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Predigt in
der Eberhardskirche zu 2. Petrus 1,16-21 am Sonntag, den 13.1.2008
(Heinrich Braunschweiger)
Denn wir sind nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt, als wir euch
kundgetan haben die Kraft und das Kommen unseres Herrn Jesus Christus;
sondern wir haben seine Herrlichkeit selber gesehen.
Denn er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Preis durch eine Stimme,
die zu ihm kam von der großen Herrlichkeit: Dies ist mein lieber
Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.
Und diese Stimme haben wir gehört vom Himmel kommen, als wir mit
ihm waren auf dem Berge.
Um so fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut daran, dass
ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort,
bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen.
Und das sollt ihr vor allem wissen, dass keine Weissagung in der Schrift
eine Sache eigener Auslegung ist.
Denn es ist noch nie eine Weissagung aus menschlichem Willen hervorgebraucht
worden, sondern getrieben von dem heiligen Geist haben Menschen im Namen
Gottes geredet.
Liebe Gemeinde!
"Mythos und Wahrheit" - das war neulich die Überschrift
im Feuilleton-Teil einer Tageszeitung. Der Autor, Philosoph aus Großbritannien,
greift hier zur Feder, um Stellung zu nehmen zu einem erst wieder in neuester
Zeit auftauchenden Phänomen, dem militanten Atheismus.
"Eine neue Art von
Missionaren versucht derzeit, die Welt zu bekehren." So beginnt sein
Artikel. Und weiter. "Glaubt man den Predigern des Unglaubens, so
ist Religion ein Relikt der Vergangenheit, das dem menschlichen Fortschritt
im Weg steht. Wenn die Welt sich erst einmal der Religionen entledigt
habe, könnten uralte Übel wie Krieg und Tyrannei überwunden
werden. Die Menschheit wäre dann in der Lage, ein neues Leben für
sich zu entwerfen, das besser ist als alles, was sie im Laufe der Geschichte
je erlebt hat. Wenn sie sich nicht mehr vor einer imaginären Gottheit
verbeugen würde, könnte die menschliche Spezies endlich damit
beginnen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Davon sind antireligiöse
Missionare wie Richard Dawkins überzeugt."
Nun, liebe Gemeinde, die Menschheit
hat ja schon mindestens seit dem Turmbau zu Babel ihr Schicksal selbst
in die Hand genommen, also eigentlich schon immer. Und darum ist die Welt
ja auch so wie sie ist: für viele Menschen ein Jammertal, in ihrem
Wesen katastrophisch.
Der zitierte Philosoph, John Gray, schreibt deshalb auch: "Dieser
evangelikale' Atheismus ist ein einfacher Glaube
Vergeblich
sucht man in Gesellschaft militanter Ungläubiger nach irgendwelchen
Zeichen für kreativen Zweifel, wie er viele religiöse Denker
angeregt hat. Während Theologen ihre Überzeugungen seit Jahrtausenden
hinterfragen, müssen weltlich orientierte Humanisten ihren simplen
Glauben erst noch auf den Prüfstand stellen."
Nein, wir sind keinen ausgeklügelten
Fabeln gefolgt, liebe Gemeinde, sondern Jesus, dem Heiland der Welt, in
dem Gott sein Licht in diese dunkle Welt hineingezeugt hat.
Aber Gott sei's geklagt: Die Christenheit hat dieses Licht im Laufe der
Jahrhunderte immer wieder verdunkelt. Im Namen Gottes wurden die schändlichsten
Taten begangen. Nichts ist so zerfetzt und in den Schmutz gezogen worden
wie der Name Gottes, sagt der jüdische Religionsphilosoph Martin
Buber.
Und es ist ja wahr: Religion, pervertierte, kranke Religion ist um vieles
schlimmer als ein aufrechter Humanismus und Atheismus.
Religion haben heißt ja noch lange nicht: dem Heiland der Welt,
diesem Lichtträger Gottes folgen. Religion haben heißt zunächst
nur, vor irgendeiner Macht in die Knie zu gehen, sie anzubeten. Die heidnische
Welt ist höchst religiös und hat viele Götter, die sie
anbetet. Auch diese unsere westliche Welt ist vermutlich heidnischer als
sie glaubt. Die Christen der ersten Stunde wurden atheoi genannt,
Atheisten, Gottlose - eben weil sie vor diesen heidnischen Mächten
die Knie nicht gebeugt haben. Und deshalb wurden sie verfolgt.
