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Umsonst
Ansprache
über Jes 55,1-13
Altjahrsabend 31.12.2008 17.00 Uhr St. Michael Tübingen
(Thomas Steiger)
Rückblicke auf
das Vergangene und der Versuch, einem neuen Jahr durch gezielte Planungsvorhaben
den eigenen Willen aufzuzwingen, sind unter religiöser Rücksicht
problematische Vorhaben. Geht es bei einer geistlichen Betrachtung doch
um die Führung unserer Geschicke durch Gott, um Wohl und Wehe nach
seinem Urteil und gerade nicht um Erfolge nach den Prinzipien der menschlichen
Meßart. Diese fällt notgedrungen, menschlich eben, begrenzt
aus, fehlerhaft und sie greift zu kurz. Was hat die Katholische Kirche
in Tübingen erreicht im zurück liegenden Jahr? Wo lagen die
Probleme unserer beiden Gemeinden St. Pankratius und St. Michael?
Es ist eine Fleißaufgabe, das der Reihe nach aufzuzählen:
Herbergssuchende Familien
und neugefirmte Jugendliche; eine große Schar an Ehrenamtlichen,
die sich an den Jahresfesten zusammenfinden; die Menge an Menschen,
die aus der Kirche austreten und damit unserer Gemeinschaft den Rücken
kehren; musikalische Höhepunkte bei Orgelkonzerten; Gottesdienste
mit vielen Menschen, die froh machen, andere, wo die kleine Schar der
Aufrechten der Mutter Kirche die Treue hält. Ich erinnere mich
beim Zurückdenken gerne an etliche Augenblicke großer Freude:
Zum Beispiel auf der Paulus-Reise nach Griechenland oder unserer KGR-Klausur
in Hoheneck, wo sich unerwartet schöne Begegnungen ergaben und
Gespräche möglich wurden. Der KGR in Bühl hat sichtlich
an Fahrt gewonnen und es erfreulich gut geschafft, die anstehenden Aufgaben
zu bewältigen und manches Mal sogar so, daß viele an einem
Strang zogen und niemand über seine Kräfte beansprucht wurde.
Der Vormittag des I. Advent in St. Michael ist mir nachhaltig eindrucksvoll
im Gedächtnis geblieben: So viele Menschen, die sich in eigener
Regie und Verantwortung kümmern, daß ein glaubwürdiges
Zeugnis christlichen Lebens dabei herauskommt beim Musizieren,
in der Vorbereitung und Gestaltung der Meßfeier, beim Basteln
und Verkaufen und Backen beim Bazar für unser Projekt in Sambia.
Freilich, wie anders, gab es neben den Freuden auch Momente, in denen
ich gelitten habe: wo es bei Lippenbekenntnissen blieb für unsere
Jugend mehr tun zu wollen; wenn ich merke, daß sieben Jahre noch
nicht genug sind in Bühl, daß es mindestens noch mal so lange
brauchen wird, das Selbstvertrauen in die ja vorhandenen eigenen Kräfte
der Seelsorge zu stärken; oder an etlichen Stellen, wo das Evangelium
so weit weg ist, weil menschliche Eitelkeiten sich nach vorne drängen.
Das ist beileibe keine vollständige Aufzählung, nicht einmal
annähernd. Aber schon diese macht deutlich, auf welch schwankendes
Gelände wir uns begeben, wenn wir in der Versammlung derer, die
sich an Gottes Wort ausrichten, nach Menge und Größe und
Erfolg Bilanz zu ziehen beginnen.
Was ist dann nämlich
mit dem, was im Verborgenen geschieht und gar nicht ins Bewußtsein
des KGR oder des Pfarrers gerät? Was ist mit den Leiden, die bewältigt
wurden, auch wenn das nicht zum Bericht im Gemeindeblatt taugt? Was
ist mit den Maßnahmen, die begonnen, aber nicht vollendet wurden,
die gleichwohl einen Nutzen brachten, den wir aber nicht sehen? Und
was mit den kleinen Ermutigungen, die jemand ganz ohne Absicht einem
anderen schenkte und dem damit zum Weiterleben verhalf?
Ich frage mich das auch höchst selbst, wenn ich an die hehren Ziele
meiner letzten Silvesteransprache denke und sehe, wie wenig davon umgesetzt
wurde 2008: Zugehen auf Fremde, auf Außenstehende mehr
Achtung auf die Individualität der unterschiedlichen Lebensgeschichten
ein neuer Generationenvertrag. So richtig ist aus dem allen nichts
geworden, zumindest kein zielorientierter Prozeß, wie ihn die
Projektfachleute im industriellen Management anstreben würden.
