|
Freude schenken
Weihnachtspredigt
über Jes 9,1-6 und Lk 2,1-14
24.12.2006 in St. Michael Tübingen (Thomas
Steiger)
Sechs Wochen lang und ungezählte
Male bin ich auf dem Weg in die Innenstadt an den Schaufenstern eines
Tübinger Kaufhauses vorbei gegangen, geschmückt - neben den
zum Kaufen feil gebotenen Waren - mit Glaskugeln und Lametta, mit bunten
Blättchen und Lichterketten, und jedes Mal habe ich das Werbeschild
gesehen, daß der Auslage seine innere Bestimmung geben sollte:
ein Mädchen mit rauschgoldfarbenem lockigen Haar und der Beschriftung
"Freude schenken". Schenkt man Freude mit Pullovern, Röcken,
Krawatten, Mänteln, Schlafanzügen? Liebe Schwestern, liebe
Brüder, Sie brauchen diese Frage selbstverständlich nicht
zu beantworten; es ist eigentlich auch keine Frage. Freude kommt aus
den Inneren des Menschen, aus seinem Herzen, wird erkennbar auf seinem
Gesicht, in seinen Gesten. Wie aber schenkt man dann Freude? Durch ein
Lächeln, eine kleine Aufmerksamkeit, durch ein Fest oder bloß
ein gutes Wort ... Freilich. Aber was steckt denn dahinter? Was ist
der Grund, daß wir uns freuen?
In den feierlichen Texten
der Heiligen Nacht taucht das Wort Freude zweimal auf, jeweils an exponierter
Stelle und mit klarer persönlicher Zuordnung. Gott schenkt sie,
er spricht sie aus und verbindet sie mit einer sichtbaren Zusage: dem
neu geborenen Kind. Du erregst lauten Jubel und schenkst große
Freude, heißt es bei Jesaja. Denn uns ist ein Kind geboren. Und
im Weihnachtsevangelium des Lukas: Ich verkünde euch eine große
Freude. Heute ist euch der Retter geboren, der Messias, der Herr. Daß
Kinder uns froh machen, in der Regel, uns ein Lachen entlocken können,
liegt in unserer Natur. Das Zarte, Zerbrechliche weckt unsere Zuneigung,
erinnert uns an die Sorglosigkeit, keine Verantwortung übernehmen
zu müssen. Wir spüren das, was noch Kind in uns geblieben
ist: der Liebe bedürftig, wach für Neues, was nach Leben hungert
in uns, den Schritt vorwärts, das Aufbrechen.
Das ist offensichtlich die
Art und Weise, wie Gott versucht, uns von der Freude zu überzeugen,
die er schenkt. Das Kind nimmt uns unmittelbar in Beschlag. An Weihnachten
versuchen wir, etwas von dieser Unmittelbarkeit in uns lebendig zu erhalten,
etwas Jahr für Jahr aufs neue einzufangen: Krippe und Kerzen, Christbaum
und Geschenke. Alles wegen des Christuskindes. Aber das Kind als Kind
ist nicht selbst die Ursache der Freude. Gott braucht das Kind lediglich,
um sich uns verständlich zu machen. Der Prophet Jesaja und der
Evangelist Lukas wollen das weitersagen, was sie von Gott gehört
und verstanden haben, in ihrem tiefsten Innern, in ihrem Herzen, was
sie ganz und gar ausfüllt. Und das ist eben, daß Gott seine
Welt froh machen will, jeden Menschen. Das Kind in der Krippe bringt
diese Freude zu uns, in unsere Familien und Kirchen, in den einsamen
Haushalt der alten Frau, ins Krankenzimmer des Klinikums, an den Tisch
des Akademikers und den des Briefträgers.
Liebe Schwestern und Brüder,
angesichts der Probleme, mit denen die Menschheit zu kämpfen hat,
könnte solches Reden beinahe ein bißchen banal erscheinen.
Natürlich sehnen wir uns nach Frieden, nach Gesundheit und Glück.
Wir sehen die Toten des religiös motivierten Terrors, den nicht
endend wollenden Konflikt in Jesu Heimat; wir beobachten mit Sorge das
Auseinanderklaffen der sozialen Schere in unserem Land, wo es immer
mehr Arme gibt, und Jugendliche aus solchen Familienverhältnissen
nur schwer eine Zukunftsperspektive für sich entdecken. Die Aussichtslosigkeit
der Medizin im Kampf gegen Krebs und Aids macht uns zu schaffen. Und
je mehr wir auf diese nüchterne Realität schauen, desto mehr
sehnen wir uns nach dem Grund zur Freude, daß nämlich Gott
dies alles verwandelt und heilt. Aber bleibt nicht alles beim Alten?
