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Predigt
am Weihnachtsabend 2009 in der Kirch am Eck
(Harry Waßmann)
"Und das habt zum Zeichen..."
Frohe Weihnachten, harmlose
Weihnachten...? Schmerzfrei und ohne Entbehrung? Alles, alles ist da!
Man gönnt sich ja sonst nichts! Frohe Weihnachten, harmlose Weihnachten...?
Weihnachten ohne "Harm", also ohne Leid, ohne ach und weh,
ohne Schmerz, selbst ohne Weltschmerz. Weihnachten - hierzulande zelebriert
als eine kollektive Narkose?
Liebe Christnachtgemeinde, wir wissen es besser und spüren: So
ganz harmlos ist Weihnachten nicht. Schon dann nicht, wenn wir das Wunder
der Weihnacht - wie eben - in der vertrauten Geschichte des Lukas hören.
Da hören wir von Geburt des Heilands zur Zeit der Steuereintrei-bung,
zur Zeit des Quirinius - ein Kriegsheld und Handlanger des Kaisers Augustus
in Rom. Da und zu dieser Zeit kommt Jesus Christus in diese Welt - draußen
vor der Tür - obdachlos. Eine nicht ganz harmlose Weihnacht! Aber
eine heilvolle. Das verkünden die Engel: Friede auf Erden! Und
dann heißt es noch: Und sie (Maria) gebar ihren ersten Sohn
und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten
sonst keinen Raum in der Herberge. (Lk 2,7) An diesem einen Wort
kann uns heute das Wunder der Weihnacht aufleuchten.
Krippe: Maria legte
Jesus in eine Futterkrippe. So kommt für gewöhnlich kein König
zur Welt. Und wenn schon, dann höchstens ein Sohn Davids, ein Nachfahre
des Hirtenjungen aus Bethlehem.
Das Heil der Welt in einem Kind - jenseits der medialen Beachtung -
fern der "Global Player" wie Augustus, Quirinius und Konsorten.
Das ist ein klares Zeichen des Königs von oben - aus der Höhe
- dass ER - der Allerhöchste - ganz unten ankommt. Ganz unten:
von da scheint das Licht der Welt, von da bekommt sie einen neuen Schein,
einen neuen Glanz. Ganz unten: da lebt und geht und feiert, da hofft
und betet Jesus - bis zuletzt.
Und der Engel sprach zu den Hirten: ... Euch ist heute der Heiland
geboren, der Christus... Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden
das Kind in Windeln gewickelt - und in einer Krippe liegen. (Lk
2,10-12)
Die Krippe ist bezeichnend. Doch wieso ist ein Kind, in Windeln gewickelt,
etwas Besonderes, inwiefern ist das ein Zeichen? Und wofür? Was
ist daran bezeichnend?
Windeln: Was tun Mutter
oder Vater in aller Regel denn anderes, als ihr Neugeborenes in Windeln
zu wickeln? Alle wickeln ihr Kind in Windeln. Wie Maria und Joseph so
alle anderen auch. Und wie alle anderen so auch Maria und Joseph. Das
ist elterliche Fürsorge, ein mütterlicher Reflex könnte
man auch sagen, ein Liebesreflex, das schutzlose Kind zu schützen.
Liebe Christnachtgemeinde, wie bitter und wie ungeheuer ist es, wenn
dieser Reflex verloren geht. Wir erfahren immer wieder einmal davon,
wenn seelisch kranke Mütter und Väter nicht damit fertig werden,
ihrem Kind Mutter und Vater zu sein. Eltern, die ihr Kind nicht in eine
Windel wickeln, sondern verlassen - allein lassen - ganz radikal.
Aber Maria: Sie wickelte Jesus in Windeln und legte ihn in eine Krippe.
"Bethlehem"
(Einschub Bildbetrachtung): Wir haben beim Festessen heute Abend
ein Bild miteinander betrachtet, das Maria in ihrer Zuwendung zum Neugeborenen
zeigt. Es ist vom Künstler Emil Wachter (1).