Daß nichts war, könnte ich aber auch nicht sagen, denn es
gab einzelne, ungeordnete Aktivitäten in diesem Sinn. Wenn ich
das so betrachte, denke ich, wie heilsam es doch ist, daß Gott
nicht nach meinen Erwartungen handelt; daß er meine Wege anders
führt, als ich es plane. Er gibt mir viel Kraft zu arbeiten und
einen Verstand, der mit Ideen gefüllt ist. Aber Erfolge?! Ich hätte
sie gerne, zugegeben. Ich will eine moderne Gemeinde, viele Menschen,
die gerne in die Hl. Messe gehen, ein heimatlicher Ort sein, wo junge
Leute sich wohl fühlen. Und ich glaube auch, daß das Gott
gefallen müßte. Aber will er es so, wie ich mir das vorstelle
mit meinen Ideen, in den Grenzen der Kirche, in den Zeiträumen
unserer Gemeinden?
Der Prophet Jesaja entwirft
ein anderes Bild vom Leben im Geist Gottes. Er spricht eine Einladung
aus, die angenommen werden kann. Oder eben auch nicht. Die Maßstäbe
allerdings stehen nicht zur Disposition. Sie lassen sich in etwa wie
folgt zusammen fassen:
* Gott hält ein Angebot
vor für alle, die bedürftig sind.
* Was er bereit hält, erfüllt die wahren Sehnsüchte des
menschlichen Herzens.
* Deshalb auch ist nichts davon in weltlicher Währung zu zahlen.
* Gott schenkt vielmehr. Es ist eine echte Einladung, die er ausspricht.
Was ich nötig habe, bekomme ich bei ihm umsonst.
* Er warnt vor zu großer, verbissener eigener Anstrengung, die das
Unerwartete Gottes in der Tendenz ausschließt.
* Statt dessen schlägt er eine groß angelegte Suchbewegung
vor. Sie ist wohl so etwas wie das Glauben überhaupt. Glauben heißt
suchen. Gott zu suchen führt in den wahren Glauben.
* Damit es überhaupt eine Chance gibt, daß dies klappen kann,
muß der Mensch mit der Andersartigkeit Gottes rechnen; also zur
Unzeit, am unerwarteten Platz, bei den Menschen, die man nicht mit Kirche
und Glauben in Verbindung bringt, in neuer Sprache; nicht bürgerlich,
nicht bürokratisch, nicht hierarchisch, jenseits von Gesetz und Form.
* Zuletzt: Gott bewirkt in jedem Fall etwas. Wer damit nicht rechnet,
glaubt nicht. Wenn das nicht stimmt, gibt es keinen Gott.
Soweit Jesaja. Soweit die biblische Anweisung für 2009.
Und jetzt die Umsetzung.
Sie muß etwas zu tun haben mit der rechten Balance von Gelingen
und Scheitern, die unsere Bemühungen allesamt charakterisiert,
eben auch im Alltag unseres Gemeindelebens. Beides zu kennen, das Leiden
und die Freuden, und sie zu integrieren, führt ins Glück,
bleibt aber gottlos, wenn wir nicht noch einen Faktor einkalkulieren:
den Horizont der Fülle, den Gott uns vor Augen stellt, zu dem er
uns einlädt, den er uns schenken will. Eben dies ist jenes Umsonst,
mit dem Jesaja seine prophetische Vision beginnen läßt. Auch
wer kein Geld hat, soll kommen. Kauft ohne Bezahlung!
Wir wissen, daß das
nicht geht. Viele Menschen beschäftigt gerade das täglich.
Und unsere Nachrichten quellen über von lauter Meldungen, in denen
es ums fehlende Geld geht. Das ist ernst, und so wie unsere Welt gestrickt
ist, führt das zur Not vieler. Ihnen muß unsere Sorge gelten.
Aber nicht um des Geldes willen, sondern einzig darum, daß sie
von der Sorge um das Weg wegkommen, hin zu neuen Ufern, hin zum Horizont
des Glücks, hin zur Balance von Scheitern und Gelingen. Als Gottesmann
habe ich darauf hinzuweisen, daß es auf das Geld und seine Gesetze
nicht ankommt, daß wir uns viel zu sehr mit all diesen Fragen
befassen, die uns nicht nähren, die Gottes Gerechtigkeit und Plan
außer Acht lassen. Jeder, der weiter zu denken vermag als an den
Horizont des eigenen Geldbeutels, weiß theoretisch, was ihn glücklich
macht. Und doch fällt uns allen der Ausstieg aus den Gesetzmäßigkeiten
der Ökonomie so schwer! Ob wir das 2009 schaffen? Vielleicht liegt
darin die Chance der Finanzkrise begründet: die Verstrickung in
die irdischen Regeln zu durchbrechen und einen kleinen himmlischen Raum
in unseren Gemeinden zu schaffen, wo wir selbst und andere dann auch
eine Ahnung von der Einladung des Jesaja gewinnen.
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