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Siegreiche
Überwindung
Predigt über Offb 3,1-6
(Reihe 6) anläßlich des Kanzeltauschs am 3. Advent 16.12.2007
- 10.00 Uhr Eberhardskirche Tübingen (Steiger)
Wer überwindet, der
soll mit weißen Kleidern angetan werden ...
Manchmal muß man sich einfach überwinden. (1) Zum Beispiel
am Sonntag morgen, wo man doch gerne den ganzen Vormittag im Schlafanzug
in der Wohnung vor sich hin träumen würde, anstatt hierher
in die Kirche zu kommen. Das kostet mich was von meiner Freiheit, meiner
Freizeit, meinem Freiraum. (2) Mehr noch kostet es mich, wenn ich den
ersten Schritt auf jemanden zumachen soll, der mich bis aufs Blut geärgert
hat. Es soll solche Menschen geben, die mir die Zornesröte beim
bloßen Gedanken an sie ins Gesicht treiben. Dann geht es um meinen
Stolz, mein Recht, die Wahrheit. Es kostet mich viel, die zu überwinden.
(3) Oder: Das Auto stehen zu lassen und statt dessen mit dem Bus zu
fahren, zu laufen, das Fahrrad zu nehmen, für die dreihundert Meter
zum Bäcker, in die Kirche, zum Einkaufen ins Städtle, so oft
es eben geht. Andere fahren schließlich auch. Da ist er wieder,
der Vergleich. Was kann ich dafür, daß die keine besseren
Autos bauen. Und ich soll mich überwinden?! (4) Schließlich
noch etwas: Das Mehr an Lebensqualität, auf die wir doch so stolz
sind. Bereitet sie nicht anderen Kummer, ohne daß ich das zu bemerken
bereit bin. Afrika ist weit weg und die Stuttgarter Straße auch,
oder das Männerwohnheim. Selber Schuld! Oder bin ich etwa Schuld,
daß die Schuld sind?
Manchmal muß man sich
einfach überwinden. Und doch steht auch so viel dagegen: meine
Bequemlichkeit, die Gefahr ausgenützt zu werden, der Spott der
anderen, das unendliche Abwägen. Sich zu überwinden, das bedeutet
ja meistens, auf etwas zu verzichten, das einem vermeintlich zusteht:
Ausschlafen, Spaß, Wohlstand. Meinen Schülern in der Zehnten
ist es kaum nahezubringen, daß sie kommenden Freitag früher
als alle anderen zum Weihnachtsgottesdienst sich aufmachen sollen, vielleicht
schon vor 6 Uhr aufzustehen, damit sie pünktlich ihren Part übernehmen
können. "Andere müssen das doch auch nicht. Warum ich?"
Ja, warum ich? Weil ich ein Christ bin, und weil das Überwinden
zu unserem Glauben dazugehört? In der katholischen Tradition spielt
solches Denken jedenfalls eine bedeutende Rolle und wird üblicherweise
mit dem Begriff Opfer in Verbindung gebracht: Etwas aufzuopfern - das
brachte Pluspunkte auf der Frömmigkeitsskala und im Endeffekt einen
einigermaßen sicheren Platz im Himmel ein, hoffte man. (Pfarrer
Braunschweiger kennt das noch aus seinen katholischen Kindertagen).
Das alles aber - das selbstlose Engagement und die bewußte Askese,
der verantwortungsvolle Verzicht und die gesunde Frustrationstoleranz
- das alles ist konstruktiv und in sich sinnvoll, aber es ist nicht
die Überwindung, die von Christen gefordert ist. Zumindest wenn
man dem prophetischen Wort des Sehers von Patmos recht zu geben sich
entschließt; und das ist ja mein Auftrag heute, wo das fünfte
von sieben Sendschreiben aus der Geheimen Offenbarung als Gottes verkündetes
Wort zur Auslegung ansteht. Die Christengemeinde in Sardes, einst glanzvolle
Königsstadt in Lydien, verpflichtet Christus selbst durch seinen
Boten: Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan
werden, und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des
Lebens, und ich will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor
seinen Engeln. Andernfalls? Zu Recht blicken wir gleich angstvoll auf
das Gegenteil, liebe Schwestern und Brüder, weil eben jene Gefahr
beschworen wird als Ernstfall des Glaubens. Wer nicht überwindet,
dem bleibt das Verheißene vorenthalten. Vermutlich, denn ausdrücklich
steht dazu ja nichts in Johannes' Buch. Seine Audition endet mit der
Möglichkeit, das Ziel zu erreichen: die Überwindung oder den
Sieg, wie es wörtlicher, aber weniger aussagekräftig im Griechischen
heißt. Um diesen Sieg, diese Überwindung zu erreichen jedoch,
bedarf es offenkundig einer radikalen Kehrtwende, also nicht bloß
einiger kosmetischer Verschönerungen, sondern einer grundsätzlichen
Richtungsänderung. Bei aller Heilsgewißheit und alle paulinische
Gnadentheologie vor Augen bleibt auch diese Mahnung Bestandteil der
Hl. Schrift. Ja, Christus hat uns ein für allemal gerettet, durch
seine Menschwerdung, durch seinen Sieg über alle Sünde am
Kreuz. Und die Väter der alten Kirche haben sich schwer getan mit
diesem Buch und ihm die Aufnahme in den verbindlichen Kanon der Offenbarung
vier Jahrhunderte lang verweigert; und dabei werden nicht zuletzt solche
mahnenden Einlassungen hinderlich gewesen sein. Dennoch: Ob uns seine
Radikalität gefällt oder nicht, ist die Johannes-Apokalypse
auch mit ihren drohenden Tönen nun Bestandteil unserer Bibel; eben
auch mit diesem Abschnitt, den die Predigtordnung der evangelischen
Kirche in die adventlichen Texte einreiht, gerade recht, um auf Weihnachten
vorzubereiten also.
