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Predigt zu
Joh 1,29-34 am 1. Sonntag nach Epiphanias in der Eberhardsgemeinde (Heinrich
Braunschweiger)
Liebe Gemeinde!
Es gibt Bilder, die sind in Farbe und Form gegossene Worte. Im Museum
"Unter den Linden" in Colmar steht der Isenheimer Altar.
In seiner berühmten Kreuzesszene haben die entscheidenden Worte unseres
heutigen Sonntagsevangeliums Farbe und Form bekommen.
Mathis der Maler, genannt Grünewald, hat darin Johannes den Täufer
unter das Kreuz Christi gestellt.
Seine Hand mit dem überlangen Finger zeigt in fast befremdlich eindringlicher
Weise auf den Gekreuzigten. Und dieser Finger ist ein einziges "Siehe!"
Schau hin!
Johannes tauft hier nicht. Er weist. Er weist weg von sich auf den Mann
am Kreuz: "Siehe, dieser ist es. Seht, hier ist er - der Messias
Gottes, das Lamm Gottes, der Mensch, in dem Gott sich unser annimmt."
Der Täufer ist zum Zeugen
geworden, zum ersten Christuszeugen.
Und damit zum Vorbild der christlichen Gemeinde.
So hat Mathis der Maler ihn ins Bild gesetzt. So hat er unser heutiges
Evangelium unvergesslich in Farbe und Form gebracht.
Es ist in der Lutherbibel überschrieben: "Das Zeugnis des Täufers
vom Lamm Gottes".
Hören wir dieses Zeugnis im Evangelium des 1. Sonntags nach dem Erscheinungsfest
nach Johannes 1,29-34:
Am nächsten Tag sieht
Johannes, dass Jesus zu ihm kommt, und spricht: Siehe, das ist Gottes
Lamm, das der Welt Sünde trägt!
Dieser ist's, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der vor
mir gewesen ist, denn er war eher als ich.
Und ich kannte ich nicht.
Aber damit er Israel offenbart werde, darum bin ich gekommen, zu taufen
mit Wasser.
Und Johannes bezeugte und sprach: Ich sah, dass der Geist herabfuhr wie
eine Taube vom Himmel und blieb auf ihm.
Und ich kannte ihn nicht. Aber der mich sandte, zu taufen mit Wasser,
der sprach zu mir: Auf wen du siehst den Geist herabfahren und auf ihm
bleiben, der ist's, der mit dem heiligen Geist tauft. Und ich habe es
gesehen und bezeugt: Dieser ist Gottes Sohn.
Liebe Gemeinde,
in einer alten jüdischen Legende, wahrscheinlich stammt sie sogar
aus der Zeit Jesu, da wird erzählt:
Rabbi Jehoschua, Levis Sohn, traf einst den Elia am Eingang seiner Höhle
und sagte zu ihm: Wann wird der Messias kommen?
Elia erwiderte: Geh und frag ihn selbst.
Der Rabbi fragte: Wo befindet er sich, wo sitzt er? Und woran erkennt
man ihn?
Elia antwortete: Am Eingang der Tore der Stadt Rom sitzt er unter den
Armen, die mit Krankheit beladen sind. Sie alle verbinden ihre Wunde.
Sie tun es ohne Eile- alle außer ihm, dem Messias, denn er sagt
sich: Vielleicht werde ich von Gott verlangt, vielleicht ruft er mich,
um Israel die Erlösung zu bringen, dann will ich nicht aufgehalten
sein.
Und er ging hin zu ihm und sagte: Friede sei mit dir, mein Herr. Und der
Messias sagte: Friede sei mit dir, Sohn Levis! Der Rabbi fragte ihn: Wann
wirst du kommen, Meister?
Der Messias erwiderte: Heute!
Also jetzt, liebe Gemeinde,
an diesem Sonntag und morgen und an jedem Tag der neue Woche gilt dieses
Heute: Heute will der Messias kommen. Heute ist er da.
Das zu verkünden, ist
der Auftrag des Johannes des Täufers.
Das zu verkünden, ist er hinausgegangen an den Jordan. Die Gegenwart
des Messias zu verkünden, dazu tauft er mit Wasser.
Das ist alles andere als eine leichte und alles andere als eine unwesentliche
Aufgabe.
Denn die Menschen haben den Messias, den Heiland der Welt noch nicht entdeckt.
Er ist zwar schon mitten unter sie getreten, aber sie kennen ihn noch
nicht.
