Predigt
zum 7. Sonntag der Osterzeit Joh 17, 1-11a 27./28.5.06 (Martin Günter)
Liebe Gemeinde!
Wenn Eltern für
ein paar Tage aus dem Haus gehen, spielt sich immer wieder die -
mehr oder weniger gleiche - Szene ab: Anweisungen und Ratschläge
werden erteilt, was wie am besten gemacht werden soll; Ermahnungen
werden zurückgelassen, was zu tun und v.a.: was zu lassen ist.
"Vergiss das nicht....Seid vorsichtig mit....Ihr wisst, es
ist wichtig, dass... Bitte macht nicht...." usw. . Sicher kennen
Sie alle diese Prozedur, egal, ob Sie sie als Kind erlebt oder als
Eltern selbst schon inszeniert haben.
Die Ratschläge und Ermahnungen sind Ausdruck der Sorge, ob
alles gut geht, ob die Zurückbleibenden zurechtkommen, dass
nur ja nichts passiert. In ihnen zeigt sich ein Gefühl der
Verantwortlichkeit für die uns Anvertrauten, dem wir - wenn
wir schon weggehen - wenigstens mit einigen Anweisungen und Ratschlägen
gerecht werden wollen. Verständlich, denn wer will sich im
Nachhinein schon Vorwürfe machen lassen? Die Sorge um die uns
Anvertrauten und die Sorge um das, was uns wichtig ist, lassen uns
in der Regel so handeln; das Wesentliche muss einfach noch einmal
gesagt werden, bevor wir weggehen; alles soll schließlich
gut geregelt sein.
Auch Jesus bestellt in
unserem Evangelium sein Haus - wie die Redensart sagt; er weiß,
dass er bald die ihm Anvertrauten in schwieriger Situation verlassen
muss. Es geht darum, Abschied zu nehmen. Das tut Jesus bei Johannes
in einer längeren Abschiedsrede, deren Ende wir eben im Evangelium
gehört haben. Um wie viel größer muss in dieser
Stunde des Abschieds Jesu Sorge um seine Jünger sein, als wenn
wir die uns Nahestehenden für einen begrenzten Zeitraum verlassen?
Jesus weiß, dass es bald entscheidend auf seine zurück-bleibenden
Freunde ankommen wird: sie haben nun das von ihm Begonnene weiterzutragen
und sein Lebenswerk - ihren Möglichkeiten gemäß
- weiterzuführen. Sein Vermächtnis wird ihnen anvertraut
- ein Vermächtnis, in dem es im wahrsten Sinne des Worts um
Gott und die Welt, um das Heil der Menschen geht.
Aber bei diesem Abschied
ist alles ganz anders als erwartet; keine Anweisungen, keine Ratschläge
und keine Ermahnungen. Offenbar hat Jesus zu seinen Jüngern
ein sehr viel größeres Vertrauen als wir es oft zu den
uns Anvertrauten haben. Und das, obwohl auch sie ihn oft enttäuscht
hatten: Petrus, der ihn von seinem Weg nach Jerusalem abbringen
wollte, dem seine eigenen Pläne mit Jesus wichtiger waren;
Jakobus und Johannes, die mit Petrus darum gestritten haben, wer
von ihnen im Reich Gottes an welchem Platz sitzen werde; und immer
wieder das Unverständnis der Jünger für vieles, was
er sagte und tat. Nein, die Erfahrungen Jesu mit seinen Jüngern
waren sicher nicht immer vertrauenerweckend - und doch vertraut
er ihnen jetzt ganz und gar. Er hinterlässt ihnen kein Manifest
seiner Lehre und seines Lebens; er gibt ihnen keinen Katalog von
Verhaltensmaßregeln mit auf den Weg - nicht einmal Ratschläge,
was wie am besten zu tun ist.
Jesus vertraut offenbar darauf, dass die Jünger mit ihm alle
notwendigen Erfahrungen gemacht haben, um seine Sendung weiterzutragen,
um seinen Platz in der Welt offen zu halten. Er traut ihnen etwas
zu; er schenkt ihnen sein Vertrauen.
