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König
der Herzen
Christkönigsfest C
- 24./25.11.2007 in Tübingen und Bühl
Ansprache über Lk 23,35-43
(Thomas Steiger)
Es gibt ein seltsames Phänomen
in der Kirche, das mir, je länger ich es beobachte, je mehr zu
denken gibt. Ich könnte es am ehesten mit "Kurzsichtige Symptombekämpfung"
bezeichnen. Und gemeint ist damit die Tendenz, nicht scharf und genau
hinzusehen, eben kurzsichtig, und deshalb an der Oberfläche der
Realität haften zu bleiben, daran herumzudoktern. Etwa so, als
könnte man ein Problem beheben, indem man es bunt anmalt.
Der eine der beiden Verbrecher,
die mit Jesus gekreuzigt werden, macht es gerade so: Er sieht nur den
geschundenen Leib Jesu, seine Todverfallenheit, seine äußere
Verletztheit. Die innere Ausrichtung dieses Menschen, und die Kraft,
die von ihm ausgeht, ahnt er nicht einmal. Der Titel Messias, den er
höhnisch gebraucht, bedeutet ihm nicht mehr als ein Macht-Wort,
ein religiöses Versatzstück ohne echte Bedeutung. Daß
sich dahinter etwas verbergen könnte, das ihn verändern will,
daß überhaupt erst in der Begegnung mit seinem Leben einen
Wert erlangen könnte, das ist ihm ganz und gar fremd. Er hat offenbar
nie gelernt, sich selber in Frage stellen zu lassen, oder sich den Tiefenschichten
der Wirklichkeit zu stellen. Für alles, was er sieht, gibt es in
seinem Weltbild eine eindeutige Erklärung; er hat sie, er besitzt
sie. Daß es tiefer liegende Schichten geben könnte, eine
Uneindeutigkeit der Deutung, etwas kostbar Zerbrechliches ... Daß
gar Gott sich dort zeigte ... Wer Messias genannt wird, ist stark, kann
kämpfen, braucht keine Hilfe. Ein König hat einem klar umrissenen
Bild zu entsprechen. Wer am Kreuz hängt, kann nicht Gott sein.
So einfach ist das.
Und in der Denkwelt der Christen
spielt sich oft ganz Ähnliches ab. Ich will Ihnen einige konkrete
Beispiele geben:
1. Seit Jahren bemüht sich unsere Gemeinde darum, Jugendliche für
das Leben hier zu gewinnen: für eigene Gruppen, durch Jugendgottesdienste,
durch besondere Angebote und Aktionen. Außer den Ministranten,
die gut laufen, hat sich aber eigentlich nie etwas getan. Und alle Analyseversuche,
jede noch so gut gemeinte Anstrengung, 15 bis 20-Jährige zu gewinnen,
sind zuletzt gescheitert. Ja, es gibt eben so viel Konkurrenz heutzutage,
und das Internet. Wir sind eben nicht attraktiv genug. Ja, offenbar
nicht. Attraktiv bedeutet ja "anziehend". Könnte es vielleicht
sein, daß wir viel zu sehr an den äußeren Bemühungen
hängen bleiben, an Uhrzeiten, und Orten, an Personen und Organisationsfragen,
statt unsere eigene innere Anziehungskraft zu pflegen und zu erhöhen?
Der am Kreuz hängt, ist über das widerwärtige Spektakel
hinaus nichts, aber auch gar nichts Attraktives. Seine Macht, die uns
in Beschlag nehmen will, liegt wo ganz anders. Sie verspricht aber,
uns gut zu tun, uns zu erlösen. Und danach zu streben, lohnte sich
sehr wohl.