Und so mancher, der das Schicksal der Menschheit in die eigene Hand genommen
hat, hat allein an sich selber geglaubt, sich selber angebetet.
"Es gibt nur ein Recht in der Welt und dieses Recht liegt in der
eigenen Stärke." So Adolf Hitler in einem seiner Tischgespräche.
"Wir beenden einen Irrweg der Menschheit. Die Tafeln vom Sinai
haben ihre Gültigkeit verloren. Das Gewissen ist eine jüdische
Erfindung."
Das, liebe Gemeinde, ist Religion,
ist reinstes Heidentum: der Glaube an das Recht des Stärkeren. Hier
hat einer nicht nur sein eigenes Schicksal, sondern das eines ganzen Volkes
in die Hand genommen und Europa in eine Mördergrube und ein Trümmerfeld
verwandelt. Er hat das Licht, das auf dem Sinai aufgeleuchtet ist, einfach
gelöscht, und die Welt ins Chaos gestürzt.
Nein, liebe Gemeinde, wir sind
keinen klugen Fabeln gefolgt, sondern dem, der gesagt hat: "Liebet
eure Feinde! Tut Gutes denen, die euch hassen", und der noch am Kreuz
für seine Peiniger gebetet hat: "Vater, vergib ihnen, denn sie
wissen nicht, was sie tun."
Das ist die Kraft, die Frieden schafft. Das ist das Licht, das die Nacht
dieser Welt erhellt.
Und wer davon ergriffen ist, der wird selber zu einem Licht, zu einem
Kraftwerk, einem Transformator, der die Dunkelheit der Welt in Licht verwandelt.
Aber in die Seele dieser Transformatoren,
dieser von Christus Ergriffenen, kann eine ganz andere Nacht einbrechen.
Die Gottesnacht. Die dunkle Nacht der Seele, wie sie die Mystiker nennen.
Und das ist das Leiden an Gott. An seiner Abwesenheit. An seinem Schweigen.
Neulich wurden die Aufzeichnungen einer Frau veröffentlicht, die
auch von Andersgläubigen als Heilige verehrt wird: Mutter Theresa,
die Heilige der Slums von Kalkutta.
Der Titel "Komm, sei mein Licht". Die Lektüre ist
atemberaubend.
Sie war so etwas wie eine moralische Ikone des 20. Jahrhunderts. 1946
erlebte sie auf einer Zugfahrt eine mystische Begegnung mit Christus,
der sie aufforderte, "alles aufzugeben und Ihm in die Slums zu
folgen - um Ihm in den Ärmsten der Armen zu dienen".
Und wenige Jahre später war dieses Licht von oben wie ausgelöscht,
und sie stürzte in eine jahrzehntelange geistliche Krise, die sie
bis an die Grenze des Unglaubens und des Nihilismus führte.
"Wofür arbeite
ich?" heißt es da in einer Notiz. "Wenn es keinen
Gott gibt - kann es auch keine Seele geben. - Wenn es keine Seele gibt,
dann, Jesus - bist auch Du nicht wahr.
abgewiesen - leer - kein
Glaube - keine Liebe - kein Eifer. - Die Seelen ziehen mich nicht mehr
an - der Himmel bedeutet nichts mehr - für mich schaut er wie ein
leerer Platz aus. "
Und doch bleibt die Sehnsucht
nach dem abwesenden Christus in ihr hellwach und sie zweifelt nicht, dass
er ihr wirklicher Auftraggeber ist. Es ist wie die Geschichte einer Ehe,
die ihren Wert und ihre Größe und sogar ihre Wahrheit nicht
verliert, auch wenn das Gefühl verschwunden ist, das sie einmal begründet
hat.
"Wir sind nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt, als wir euch
kundgetan haben die Kraft und das Kommen unseres Herrn Jesus Christus;
sondern wir haben seine Herrlichkeit selber gesehen."
Die Gemeinde, an die dieser Brief geht, steckt in einer ähnlichen
Krise. Die Botschaft von Jesus, dem Christus, hatte sie erfasst. Das Licht
von oben war entzündet. Sie brannten gleichsam in Liebe zu diesem
Christus, der sie aus den Zwängen der heidnischen Welt befreit und
ihnen eine unauslöschliche Würde gegeben hatte: Die Würde
der Gotteskindschaft.
Und sie hofften, Er, den Gott von den Toten auferweckt hatte, der Erstgeborene
der neuen Schöpfung, würde bald wiederkommen in Herrlichkeit.
