Predigten

 

Predigt am 4. Advent in der katholischen St. Michaelskirche vom evangelischen Amtsbruder Pfr. Braunschweiger:

Maria

Lukas 1,26-38...

Liebe Schwestern und Brüder in Christus!

Mit dem Evangelium für den 4. Adventssonntag stehen wir auch im Mittelpunkt der Adventsbotschaft. Und mittendrin steht eine Frau: Maria!

Gewiss, zur Adventsgeschichte gehört auch die Geschichte eines Abraham, eines Mose, eines David, die ganze Geschichte der Führung des Volkes Israel durch Gott.
Und Johannes der Täufer ist der letzte in der Reihe der Zeugen, die hineinblicken auf das kommende Geheimnis der Weihnacht.
Aber im Zentrum des Advent, auf dem Höhepunkt der Verheißungen Gottes steht eine Frau: Maria.

Bei einem Ausleger lese ich: Hier ist mehr als alles Vorausgehende. "Mehr als Abraham, mehr als Mose, mehr als David und mehr als Johannes der Täufer, mehr als Paulus und mehr als die ganze christliche Kirche, hier ist die Geschichte der Mutter des Herrn, der Mutter Gottes selber." Und weiter: "Hier ist ein einzigartiges und unwiederholbares Ereignis, ein Ereignis, das ganz und gar ohne Vergleich ist, das aus der Reihe aller anderen Adventsereignisse heraustritt, wie Maria inmitten aller anderen Adventsgestalten eine schlechthin hervorgehobene Gestalt ist: die äußerste Spitze derer, die Verheißung empfangen haben und nun auf den Herrn, den Messias warten."

Wer von Ihnen, liebe Mitchristen, hätte darauf getippt, dass das der Originalton eines evangelischen Theologen ist, des wohl größten und wirkmächtigsten Theologen des vorigen Jahrhunderts? Es ist die Stimme von Karl Barth.

Ja, auch ein evangelischer Christ weiß Maria, die Mutter Jesu, zu würdigen!

Maria - das ist der erste Mensch, dem das Wunder der Weihnacht widerfahren ist. Maria ist das Vorbild der Kirche schlechthin.

In ihr ist all das vorgebildet, was der Kirche geschehen und was ihr geschenkt ist und was die Kirche je neu zur wahren Kirche macht:

Die Gnade und Barmherzigkeit Gottes und der gläubige Gehorsam, der hörsame Glaube: "Ich bin des Herrn Magd, mir geschehe nach deinem Wort."

Und darin, in dieser Angewiesenheit auf Gottes Barmherzigkeit und auf den horchenden Glauben, bleibt Maria ja ganz Mensch, ganz eine der unseren.

Und auch die Kirche ist und bleibt nur Kirche, indem sie aus dieser Gnade lebt, indem sie auf das Wort Gottes hört und an sich und durch sich geschehen lässt.

Und wo dies geschieht, wo sie, die Kirche, also wir, es geschehen lassen, da wird es immer neu Weihnachten, da kommt Gott zur Welt, da wird sein Wort Fleisch, da nimmt es durch die Kirche, durch uns Christen Gestalt an.

Diese Gestaltwerdung des WORTES ist nun allerdings keine harmlose Sache. Der Weg des WORTEs Gottes, des Sohnes der Maria, führt ja zum Kreuz.

Advent hat schon etwas mit Passion zu tun. "Mir geschehe nach deinem Wort" - im Advent, im Kommen Gottes geschieht somit etwas an uns.

Der adventliche Mensch ist also nicht der aktive, der Macher, sondern der passive, der Empfangende - er ist sozusagen der Gottes-Patient - einer, der Gott erleidet.

Wenn Gottes Wort zur Welt kommen will, dann kann das ein schmerzhafter Vorgang sein. Simone Weil, die französische Widerstandskämpferin und Mystikerin, nicht getauft, aber von Christus unwiderstehlich angezogen und erfasst, spricht davon, dass Gott sein Wort gleichsam wie ein Samenkorn in unsere Seele legt. Und wenn wir dazu unser bräutliches Ja-Wort gegeben haben, dann wächst es heran und will durch uns zur Welt kommen - und das, so weiß sie aus eigener Erfahrung, das ist sehr schmerzhaft.