2. In bezug auf die Nachwuchsprobleme an Pfarrern in unserer Kirche
werden seit Jahrzehnten erhitzte Debatten geführt. Die stereotyp
wiederkehrenden Lösungsvorschläge sind Ihnen vertraut: den
Zölibat abzuschaffen, Frauen zu Priestern zu weihen. Beides gehört
nicht verdammt, sondern überlegt und abgewogen. Aber beides gehört
auch an die Oberfläche des Systems Katholische Kirche und trifft
nicht in ihren Kern, wo der Glaube an Gott angesiedelt bleibt, was auch
immer geschieht. Warum aber fehlt es an Attraktivität für
den Dienst des Priesters, den Beruf des Pfarrers? Weshalb will niemand
es wagen? Natürlich: keine Ehe, kein Arbeitsvertrag, keine geregelten
Arbeitszeiten, wenig Möglichkeit, sich abzugrenzen. Das stimmt
alles. Und doch liegt die Ursache wo anders; im Herzen, im Innern. So
als ob Gott dort fast gar nicht mehr hinkäme, um seine königliche
Macht zu entfalten.
3. Das dritte Beispiel ist eines, das Gemeinde wie Pfarrer gleichermaßen
beschäftigt, nämlich der Schwund an Mitfeiernden in unseren
Gottesdiensten, schleichend oder höchst unübersehbar. Die
Sonntagspflicht, keiner nimmt sie mehr ernst, sagen die einen. Oh, wenn
doch der Gottesdienst zu einer besseren Uhrzeit wäre, nicht so
spät, also um 8 Uhr, nicht so früh, am besten um 11 Uhr. Früher,
da hatte man eine Auswahl. Ein Gottesdienst für die Alten, einer
für Familien, eine Jugendmesse, ein Langschläfergottesdienst.
Und wenn doch nur jeden Sonntag der gleiche Priester da wäre, wegen
der Kontinuität, unser Pfarrer... Aber warum gehen wir denn am
Sonntag in die Kirche? Und weshalb tun wir Gutes? Wozu leben wir nach
dem Gebot der Nächstenliebe? Wegen uns - oder wegen Gott?
Liebe Schwestern und Brüder,
allzu deutlich hält uns der letzte Sonntag des Kirchenjahres vor
Augen, worauf es Jesus ankommt. Er kann nur in unserem Herzen König
sein. Alle kosmetischen Schönfärbereien passen nicht zu ihm:
hier ein bißchen Rosenkranz, da eine Unterschriftenaktion. Jesus
ist bis zuletzt ein Herrscher der anderen Art, wo wir mit unseren landläufigen
Vorstellungen nicht nur nicht weiter kommen, sondern wo diese als oberflächlich,
als äußerlich, als sekundär entlarvt werden. Wenn ich
aber die Kraft des Kreuzes zu verstehen beginne, diese in die Abgründe
des Todes, der Niedrigkeit hineinführende Kraft, dann verändere
ich mich. Ich werde frei davon, die Lösung durch eigene Maßnahmen
erreichen zu müssen. Ich bekomme eine Ahnung davon, daß ich
mich eben nicht selbst erlösen kann. Ich beschränke mich nicht
auf das Naheliegende, das schnelle Ergebnisse verheißt. Das Christkönigsfest
am Ende des Kirchenjahres öffnet eine universale, eine absolute
Dimension: im Bezug auf das Paradies deutet Lk das an, und Paulus in
seinem Hymnus auf den Sohn Gottes, der alles in allem zu sein, ein Mensch
geworden ist - kein Trostpflästerchen, sondern der einzige Trost,
der mir bleibt, weil mein Leben aus das Vergehen ausgerichtet ist, ganz
und gar. Daran, empfehle ich, sollten wir uns halten, auch bei den vielen
kleinen organisatorischen Fragen des Priesternachwuchses, der Jugendarbeit,
der kleiner werdenden Zahl. Ich bin gewiß, daß dies Menschen
überzeugen kann, mehr als alle Strukturreformen. Denn: Wenn Christus
in meinem Herzen regiert, wird das nicht verborgen bleiben. Amen.
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