Die Christen in Sardes sollen
überwinden. Die Christen in Eberhard (und Michael selbstverständlich
auch) sollen überwinden. Was? Wenn es um Grundsätzliches geht,
dann wohl an erster Stelle sich selbst, den eingefahrenen Weg des persönlichen
Glaubenslebens. Es genügt offenbar nicht, einmal getauft worden
zu sein und dann vor sich hin zu leben. Es ist nicht ausreichend, hin
und wieder Gutes zu tun, sonst aber in den Tag hinein zu leben. Es verbietet
sich, mein Glaubensleben und das Übrige zu trennen, als sei Christus
in die Kirche verbannt. Alles in allem ist das Heil des Christen keine
Hängematte, in der man liegen bleiben könnte. Johannes wirft
uns buchstäblich aus selbiger hinaus, mahnt uns zu Wachsamkeit,
verlangt von uns gute Werke - wobei es ausdrücklich nicht auf die
Menge dabei ankommt, sondern auf die Vollkommenheit, die anzustreben
ist, wenigstens.
Johannes sieht sich einer
Kirche konfrontiert, die sich auf ihren Lorbeeren ausruht. Selbstsicher
geworden nach kurzer Zeit begnügt sie sich damit, auf ihre weiße
Weste hinzuweisen, die Christus selbst ihr schließlich angezogen
habe: Du hast den Namen, daß du lebst, und bist tot. Mich beschleicht
angesichts so klarer Charakterisierung das Gefühl, liebe Schwestern
und Brüder, es könnte bei uns nicht anders sein. Wenn ich
auf die Selbstgefälligkeit schaue, mit der unsere beiden großen
Kirchen in Deutschland vielfach aneinander vorbei leben, als ginge es
nicht um eine gemeinsame Sache. Ich meine dabei nicht einmal in erster
Linie den Gottesdienst und die noch längst nicht genügend
ausgeloteten Möglichkeiten des Miteinanders dabei. Es geht mir
viel eher ums Klima, um das Vertrauen in die Redlichkeit und den guten
Willen des anderen. Ich wünsche mir sehr, daß wir uns von
der Abrede desselben nicht anstecken lassen an der Basis, von Unterstellungen
und Rechthabereien. Wir sind verschieden, und wer weiß, wie lange
wir es bleiben. Aber im entscheidenden Punkt sind wir eins: Wir sind
auf denselben Namen getauft, den von Jesus Christus. Er schenkt uns
das wahre Leben, das man uns anmerken soll. Nicht nur am Sonntag, nein,
überall und möglichst immer. Das wird uns Überwindung
kosten. Da hat Johannes sicher recht. Als Katholik darf ich auf meinen
alleinigen Wahrheitsanspruch verzichten, brauche ich nicht ständig
auf die alte Tradition meiner Kirche zu pochen. Ich kann und sollte
die Autorität überwinden, die von außen kommt, und vielfach
nur Beiwerk ist, welches die innere Überzeugung des Glaubens verbirgt.
Überwinden kann ich schließlich auch das starre Festhalten
an Formen und Riten, an Materie und Zeichen, weil das alles nur eine
Krücke ist, um dem wahren Leben Raum zu geben. Wahrscheinlich muß
ich in der letzten Konsequenz die Kirche ganz und gar überwinden,
insofern diese als Institution, als System, als menschliche Gesellschaftsform,
in der Gefahr steht, der Totengräber ihrer eigenen Sache zu sein.
So viel Kritik lese ich als Katholik aus den Worten des fünften
Sendschreibens heraus. Und es tut mir gar nicht weh, weil ich doch den
Namen Christi auch habe; und weil ich noch immer etwas ahne von dem
Weiß des Kleides, das Christus mir angezogen hat. Was dieses Weiß
besudelt in mir, in meiner Kirche, muß weg, harrt der Überwindung.
Die Zeit auf Weihnachten zu, auch als Phase der Buße, der Umkehr,
wurde seit alters als günstig erachtet, um sich dieser Forderung
zu stellen. Und ich wüßte ein paar Punkte, die ich mir auch
in der evangelischen Kirche überwunden wünschte (Tendenz zur
Aufspaltung in immer neue kirchliche Gruppen, Verbrüderung mit
Bürgertum und Intellekt, Lauheit im politischen Bekenntnis). Aber
der Respekt als Gast und weil es mir lieber ist, vor der eigenen Haustüre
zu kehren, verbietet mir das Detail. Klar ist dabei lediglich, daß
jeder Christ bei sich selbst beginnen muß, egal ob katholisch
oder evangelisch, zuerst in seinem Willen, anschließend in den
kleinen Schritten, die den Weg des Lebens erkennen lassen. So wird das
Zeugnis der Überwindung nicht verborgen bleiben - nach innen nicht
in der Kirche, und auch für die nicht, die auf uns schauen. Amen.
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