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Predigt in der Eberhardskirche zu Hebräer 13,8 am Sonntag, den 31.12. 2007
(Heinrich Braunschweiger)


Liebe Gemeinde!

Komm gut rüber! - vielleicht hat Ihnen heute oder gestern schon Ihr Nachbar diesen Silvesterwunsch zugerufen. Komm gut rüber!

Ein lässig dahingesagter Wunsch ist das. Und doch, wenn man es richtig bedenkt, ist es ein guter Wunsch. Denn es ist ja nicht so selbstverständlich, daß wir gut in das neue, das nächste Jahr rüberkommen, daß wir die Sonne wieder scheinen sehen, daß alles seinen guten, geordneten Platz hat und seinen normalen Gang geht.

Manche von uns standen im abgelaufenen Jahr an einem Grab und mussten Abschied nehmen. Vielleicht war für die eine oder den anderen dieses Jahr auch das Jahr der persönlichen Krise: Arbeitsplatzverlust, eine schwere Krankheit, Trennung - das sind die Lebenskrisen, die an die Substanz gehen, die aber auch Anstöße sein können, sein Leben neu auszurichten, neue Wege zu gehen.

Ob die Menschheit insgesamt durch Krisen lernt - das ist nicht so sicher. Das Schlagwort des Jahres 2007 heißt "Klimakatastrophe". Noch ist das Klima keine Katastrophe, jedenfalls nicht in unseren Breitengraden. Aber in anderen Teilen der Welt sind die Vorzeichen nicht mehr übersehbar.

Dass die Welt inzwischen zu seinem globalen Dorf geworden ist, wissen wir spätestens seit dem Terroranschlag am 11. September 2001. Der Klimawandel führt uns dies nur noch drastischer vor Augen. Uns kann, uns darf das Schicksal der Menschen in Afghanistan oder in Polynesien nicht mehr gleichgültig sein. Das ist nun nicht mehr nur eine Frage der Moral, sondern des Glaubens.

Der Theologe Jürgen Moltmann schreibt in einem der Hefte der "Zeitzeichen": "Leben in den Konflikten der Geschichte ist bedrohtes und unsicheres Leben. Nur Illusionen täuschen uns darüber hinweg. Das Politische greift in das persönliche Leben ein, und es gibt kein persönliches Leben ohne politische Verantwortung. Religion ist nicht länger ‚Privatsache', Religion ist Terror oder Glaube. Jeder Rückzug ins Private liefert das öffentliche Leben den Dämonen aus."

Beim Stichwort "Dämonen" fällt mir jene biblische Geschichte von Jakob ein, der seinen Bruder Esau betrogen hat und deshalb fliehen mußte.
Er floh zu seinem Onkel Laban, floh sozusagen in die private Idylle, entzog sich seiner Verantwortung und machte in der Fremde gute Geschäfte und eine gute Heirat.
Nach Jahren zieht ihn das Heimweh zurück in die Heimat. Mit Kind und Kegel, mit Frauen und einem ansehlichen Reichtum kehrt er zurück.
Und dann steht er vor der Furt am Jabbok, dem Grenzfluß zu seiner Heimat, zu seiner Vergangenheit. Er hat Angst, vor seinen Bruder zu treten. Seine Knechte, Frauen und Kinder schickt er mit seinem gesamten Besitz voraus. Damit will er seinen Bruder milde stimmen, will ihn mit seinem Reichtum versöhnen.
Und es kommt die Nacht. Jakob steht allein an der Furt. Da überfällt ihn ein Mann aus heiterem Himmel oder dunkler Hölle. Er ringt mit ihm auf Leben und Tod. Jakob kann ihn nicht bezwingen. Er bekommt einen Schlag auf die Hüfte. Aber er klammert sich an ihm fest. Will seinen Namen wissen. Aber der dunkle Unbekannte gibt ihn nicht preis. Doch segnet er ihn daselbst. Und am Ende dieser sagenhaften Geschichte heißt es: Und als er an der Stätte seines Kampfes vorüberging, ging ihm die Sonne auf und er hinkte an der Hüfte.

Wer oder was hat ihn überfallen, den Betrüger Jakob? Es wird nicht gesagt. - Ist es ein Dämon? Ist es seine dunkle Vergangenheit? Ist es das Schicksal, das uns zuzeiten überfallen kann wie ein Dämon in der Nacht? Und danach ist nichts mehr so, wie es vorher war.

Komm gut rüber, Jakob!
Jakob ging am Ende dieses Kampfes auf Leben und Tod die Sonne auf.
Komm gut rüber! - hat uns vielleicht der Nachbar gestern oder heute zugerufen.

Und Paul Gerhard dichtet: "Die Sonne, die mir lachet, ist mein Herr Jesus Christ; das, was mich singen machet, ist, was im Himmel ist."

Und von dieser Sonne redet u.a. auch das Wort aus dem 13. Kapitel des Hebräerbriefes, das vielen von uns vertraut ist, und das nach der Ordnung unserer Kirche als Epistel zum letzten Tag des Jahres gehört:
"Jesus Christus, gestern und heute, und derselbe auch in Ewigkeit. Lasset euch nicht durch mancherlei fremde Lehren umtreiben, denn es ist ein köstlich Ding, daß das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade."

