Predigten

 
 

Keine Kirche

Predigt über Offb 21,22
6. Ostersonntag C - 12./13.5.2007 in Tübingen und Bühl (Thomas Steiger)

Liebe Schwestern und Brüder, bei meiner Predigt heute will ich mich an nur einem Satz aufhalten, diesen jedoch beziehen auf die übrigen Bibeltexte dieses Sonntags, weil seine Brisanz sich auf diese Weise noch deutlicher zeigt. Einen Tempel sah ich nicht in der Stadt. Denn der Herr, ihr Gott, der Herrscher über die ganze Schöpfung, ist ihr Tempel, er und das Lamm. Es ist der 22. Vers aus dem 21. Kapitel der Geheimen Johannesoffenbarung, eines in der apokalyptischen Tradition stehenden Textes, ganz zuletzt ins NT eingegangen, wohl nicht zuletzt weil solche Visionen natürlich Irritationen Vorschub leisten: Kein Tempel in der heiligen Stadt Jerusalem, keine Wohnung für den Heiligen im religiösen Zentrum der damaligen Zeit, kein Ort der Gottesbehausung im wiedererstandenen Paradies, keine Kirche im Himmel!! In der Vorstellung des Johannes scheint jedenfalls so eine ausgewiesene Stätte der Zusammenkunft für die Glaubenden in der Zukunft, die er sieht, nicht zwingend notwendig zu sein.

Nun könnten wir sagen, liebe Gemeinde, daß dies ja künftig schon recht sein mag - in der Vollendung, in einem fernen, jedenfalls von uns nicht näher zu bestimmenden Reich Gottes. Aber hier auf der Erde, zu unseren Lebzeiten, da brauchen wir doch die Kirche, den Gottesdienst, den Hl. Michael/Pankratius als unseren fürsprechenden Patron. Gerade für einen Katholiken ist das doch eine kaum auszuhaltende Vorstellung, daß alles, was Menschen für Gott geschaffen haben, nutzlos sein soll, überflüssig. Die Kirche ist doch bei uns die sichtbare Grundlage für das Sakrament, in dem Gott seine Herrlichkeit uns offenbaren will, für Jesus Christus. So lehrt es unsere Tradition tatsächlich. Aber was lehrt sie da? Es ist ja nicht ausgemacht, daß wir das auch richtig verstehen.

Ob Jesus selbst eine Kirche gegründet hat, ja ob er sie bloß gewollt hat, ist unter den Bibelwissenschaftlern höchst umstritten. Was unmittelbar von Jesus selbst überliefert ist, spricht eher dafür, daß er kein besonderes Interesse am Aufbau von verbindlichen Regeln oder an einer institutionellen Verankerung seiner Predigt hatte. Er sammelte Anhänger um sich, pflegte einen einfachen Lebensstil, zog im Land herum, interessierte sich in erster Linie für den einzelnen, dem er begegnete, für dessen Heil und Leben. Jesus stand für Gott, und er wollte andere von der schieren Notwendigkeit überzeugen, daß ihnen eine Orientierung an Gott auch gut tun würde. Darauf lenkte er ihren Blick. Ein bißchen etwas davon hören wir aus der Abschiedspredigt heraus, die der Evangelist Johannes im Geiste Jesu verfaßt, die er ihm in den Mund gelegt hat: Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten; mein Vater wird ihn lieben. (... Und J) Wenn ihr mich lieb hättet, würdet ihr euch freuen, daß ich zum Vater gehe; denn der Vater ist größer als ich. Alles, um was es dem Christenmensch gehen muß, ist demnach seine persönliche Ausrichtung auf Gott; diese allerdings wird uneingeschränkt verlangt. Mit der Welt, sagt Johannes, hat dies nichts zu tun, jenen Frieden kann die Welt nicht geben; den Frieden nicht und auch sonst nichts wirklich, was von Gott kommt. Der Herrscher über die ganze Schöpfung ist Gott allein - so sinngemäß die Offbarung -
Tatsache ist aber auch, liebe Schwestern und Brüder, daß bereits die Briefe des Paulus und die Evangelien die Strukturen des erwählten Volkes Israel auf die Kirche übertragen haben und daß diese sich in den jungen Christengemeinden bereits zeigten. Da gibt es Aufgaben, aus denen Ämter gemacht werden (der Diakon, der Bischof). Die Begabungen der Glaubenden (Charismen) werden in verschiedene Bereiche unterteilt: Propheten, Lehrer, Älteste... Es tauchen Fragen auf, die wegen ihrer Wichtigkeit geklärt werden müssen, und dazu braucht es eine Instanz. Den wohl bedeutendsten Fall nach Pfingsten beschreibt die Apostelgeschichte ausführlich, bis auf dem ersten Konzil der Christentumsgeschichte die Frage abschließend geklärt wird. Den Heiden, denen die nicht wie die Juden bereits an Gott glaubten, wird es erlaubt, auf direktem Weg Christ zu werden - ohne Beschneidung. Offenbar ist es die erklärte Absicht der Versammlung in Jerusalem damals gewesen, keine unnötigen Hürden aufzurichten, keine menschliche Disziplin, die von Gott ablenken könnte, keine Institution, die sich wichtiger nimmt als ihre Aufgabe.

