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Predigt
über
Jer 1,1-19
am 17.12. 2006 in St. Michael (Andrea
Meier)
I.
"Immanuel" - Gott mit uns - so hat's die ganze Weihnachtszeit
über getönt. Auch heute begegnet uns in der Lesung diese Zusage:
"denn ich bin mit dir, um dich zu retten."
Sie bildet den Abschluss der Berufung Jeremias zum Propheten. Die kann
er ja wahrlich auch gebrauchen - wenn ein Mensch in einer solchen Form
von Gott gefordert, man könnte auch sagen überfordert wird,
scheint es nur recht und billig zu sein, dass sich Gott auch um ihn
kümmert.
Wenn Gott Jeremia, wie die Lesung erzählt, zu einer befestigten
Stadt, zu einer eisernen Säule, einer ehernen Mauer macht, dann
droht der Mensch Jeremia auf der Strecke zu bleiben. Der Mensch Jeremia,
der doch eigentlich gar kein Prophet sein will, dessen Widerspruch von
Gott aber nicht geduldet und sogar mit Drohungen niedergemacht wird.
"Erschrick nicht vor ihnen, sonst setzt ich dich vor ihren Augen
in Schrecken." Wenn ein Mensch auf solche Art von Gott beschlagnahmt
wird, kann diese Zusage auch mal ins ironische kippen - so auf die Art
"ich stelle dir eine Aufgabe, die so enorm ist, dass du an ihr
scheitern musst - aber ich bin bei dir."
II.
Was ist eine solche Zusage wert? Diese Frage wird auch Jeremia ausdrücklich
stellen - er fühlt sich betrogen und wird verletzt feststellen:
"HERR, du hast mich überredet, und ich habe mich überreden
lassen. Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen; aber ich bin
darüber zum Spott geworden täglich, und jedermann verlacht
mich." So ist es in der Bibel überliefert.
Diese Frage, was eine solche Zusage Gottes wert ist, ist auch für
mich eine zentrale Glaubensfrage. Allzu oft sehe ich Menschen an Aufgaben
scheitern, komme ich selber an Grenzen und die Zusage des "Immanuel"
- Gott mit uns - scheint mir nur noch Hohn zu sein. Wenn ich zum Beispiel
an die zwei Frauen denke, die ihre ganze Energie in ein Hilfsprojekt
für drogenabhängige Prostituierte steckten, denen dann aber
in letzter Minute doch die Gelder gestrichen wurden... oder an das alte
Kino unten am Fluss, das ein junges Team hergerichtet und wieder betrieben
hatte, bis beim Hochwasser letzten Herbst alle Träume davonschwammen.
Für Menschen, die nur das Gute gewollt und es auch getan haben
und trotzdem scheitern, steht der Wert der Zusage von Gottes Gegenwart
oft in Zweifel. Sie können dann mit Jeremia sagen: Von wegen "ich
rette dich" - betrogen hast mich! - verlassen und verloren komme
ich mir vor!
Was ist die Zusage wert?
Was bedeutet das "ich bin bei dir"? Was bedeutet es in Situationen,
wo wir Gottes Nähe so bitter nötig haben und sie doch so wenig
spüren?
Ich habe im letzten Sommer durch ein Theaterstück der Benediktinerin
Silija Walter einen neuen Zugang dazu erhalten, was die Zusage meinen
könnte. In dem Stück wird die Gründung des Klosters Ingenbohl
in der Schweiz erzählt und im Zentrum steht die junge Gründerin
Katharina, mit ihren Hoffnungen, Zweifeln und Ängsten. Gerade in
den schwierigen, angstvollen Zeiten, wenn Katharina mit Gott und ihrem
Schicksal hadert, taucht immer wieder die einfache Schwester Ulla auf.
Eine leicht gebückte Frau mit Gummistiefeln und einem Eimer in
der Hand. Und während Katahrina, weint, klagt, tobt und wimmert,
kommt diese einfach Frau und sagt "komm ich trags - ich trags für
dich". Dieser Satz bildet auch das Ende des beeindruckenden Spiels:
"komm ich trags - ich trags für dich". Schwester Ulla
bietet keine Lösungen, keine Erklärungen, keine grossen Worte.
Sie trocknet keine Tränen, sie verbindet keine Wunden - aber was
sie anbietet, ist vielleicht grösser als das. Sie sagt: "ich
trags" - nicht "ich helfe dir", oder "du kannst
mir ein Stück abgeben" - Sondern "ich trags für
dich" alle deine Nöte, deine Ängste, deinen Kummer -
du kannst sie mir abgeben, du brauchst sie nicht kleiner und nicht leichter
zu machen, du kannst sie nehmen in ihrer ganzen Härte und Unerhörtheit
und sie mir geben.
III.
Dieses Wort "Ich trag's" hat mir geholfen, auf dem Weg zu
einem Verständnis von dem, was die Zusage wert sein könnte.