Wem vertraut wird, der
entwickelt große Kräfte - das können wir immer wieder
erfahren. Das Vertrauen, das wir anderen Menschen schenken, bewirkt
oft viel mehr, als alle Reglementierungen und Ratschläge es
vermögen. Geschenktes Vertrauen lässt selbstbewusst werden
und ermöglicht, eigene Fähigkeiten neu zu entdecken und
zu entfalten. Erwartungen können Menschen bedrücken, einengen
und ihre Kreativität bis zur Untätigkeit lähmen.
Vertrauen dagegen weitet die eigenen Möglichkeiten und schafft
ein Klima, in dem sie zur Entfaltung gelangen können. Jesus
hat Vertrauen in seine Jünger und rüstet sie so für
das Kommende aus.
Und ein zweites ist anders
bei dieser Abschiedsrede: nicht Jesus selbst, nicht die Jünger
und auch nicht das gemeinsam Geleistete, das es jetzt zu bewahren
gilt, stehen im Mittelpunkt, sondern Gott, der Vater. Die Abschiedsrede
Jesu endet mit einem Gebet an den Vater, in dem ihm das Lebenswerk
Jesu und die zurückbleibenden Jünger übergeben werden.
In seine Hände wird alles bisherige und alles weitere gelegt,
ihm wird es letztlich anvertraut. So wichtig der eigene Einsatz,
das eigene Bemühen auch ist - das letzte Wort spricht ein anderer,
der Vater, der alles und alle in Händen hält. Gerade weil
Jesus sein Leben und seine Beziehungen zu den Menschen ganz aus
dem Vertrauen in den Vater gelebt hat, kann er jetzt in der Stunde
des Abschieds alle und alles loslassen; er kann es dem übergeben,
der das Begonnene vollenden wird. So wird er innerlich frei für
den Willen des Vaters, frei für das, was kommt.
Auch diese Erfahrung
ist uns nicht fremd: wie befreiend es ist, wenn es uns selbst gelingt,
loszulassen; wie befreiend es ist, zu wissen, dass ich trotz aller
Verantwortlichkeit das Gelingen meines Tuns, das Gelingen meiner
Beziehungen letztlich nicht in der Hand habe; wie befreiend es ist,
glauben zu können, dass wir uns selbst und all die ungelösten
Dinge am Abend des Tages dem anvertrauen dürfen, der unser
Leben in Händen hält - dem, der uns immer wieder neu Kraft
und Phantasie gibt. Solches Loslassen-Können bewahrt sowohl
vor Verbissenheit und Fanatismus als auch vor Resignation und dauernder
Selbstüber-forderung. Und deshalb gilt auch hier: Zuversicht
und Gottvertrauen schaffen die Freiräume, in denen wir Mensch
sein dürfen, in denen wir offen für unsere Umwelt werden,
in denen wir uns erst richtig entfalten können.
Der Evangelist Johannes
hat seiner Gemeinde in der Abschiedsrede Jesu ein Gottvertrauen
vor Augen gestellt, das ein Zweifaches enthält: das Vertrauen
Jesu in seine Jünger und die Notwendigkeit des eigenen Vertrauens
in Gott. Das Vertrauen, das damit der johanneischen Gemeinde zugesprochen
wurde, hat ihr großes Selbstvertrauen gegeben, das sie bestehen
ließ durch alle Drangsale, Ängste und Verwirrungen hindurch.
Und das eigene Gottvertrauen, zu dem sie aufgerufen wurde, hat sie
frei gemacht, das Notwendige zu tun - ohne Überforderung ihrer
selbst, im Vertrauen auf Gott.
Liebe Gemeinde,
ich bin sicher, dass auch für uns heute das doppelte Gottvertrauen
als Zusage und Anstiftung notwendig ist - als Zusage des Vertrauens
Gottes in uns und als Anstiftung zum eigenen Vertrauen in Gott.
