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Gott vollendet,
was der Mensch fertig gemacht hat
Osterpredigt am 23. März
2008 in Bühl und St. Michael Tübingen (Steiger)
Was Menschen einander anzutun
in der Lage sind, bekommen wir täglich drastisch vor Augen geführt:
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Die chinesische Regierung geht mit klaren Machtinteressen gegen die
tibetische Minderheit vor, ohne Rücksicht auf deren Menschenrechte.
-
Die Franziskaner der römischen Kirche liefern sich mit den Orthodoxen
in der Grabeskirche in Jerusalem - dem größten Heiligtum
der Christenheit - ein Handgemenge, so daß die israelische Polizei
einschreiten muß, um sie zu trennen.
-
Unsere Kirche provoziert wegen der unsensiblen Formulierung einer Karfreitagsfürbitte
einen handfesten Streit mit den Juden. Und Papst Benedikt sieht sich
außerstande, hier einen Fehler einzugestehen. Das ist schlimm,
daß wir uns in Wahrheitsfragen das Leben so schwer machen.
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Eine Katastrophe ist, daß wir uns deswegen sogar das Recht weiterzuleben
absprechen, wie es nun der Fanatiker Osama bin Laden erneut getan hat
- auch dem Papst gegenüber aus leicht verständlichen populistischen
Gründen.
Ich meine jetzt aber nicht
nur die Brutalitäten der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die
zumeist unbemerkten Einzelfälle sind nicht weniger gemein; sie
bewegen uns eher mehr, wenn wir von ihnen erfahren:
- daß blutjunge
Frauen aus Osteuropa zur Ausbeutung ihres Körpers auf den Strich
geschickt werden, von den eigenen Eltern;
- wie Kinder grausam
miteinander umgehen, weil sie zu Hause nichts anderes kennen gelernt
haben.
Es kann eine fatale Tendenz
geben im Menschen, den anderen fertigzumachen, sich zu weiden an dessen
Schmerz, an der Niederlage. Das Leid des anderen kann uns erregen; befriedigter
als zuvor wenden wir uns ab und ertragen die nächste Gemeinheit
besser, in die wir hinein geraten.
In den vergangenen Tagen
der Karwoche bis zum Ostermorgen heute haben wir wieder die Geschichte
eines Fertiggemachten gehört und nach empfunden. Der Wanderprediger
aus Galiläa erkennt und findet in Jerusalem seine letzte Konsequenz.
Er weiß, was ihn dort erwartet. Er rechnet mit der Brutalität
der Menschen. Er kennt die abgrundtiefe Gemeinheit, die seine Lehre
bei anderen provozieren kann. Er weint darüber, und stellt sich
doch dem unvermeidlichen Ziel: seinem Tod, am Kreuz! Es ist ein bißchen
müßig zu fragen, warum Menschen so etwas einander antun:
den Friedensprediger ermorden. Offenbar wecken gerade diejenigen Aggressionen,
die aus dem Kreislauf des immer Gleichen ausbrechen. Sie denken (und
das ganz im Gefolge Jesu): "Der Tod hat keine Macht über mich."
"Ich bin keinem Menschen zuletzt verantwortlich, nur Gott."
"Die Lösung unserer Probleme sehe ich nicht in Taktiken und
Strategien, in Reformen oder neuen Vorschriften; sie kommt allein aus
einem radikalen Umdenken, einer Verwandlung, wie Gott sie in mir bewirken
will."