Sie finden es auf der Vorderseite Ihres Blattes. "Bethlehem"
hat er es 1975 schlicht genannt. Wir haben vorhin Eindrücke gesammelt:
Was sehe ich? Was berührt mich? Was bedrückt und was tröstet
mich an diesem Bild? Einige haben eine innige Verbindung von Mutter
und Kind gesehen - eine Einheit. Andere haben das Kind als friedlich
empfunden, die Hand der Mutter, das Tuch, das das Kind umfängt.
Oder ist es eine Schale? Auch das zarte Rot fiel auf - im Gesicht von
Mutter und Kind: Wärme? Oder Schürfwunden? Wieder anderen
sind die dunklen Augen aufgefallen: eine Mutter in Sorge? Einer hat
das Kind auf dem Bild als "extrem zerbrechlich" empfunden.
Ein anderer hat Traurigkeit im Bild empfunden, etwas "Verstörendes,
Schreckliches" zwischen den beiden, das außerhalb des Bildes
liegt. "Außen tobt die Welt", hat er gesagt...
Aber Maria wickelte Jesus in Windeln und legte ihn in eine Krippe.
Lied 24,1.2.5.9.11 (Martin
Luther - Vom Himmel hoch, da komm ich her)
Windeln als Zeichen:
"So merket nun das Zeichen recht: die Krippe, Windelein so schlecht..."
Für Martin Luther sind in seinem Lied Krippe und Windeln ein Zweiklang
der Armut. Anders Lukas in seiner Weihnachtsgeschichte. Für ihn
sind die Windeln nicht schlecht, sondern ein Zeichen: Maria wickelte
Jesus in Windeln - das Hirten habt zum Zeichen! Ein Zeichen für
die Fürsorge der Mutter, das sind Windeln gewiss allemal. Aber
wieso ist das schon ein Erkennungszeichen für den Christus - aus
der Stadt Davids? Will Lukas damit vielleicht noch mehr sagen? Wofür
stehen die Windeln als Zeichen?
Liebe Christnachtgemeinde, ein gelehrter Freund, der westfälische
Theologe und Pfarrer Dr. Andreas Bedenbender, hat mir ein vertieftes
Verständnis eröffnet. Er ist einer, der liest über den
Rand der Bibel hinaus und erhellt von anderen Geschichten aus der Nachbarschaft
der Bibel die Geschichten der Bibel.
Im Jerusalemer Talmud (2)
- und darauf bin ich durch ihn gekommen - findet sich die Geschichte
von einer Mutter, die den Messias - also den Christus geboren hat -
und die darüber entsetzt ist und ihr Kind nicht in Windeln wickelt.
Nicht weil sie eine böse Mutter ist, sondern weil ihr Kind zur
Zeit des Unheils geboren ist - nämlich genau am Tag der Zerstörung
des Tempels durch römische Soldaten. Kann das sein? Kann der Heiland
- der Christus - zur Zeit des Unheils zur Welt kommen? In Umständen,
wie es vorhin einer bei der Bildbetrachtung bemerkt hat, "da draußen
der Wahn tobt"? Der Tempel - Gottes Einwohnung auf Erden - von
Menschenhand zerstört: und da soll der Christus, der Heiland zur
Welt kommen? In einem Kind?
In dieser Geschichte kauft die verzweifelte Mutter ihrem Christuskind
keine Windeln - auch nicht auf Kredit, wie ihr angeboten wird. Sie sieht
keine Zukunft - sie hat keine Hoffnung. Ihr Kind ist für sie kein
Heilsbringer, sondern eher so etwas wie ein Unglücksrabe. Winde
kommen, heißt es weiter, und reißen das Kind fort in den
Himmel. (3)
Liebe Gemeinde, die Geburt
des Christus Jesus und wie Lukas davon erzählt, tönt wie eine
zweite Stimme zu der Geschichte aus dem Talmud. Eine Mutter, die den
Christus nicht in Windeln wickelt, das ist im Talmud und das ist in
der Bibel ein Unding. So geht das nicht! Sondern so: "Maria
wickelte ihr Kind in Windeln und legte es in eine Krippe."
Der Christus in der Geschichte aus dem Talmud übrigens ist auch
in Bethlehem geboren, heißt aber nicht Jesus, sondern "Menachem".