Kennen wir ihn denn, liebe Gemeinde?
Israel kennt ihn noch nicht.
Darum soll er dem Volk Gottes offenbart werden.
Selbst Johannes hatte ihn noch nicht gekannt, nicht wirklich seine Bestimmung,
sein Wesen erkannt.
Zweimal betont er: "Ich kannte ihn nicht, - ihn, der doch eher war
als ich! Ich kannte ihn nicht, bis mir die Augen geöffnet wurden
und ich ihn im Lichte des Geistes Gottes sah; bis ich ihn sah als den,
der alles, was er tut, im Geiste Gottes tut."
Darum ist es nun sein Auftrag,
den Messias bekannt zu machen - und das heißt: ihn zu bezeugen.
Das gesamte Wirken des Täufers steht denn auch wenige Verse zuvor
unter der Überschrift: "Dies ist das Zeugnis des Johannes".
Johannes der Täufer ist
also zugleich Johannes der Zeuge.
"Johannes", so heißt es im Evangelium, "Johannes
kam zum Zeugnis, um von dem Licht zu zeugen, damit sie alle durch ihn
glaubten. Er war nicht das Licht, sondern er sollte zeugen von dem Licht."
Warum? Warum ist dieser Auftrag, Zeuge des Christus zu sein, so wichtig?
Ist das Licht nicht sein eigener Zeuge?
Ja, für den, der Augen
hat zu sehen. Aber es gibt Lichter, es gibt Wirklichkeiten, für die
müssen uns die Augen erst geöffnet werden.
Das Licht, das der Welt aufgegangen ist im Stall von Bethlehem, das dann
leuchtete auf den Straßen Galiläas, unter den Armen, den Kranken,
den Verachteten - und dann zwischen zwei Verbrechern an einem der Kreuze
vor den Toren der Hl. Stadt - also überall dort, wo wir höchstens
aus Neugier hin-, aber meist mit Abscheu rasch wieder wegzusehen pflegen:
Das ist ein Licht, für das uns die Augen erst geöffnet werden
müssen.
Der, den Johannes als erster zu bezeugen hat, ist einer, der sonst übersehen
wird.
An dem man sonst achtlos vorbei, über den man sonst gedankenlos hinweg
geht -,
weil er auf seltsame Weise im Schatten der Weltgeschichte im Verborgenen
wirkt.
Er tritt ja nicht auf als Triumphator,
als Sieger unter Siegern. Er ist kein Superstar. Sondern er kommt "wie
ein Lamm", das unscheinbar in der gewaltigen Menagerie, dem gewaltigen
Zug der Menschen und Mächte, der Ideen und Ideologien seinen Weg
geht. Und wenn er ihn geht in einer Welt, in der einer des anderen Wolf
ist, dann wird dieser Weg ihm bald zu einem Leidensweg, zum Weg auf die
Schlachtbank.
Aber eben so, sagt Johannes,
ist er "Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt". Eben
so ist er der Sohn Gottes, der nicht das Seine sucht, sonder aus Liebe
zu Gott und den Menschen sich zu den anderen stellt.
Der, wiewohl selber unschuldig, die Schuld der anderen, die Schuld der
Welt auf sich nimmt und auf sich sitzen lässt. Und eben so ist er
Gottes wahrer Mensch.
Wenn wir also nach Gott fragen
- und wer müsste das nicht angesichts einer Welt, in der der Teufel
los ist und alles zu geschehen scheint, nur nicht der Wille Gottes;
Wenn wir nach dem Messias Gottes fragen - und wer, der je von ihm gehört
hat, müsste das nicht in einer Menschheit, die mit ihrer Weisheit
und ihren Möglichkeiten immer deutlicher an ihr Ende kommt -,
wenn wir also nach Gott und seinem Christus fragen, dann werden wir immer
wieder auf den Menschen gewiesen:
auf den Menschen in seiner Schuld und seinem Scheitern, auf den Menschen
in seinem Elend, seiner Verlassenheit, seinem Warum auf den Lippen, seinem
lautlosen Schrei nach Erbarmen.
- Und wenn wir davor nicht die Augen und die Ohren und nicht das Herz
verschließen, dann ist das allein das Werk des hl. Geistes, der
uns darin das Geheimnis der verborgenen Gegenwart Gottes, das Erkennungszeichen
des Messias erschließt.
Vor die Tore der Stadt Rom,
dorthin, wo das Elend zuhause ist, hatte Elia den Rabbi Jehoschua geschickt,
als de ihn fragte, wo er den Messias finden könne, um ihn nach seinem
Kommen zu fragen.