Und vielleicht haben Sie, liebe Brüder und Schwestern, darin auch schon Ihre eigene Erfahrung: Die Erfahrung z.B. dass wir nur in und durch Krisen in unserem Leben wirklich weiterkommen, dass unsere Seele nicht wächst und reifer wird, wenn alles glatt geht und wir Erfolge haben, sondern da und dann, wenn wir gezwungen sind zu fragen: wer bin ich denn, was gibt mir im Leben und dann auch im Sterben Halt und Sinn.
Advent hat also mit Passion zu tun, mit Empfangen, mit Warten und Wachsen. Der neue Mensch will in uns reifen. Wir sollen ja christusförmig werden. In die Christusform sollen wir hineinwachsen.

Die Kommunisten wollten den neuen Menschen ideologisch erschaffen. Heute soll er gentechnisch hergestellt werden. Aber was immer dabei herauskommt - es wird der alte Adam, die alte Eva sein. -

Den neuen Menschen können wir nicht machen, wir können ihn nur empfangen - als Gottes Samenkorn in seinem WORT - wie Maria, im glaubenden Gehorsam: "Mir geschehe, wie du gesagt hast."

Und wohl deshalb beginnt die Zeit des neuen Menschen, die wahre Neuzeit, nicht in einer der Hauptstädte der Welt, nicht in Rom und nicht in Jerusalem, nicht dort, wo die Herrscher und Macher, die Reichen und die Erfolgreichen zuhause sind, sondern in dem verachteten, unscheinbaren Nest Nazareth in Galiläa. "Was kann aus Nazareth schon Gutes kommen", - das war das Urteil der Zeitgenossen über Nazareth.

Und diese neue Zeit - sie beginnt nicht mit einem Mann, sie beginnt mit einer Frau.
Übrigens - und das ist nicht zufällig so - sind an den entscheidenden Stellen der Heilsgeschichte Gottes nicht die Männer, die Macher gefragt, sondern die Frauen, die Empfangenden und Empfänglichen.

Im Advent und an Weihnachten sind es Elisabeth und Maria; unter dem Kreuz stehen die Frauen, die Männer haben sich aus Angst versteckt; an Ostern sind es Maria aus Magdala und die andere Maria, denen sich der Auferstandene zuerst offenbart.

Ich würde das allerdings nicht vorschnell feministisch vereinnahmen. In Johannes, Kapitel 1, heißt es nicht, dass der neue Mensch statt aus dem Willen des Mannes aus dem Willen der Frau geboren wird, sondern aus dem Willen Gottes.

Jedenfalls, die Gnade Gottes sucht sich die offenen Türen. Sie fällt nur selten mit der Tür ins Haus. Übrigens: "Gnade", griechisch charis, lateinisch gratia - da steckt die Anmut, die Grazie des Himmels drin.

"Ave Maria, gratia plena" - sagt der Engel: Gegrüßet seist du, Maria, der du voll der Grazie Gottes bist!

Die Offenen, die Empfangenden, die sehnsüchtig Wartenden - sie strahlen etwas von dieser Grazie Gottes wider.

Das muss die Kirche deshalb wieder lernen, will sie attraktiver werden. Sie muss wieder hörende, empfangende Kirche sein. Und darum muss sie vielleicht fraulicher, auf jeden Fall aber muss sie marianischer werden.

Aber wer ist die Kirche? Der Papst, die Bischöfe, die Pfarrer? Das ist weder katholisch noch evangelisch die Kirche. Kirche - das sind die Getauften. Kirche - das bist du und ich. Ja, es gibt die hörende und die lehrende Kirche. Aber bevor einer lehren kann, muss er zuvor gehört haben. Und darin kann ein einfaches altes Mütterlein geübter sein als ein Theologieprofessor oder ein purpurgewandeter Kardinal.