In den Momenten, wo wir uns überfordert und von Gott betrogen vorkommen,
in den Momenten, wo wir alles uns mögliche getan haben und an die
Grenze des für uns Machbaren stossen, dürfen wir es zurückgeben.
Die religiöse Rede kennt den Ausdruck "zurück in Gottes
Hand". Ich kann mir aber auch durchaus vorstellen, dass wir es
Gott (!) auch mal vor die Füsse werfen können. Uns auf die
Zusage verlassen heisst in solchen Momenten - Gott beim Wort nehmen:
"Du hast gesagt du wollest bei mir sein - hier, sieh wie's mir
ergangen ist! Wie soll ich das verstehen?!" Darauf zu vetrauen,
dass Er es für uns trägt heisst, dass wir die Last nicht kleiner
zu machen brauchen - wir können ihm alles zumuten, was uns zugemutet
wird.
Eine solche Haltung darf
nicht verwechselt werden mit blossem Gottvetrauen im Sinne von "der
Herr wird es schon richten" - es geht vielmehr darum, dass wir
als mündige Menschen, die Herausforderungen annehmen und unser
Bestes geben - aber auch für die stärksten Selbstbewusstesten
unter uns ist es manchmal zu viel, sind manche Aufgaben zu schwer. In
diesen Momenten des Scheiterns können wir die Zusage stark machen
- Er ist mit uns. Wir müssen nicht alles von uns abhängig
machen. Ohne uns selber klein zu machen, können wir sagen - jetzt
kann ich nichts mehr ausrichten, alles Menschenmögliche habe ich
getan - jetzt bist du - Gott - dran!
Statt unserm scheinbaren Schicksal zu unterliegen oder gar den Fehler
immer bei uns zu suchen, können wir dann auch mal Gott an sein
Versprechen erinnern - so wie es und uns Jesaia vormacht: "Niemand
ruft deinen Namen an oder macht sich auf, dass er sich an dich halte;
denn du hast dein Angesicht vor uns verborgen und lässt uns vergehen
unter der Gewalt unsrer Schuld. Aber nun, HERR, du bist doch unser Vater!
Wir sind Ton, du bist unser Töpfer, und wir alle sind deiner Hände
Werk."
IV.
Diese Art der Frömmigkeit, die sich klagend und anklagend an Gott
wendet, hat im alten Testament eine lange Tradition. In Psalmen und
Gebeten wird vor Gott geklagt, ja: Er wird sogar der unterlassenen Hilfeleistung
angeklagt, seine Zusage wird eingefordert. Sie kennen den Klagepsalm,
mit dem Jesus nach Ausweis des Markusevangeliums am Kreuz stirbt. Es
ist der Psalm 22: "Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?!",
so lautet die gängige Übersetzung
Der Beter in Psalm
22 klagt im Originaltext aber "Mein Gott, mein Gott wozu hast du
mich verlassen?" Der Beter fragt nicht nach dem Grund, den vielleicht
gar bei sich finden könnte, sondern nach dem Ziel. Er fragt, was
Gott mit ihm vorhat.
Wenn wir uns auf eine solche
Haltung einlassen - Gottes Zusage nicht bloss als tröstendes Wort,
sondern als bei ihm einklagbare Gerechtigkeit anzusehen, dann verabschieden
wir uns von einem harmonischen Gottesbild.
Wenn wir Gottes Zusage einfordern, dann fordern wir ihn heraus, dann
fordern wir seine Treue heraus. "Ich bin nicht schuld - aber dass
Du mir das antust - kann das sein?". Indem wir so reden, werden
wir zu Menschen, die grenzenlos und sogar entgegen unserer Erfahrung
hoffen. Obwohl wir uns von Gott verlassen erfahren, lassen wir nicht
von ihm ab "Du bist doch nicht so - du bist keiner, der einem im
Stich lässt!"
Indem wir Gott anklagen bauen wir auf ihn gerade dann, wenn wir ihn
nicht spüren, wenn wir uns fern von Ihm vorkommen. Dieses Hoffen
gegen alle Fakten, gegen besseres Wissen verkörpert in dem Spiel
von Silija Walter die Schwester Ulla - diese ungeheuerliche Hoffnung
entgegen allem Chaos ist es, die kommt und sagt "ich trag's - ich
trag's für dich!"
Eine unauflösbare Spannung bleibt, unser Vertrauen ist gefordert,
aber vielleicht sollten wir es - Gott und uns zuliebe - trotzdem wagen!
Es wagen, zu hoffen trotz allem. Uns nicht einschüchtern lassen
von Besserwissern und Schwarzmalern, von scheinbaren Tatsachen, Unübersichtlichkeiten
und von unserer eigenen Machtlosigkeit, denn es gibt Einen, der sagt:
"ich bin der Immanuel - ich trag's, ich trag's für euch".
Amen
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