Im sichtbaren Lichtglanz Gottes. In jener einleuchtenden Klarheit, die
alle menschlichen Zweifel auflösen würde wie die aufgehende
Sonne Nacht und Nebel.
Aber die Zeit ging dahin. Die erste Generation der Zeugen war gestorben.
Jesus war nicht wiedergekommen. Das Licht aus der Höhe, das Christuslicht,
das einstens in ihnen gebrannt hatte, wurde schwach und schwächer.
Und es kamen die Zweifel und es kamen die Fragen. Sind wir nur ausgeklügelten
Fabeln gefolgt? War das Licht, von dem wir erfasst wurden, nur Phantasie,
nur Illusion?
Nun kommt alles darauf an, dass die Sehnsucht nach dem abwesenden Christus
wach bleibt, wie bei der Heiligen der Slums von Kalkutta.
Es ist ja wie in einer Liebesgeschichte. Der abwesend Geliebte wird sehnlichst
erwartet. Die Gottesgeschichte mit uns Menschen ist eine Liebesgeschichte.
Und wenn wir davon erfasst sind, von dieser Liebe, dann brennt die Sehnsucht,
dann wird Gott erwartet. Und das hat nichts mit Chronologie zu tun. Nichts
mit der Zeit, die die Uhren messen. Sondern hier misst das Herz.
Aber das Herz braucht Nahrung. Und was ist die Nahrung für das Herz,
dass Glaube, Hoffnung und Liebe nicht erkalten. Dass eine Gemeinde nicht
träge wird. Dass die Sehnsucht wach bleibt?
Es muss erzählt werden, erzählt von den Anfängen der Liebesgeschichte.
Und das tut nun der Autor dieses sogen. 2. Petrusbriefes. Er schlüpft
in die Rolle des Petrus. Er reiht sich ein in die Wolke der Zeugen. Er
redet von der Stimme des Vaters im Himmel, der Jesus schon bei der Taufe
seinen lieben Sohn genannt hat, an dem er Wohlgefallen hat.
"Wir haben seine Herrlichkeit selber gesehen", schreibt
der Autor. Und dabei nimmt er in dieses Wir die ganze Gemeinde
hinein, und heute auch uns.
In der Taufe seid ihr doch mit Christus überkleidet worden. Zusammen
mit ihm steht ihr unter dem offenen Himmel und jeder und jede darf hören:
"Du bist mein lieber Sohn, meine liebe Tochter, an der ich Wohlgefallen
habe."
Nun, liebe Gemeinde, das alles
wird einen ausgekochten Atheisten wie Mr. Dawkins wohl nicht überzeugen.
Er wird nach handfesten Beweisen rufen. Denn er kann nur glauben, was
er sieht und was er mit seinen Instrumenten messen kann. Aber das ist
ein kümmerlicher, ein geistloser Glaube.
Die Wirklichkeit auf das zu reduzieren, was der kleinen endlichen Hirnmasse
des homo sapiens insapiens einleuchtet, das ist schon abenteuerlich.
Aber, liebe Gemeinde, das heißt nicht, dass unser Glaube an die
Liebesgeschichte Gottes mit uns Menschen alle Wahrscheinlichkeit für
sich hätte. Im Gegenteil.
Am Zustand der Welt ist diese Liebesgeschichte nicht abzulesen. Der bringt
uns immer wieder ins Zweifeln und ins Fragen: Wo bist du, Gott?
Aber Gott will auch nicht bewiesen werden. Welche Beleidigung der Ehre
und Größe Gottes, ihn mit unserer Logik beweisen zu wollen!
Nicht bewiesen, sondern bezeugt will er werden - durch unser Leben.
So wie die Liebe eben auch keiner Beweise bedarf, sondern Vertrauen, Glauben.
Und wenn du, lieber Christ, glauben und auf die Liebe Gottes vertrauen
kannst, dann danke Gott und lobe ihn täglich, dass du diese Begabung,
diese Charisma, geschenkt bekamst.
Gott geht mit seinen Menschenkindern nicht immer die gleichen Wege. Seine
Wege sind unendlich höher als unsere Wege und seine Gedanken eine
Ewigkeit tiefer als unsere Gedanken.
Nur, wenn unser Erkennen in
seiner Hand und auf seine Kraft angewiesen bleibt, kann es Erkennen der
Wahrheit sein. Wir sind Leute ohne Beweismittel, nichts als Zeugen. Damit
er sich in unserem Zeugnis selber einstellen kann, eben als der Lebendige,
in der Kraft seiner Geistesgegenwart, hier und heute und morgen, bis dass
er kommt in Herrlichkeit.