Noch viel wäre jetzt zu sagen, zu jedem Vers dieses schönen Textes. Die Zeit erlaubt es nicht.
Nur noch ein paar Worte zu der scheinbar so schwierigen Frage der sogenannten Jungfrauengeburt. Wer die Wirklichkeit auf eine algebraische Gleichung reduziert, wird wohl nichts damit anfangen können. Aber dessen Leben ist auch ungeheuer arm. Denn er kennt die wichtigste Dimension des Lebens nicht, er kennt das Geheimnis nicht.
"Ein menschliches Leben ist soviel wert, als es Respekt behält vor dem Geheimnis", sagt Dietrich Bonhoeffer.

Über das Geheimnis können wir nicht verfügen, es nicht fassen, nicht berechnen. Darum ist es uns modernen und postmodernen Menschen so unheimlich, und wird es von vielen geleugnet und zerstört.

Geheimnislos leben aber heißt von dem Geheimnis der Welt nichts wissen, heißt an den Verborgenheiten unseres Lebens, des anderen Menschen und der Welt vorübergehen. Heißt, die Welt nur soweit ernst und wahrzunehmen, als sie verrechnet und ausgenutzt werden kann. Die ungeheueren Probleme und Turbulenzen, die wir uns dabei einhandeln, können wir täglich studieren.

Dass die Wurzeln aller Wirklichkeit im Verborgenen, im Dunkeln liegen - das ist scheinbar für unseren Verstand eine Zumutung und Bedrohung.

Deshalb wollen viele davon nichts wissen. Wollen nicht hören, dass das Geheimnis die Wurzel alles Begreiflichen und Offenbaren und Klaren ist.
Und wenn wir es hören, wollen wir wie aufgeklärten ,Gscheidle' diesem Geheimnis sofort zuleibe rücken, wollen es errechnen und erklären, wollen es sezieren. Aber es entzieht sich uns.

Und so geschieht es ja auch mit dem Geheimnis der sogen. Jungfrauengeburt. Wer auf der biologischen Erklärung beharrt, hat so wenig von diesem Geheimnis begriffen wie der, der es aus selbigen, nämlich biologischen Gründen für ein Märchen hält.

"Geboren von der Jungfrau Maria..." - das ist keine biologische, sondern eine theologische Aussage. Es ist eine Aussage über das Geheimnis der Menschwerdung Gottes und über das Gezeugt- und Geborenwerden des neuen Menschen durch den Geist Gottes.

Was hier in Raum und Zeit in der Christnacht geschehen ist, weist über Raum und Zeit hinaus und hat seinen Ursprung in Gottes vor Liebe brennendem Herzen.
Der hier unter Wehen aus einem mütterlichen Schoß geboren wird, ist ganz Mensch und doch ganz anders.

Oder wie Martin Luther im kleinen Katechismus sagt: "Jesus Christus, wahrhaftiger Mensch und wahrhaftiger Gott von Ewigkeit geboren, sei mein HERR."

Und nicht wie jeder andere Mensch kommt er um seiner selbst willen zur Welt. Er kommt um unseres Lebens und um unseres ewigen Heiles willen. Und darum kommt er nicht nur von menschlichen Eltern, sondern aus dem ewigen Ratschluss Gottes.

Ich will allerdings nicht verschweigen: Das Dogma von der unbefleckten Empfängnis ist für mich und für die gesamte evangelische Theologie nicht der geeignete Rahmen, in dem dieses Geheimnis von der Menschwerdung Gottes seine Wahrheit wirklich entfalten kann.
Diese Wahrheit kann nicht definiert und begrifflich fixiert oder in ein Dogma gegossen werden. Davon kann nur immer neu erzählt werden, so wie es die Bibel tut.

In diesen Erzählungen, die ja keine Reportagen, sondern Legenden sind, "erzählt sich das Wirkliche der himmlischen Welt in die Armut der irdischen Sprache hinein".

In diesen Erzählungen offenbart sich uns das Geheimnis, ohne dass es zerstört wird.
"Geboren von der Jungfrau Maria" - nicht erklären, nur besingen und bestaunen und anbeten kann man dieses Geheimnis. Dazu ist Advent. Und dazu sind wir zusammengekommen, um vor diesem Geheimnis niederzufallen und es anzubeten.
Amen

 


 

 

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