Wenn Gott uns vertraut, dann dürfen auch wir einander vertrauen
und so die Freiräume schaffen, in denen sich Einsatzfreude,
Kreativität und Phantasie entfalten können. Wenn Gott
groß von uns denkt, dann dürfen auch wir die anstehenden
Dinge selbstbewusst und zuversichtlich angehen, auch wenn wir im
Moment für Manches keine Lösungsstrategien in der Hinterhand
haben. Wenn Gott uns Vieles zutraut, dann dürfen auch wir uns
Vieles zutrauen - ohne uns dabei überfordern zu müssen.
Denn wir wissen, dass auch wir auf ihn vertrauen dürfen, dass
wir letztlich die Dinge bei allem Bemühen auch wieder loslassen
und ihm übergeben können; wir dürfen vertrauen, dass
er unser Ringen und Tun in seinen Händen hält, dass er
unser Stückwerk vollenden wird; und wir dürfen vertrauen,
dass letztlich er es ist und nicht wir selbst, der unser Engagement
in dieser Welt gelingen lässt. Amen.
Einführung:
"Gerechtigkeit vor
Gottes Angesicht" - unter diesem Motto haben sich viele Menschen
zum Katholikentag in Saarbrücken getroffen, der heute zu Ende
geht. "Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht" - ein großes
Thema, ein großer Begriff, zu dem sich die Besucher in mehr
als 1000 Veranstaltungen Gedanken gemacht haben. Mögen Signale
davon hinaus in den Alltag gehen, hinein in das Leben, in die Gemeinden,
zu den Menschen, die nicht dabei sein konnten...
Bei so großen Begriffen
wie "Gerechtigkeit" erliegen wir oft einer doppelten Gefahr:
Entweder wir delegieren das Thema an die Verantwortlichen in Politik
und Wirtschaft, da wir als Einzelne ja doch nicht groß was
verändern können...; oder wir überfordern uns, stürzen
uns in Aktionismus, weil wir möglichst schnell und effektiv
notwendige Veränderungen erreichen wollen...
Vor diesem Hintergrund
hat das heutige Evangelium meine Gedanken auf einen anderen Begriff
gelenkt: den Begriff "Gottvertrauen" in einer zweifachen
Bedeutung; für mich ist Gottvertrauen die Grundlage unseres
Lebens und Tuns als Christen - das Fundament, auf dem allein unser
Engagement für diese Welt gelingen kann.
Kyrie:
Herr Jesus Christus, wir wollen uns Dir heute wieder neu anvertrauen.
Hilf uns, dass wir vertrauen können.
Wir vertrauen Dir unsere
Schuld, unser Versagen, unsere Ängste und Nöte an. Nimm
Du uns an, so wie wir sind.
Du vertraust uns Deine
Sache an. Mach uns offen für Dich und schenke uns Kreativität
uns Phantasie, Dein Werk unter den Menschen fortzuführen.
Fürbitten zum siebten Sonntag der Osterzeit 27./28.5.06:
Herr, Jesus Christus, Dein gelebtes Vertrauen zum Vater hat uns
gezeigt, wie befreites Leben möglich ist. Wir bitten Dich:
Für alle, denen es schwer fällt, zu vertrauen: Lass sie
immer wieder neu erfahren, was gegenseitiges Vertrauen bewirken
kann.
Für alle, die sich selbst überfordern, weil sie nicht
loslassen können: Weite ihren Blick für die Wirklichkeit
und hilf ihnen, die eigenen Grenzen zu sehen und zu akzeptieren.
Für Deine Gemeinden: Lass Dein Beispiel des Vertrauens Schule
machen, damit Freiräume entstehen, in denen sich Kreativität
und Phantasie möglichst vieler entfalten können.
Für uns selbst: Gib uns Mut, Tatkraft und Gottvertrauen, damit
wir uns in unseren Lebenswelten nachhaltig für mehr Gerechtigkeit
vor Deinem Angesicht einsetzen.
Herr, Jesus Christus, Du hast uns zu Deinen Freunden gemacht, denen
Du Deine Sache anvertraut hast. Begleite uns auf unserem Weg, damit
wir uns Deines Vertrauens würdig erweisen, heute und alle Tage.
Amen.