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Predigt in St. Michael am Sonntag, den 7.Februar 2010

Eine Predigt über das Kommen Gottes
(Jes 6,1-8; 1 Kor 15,1-11; Lk. 5,1-11)
(Andreas Holzem)

Einleitung

Wenn Gott in unser Leben träte - ganz direkt, ganz unverblümt, wie wäre das? Wenn Gott so da wäre, dass es keine Täuschung mehr gäbe? Wenn da mehr wäre als nur ein diffuses Gefühl von Anwesenheit?

Die Texte des heutigen Sonntags sind Texte über das Kommen Gottes. Aber beruhigende Texte sind es nicht. Wenn Gott so kommt, dass sein Da-Sein mit nichts anderem mehr verwechselt werden kann, dann kann das Leben nicht so weitergehen wie bisher.
Dieses unseres Leben bisher - unseres ganzen auf Dich wartenden Daseins - erbarme Dich, Herr.
Kyrie


Predigt

Wenn die Seraphen kommen, dann geht es im engen Sinne des Wortes heiß her. Ich möchte keine glühenden Kohlen auf meinen Lippen fühlen müssen, um von Gott gesendet zu werden. Wie Menschen das Kommen Gottes erfahren und wie sie darauf hin Gottes Wort sagen sollen, diese Frage verbindet die drei Texte dieses Sonntags. Drei Gedanken über die Nähe Gottes und die Folgen:

Ein erstes: Es kann sehr unterschiedlich erfahren werden, wie und wenn Gott kommt. In Ägypten, zur Zeit des Alten Testaments, dachte man sich Seraphen als mythologische Wesen der heißen Wüste, als geflügelte Greifen, die durch ihre sengende Hitze den Thron des Sonnengottes schützen. Sie erregen Schrecken und bedrohen das Leben der Menschen; und so zeigen sie, was das Erscheinen Gottes in seinem Heiligtum bedeuten kann. (M/S)

Davon zehrt auch Jesaja, wenn er zu berichten versucht, wie er das Kommen Gottes erfährt, irgendwann in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts v.Chr. Gott bleibt verborgen, obwohl er - thronend in riesenhaften Ausmaßen - über seinem Tempel anwesend ist. Schon der Saum seines Gewandes füllt ihn aus - es gibt kein Haus, das die Nähe Gottes fassen könnte. Der Gottesthron ist vorgestellt als Himmelsthron in gigantischen Ausmaßen; die "Fülle der ganzen Erde ist seine Herrlichkeit", und der Lobpreis der Lebewesen ist der Widerhall dieser Anwesenheit Gottes in der ganzen Schöpfung (H 107). Diese Idee vom Kommen Gottes in seinen Tempel nennen die Bibelausleger "Heiligtumstheologie": Heiligkeit ist Herrschaft und Eigentum - und darin auch Ausstrahlung Gottes auf alles, was belebt, bevölkert und fruchtbar ist. So sollte, so könnte es sein.

Aber in Jes 6 hat diese Erfahrung der Nähe Gottes ihre Kehrseite: Sein Dasein im Tempel ist ein göttlicher Schreckensglanz (H 217); und die Seraphen über dem Tempel bewachen seine Unzugänglichkeit. Allein der unterste Teil der äußersten Hülle Gottes, der Gewandsaum, gibt dem Propheten schon die Gewissheit, verloren zu sein. Die Tempelschwelle bebt, dass man sie nicht mehr überschreiten kann, weil die Seraphen beim geheiligten Kultgesang von der erderfüllenden Herrlichkeit Gottes einen drohend lauten Ton anschlagen: Dieses Kommen Gottes ist unheilvoll und schrecklich. Der Tempel füllt sich nicht mit heilsamer Gottesnähe, sondern mit dem Rauch des Zorns und der Verborgenheit; dieses Kommen Gottes macht besinnungslos vor Angst. "Weh mir, ich bin verloren!" Und erst ein Gottesschmerz glühend wie Kohlen führt Jesaja dahin, sagen zu können: Hier bin ich!
Das Evangelium des Lukas spricht zunächst einmal anders. Auch hier erscheint Gott: aber er erscheint in einem galiläischen Wanderprediger, der ihn im Wort gegenwärtig macht; er erscheint von einem simplen Fischerboot aus in der einfachen Rede, die eine drängende Menge fasziniert. Im vorhergehenden 4. Kapitel - in den letzten Wochen haben wir das gehört - erscheint Gott in den Worten und Taten Jesu: in der Heilung von Menschen, die ihr Leben krank oder verrückt gemacht hat; er erscheint, indem Jesus in der Synagoge von Kapharnaum ein Gnadenjahr des Herrn ausruft, "damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze." (vgl. Lk. 4). Das Kommen Gottes ist nicht mehr Herrschaft zum Gericht, sondern Dasein und Hilfe. Gott erscheint in Jesus in seiner Zugänglichkeit und seiner Verheißung. Und darum kommt Gott auch im erneuten Versuch von Fischern, von ihrer Hände harter Arbeit ein mühsames Leben zu fristen - "Herr, wir haben die ganze Nacht nichts gefangen."