Vergeht nicht ein Weihnachtsfest nach dem anderen, ohne daß sich
etwas ändert? Wird nicht alles nur noch schlimmer in einer Welt,
die aus den Fugen gerät, einer Menschheit, die ihre Grenzen weniger
denn je respektiert? Es mag sein, daß wir dies so wahrnehmen,
und wenn man das Unheil auf unserem Planeten bemessen könnte, wäre
womöglich eine Zunahme zu verzeichnen im Verlauf der Menschheitsgeschichte.
Etliche kehren aus diesen Gründen dem Weihnachtsfest den Rücken,
können damit nichts mehr anfangen. "Was soll ich an die Freude
glauben, die von Gott kommt, wenn ich selber nichts zu lachen habe?"
Liebe Schwestern und Brüder,
wir dürfen das nicht selbstgefällig ausblenden, nicht überdecken
mit bürgerlichem Kitsch oder lässiger Verdrängung. Das
Negative, die Mutation des Menschen ins Böse als alleinige Wirklichkeit
anzusehen, wäre jedoch genauso verkehrt. Daß Gott auf seine
Schöpfung einwirkt, sie in seinem guten Sinne beeinflussen will,
ist feste Überzeugung der biblischen Verkündigung. Er tut
dies nicht flächendeckend nach dem Gießkannenprinzip, sondern
er erwählt sich ein Volk, das stellvertretend für die ganze
Menschheit seinen Willen leben soll. In seiner Dunkelheit, sagt Jesaja,
sieht dieses Volk ein Licht. Und es macht dieses unter den anderen Völkern
bekannt, unter den Menschen seiner Gnade, wie Lukas sagt. Wenn wir das
nicht anerkennen würden, liebe Schwestern und Brüder, wenn
Sie resigniert hätten angesichts des Grausamen und Unheilvollen
unserer Welt, dann wären sie in diesem Moment nicht Kirche, dann
hätten Sie sich nicht auf den Weg zur Krippe gemacht, hierher zum
gemeinsamen Fest jener anderen Realität. Weihnachten ist ein historisches
Ereignis: Vor 2000 Jahren hat Gott sich auf für uns Christen unüberbietbare
Weise unseren Verhältnissen angenähert. Er wird Mensch, glauben
wir, einer von uns. Mehr geht nicht. Mehr kann ein Gott nicht von sich
aufgeben. Indem er wie wir lebt, und leidet, kämpft und verliert,
arm ist und stirbt, wird unübersehbar, daß er mitten drin
steckt in unserer Welt, im Guten wie im Bösen, in der Zerstörung,
aber auch in der Freude. Und dieses ABER AUCH, das will uns die Bibel
wieder und wieder ins Gedächtnis rufen; das ist es, was wir in
dieser Nacht und am morgigen Festtag feiern. Das ist der entscheidende
Grund zur Freude! Weihnachten ist dann nämlich auch ein Ereignis
ohne unsere Vorstellung von Raum und Zeit. Es ist Gottes ewige Idee,
daß er uns froh machen will, indem er die Möglichkeiten der
Liebe bis an Äußerste ausreizt, bis in die Geburt eines Kindes,
bis in den Tod seines Sohnes. Das Kreuz erzählt uns davon und die
Krippe, der Arme-Leute-Ort, Ochs und Esel, die unscheinbaren Hirten,
das Kindlein in den Windeln. Gott zeigt sich uns in der Armut, an den
Orten, wo ich leide und traurig bin, wo es keinen Ausweg zu geben scheint.
Gerade dort ist er mir nahe. Sollte das kein Grund zur Freude sein?
Liebe Brüder, liebe
Schwestern, an Beginn meiner Predigt stand die Frage, wie man Freude
schenkt. Abgesehen davon, daß wir alle über das Maß
hinaus Beschenkte sind in unserem reichen Land, hat wohl jeder von uns
an diesem Abend Zeichen der Zuneigung erfahren in Gesten und materiellen
Gaben, die ihn froh machen. Der tiefste und eigentliche Grund kann aber
nur darin bestehen, daß wir uns dadurch als Menschen angenommen
und geliebt wissen, als ganze Person, als Frau und Mann und Kind und
Jugendlicher, der mit allen seinen Schwächen eines Geschenkes würdig
ist. Nur das macht wirklich Freude. Und so kommt Gott durch uns zur
Welt.
Amen.
|