Wer so denkt, stellt für alle Institutionen und Systeme eine Bedrohung
dar. Weil diese den Drang in sich bergen, sich unverzichtbar zu machen;
bis sie selbst der Inhalt geworden sind, für den sie eigentlich
nur als Platzhalter zu stehen hätten. Jesus sieht darin einen entscheidenden
Feind wahren Glaubens. Und die Vertreter von Politik und Religion spüren
ganz genau das Subversive seiner Botschaft. Er will weg von den Titeln
und Machtverhältnissen, über das Oberflächliche des Besitzes
und des Augenscheins hinaus; er überwindet das kleinkarierte Festhalten
an Vorschriften, und den Glauben, der gar nicht bis an die Freiheit
heran reicht, die Gottes Wille eröffnen würde. Deshalb müssen
die, die davon leben, ihn erledigen, fertig machen. Sie verkennen dabei
lediglich, daß Gott sich damit nicht abfindet, wenn es um eine
wesentliche Frage des Plans mit seiner Schöpfung geht.
Viele Male ist es so, daß wir eine Sache fertig machen, und uns
in Selbstzufriedenheit darin gefallen, wie gut es uns doch gelungen
ist. Erledigt, abgehakt: Das gilt für den Konkurrenten, den wir
aus dem Weg geräumt haben. Auch für die Einladung bei Freunden
oder Nachbarn, die uns gar keine Herzensangelegenheit war. Und für
die Aufgabe, die wir nur aus Pflichtbewußtsein heraus erledigt
haben, nicht aus eigenem inneren Antrieb. Der im Grab liegende Jesus
ist kein Thema mehr. Keine Inschrift erinnert an ihn, der Stein am Eingang
verhindert eine weitere Beschäftigung. Der Mensch kann so zu Ende
denken - Gott nicht! Und diesen wesentlichen Unterschied will er uns
an Jesus zeigen: Daß er diesen fertig gemachten Sohn des Menschengeschlechts
nicht hinzunehmen bereit ist. Diesmal nicht. Und ein für alle Mal
nicht! Jesus ist sein Exempel, das er statuiert, um des Menschen Selbstgefälligkeit
in seine Schranken zu weisen, zugleich aber unsere Freiheit ins Unendliche
zu erheben. Wenn nämlich der fertig gemachte Jesus noch nicht am
Ende ist, wenn Gott noch etwas mit ihm vorhat, und dies auch vollzieht,
dann hat dies Auswirkungen auf die, die es gewohnt sind, fertig zu machen:
Sie werden in ihrer Unfähigkeit und Begrenzung entlarvt, und dürfen
doch noch etwas hoffen, für den anderen und für sich: Vollendung
nennen wir das wohl üblicherweise in der deutschen Sprache,
was über das nüchterne Ende der Fakten hinausgeht. Gott kann
vollenden. Er ist der einzige, dem dies möglich ist, und
dem dies zusteht. Gott vollendet den fertigen Jesus. Und wie er das
tut, liebe Schwestern und Brüder? Das wissen wir, und wir feiern
es heute, an Ostern: Gott überwindet exemplarisch an Jesus von
Nazareth die Grenze, die jedem Geschöpf gesetzt ist, unausweichlich.
Und indem er sie bewältigt, zeigt er uns unser wahres Ende, das
volle, das nur ihm möglich ist. Der Tod ist besiegt, das Leben
findet seine Fortsetzung in Gott, in einem Zustand, den wir nicht zu
fassen vermögend sind, und der doch an uns heran reicht - wie die
Auferstehungsdarstellungen es zeigen: Das Grab ist leer. Der Leib wird
verklärt. Gott spricht mich beim Namen an. Ich erfahre das Ewige
und kann es doch nicht festhalten.
Wenn wir dieses volle Ende, das Gott zu tun in der Lage ist, im Blick
behalten, wenn wir daran glauben, verändern wir die Welt. Wir wehren
den eigenen Tendenzen, nach unserem Gutdünken fertig zu machen,
und lassen uns von denen der anderen, im kleinen wie im großen,
nicht irre machen. Gott allein steht das wahre Ende zu. Das ist die
Botschaft von Ostern, die Helmut Zwanger unnachahmlich pointiert:
Unterschied
Welch Unterschied
zwischen fertig
machen
und voll
enden
Zwischen
Gott
und Mensch.
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