Die Fischer am See Genesareth sind Lohnfischer. Was sie aus dem Wasser ziehen, ist eine Luxusspeise, eine Delikatesse, für die der Bedarf mit der Präsenz römischer Herrschaft und Verwaltung wächst. Aber am Fisch werden nicht die reich, die ihn fangen, sondern die, welche ihn vermarkten und zu Hofe tragen. Was Simon und seine Gefährten da tun, ist Selbstausbeutung mangels Alternative. Und nun kommt in Jesus das Wort Gottes: gute Nachricht für die Armen, Gnadenjahr und Befreiung. Simon und die Seinen ziehen mit all' den Fischen ihre eigene Erlösung ins Boot, die Gegenwart Christi so übervoll und übersatt, dass sie fast darin untergehen. Auch so kann Gott dahin kommen, dass Menschen alles stehen und liegen lassen und mitgehen, um selber Wort Gottes zu sagen und zu sein: Wir sind gelöst aus unseren alten Netzen und Verstrickungen. Das ist mein erster Gedanke: Wir erfahren Gottes Nähe sehr unterschiedlich - in Beben und Glut und im befreiten Staunen. Aber es wird danach nichts mehr so sein wie vorher.

Darum ein zweites: Wenn vom Kommen Gottes die Rede ist, sollten wir bewusst halten, um eine wie schwer wiegende Sache es da geht. Die Leseordnung verschweigt uns, dass Jesaja, schon einen Vers weiter, mit der Verstockung des Volkes beauftragt wird, damit Gott sich in einem schrecklichen Krieg als Gerichtsherr erweisen kann: "Verhärte das Herz dieses Volkes, verstopf ihm die Ohren, verkleb ihm die Augen, damit es mit seinen Augen nicht sieht und mit seinen Ohren nicht hört, damit sein Herz nicht zur Einsicht kommt und sich nicht bekehrt und nicht geheilt wird." (6,10) Und auf die bange Frage Jesajas: "Wie lange, Herr?" die Antwort: "Bis die Städte verödet sind und unbewohnt, die Häuser menschenleer, bis das Ackerland zur Wüste geworden ist." (6,11) Das Nachdenken des Jesaja über den "Wohnort" Gottes und über seine Unzugänglichkeit im Zorn führt mitten in die Abgründigkeit des Handelns Gottes. Nichts, auch die Verkündigung des Propheten nicht, kann das Gericht über ein Volk mit unreinen Lippen hindern. Keiner sage, das Kommen Gottes sei allein eine freudvolle Erwählung. Jesaja muss auch dem Unsagbaren, dem Un-Säglichen in Gott zur Verfügung zu stehen, all' dem, was sich in einer naiven Rede vom "lieben Gott" nicht mehr unterbringen lässt.

Und man soll nicht meinen, das gestalte sich in der Berufung der Jünger am See prinzipiell harmonischer. Die erste Reaktion, nachdem man an Land gekommen ist mit diesem Fischzug, ist das maßlose Erschrecken: "Herr, geh weg von mir; ich bin ein Sünder." Aber das Hinwegnehmen der Sünde - "Fürchte Dich nicht" - krempelt bei Simon wie bei Jesaja das ganze Leben um. Das Sprechen Jesu ist Wort und Tat, Sinn und Wirkung zusammen, weil dabei jeder das neue Leben nicht nur erhofft, sondern unmittelbar erfährt: eine Gnade, die mit einem Mal auch Anspruch ist, denn in der Befreiung von Sünde und Furcht liegt das Gewicht der Verantwortung (B 230f.): "Und sie zogen die Boote an Land, ließen alles zurück und folgten ihm nach" (5,11). Das klingt eben so lakonisch wie vertraut. Aber indem Simon vor Jesus auf die Knie fällt, wechseln sie alle ihren gesellschaftlichen Standort und geben alle dichten Bezüge ihres Lebens auf - in die totale Ungesichertheit hinein. Das ist mein zweiter Gedanke: Seien wir nicht leichtfertig mit der Nähe Gottes. Sie stellt uns unausweichlich die Frage, wie weit wir uns verändern lassen wollen und was wir um Gottes willen tragen wollen. Darum