Womit wir, liebe Brüder, liebe Schwestern, wieder beim Punkt wären: bei der Notwendigkeit der Kirche. Daß wir sie haben, daß wir zu ihr gehören, daß sie sich nicht aus der Welt schaffen ließe, mir nichts, dir nichts, steht fest. Schon bald nach Ostern zeigten sich die Ansätze dafür. Nicht ohne Grund: Der Mensch braucht helfende Vermittlung, der Glaubende einen irdischen Rahmen. Allerdings ist dieser zu einem eben genau umschriebenen Zweck da. Und nur dafür! Er hilft, die Herrschaft Gottes zu sehen, anzuerkennen. Selber also darf die Kirche nicht herrschen, nicht abschließend urteilen, nicht sich unverzichtbar machen. Im Gegenteil - und das, meine ich, ist die kritische Sinnspitze der Offenbarung: Die Kirche muß mit ihrer Überflüssigkeit geradezu kokettieren, um Gottes Willen, um den Blick auf ihn offen zu halten.

Die visionäre Wahrheit des Apokalyptikers Johannes aus dem 2. Jahrhundert hat also Konsequenzen für das 21. Wenn er in der Zukunft des wahren Lebens bei Gott keine Kirche sieht, dann schlägt dies zurück auf die Bedeutung und Gestalt dieser Kirche im Hier und Jetzt: Vorbereiten sollen wir uns also auf die Zeit ohne Kirche. Was kommt, schon einmal einüben. Gäbe es nicht einige Punkte, wo sie überflüssig ist? Als Machtfaktor im gesellschaftlichen Miteinander, wenn Amt und Würden wichtiger sind als die Provokationen, mit der Gott seine Schöpfung und Geschöpfe konfrontiert beispielsweise. Bemerken wir nicht doch den einen oder anderen Punkt, wo sie den Blick auf Gott mehr verstellt als ihn zu ermöglichen? Im konfessionellen Gerangel um Spitzfindigkeiten einer Glaubenslehre, die nicht mehr gewahr ist, daß alle menschliche Erkenntnis Gottes Stückwerk ist und bleibt. Müßte sie sich nicht an anderer Stelle dafür mehr einsetzen, um Gott zur Herrschaft zu verhelfen? Überall dort, wo ein Mensch vergessen zu werden droht, statt sich um den Erhalt der eigenen Existenz zu kümmern.

Das sind zweifelsohne kritische Töne. Aber um das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, sind sie nötig. Wir bauen mit an der Stadt Gottes, in der die Kirche bedeutungslos wird. Worauf warten wir?