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Predigt
zu 1. Samuel 2, 1-10
am
Ostersonntag 2006 in der Eberhardskirche
(Beate Schröder)
Auferstehung
- ein Märchen aus uralten Zeiten?
Liebe Osterfestgemeinde!
Auferstehung - ein Märchen aus uralten Zeiten?
So fragt die Theologin Dorothee Sölle in ihrem Gedicht, das auf
der ersten Seite unseres Gemeindebriefes abgedruckt ist.
Auferstehung - ein Märchen aus uralten Zeiten?
Auf jeden Fall eine Geschichte, die bis heute schwer zu begreifen und
zu glauben ist. Und doch bildet sie das Zentrum christlichen Glaubens.
Was hat es also mit der Auferstehung auf sich?
Das Lied der Hanna, das uns heute als Predigttext gegeben ist, wirft
ein ganz eigenes Licht auf die Auferstehung, ein Hoffnungslicht. Es
ist noch urälter als die Ostergeschichte, rund 1000 Jahre.
Lassen Sie mich kurz erzählen, wie es zu dem Lied der Hanna kam.
Hanna war verzweifelt. Ihre Hoffnung auf ein erfülltes Leben hatte
sie schon fast begraben. Ihr großes Leid: Sie konnte keine Kinder
bekommen. Eine verheiratete Frau ohne Kinder hatte im Denken der damaligen
Zeit ihre Bestimmung verfehlt. Sie war sozusagen aus der Gemeinschaft
der Frauen ausgeschlossen. Peninna, die zweite Frau ihres Mannes, wusste
von dem Kummer der Hanna . Sie hatte Kinder und prahlte damit vor ihr.
Das kränkte Hanna. Sie weinte und aß nichts mehr. Nichts
konnte sie trösten, auch nicht, dass ihr Mann voll Liebe zu ihr
sagte: "Hanna, warum ist dein Herz so traurig? Bin ich dir nicht
mehr wert als 10 Söhne?"
Hanna bringt ihr Leid vor Gott. Sie geht nach Silo in den Tempel. Sie
betet und legt ein Gelübde ab: Sollte Gott ihr Gebet erhören
und ihr einen Sohn schenken, wird sie ihn Gott quasi zurückschenken.
Sie will ihn in den Tempel bringen und er soll dort beim Priester Eli
aufwachsen.
Hanna wird schwanger und bekommt einen Sohn. Den nennt sie Samuel. Das
heißt "von Gott erbeten". Nur wenige Jahre lebt Hanna
mit ihrem Kind zusammen. Nur so lange sie ihn stillt. Dann löst
sie ihr Gelübde ein und bringt ihren kleinen Sohn in den Tempel.
Dort übergibt sie ihn dem Priester Eli mit den Worten: "Darum
gebe ich ihn dem Herrn wieder sein Leben lang, weil er vom Herrn erbeten
ist."
Ihr Kind wird nicht zu ihr zurückkehren. Es ist eine Trennung für
immer. Doch Hanna hadert nicht. Im Gegenteil: Sie geht in den Tempel
und preist Gott, der ihr Gebet erhört und ihr ein Kind geschenkt
hat. Dieses Loblied der Hanna ist unser österlicher Predigttext.
Ich lese aus 1. Sam 2, 1-10:
2, 1 Und Hanna betete
und sprach:
Mein Herz ist fröhlich
in dem HERRN,
mein Haupt ist erhöht in dem HERRN.
Mein Mund hat sich weit aufgetan wider meine Feinde,
denn ich freue mich deines Heils.
2 Es ist niemand heilig
wie der HERR, außer dir ist keiner,
und ist kein Fels, wie unser Gott ist.
3 Lasst euer großes Rühmen und Trotzen,
freches Reden gehe nicht aus eurem Munde;
denn der HERR ist ein Gott, der es merkt,
und von ihm werden Taten gewogen.
4 Der Bogen der Starken ist zerbrochen,
und die Schwachen sind umgürtet mit Stärke.
5 Die da satt waren, müssen um Brot dienen,
und die Hunger litten, hungert nicht mehr.