Als der Rabbi von dort zurückkehrte - so erzählt die Geschichte
weiter -, wollte Elia wissen, was der Messias nun zu ihm gesagt hatte.
Rabbi Jehoschua sagte: "Belogen und betrogen hat er mich. Hat er
doch zu mir gesagt: Heute komme ich! Und er ist nicht gekommen."
Elia antwortete ihm darauf: "Dies wollte er damit sagen: "Heute,
wenn ihr auf seine Stimme hören werdet."
Heute also, liebe Gemeinde,
weist Johannes mit seinem Finger auf den Gekreuzigten und sagt uns: "Den
sollt ihr hören."
Auf den sollt ihr achten. Er ist das Licht der Welt. In seinem Lichte
seht ihr euch selbst so, wie Gott euch sieht: als seine ins Leben gerufenen
Geschöpfe, als seine geliebten Kinder.
Und wo dieses Licht nicht ist,
da ist Angst, liebe Gemeinde: die Angst des Menschen um sich selbst. Angst
deshalb,
weil ich ohne dieses Licht ja im Dunkeln um meine Herkunft und Zukunft
tappe.
Weil ich glauben muß, ein Geschöpf des Zufalls zu sein, dass
mein Dasein also grundlos und deshalb letztlich sinnlos ist.
Es ist letztlich die Angst vor dem Nichts.
Und aus dieser Grundangst rühren alle anderen Ängste des Menschen,
die seinen Verstand vernebeln und die Welt in kleinere oder größere
Höllen verwandeln können.
Ich will nur einige dieser Ängste nennen, die in unserer Zeit viel
Böses in der Welt anrichten: da ist z.B. die Angst des Managers,
die Aktien seiner Firma könnten fallen und er mit ihnen. Aus dieser
Angst heraus wird er Entscheidungen treffen, die Tausende von Arbeitnehmern
und ihre Familien in Depression und Verarmung treiben.
Oder die Angst, dass die Ölquellen eines Tages versiegen. Oder dass
es angesichts des Klimawandels zum Wassernotstand kommt.
Welche Auseinandersetzungen werden uns da wohl noch bevorstehen. Welche
Höllen werden aus diesen Ängsten wohl entstehen.
Wo nicht Licht ist, da ist
Angst. Und diese Urangst ist sozusagen das Erbe, das jedem Menschen, der
auf diese Welt kommt, in die Wiege gelegt ist. Es ist die Ursünde.
Christus aber, das Licht der Welt, vertreibt die Angst, weil es mich aufklärt
über meine Herkunft und Zukunft, weil ich mich in seinem Licht als
geliebtes Kind des allmächtigen Schöpfers sehen darf.
Darum ist er auch das Lamm, das der Welt Sünde, die Erb-Sünde
hinwegträgt.
Wenn wir auch nur eine wenig
von diesem tiefsten Geheimnis des Glaubens erspüren, dann ahnen wir,
dass Gott hier in der Welt einen Ort, eine Quelle der ständigen Neuschöpfung,
der Erneuerung des Lebens geschaffen hat. Würde sie versiegen, so
wäre kein Leben mehr möglich.
Und wer das erkannt hat, wer
diesem Licht Raum in seinem Leben gibt, der vermag auch wieder zu hoffen
- mehr noch: er vermag zu vertrauen, dass eben doch und trotz allem der
Friede Gottes und seine Liebe eine reale Chance hat, weil nun nicht mehr
dem verhängnisvollen Teufelskreis der Angst und des Bösen das
letzte Wort gehört.
Vielmehr gehört es der Stimme dessen, in dem das Erbarmen Gottes
zu uns gekommen ist und nun unter uns leuchtet.
Denn sein Licht ist am Kreuz nicht erloschen, es ist zum Licht des Ostermorgens,
zum ewigen Licht geworden.
Aber, liebe Gemeinde, wer ihn so erkannt und erfahren hat, wer so heute
seine Stimme hört, der hat auch das Recht und den Auftrag, wider
alle Resignation und gegen alle Verzweiflung im Gefolge des auferstandenen
Christus in das Dunkel der Welt kleine helle Zeichen dieses kommenden
Friedens zu setzen, dort zu heilen, wo Wunden geschlagen wurden, dort
zu helfen, wo die Not zum Himmel schreit.
