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Sich dem
Gericht stellen
Predigt
über Dan 12,1-3 und Mk 13,24-32
33. Sonntag im Jahreskreis B - 18./19.11.2006 in Tübingen und Bühl
(Thomas Steiger)
Liebe Brüder und Schwestern,
wer sich angesichts der Schriftlesungen von heute als Prediger dem Thema
Gericht nicht stellt, ein Gericht, das Gottes Richten und meine Richtung
des Lebens beinhaltet, der gerät unweigerlich unter Verdacht, dem
willentlich und bewußt ausweichen zu wollen; wofür es in
der Tat etliche Gründe geben könnte: Auf dem Priesterseminar
hat man uns eingeschärft, wir sollten Frohbotschaft verkünden,
nicht Drohbotschaft. Vielleicht scheut der Prediger einfach die eigene
Konfrontation mit dieser unangenehmen Vorstellung. Oder er fühlt
sich als Theologe überfordert, da er dazu so gut wie nichts gehört
hat in seinem Studium. Es könnte auch sein, daß er selber
gar nicht daran glaubt, daß die Rede von einem Gott, der zwischen
Gut und Böse unterscheidet, nicht in sein Bild von der alles umfassenden
Liebe Gottes paßt, die die Bibel ja gleichfalls enthält.
Von alle dem gibt es auch etwas bei mir. Und wer weiß, ob es Ihnen
nicht auch lieber wäre, ich würde das Thema heute umgehen.
Nicht zuletzt angespornt durch die freundlich gemeinte Mutmaßung
einer Tübinger Katholikin, daß die Prediger ja nie übers
Gericht predigten, weil sie zu feige dazu seien, will ich nun aber doch
probieren, einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, wie denn das Gericht
Gottes am Ende der Tage Teil meines, Ihres Glaubens werden könnte.
Es kann zunächst kein
Zweifel daran bestehen, daß nach dem Zeugnis der neutestamentlichen
Schriften die Rede vom Gericht Teil der Jesus-Rede war. In allen Evangelien
finden sich dazu entsprechende Belege. Die berühmteste ist wohl
das Gleichnis vom großen Weltgericht, wo Matthäus den Menschensohn
Jesus höchstselbst als den Richter am Ende der Tage aufleben läßt:
Schafe und Böcke werden getrennt, links und rechts scharf unterschieden,
Lohn für die einen das ewige Leben, die ewige Strafe den anderen.
Und auch die Stelle, aus der im Markus-Jahr das Evangelium am vorletzten
Sonntag im Kirchenjahr entnommen ist, spricht in starken Bildern vom
Scheideweg, mit dem Gott am Ende der Tage den Menschen konfrontiert.
Lediglich die von ihm Auserwählten werden bestehen können.
Markus steht dabei ganz in der Tradition der ihm bekannten Schriften,
von denen eine das Buch Daniel gewesen sein dürfte. In der daraus
entnommenen Ersten Lesung ist es eben jenes von Gott auserwählte
Volk, das gerettet wird, während die Unverständigen Schmach
und ewige Abscheu ernten. Ohne das Wort Gericht zu benützen entwerfen
die Autoren der Bibel ein Szenario, welches deutlich macht: Gott achtet
auf seine Schöpfung. Er will sie in seinem Sinne. Der Mensch kann
und muß sich dazu verhalten. Er hat die Wahl, die Liebe Gottes
anzunehmen, oder aber sie abzulehnen. Und sie sagen: Dies bleibt nicht
ohne Folgen.
Keinen Zweifel lassen die
biblischen Texte daran, daß der Mensch das ihm zugesprochene Heil
auch verspielen kann. Er, der Mensch, wir, die Menschen, haben die Freiheit
zu lieben oder zu hassen, Gott ähnlich zu werden oder ins Teuflische
zu mutieren, Jesus zu folgen oder seine Gebote in den Wind zu schießen.