Ein festes Herz, liebe Gemeinde, - das brauchen wir, um gut rüberzukommen in das neue Jahr, den neuen Tag.
Ein köstlich Ding ist ein festes Herz, wie Luther unvergleichlich übersetzt. Im griechischen Text klingt etwas mit, was uns längst verloren erscheint, nämlich daß beides beieinander ist, gut und schön.

Es ist gut und schön, es ist etwas Erquickendes und Erfreuliches, wenn das Herz fest wird.
Wie weit aber sind wir weg von dem festen Herzen, und wie umgetrieben sind unsere Jahre von mancherlei fremden Lehren.
Wie im Herbst der Wind die Wolken über das Land jagt, alle Stunden anders, so ist das Bild dieser Zeit.

Managergehälter, Mindestlohndebatte, Stammzellenforschung, Terror und Terrorbekämpfung, Einwanderungsgesetz, Gesetze zur inneren Sicherheit - wieviel Für und Wider, Meinungen, Leidenschaften, Programme haben in diesem Lande Menschen bewegt, gegeneinander getrieben.

Manches ist schon wieder vergessen, ist Geschichte, und anderes wird uns ins kommende Jahr begleiten, ins Wahljahr, und wird, so ist zu fürchten, aus wahltaktischen Gründen einseitig zugespitzt, um Stimmung zu machen und Stimmen zu fangen.

Der Islam ist längst zum Mega-Thema geworden. Ein Dialog der Religionen wird gefordert. Freilich, das ist gut und schön. Aber ein Dialog ist nur dann sinnvoll, wenn die Gesprächspartner über ihre eigene Religion, über ihr eigenes Fundament im Bilde sind. Die meisten Moslems sind es. Sie kennen ihren Koran. Aber wie sieht es bei uns Christen aus? Würde man einen religiösen Pisa-Test nicht nur bei Jugendlichen, sondern bei erwachsenen Christen machen, er würde vermutlich verheerend ausfallen.

Der Wissenschaftler und Kriminalschriftsteller Chesterton, bekannt durch seine humorvollen Pater-Brown-Geschichten, meinte um 1900 herum: "Seit die Menschen nicht mehr an Gott glauben, glauben sie nicht etwa an nichts mehr, sondern an alles."

Ja, jeder Mensch glaubt an etwas, muß glauben, weil die wesentlichen Wurzeln unserer Existenz und unseres Weltalls im Verborgenen liegen. Also glaubt man entweder an den Zufall, an ein höchstes Wesen, ans Nirwana, an einen höchsten Geist oder die Kräfte der Natur oder sonstwas. Wie aber sollen wir die Werte verteidigen, die in aller Munde sind, wenn wir ihre wahren Wurzeln nicht mehr kennen. Und die liegen nun mal in unserer christlich-jüdischen Tradition, in den Erzählungen der Bibel und der christlichen Lehre.
Warum also sollen wir es nötig haben, nach der neuesten religiösen oder areligiösen Mode zu fragen und danach Ausschau zu halten, woher gerade der Wind weht?
"Laßt euch nicht durch mancherlei fremde Lehren umtreiben, denn es gut und schön, es ist ein köstlich Ding, daß das Herz fest werde."

Wie wird ein Herz fest?
Dadurch etwa, daß einer weiß, was er will? Es ist nicht wenig, wenn einer weiß, was er will, aber es ist nicht genug.
"Herz", das meint in der Bibel nicht nur die Klarheit des Verstandes und die Konsequenz des Willens, und schon gar nicht den Ort, wo die Zahlen zusammengezählt werden. Es meint die Mitte eines Lebens, die Tiefe, in der die Wünsche sind und die Triebe treiben, wo die Angst zuhause ist und wo die Entscheidungen fallen.

Das Herz ist auch der Kampfplatz der Dämonen, der hellen und der dunklen Geister, die einen an der Furt des Lebens überfallen können wie Jakob, den Betrüger.
Und da hilft dann kein Rechnen und kein Raten mehr, kein Ethik-Rat und keine Wissenschaft, da kann einer sich nur noch an was Festes klammern, an etwas oder einen, der ewigen Bestand hat, so daß er zwar hinkend, aber doch gesegnet den Kampfplatz verläßt.

Und seht, liebe Gemeinde, fest wird ein Herz wohl nur durch solche Erfahrungen, durch solch bestandene Kämpfe, die wir mit unseren eigenen Abgründen auszufechten haben.
Es ist nicht gesagt, daß ein Herz fest wird durch bittere Erfahrungen, durch Katastrophen und Schicksalsschläge, -
davon kann es sehr wohl auch bitter und hart werden und verschlossen. Man möchte fast sagen: Das ist das Normale. Und das andere ist ein Wunder.