In jedem Gottesdienst laden
wir ihn ein. Bitten um sein Licht. Um den Geist, der dem Buchstaben der
Bibel Leben einhaucht. Der die Worte des Predigers zu seinem Wort machen
kann, wann und wie es ihm gefällt.
So wird es zum prophetischen Wort, zum Lichtwort. Schwächer und doch
fester als Fakten. Fakten können richtig sein. Das prophetische Wort
ist wahr. Fakten legen fest. Das Wort befreit und spricht der Welt mehr
zu, als in ihr selber vorhanden ist. Eben IHN, das Ja Gottes, der zu ihr
kommt, der die Welt in einem neuen Licht sehen lässt.
Aber Vorsicht! Dass die Bibel
auf dem Altar liegt, garantiert noch nicht, dass Gottes Wort zu uns spricht.
Es kann auch anders kommen, wie in folgender Geschichte:
Plötzlich war das Gerücht
da, lief durch die Stadt, wollte nicht mehr verstummen. Die Kirchenblätter
warnten: Niemand lasse sich täuschen! Das Wort Gottes kann gar nicht
kommen, es ist gekommen, vorzeiten ist es gekommen. Wir besitzen es in
den heiligen Büchern, und wir haben "Experten", die es
für die "Laien" auslegen, zurechtlegen, mundgerecht machen.
Und dann geht es durch die Stadt, klopft da und dort an. Nirgends wird
es ernst genommen und reingelassen.
Schließlich wird es doch in die Kirche eingeladen.
Es war Sonntag. Das Wort Gottes kam in die Kirche der Stadt. Die Geistlichkeit
bereitete ihm einen feierlichen Empfang. Ein Thron war bereitgestellt,
und das Wort Gottes nahm Platz. Man brannte ihm Weihrauch. Und dann hob
der Prediger an, das Wort Gottes zu preisen, und sagte, das Wort Gottes
rede in einer alten Sprache und habe sich die Zunge der Prediger geliehen,
um sich allen verständlich zu machen. Und so sprach er darüber,
aber das Wort Gottes selbst kam nicht zu Worte. Die Leute merkten es,
sie fanden die Rede des Predigers schal und fingen an, nach dem Wort zu
rufen. Das Wort schrieen sie, das Wort!
(Liebe Gemeinde, haben Sie auch schon mal nach dem Wort geschrieen? Wenn
nicht, dann sollten Sie es vielleicht tun, sonst geht es wie in dieser
Geschichte.)
Aber das Wort Gottes war nicht mehr in der Kirche. Es war weitergegangen.
Es hatte sich zu einem Wort-Gottes-Gelehrten begeben, dessen Buch vom
Wesen und Wirken des Wortes Gottes demnächst erscheinen sollte. "Sie
kommen höchst gelegen", sagte der Professor, "von meinem
Buch haben Sie wohl schon gehört? Ich läse Ihnen gern einiges
vor." Das Wort Gottes nickte: "Lesen Sie, Herr Professor, ich
bin ganz Ohr." Er las, es schwieg. Als er zu Ende gelesen, das Manuskript
weggelegt hatte, sah er auf, und da sah er den Blick
Er wagte nicht
zu fragen. Endlich sprach das Wort Gottes: "Meisterhaft, Herr Professor,
mein Kompliment! Aber - ob Sie es wohl verstehen? Wissen Sie, als Objekt
betrachtet, besprochen, beschrieben, wird mir seltsam zumute, grad, als
ob ich meine eigene Leiche sähe
Einmal schreiben Sie, und das
finde ich sehr treffend, ich wolle primär nicht Wahrheiten offenbaren
(für wahr zu haltende Wahrheiten, sagen Sie), ich wolle vielmehr
den Menschen selbst. Das wär's, Herr Professor, das!" Und da
war wieder der Blick. Das Wort Gottes erhob sich und schritt zur Tür.
"Was wollen Sie von mir?" schrie der Professor ihm nach. "Sie
will ich", sagte das Wort Gottes, "Sie!" Die Tür schloss
sich leise.
Das, liebe Gemeinde, ist der
Anspruch des lebendigen Wortes, des Christus. Dich und mich will Christus.
Weniger nicht. Warum?
Damit in der Welt ein wenig mehr Licht sei, Licht von seinem Licht.
Amen
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