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        Ende und 
          Anfang 
          
        Predigt über Jes 2,1-5 
          und Röm 13,11-14a und Mt 24,29-44 
          am I. Adventssonntag A - 27./28.11.2004 in Tübingen und Bühl 
          (Thomas Steiger)
        Liebe Schwestern, liebe Brüder! 
          Der erste Advent ist ein Zwitterwesen: Er steht einerseits ganz unter 
          dem Blickwinkel der Vollendung, andererseits beginnt mit ihm eine neue 
          Zeit. Ende und Anfang verschlingen sich ineinander, werden zur Gelenkstelle 
          der Welt- und Menschheitsgeschichte. Dieser Wendepunkt der Zeit wird 
          in der Bibel an vielen unterschiedlichen Stellen angesprochen. Er ist 
          geradezu einer der roten Fäden, der das semitische Denken prägt 
          und deshalb im Denken der Gottesredner einen entscheidenden Rang einnimmt. 
           
           
        Jesaja - wir haben es gehört 
          - spricht davon zu Beginn seines ersten Buches, nachdem er zuvor eine 
          fundamentale Kritik an der Glaubenspraxis und Lebensweise seines Volkes 
          in den Raum gestellt hatte. Daran an schließt sich seine Vision 
          von Ende und vom Anfang: die Wallfahrt der Völker, aller Welt also, 
          zu Gott hin; eine radikale Umkehrung der Verhältnisse, wenn nicht 
          mehr Krieg und ungerechte Ausbeutung herrschen, sondern der Mensch seine 
          Fertigkeiten zum Wohle des anderen, aller, einsetzt; Schwerter zu 
          Pflügen, Lanzen zu Winzermessern, das tägliche Brot für 
          jedermann, den Wein der Freude in jedes Haus. 
           
        Paulus - er ist der nächste 
          in der chronologischen Reihe der Entstehung - integriert seine heilsgeschichtliche 
          Einordnung in grundsätzliche Überlegungen zum Leben derer, 
          die an Gott glauben. Welche Perspektive hat der Fromme? Die vielen moralischen 
          Vorschriften, die er am Ende seines Hauptbriefes der Christengemeinde 
          in Rom empfiehlt, münden in das Gebot, in dem Jesus alles zusammen 
          gefaßt, vereinigt sieht: Du sollst deinen Nächsten lieben 
          wie dich selbst. Leider sieht die Leseordnung diesen Bezugsrahmen 
          nicht vor. Sie beginnt, wie wir in der 2. Lesung gehört haben, 
          erst mit der Geschichtsschau des Paulus, die sich unvermittelt daran 
          anschließt: Auch Paulus weist wie Jesaja auf das bevorstehende 
          Ende der uns bekannten Verhältnisse hin; und daß sich daran 
          eben ein Umbruch anschließen wird, ein Wandel, wie wir ihn uns 
          nicht vorstellen, ihn nur erahnen können. Eine Revolution, durch 
          die Gott endlich das beginnen kann, was in seiner Schöpfung bislang 
          nur im Kein angelegt war: den Sieg des Lichts über das Dunkel in 
          Jesus Christus. Wer es wagt, ihn als neues Gewand anzuziehen, 
          wer also sich ganz und gar dem Evangelium übereignet, wer so zu 
          leben bereit ist, wie Jesus es getan hat, der wird den Anfang der neuen 
          Zeit Gottes miterleben können. 
           