"Es ist ein köstlich Ding, daß das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade."
Der frühere Prälat Askani hat einmal von einem Erlebnis erzählt, das uns lehren kann, was dieser Satz heißt.
Er war zu Besuch in der Klinik bei einer Patientin. Es war viel Jammer dort in jenem Zimmer, manch unsichere Hoffnung und manch sichere Angst. Aber eine Frau sagte, sie habe gehört, daß das feste Herz mit dem Gefaßtsein zusammenhänge. Und Gefaßtsein kann ein Doppeltes heißen: Mut und Zuversicht haben, aber auch: gefaßt sein, wie ein Edelstein gefaßt ist.

Und das wird wohl damit gemeint sein, daß das Herz durch Gnade fest wird: daß ein Mensch in seiner Mitte mit seinen Ängsten und mit seiner Zuversicht, auch mit seinem Versagen und Versäumen ganz gefaßt und getragen ist, wie ein Kleinod, durch Gottes Erbarmen.

Und hier wird es wohl auch zusammenkommen, das Halten, das sich Festmachen am Ewigen, und das Gehalten- und Gefaßtsein durch den, der gestern und heute und derselbe ist in Ewigkeit. Wer aber weiß, daß er mit seinen Jahren gehalten ist, der wird wohl auch sehen, wie kostbar die Tage sind, und wie getrost es zu leben ist, auch 2008. Jesus Christus, gestern und heute, und derselbe auch in Ewigkeit.
Es heißt doch, wenn man es wörtlich nimmt - und wie soll man es anders nehmen - daß, wenn einer zurückgeht in das Vergangene, er nicht nur den Schatten begegnet: Jahren, die er nicht wiederholen kann, Stunden, die nicht zu ändern sind, Versäumnissen, die nicht zurückgebracht werden können, und Menschen, die unerreichbar werden.

Dies alles auch. Und jeder kennt unser merkwürdiges Unvermögen, fertig zu werden in dieser Welt, nicht nur mit dem, was kommt, sondern mit dem, was war.

Jesus Christus gestern, das meint: Wer zurückgeht, wird ihm begegnen, dem fremden und vertrauten Mann, bei dem in Gottes Namen ein Menschenschicksal aufgehoben ist.
Und als er am Kampfplatz vorüberging, ging ihm die Sonne auf, - so heißt es doch in jener Geschichte, in der einer mit seiner Vergangenheit zu ringen hatte.

Und Jesus Christus heute, das meint, wenn man es wörtlich nimmt, daß das Wort, das Jesus als erstes in seiner Vaterstadt Nazareth in der Synagoge gelesen hat, auch heute gilt: Jetzt ist das angenehme Jahr des Herrn.

Nicht ein Jahr, das zwischen Sorgen, - zwischen Terror, Teuerung und Klimawandel, - und dem, was einen selber umtreibt, immer enger wird, sondern ein Jahr, in dem Gott Raum und Atem gibt und über dem noch die Sonne seines Erbarmens steht.

"Nur wenn man einen Sinn für die Richtung der Geschichte hat,...kann man die Wirklichkeit lieben und glauben, daß noch Platz für die Hoffnung ist" - sagt Umberto Eco, der Schriftsteller und Sprachwissenschaflter aus Bologna.
Ich möchte hinzufügen: Nur wenn die Geschichte eine Mitte hat, hat sie eine Vergangenheit und eine Zukunft. Und diese Mitte ist Weihnachten, ist die Ankunft Gottes in Jesus Christus, nach dem wir die Jahre zählen.

Und wenn es diese Mitte nicht gibt, hat die Geschichte keine Richtung und keinen Sinn und es gibt keine Hoffnung. Dann aber wäre es gerechtfertigt, ohne an an ein Ende zu denken, sein Nahen hinzunehmen und vor die Mattscheibe zu sitzen und zu warten, daß uns jemand unterhält, während die Dinge laufen, wie sie laufen.
Wenn aber Jesu Verheißung gilt vom angenehmen Jahr des Herrn, wieviel Würde hat dann unser Leben und jeder Tag sein Gewicht und seinen Sinn!
Und wieviel Hoffnung hat dann das Morgen und wieviel gewonnen an Glanz, wenn das gilt: Derselbe auch in Ewigkeit.

Die Zukunft können und brauchen wir nicht zu enträtseln. Der derselbe ist in Ewigkeit, ist derselbe auch Morgen und an jedem neuen Tag. Und sein Name ist Immanuel, Gott mit uns.
Und wenn das gilt, dann braucht uns nicht bange zu sein, dann ist für unsere Zukunft gesorgt und wir können uns getrost den Aufgaben zuwenden, die uns das neue Jahr stellt.

Komm gut rüber! hat uns vielleicht der Nachbar zugerufen. Mit Immanuel, dem "Gott mit uns", kommen wir weit. Mit ihm kommen wir selbst über jene Furt, die zwischen dem Diesseits und Jenseits steht, zwischen Erde und Himmel, und es wird uns die Sonne aufgehen, deren Glanz uns schon jetzt aus der Ewigkeit in diese Zeit hereinscheint und den Weg weist.
Amen

 

 

 

 

 

 

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