum Tod.
Später haben sich die Jünger scheinbar an die Frau erinnert
und an die Worte Jesu: "Wahrlich, ich sage euch: Wo dies Evangelium
verkündet wird in der ganzen Welt, da wird man auch sagen zu ihrem
Gedächtnis, was sie getan hat."
Liebe Gemeinde!
Können wir das von Jesus und der Frau aus Bethanien lernen?
- Bitter enttäuscht werden und nicht verbittern?
- Niederlagen hinnehmen, ohne gleich alles hinzuschmeißen?
Es gibt viele Gründe zu verbittern, auch heute. Das Reich Gottes,
in dem Recht und Gerechtigkeit fließen , scheint weit entfernt.
Vieles, was Menschen schon erkämpft hatten, wird wieder rückgängig
gemacht.
- Noch nie war die Konzentration von Treibhausgasen so hoch wie heute.
Ein grundsätzlicher ökologischer Wandel scheint nicht durchsetzbar
zu sein.
- Krieg ist wieder ein Mittel der Politik geworden.
- Rechte zum Kündigungsschutz oder zur Arbeitszeitverkürzung,
für die Generationen vor uns gekämpft haben, werden heute
mit einem Federstrich wieder außer Kraft gesetzt.
Auch im Privaten können Enttäuschungen verbittern:
- Jahrzehntelange Treue zu einem Arbeitgeber wird belohnt mit sog. Betriebs
bedingter Kündigung von heute auf morgen.
- Menschen, die man geliebt hat, lassen einen plötzlich im Stich...
- Eine Krankheit verändert alle Zukunftspläne und man bleibt
mit der Frage zurück: Warum ausgerechnet ich?
.Liebe Gemeinde!
Wir erleben die Passionszeit von Ostern her. Wir wissen, dass Gott seinen
Sohn, den Gesalbten, den Christus nicht im Tod ließ, sondern ihn
auferweckte. Gott will das Leben, nicht den Tod. Er will gelingendes
Leben.
Jesus hat darauf vertraut. Er hat darauf vertraut, dass Gott ihn nicht
allein lässt, dass er bei ihm bleibt, wohin sein Weg ihn auch führen
mag. Die Salbung der Frau hat ihn in diesem Vertrauen gestärkt.
Jesus ist nicht bitter geworden. Er hat die Menschen, die ihm nach den
Leben trachteten, nicht gehasst. Den Soldaten im Garten Gethsemane,
den Petrus in seiner Wut das Ohr abschlug, hat er geheilt.
Auch wir brauchen nicht bitter zu werden. Wir dürfen darauf vertrauen,
dass Gott uns unseren Weg führen wird, auch wenn wir seine Richtung
noch nicht erkennen. Und die Menschen, die uns auf diesem Weg begegnen,
können wir einladen mitzugehen und uns über jeden und jede
freuen, die diese Einladung annimmt.
Wie Jesus und wie die Frau aus Bethanien dürfen wir darauf vertrauen,
dass jedes einzelne Leben von Gott gewollt ist.
Und doch gibt es Momente, in denen wir das nicht glauben können,
in denen wir verzweifelt und verbittert sind, in denen alles dunkel
um uns ist und wir sehr einsam sind.
Dann dürfen wir wissen: Gott ist bei uns. In seinem Sohn Jesus
Christus hat er diese Momente selber durchlitten. Wir brauchen sie nicht
zu verleugnen und zu verdrängen. Gott stärkt uns in diesen
dunklen Zeiten, wie die unbekannte Frau aus Bethanien Jesus gestärkt
hat.
ER stärkt uns mit der österlichen Hoffnung auf ein Leben voll
Recht und Gerechtigkeit.
"Liebe lebt auf, die längst erstorben schien.
Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün."
|