        Im Blick auf Christus, den 
          Menschensohn, beginnt schließlich der Evangelist Matthäus 
          seine apokalyptische Schau. In eindringlichen Bildern beschreibt er 
          die Zeitenwende, deren Realisierung er ganz und gar mit der Ausrichtung 
          auf Jesus Christus verbindet. Er, Christus, und seine Frohe Botschaft 
          einer besseren Welt, ist der ausschließliche Maßstab, an 
          dem sich entscheidet, wer beim Neuanfang dabei sein wird und wer nicht. 
          Am einprägsamsten für die Unterscheidung ist wohl das Bild 
          von den Menschen, die ihrem Tagwerk nachgehen, und die plötzlich 
          - mitten im Alltag, heraus gerissen werden - unter dem Vorzeichen dieser 
          Entscheidung: Von zwei Männern, die auf dem Feld arbeiten, wird 
          einer mitgenommen und einer zurückgelassen. Und von zwei Frauen, 
          die mit derselben Mühle mahlen, wird eine mitgenommen und eine 
          zurückgelassen. 
        An den normalen äußeren 
          Umständen kann man also das Ende des Alten nicht ablesen. Das gleiche 
          Feld, ein und dieselbe Mühle, ein gemeinsames Büro, im gleichen 
          Klassenzimmer, hier wir vielen in einer Kirche - von außen sieht 
          man uns nichts an. Wir kleiden uns ähnlich, kaufen im selben Laden 
          ein, wählen die gleichen politischen Parteien; und vielmals sagen 
          wir sogar das Gleiche, übernehmen die Parolen, die man uns vorsetzt. 
          Worin dann besteht der Unterschied zwischen uns Menschen: den Glaubenden 
          und den Agnostikern, den eifrigen und den weniger eifrigen Christen, 
          den Kirchenmitgliedern und den Ausgetretenen, uns Christen und den Muslimen, 
          den Andersgläubigen? Woran kann ich erkennen, ob ich am Ende für 
          den Anfang Gottes gerüstet bin? Und wer fällt das Urteil? 
        Liebe Schwestern, liebe Brüder, 
          einhellig sprechen die drei biblischen Gewährleute dieses 1. Adventssonntags 
          (Jesaja, Paulus, Matthäus) von einem Tag, an dem Gott, der Herr, 
          in unsere Mitte treten wird. Es kann jeden Moment sein; der genaue Zeitpunkt 
          ist niemandem bekannt. Allein daß er kommen wird, und daß 
          dieser Augenblick der entscheidende der ganzen Erdenwelt sein wird, 
          dies steht den prophetischen Gottesmännern fest vor Augen. Im Blick 
          darauf soll jeder Mensch leben. Das ist der gedankliche Kern solcher 
          Theologie: daß nämlich die Welt nicht einfach so lebt und 
          in ihr das Leben eines jedes Menschen vor sich hin plätschert, 
          sondern daß die Zeit in Gottes Hand liegt, daß er sie strukturiert. 
          Und in dieser Gliederung gibt es einen alles entscheidenden Punkt, den 
          keiner verpassen soll. Er ist der Orientierungspunkt für alles 
          sinnvolle Leben! Auf ihn hin leben soll jeder von uns. 
           
        Aber nicht einfach leben, 
          wie man will, sondern wach leben, so, daß der Glaube an Gott in 
          uns lebt, all unser Denken in die rechten Bahnen lenkt, und unser Handeln 
          davon bestimmt ist; so leben, als ob es in jedem Augenblick darauf ankäme, 
          den Willen Gottes zu erfüllen, als ob die Frage jetzt an mich gerichtet 
          würde: "Hast Du so gelebt, wie es Deinem Glauben entspricht, 
          wie Gott es von Dir erwartet, nach allem, was Du wissen kannst?" 
          Und diese Frage, liebe Schwestern und Brüder, bleibt eben nicht 
          hängen an den von uns Menschen gemachten Maßstäben, 
          nicht an Konfession und Frömmigkeitsformen, nicht an der Oberflächlichkeit 
          von religiösen Vollzügen, an Liedauswahl und Wandlungsläuten, 
          an der Amtsfrage und der Kirchenzugehörigkeit. Nein, der adventliche 
          Christus wird seine Kriterien an uns richten, an jeden Menschen: was 
          hast Du getan, wen hast du geliebt - um meinetwillen. 
           
        Im Blick auf die Ausstellung, 
          die in dieser Adventszeit die Michaelskirche optisch prägen wird 
          - Moschee in der Kirche - erhält diese Frage noch 
          einmal ein stärkeres Gewicht, weil sie von allen Äußerlichkeiten 
          weg ganz ins Wesenszentrum, in die Personmitte eines jeden Menschen 
          gerichtet ist. Dort wird die Entscheidung fallen, ob einer für 
          den Tag des Herrn bereit ist: im innersten Innern, im Gewissen; dort, 
          wo Gott einen berührt. Es sind viele Wege, die zu Gott führen, 
          und auch außerhalb der katholischen Kirche gibt es die Wahrheit 
          echten Gottesglaubens zu finden - sagt unser II. Vatikanisches Konzil. 
          In dieser prinzipiellen Offenheit sollten wir im Andersglaubenden den 
          suchenden Bruder, die fragende Schwester erkennen, die mit uns auf dem 
          Weg ist, zu dem Gott hin, der allein unsere Welt neu machen kann - und 
          eben nicht der egoistische Wille von Menschen, die Gott für ihre 
          Zwecke mißbrauchen - im Christentum, im Islam. 
            
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