Sein Name ist verbunden mit dem Anführer eines erfolgreichen Aufstandes
gegen die römischen Steuereintreiber. Menachem wurde später
von eigenen Leuten umgebracht - in Jerusalem - und seine Anhänger
leisteten Widerstand in Massada - gegen die Römer - bis zum bitteren
Ende. (4)
Liebe Christnachtgemeinde,
mit dieser Geschichte im Sinn können wir die Erzählung von
Lukas noch einmal neu hören. Das Wunder der Weihnacht - wie der
Arzt Lukas davon erzählt - ist alles andere als eine harmlose Geschichte.
Aber eben auch keine extreme - keine von Extremisten. Der Christus Jesus
ist nicht der Christus Menachem. Jesus kommt zur Welt als Kind von Eltern,
die ihre Steuern zahlen. Als Kind von Eltern, die in der Stunde der
Übermacht der Mächtigen - in der Stunde von Augustus und Quirinius
- nicht aufgeben. Die Dranbleiben am Leben, am Alltag, an der Liebe
und eben ihr Kind in Windeln wickeln. Und durchbringen. Das ist kein
blindes Durchhalten. Das ist ein beharrlich dem Leben Räume und
Wege eröffnen. Trotz alledem.
Liebe Christnachtgemeinde,
die Bibel ist voller Geschichten, wie unterlegene Menschen mit ihren
Niederlagen und Enttäuschungen weiter leben, frei werden und wieder
Hoffnung schöpfen.
Weihnachten ist in der Welt - Christus ist in der Welt. Und wir geben
den Löffel nicht ab. Wir wickeln weiter Kinder in Windeln. Wir
bleiben dran. An Kindern, an Menschen, an gerechten und ungerechten
Verhältnissen. Die sind uns nicht egal. Wir geben nicht auf. Dazu
animiert uns das Kind in der Krippe - dazu animiert Maria, die Jesus
in Windeln gewickelt hat, obwohl auch sie genau gewusst hat, in welch
schwierigen und spannungsvollen Zeiten sie ihr Kind geboren hat.
Liebe Christnachtgemeinde,
egal was UN-Klimakonferenzen versäumen oder machtgierige Eliten
anrichten: Nicht extremistisch werden. Nicht zynisch werden. Auch nicht
angesichts einer Zeit, da man sagen kann, wahnhafte Vorstellungen regieren
etliche Züge unsere Zivilisation.
Dranbleiben in Zeiten des
organisierten Unheils - bei höchst annehmlichen Wohlstand hierzulande.
Dranbleiben - und weiter Verantwortung übernehmen. Weiter für
Kinder und Jugendliche und ihre Lebenswege eintreten. Nicht aufgeben.
Die Nacht von Bethlehem ist nicht die Stunde der Schwarzmaler und Extremisten.
Die Nacht von Bethlehem ist die Stunde des Lichts, das aus der Finsternis
leuchtet.
Maria wickelt das Kind in Windeln. In schwerer Zeit bringen Maria und
Joseph den Heiland durch. Das ist alles andere als eine harmlose Weihnacht.
Darum lassen wir uns auch unser Heil nicht als Steigerung eines uns
alle verzehrenden Wohlstands vorgaukeln. Suchen wir neue Wege, das neue
Leben zu entdecken. In dem einen Kind in der Krippe - in dem einen Jesus
von Nazareth - finden wir Weg, Wahrheit und Leben. In ihm war das Leben
- und sein Leben ist das Licht der Menschen - gestern - heute - und
allezeit. Amen.
(1) Geboren 1921
- er besuchte Israel 1967, noch vor dem Sechs-Tage-Krieg
(2) yBer 2,4(5a) - zit.n.
Andreas Bedenbender, in Texte und Kontexte, Nr. 116/117, S.70.
(3) zum Motiv der Entrückung
vgl. Offb12,5, Matth 2,14.
(4) Josephus, Bell 22,433f und 2,442-448; vgl. Andreas Bedenbender,
a.a.O.
(Harry Waßmann - Christnacht
2009 - Tübingen, Kirch am Eck) Vgl. Bild "Nine-Eleven"
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