Die Unfruchtbare hat sieben geboren,
und die viele Kinder hatte, welkt dahin.
6 Der HERR tötet und macht lebendig,
führt hinab zu den Toten und wieder herauf.
7 Der HERR macht arm und macht reich;
er erniedrigt und erhöht.
8 Er hebt auf den Dürftigen aus dem Staub
und erhöht den Armen aus der Asche,
dass er ihn setze unter die Fürsten
und den Thron der Ehre erben lasse.
Denn der Welt Grundfesten
sind des HERRN,
und er hat die Erde darauf gesetzt.
Liebe Osterfestgemeinde!
Ganz erfüllt ist Hanna davon, dass Gott ihr geholfen hat, dass
er sie wieder in die Gemeinschaft seines Volkes aufgenommen hat. Sie
lobt ihn mit dem Glaubensbekenntnis ihres Volkes:
"Es ist niemand heilig wie Gott,
keiner ist außer dir,
keiner ist ein Fels wie unser Gott."
Aus der bittenden ist eine anbetende Frau geworden:
Die ersehnte Schwangerschaft und die Geburt ihres Kindes haben in ihr
die Gewissheit geweckt, dass Gott in all seiner Größe ein
gerechter Gott ist.
Das lässt sie hoffen nicht nur für sich und ihre Zukunft,
sondern auch für die Zukunft aller Menschen. Was ihr widerfahren
ist, soll allen widerfahren, die in Not sind. So wie ihr Leid ein Ende
gefunden hat, so soll alles Leid ein Ende haben: Hungrige sollen satt
werden und Arme erhöht aus dem Staub.
Darauf hofft Hanna. Und diese Hoffnung singt sie hinaus in die Welt.
Hannas Hoffnung wirkt ansteckend. Ihr Lied wurde weiter getragen weit
über ihr Leben und ihre Generation hinaus bis zu uns.
Mich begeistert das Lied der Hanna und zugleich spüre ich: Mir
fehlt nur allzu oft ihr Glaube und ihr Vertrauen in den gerechten Gott.
In einer Welt, in der Arme immer ärmer und Reiche immer reicher
werden, in der der Markt die Besitzverhältnisse bestimmt und Kriege
geführt werden, um erneut Waffen produzieren und verkaufen zu können,
fällt mir die Hoffnung, auf eine gerechte Welt, wie Hanna sie besingt,
schwer.
Kann die Osterbotschaft uns Christen diese Hoffnung vermitteln, die
dem Lied der Hanna soviel Kraft gibt?
Können wir glauben, dass Gott den Tod besiegt, dass er lebendig
macht und heraufführt aus der Grube des Todes, dass er Hungrige
satt macht und Arme erhöht?
Oder geht es uns eher so, wie es Dorothee Sölle in ihrem Gedicht
beschrieben hat:
"Ach, frag mich nicht
nach der Auferstehung,
ein Märchen aus uralten Zeiten,
das kommt dir schnell aus den Sinn.
Ich höre denen zu,
die mich austrocknen und klein machen.
Ich richte mich ein
Auf die langsame Gewöhnung ans Totsein
In der geheizten Wohnung,
den großen Stein vor der Tür."
Liebe Gemeinde!
Haben wir uns eingerichtet in dieser Welt - nach dem Motto: "Die
Welt ist schlecht, da hat er nun mal leider recht?"
Wollen wir überhaupt noch hinaus aus der geheizten Wohnung?
Oder haben wir noch gar nicht bemerkt, was die Frauen am Grab als erstes
sahen: Der Stein ist weggerollt. Wir können aufstehen und die geheizte
Wohnung verlassen.
Liebe Osterfestgemeinde!
Die Auferweckung Jesu ist eine Zumutung - im doppelten Sinn des Wortes.
Sie mutet uns zu, etwas zu glauben, was in unsere Welt der Wissenschaft
und angeblichen Rationalität nicht reinpasst.
Zugleich mutet sie uns ein Leben vor dem Tod zu. Sie gibt uns den Mut,
nicht dieser Welt zu fliehen, sondern gegen die Todesmächte dieser
Welt anzugehen.