Daß dies alles ohne Konsequenzen bleiben könnte, das möchten
wir wohl manches Mal annehmen, harmlos uns in die Zusage der Liebe Gottes
flüchten, als ob diese völlig unabhängig wäre von
mir und meinem Leben. Dort der ewig waltende Gott - hier mein kleines
Leben. Dem ist aber nicht so, wenn wir die Gedanken der biblischen Gottsucher
ernst nehmen. Sie beschreiben wieder und wieder einen Gott, der mit
uns in Beziehung treten will, nicht fernab des Weltgeschehens, sondern
mitten drin, und zwar in unseren Gedanken und Taten. Von so einem Bundesschluß,
von solcher Verbündung zwischen Abraham, Noach, Mose spricht die
Torá, Gottes Weisung in den ersten fünf Büchern des
AT. Und in dieser Tradition steht Jesus, der diesen Bund bekräftigt,
ihn mit Liebesblut ewig gemacht hat - in aller brutalen Konsequenz des
Todes an Kreuz. Ich will also keinesfalls in Abrede stellen, daß
der Mensch ganz grundsätzlich erlöst ist. Die Taufe eröffnet
unverlierbar diesen Horizont. Sonst wäre der Kreuzestod Jesu ja
eine Farce und die Auferstehung bliebe erfolglos. Nein, liebe Brüder,
liebe Schwestern, durch sein einziges Opfer hat er die, die geheiligt
werden, für immer zur Vollendung geführt. Für immer -
so formuliert es wörtlich der Hebräerbrief in der Zweiten
Lesung. Der Glaube an Jesus Christus macht gerecht, und dieser Glaube
ist wesentlich Geschenk. Und trotzdem macht auch die Rechtfertigungslehre,
jene große Errungenschaft der Reformation, der unsere katholische
Kirche sich zuletzt vollständig angeschlossen hatte, die Wahrheit
des Gerichts nicht überflüssig. Es ist ja eine oft gestellte
Frage, ob es denn angesichts der Gewißheit der Erlösung egal
sei, wie man lebe; überflüssig, Gutes zu tun, die guten Werke
ins eigene Belieben gestellt, zuletzt dann ja ohnehin alle gleich vor
Gott... Nun spricht der Evangelist Markus lediglich vom bevorstehenden
Ende der Welt und den äußeren Umständen, dieses zu erkennen,
von der erforderlichen Wachsamkeit, nicht aber von den Kriterien des
Auserwähltseins. Wer also gehört zu Gottes Volk? Wenn dies
ins Belieben des Einzelnen gestellt wäre, bräuchte es keine
Religion, keine Botschaft des Glaubens, kein Evangelium. Die Religionen,
und eben auch das Christentum, haben Gott so verstanden, daß er
den Menschen deshalb nahe kommt, um ihnen Wegweisung zu geben, wie sie
nicht an ihm vorbei, sondern auf ihn zu leben. Wer davon berührt
ist, wer dies begriffen, zum Teil seiner Existenz gemacht hat, wer Gottes
Stimme in seinem Gewissen vernimmt, der hat dann eigentlich keine Wahl
mehr, obgleich er noch immer die Wahl hätte. Wer sich auserwählt
weiß, muß zu dieser Wahl stehen. Wer sich geliebt weiß,
muß selber lieben. Andernfalls läuft er Gefahr auf der anderen
Seite des Menschensohnes zu landen, dort, wo Matthäus diejenigen
plaziert, die den Geringsten übersehen haben. Auch diesen Maßstab
verdrängen wir gern. Er ist aber klarer und schöner, als so
viele drastische Bilder, die es im Zusammenhang mit dem Gericht Gottes
gibt. Danach will Jesus uns richten: ob wir dort richtig gewählt
haben, wo seine Schöpfung mit Füßen getreten am Boden
liegt - krank, nackt, arm, gefangen. Dort ereignet sich Gottes Gericht
mitten in unserem Leben. Dort werden Himmel und Erde vergehen, aber
die Worte Jesu nicht. Dort - und dem können wir uns nicht entziehen
- bereiten wir uns vor auf unseren Jüngsten Tag. Amen.
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