Predigten

 
 

Das schwierige "Wann"!

Predigt über Mk 13,24-37
1. Adventssonntag B - 29./30.11.2008 in St. Michael und Bühl (Thomas Steiger)

Die Aufmerksamkeit für das richtige "Wann?" ist nicht nur eine theoretische Übung des frommen Christenmenschen ist, sondern eine überaus lebensnotwendige Angelegenheit. Im Ernstfall kann sie sogar überlebenswichtig sein. Also lohnt es sich darüber nachzudenken, wie Sie und ich das "Wann?" nicht versäumen. Darüber will ich heute mit Ihnen zusammen in meiner Predigt nachdenken: am Ersten Advent, am Beginn eines neuen Kirchenjahres, als Auftakt für eine neue Zeiteinheit.

Es ist ja gewiß kein Zufall, daß gerade diese Stelle den Advent im Jahr des Evangelisten Markus eröffnet. Bevor wir uns ein weiteres Mal hinein wagen in den Gang der Geschichte um Jesus Christus von seiner Geburt über die Stationen seines Lebens und seiner Predigt bis hin zu seinem Opfer am Kreuz und der Auferstehung mit ihren Konsequenzen, bevor wir also aus dem Zurück unsere Gegenwart deuten, will die Kirche unseren Blick nach vorne richten. Sie will, daß wir uns fragen: Wohin führt das alles: mein Leben, unsere Welt, die Kirche, der Glaube? Was ist unser Ziel? Was haben wir zu erwarten? Und - entscheidend! - wann? Die Betrachtung der Heilsgeschichte Gottes mit uns steht also unter einem Vorzeichen. Wie ein Pfeil weist dieses Zeichen nach vorne in die Zukunft. Es gibt ein Ende von allem. Nichts, was lebt und ist, geht unendlich so weiter. Das ist eine nüchterne Feststellung; womöglich etwas beängstigend für uns, im Grunde aber nur die klare Aussage, daß wir keinen Grund und keine Bestimmung haben, uns auf der Erde einzurichten. Statt dessen sollen wir uns unentwegt daran erinnern, wie vorläufig alles ist, was wir tun und denken und auch glauben. Und die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes hilft uns, daß wir diesen Vorzeichenpfeil unseres Lebens nicht vergessen. Insofern ist die Adventszeit keine Phase des gemütlichen Zurückliegens und des Genießens alter Bräuche, wie wir so gerne meinen. Sie hat einen doppelten Charakter, und gerade an ihrem Anfang betont sie die mit der Frage nach dem Wann verbundene Haltung der Erwartung.

Nur leider gehört das Warten zu den vergessenen Tugenden. Da sind auch wir Christen ganz und gar Kinder unserer Zeit. Wir sind es gewohnt, daß alles schnell geht. Wir arbeiten mit einer Agenda unsere Themen nach genauem Zeitplan ab. Dem Zufall überlassen wir nur ungern etwas. Wir sind ungeduldig, wenn es um das Erreichen eines Zieles geht. Antworten erwarten wir bitte sofort. Es ist ein bißchen so, als verspräche die Exaktheit des von uns fest gelegten Zeitpunktes uns das Heil. Ganz, ganz im Gegenteil dazu stehen aber die Einlassungen des Markusevangeliums: Dort geht es darum, daß wir eben gar nichts wissen, nichts zu steuern und zu planen haben. Den Zeitpunkt, auf den es ankommt, haben wir nichts weniger als selbst in der Hand. Das Wann bleibt eine offene Rechnung. Wenn nun jedoch diese andere Zeitperspektive sich nicht im Charakter einer frommen Vertröstung oder einer moralischen Drohung erschöpfen soll, dann muß sie Auswirkungen haben auf unsere fundamentalen Einstellungen. So wie es immer ist mit dem, was Gott seinem Volk geoffenbart hat. Es geht ihm um das Jetzt und ums Hier. Was er von Gott erhofft, was er glaubt, was kommt, das muß sein Leben bestimmen und notfalls gravierend ändern. Wenn ich erwarte, daß Gott kommt, daß er dann alles in allem sein wird, daß sich die Wahrheit meines Lebens dann im Gericht erweisen wird - dann kann ich nicht so tun, als hätte das keine Auswirkungen auf meinen Lebensstil, meine Maßstäbe des Handelns. Wenn ich den Zeitpunkt nicht kenne und nach dem Wann frage, dann kann ich nicht so tun, als läge alles in meiner Hand, als könnte ich meine Zeit steuern und bestimmen. Wenn ich damit rechnen muß, daß Gott die Zeit regiert, dann kann ich doch andere Menschen nicht in mein Zeitkorsett zwängen, so als ob ich deren Richter wäre.

Anhand eines brandaktuellen Beispiels will ich Ihnen zeigen, wie unmittelbar die Konsequenzen sein könnten, wenn wir aus der Frage nach dem entscheidenden Zeitpunkt Konsequenzen zögen. In der vergangenen Woche am 24.11.2008 hat das OLG Stuttgart die Freilassung des RAF-Gefangenen Hans-Christian Klar beschlossen. Im Januar des kommenden Jahres soll der ehemalige Terrorist frei kommen, fünf Jahre unter Bewährung stehend. Wie bereits mehrfach zuvor bei den Gnadengesuchen Klars hat diese nun endgültige richterliche Entscheidung eine heftige Kontroverse losgetreten. Das in der Öffentlichkeit wirksamste Zeichen dagegen setzte der Co-Pilot der nach Mogadischu 1977 entführten Lufthansa-Maschine Landshut: Er gab sein Bundesverdienstkreuz zurück. Unter Politikern ist die Entscheidung heftig umstritten. So bleibt auch hier die Frage nach dem Wann offen. Und auf dem Hintergrund des Evangeliums ist das auch gut so, weil Gott den rechten Zeitpunkt bestimmen wird - auch für Hans-Christian Klar und seine Verbrechen. Auf der anderen nicht minder gewichtigen Seite sollten wir dann aber auch die Größe aufbringen, die nach unseren Menschenmöglichkeiten getroffenen Entscheidungen der Richter zu respektieren. Sie müssen über eine Zeitfrage bestimmen, die sie nicht letztlich in ihren Händen haben. Und sie können es nicht allen recht machen: den Hütern unserer Verfassung, den Opfern der Morde, den Betroffenen von damals, dem Inhaftierten selbst. Mit dieser Vorläufigkeit müssen wir notgedrungen leben. Gut wäre, wenn wir es als Christen selbstbewußt tun würden, indem wir aus diesem Wissen Nutzen zögen. Wir könnten doch aufhören, allzu viel Kraft auf die Erreichung von zeitlich genau festgelegten Zielen zu verwenden. Wir könnten gelassener mit Erwartungen umgehen, weil es für uns zuletzt nur eine entscheidende Erwartung gibt: nämlich Gott zu begegnen. Wir könnten einen halben Tag pro Woche nicht verplanen, nur warten, was auf uns zukommt: an Menschen, an Fragen. Zu dieser Schule der Achtsamkeit auf eine Zeit, die nicht die unsere ist, lädt uns der Advent ein.