Der verstorbene Berliner Theologe Friedrich-Wilhelm Marquardt hat das
so ausgedrückt:
Durch die Auferweckung geraten wir Christen unter die Verheißung
Jesu, den Gott der Allmacht des Todes entrissen hat. Jesus ruft uns
zu: "Ich lebe und ihr sollt auch leben" (Joh 14,19) "Dieser
Ruf verpflichtet uns, allen Gestalten des gottwidrigen Todes zu trotzen,
im persönlichen wie im gesellschaftlichen und politischen Leben."
(Credo S. 39).
Allen Gestalten des gottwidrigen Todes im persönlichen, gesellschaftlichen
oder politischen Leben heute?
Ich denke an Frauen, die sich wie Hanna ein Kind wünschen und keines
bekommen. Nicht selten gehen sie den leidvollen Weg durch Arztpraxen
und versuchen mit Hilfe medizinischer Technologie schwanger zu werden.
Manchmal ist der Weg erfolgreich, sehr oft nicht. Sie brauchen Freunde
und Freundinnen, die ihnen ein Leben auch ohne leibliche Kinder lebenswert
erscheinen lassen.
Ich denke an Menschen, die gekränkt wurden wie Hanna durch Penina
und darüber krank geworden sind an Leib oder Seele, die sich nicht
trösten lassen wollen, weil sie keinen Ausweg sehen. Ihnen gilt
es beizustehen, sie nicht allein zu lassen und für sie zu hoffen,
wenn sie selber nicht mehr hoffen können.
Ich denke an Menschen, die sich aus unserer Gesellschaft ausgegrenzt
fühlen, weil sie keine Arbeit mehr finden und von Hartz 4 kaum
leben können. Ich finde es bewundernswert, wie sich einige von
ihnen bei uns im Tübinger Arbeitslosentreff zusammen geschlossen
haben und sich gegenseitig unterstützen.
Ich denke an die Menschen, die sich gestern wieder zu Zehntausenden
zu Ostermärschen versammelt haben, u.a. in Ulm, um für Frieden
und gegen Krieg und Militarisierung zu demonstrieren. Seit 1960 gehen
Menschen, darunter viele Christen, in unterschiedlichen Orten in Deutschland
bewusst an Ostern auf die Straße für das Leben und gegen
den Krieg.
Liebe Gemeinde!
Im Trotz gegen Gestalten gottwidrigen Todes in unserer Welt kann Hanna
uns heute Vorbild sein. Sie hat sich nicht eingerichtet auf die langsame
Gewöhnung ans Totsein. Sie hat sich aufgemacht nach Silo zum Tempel,
um Gott ihr Leid zu klagen. Die Freude über Gottes Antwort hat
sie nicht für sich behalten. In ihrem Lied greift sie weit über
das hinaus, was sie selbst erlebt hat. Deshalb gilt sie im Judentum
als Prophetin.
Bis heute wird an jedem jüdischen Neujahrsfest ihre Geschichte
erzählt und ihr Lied gesungen.
"Es ist niemand heilig
wie Gott,
außer dir ist keiner,
und ist kein Fels wie unser Gott ist."
Heute an Ostern dürfen
wir einstimmen in ihr Lied und uns anstecken lassen von ihrer Hoffnung
auf eine Zeit,
in der "der Bogen der Starken zerbrochen ist,
und die Schwachen umgürtet sind mit Stärke",
in der "der Dürftige aus dem Staub gehoben
und der Arme aus der Asche erhöht wird.
Denn der Welt Grundfesten sind des Herrn und er hat die Erde darauf
gesetzt."
In Erwartung dieser Zeit feiern wir heute das österliche Freudenmahl,
das uns verbindet mit dem Auferstanden, der uns zuruft: "Ich lebe
und ihr sollt auch leben!"
Lassen Sie mich schließen mit dem letzten Satz aus dem Gedicht
von Dorothee Sölle:
Die Auferstehung - ein Märchen aus uralten Zeiten?
"Ach, frag du mich nach der Auferstehung, ach, hör nicht auf
mich zu fragen."
Amen
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