Und eben dies ist nun der Auftrag
seiner Gemeinde. Eben so ist seine Gemeinde, sind wir, wie Johannes, seine
Zeugen:
Gewiß selten einmal der gewaltig weisende, fast zwingende Finger
an der Hand des Täufers auf Mathis des Malers Bild.
Zumeist nur eine kleine Geste, ein schwacher Fingerzeig auf den Mann am
Kreuz. Und nur in den seltensten Fällen wissen wir, dass wir zu einem
Zeichen und Zeugen des Christus geworden sind.
Aber das ist der Auftrag der Gemeinde, wie Johannes auf Christus zu weisen.
Wir sind es ja nicht, die die
Welt erlösen und die Menschheit zurechtbringen müssten. Das
macht uns frei, mit ihr solidarisch zu sein, denn auch wir sind ja ein
Teil dieser Welt mit den dunklen und den hellen Seiten, und wir sind ja
nicht unbedingt die moralisch Besseren.
Und darum brauchen wir die
Menschen nicht zu verurteilen, wo sie uns nicht folgen wollen. Das ist
ja das große Missverständnis der Sekten, die alle verdammen,
die nicht nach ihrer Facon leben und selig werden wollen.
Aber die Menschen sollen und
brauchen nicht uns zu folgen. Sie sollen dem folgen, auf den wir nur weisen
können.
Und ob und wie sie das dann tun, darüber haben wir nicht zu befinden,
das können wir getrost ihm überlassen, ihm zu treuen Händen.
Das nimmt unserem Zeugnis nicht den Ernst, aber es nimmt ihm die Verbissenheit.
Zum Zeugnis des Täufers
gehörte, dass er von sich absah und von sich weg wies auf den, der
gekommen und gegenwärtig ist; dass er sich ganz zurücknehmen
konnte gegenüber dem, den er bezeugte:
"Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen" - so steht es über
dem Finger des Johannes auf dem Bild des Isenheimer Altars. "Mein
in der Dunkelheit gefangenes Ich muss abnehmen, damit das Christuslicht
in mir immer mehr Raum gewinnen kann."
Vielleicht ist es gut, auch
unser christliches Zeugnis, auch den Auftrag der Kirche, auch die Rolle
der christlichen Gemeinde unter diesem Wort zu sehen.
Vielleicht haben die Christen in den Zeiten kirchlicher Macht und christlicher
Dominanz den Blick auf den, der als das Lamm Gottes sein Werk tat und
tut, eher verstellt als erhellt.
Und vielleicht ist Mathis der Maler selber darin seinem Täufer mit
dem alles beherrschenden Finger ähnlicher geworden.
So weltbekannt dieses Bild ist, so unbekannt ist der, der es uns vor Augen
stellte. In einem Buch über ihn lese ich - und das möchte ich
Ihnen am Ende der Predigt noch weitergeben:
"Kein einziger Brief, keine theoretische Schrift von ihm ist erhalten.
Das humanistische Bestreben, sich literarisch auszudrücken, wie es
Dürer und die großen italienischen Meister hatten, war dem
Mathis fremd. Seine Persönlichkeit ließ er hinter seinem Werk
völlig zurücktreten. So wurde denn seine Kunst, zumindest der
Isenheimer Altar, durch die Jahrhunderte bewundert, auch als der Maler
selbst in Vergessenheit geraten war. Ihm wäre die Anonymität
wahrscheinlich recht gewesen. In dieser Hinsicht war er ein Gotiker, ein
bescheidener Diener am Werk, der um Gottes willen' schuf und nicht
für seinen eigenen Ruhm. Unzählige Menschen pilgern nach Colmar
ins Museum Unterlinden, zerbrechen sich nicht den Kopf über den Maler
und seine Lebensumstände und erhalten doch vielleicht den stärksten
Kunsteindruck ihres Lebens."
"Ich habe es gesehen und
bezeugt: Dieser ist Gottes Sohn."
Das ist Johannes der Täufer. Ein weisender Finger. Mehr ist er nicht.
Mehr will er nicht sein. Nur das ist sein Auftrag.
So hören wir heute sein Zeugnis. So folgen wir seinem Finger.
Wir tun es in jedem Gottesdienst, ja in jedem Gebet.
Und Gott gebe, dass wir als Gemeinde Jesu, als Christen, in dem, was wir
sind und tun, dann selber zu diesem Fingerzeig werden können für
andere, für unsere Welt - in diesem neuen Jahr, das uns geschenkt
ist, und in dem Licht, das uns zu Weihnachten aufgegangen ist.
Amen
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