Ein drittes: Das Wissen um die Erlösung ist die Voraussetzung dieser Sendung, die immer auch eine Zumutung ist. Die Heiligtumstheologie in Jes 6 fasst das in heute schwer mitvollziehbare Vorstellungen: Das Feuer reinigt radikal, und so brennen die glühenden Kohlen als rituelle Wiederherstellung die Sühne an dem zu Tode erschrockenen Propheten ein: Erst dann kann er im Heiligtum überhaupt nur ein bindendes Wort sagen: "Hier bin ich, sende mich!" (6,6,7f) Aber diese Erfahrung: "Deine Schuld ist getilgt, deine Sünde gesühnt" - diese Erfahrung ist aus dem jüdisch-christlichen Sprechen von der Gottesbegegnung seither nicht mehr wegzudenken. Diese Erfahrung geht aller Berufung und Sendung voraus. So schwer es sein kann, die prüfende Nähe Gottes aushalten zu müssen - das erste, was Gott tut in dieser Begegnung, ist die Befreiung von der Schuld und der Last bislang misslungenen Lebens.

Das gilt auch für den Fischfang, den das Lukas-Evangelium in einer wunderschönen Allegorie in das Begeistern von Menschen überführt. Den zweiten Fangversuch beginnt Simon mit seinen Leuten nicht mehr aus eigenem Sachverstand heraus. "Wenn du es sagst, werde ich die Netze auswerfen." Simon macht das gegen alle langjährige Berufserfahrung, nach der Fischfang mitten am Tag völlig sinnlos ist. "Wenn du es sagst" ist eigentlich schwach übersetzt; Simon sagt zu Jesus "auf dein Wort hin". Auf dieses Wort hin begebe ich mich in ein totales Vertrauen. Das gilt damals wie heute: Wir werden mit bloßer Anstrengung nichts und niemanden fangen: Sagbar wird die Botschaft für uns überhaupt nur "auf sein Wort hin", aus seinem Leben heraus, durch sein Sterben hindurch, auf das neue Leben hin. Das ist unsere Botschaft, sagt Paulus, ob nun ich verkündige oder die anderen. Das gilt es nicht nur zu sagen, sondern zu verkörpern.

Es geht darum zu verstehen, dass die erfahrene Vergebung und das gelebte Wissen um die Erlösung allem anderen vorausgeht. Die das Leben fesselnde Sünde ist getilgt, ist weggenommen. Und nur weil das so ist, kann Jesaja, können Simon und die anderen gleichermaßen das Kommen Gottes auf sich nehmen: und heiße das denn Verstockung und Gericht ansagen, alles verlassen, darin aber die Hoffnung auf das neue Leben zum Keimen bringen. Denn Lukas benutzt für "Menschen fangen" ein metaphorisches Wort. Es bedeutet nicht nur "lebendig gefangen nehmen", sondern auch "beleben", ja "wiederbeleben".

Das ist mein dritter Gedanke, dieses stete "Vorauf" der Erlösung. Hans Dieter Hüsch hat dies in einen Psalm gefasst, in dem man nicht vorschnell nur das Leichte hören sollte:

Ich bin berührt - erlöst - befreit
Gott nahm in seine Hände - meine Zeit
Mein Fühlen - Denken - Hören - Sagen
Mein Triumphieren und Verzagen
Das Elend und die Zärtlichkeit [...]

Fürbitten

V: Gott, der Du kommst im Schrecken und in der Befreiung: Zu Dir rufen wir:

V: Hier bin ich, Herr!
Öffne verstopfte Ohren und verklebte Augen. Mach unser Herz sehend für Elend und Zärtlichkeit. Und löse alle unsere furchtbaren Verhärtungen.
Herr unser Gott:
A: Wir bitten Dich, erhöre uns!

V: Glühende Kohlen auf unseren Lippen:
Schenke uns das gute Wort, Herr. Lass und tröstend und befreiend reden. Lass es Dein Wort sein, das wir sagen.
Herr unser Gott:
A: Wir bitten Dich, erhöre uns!

V: Fürchtet Euch nicht!
Herr, fülle die Boote unseres Lebens bis zum Rand: mit Deiner Nähe und mit dem Wunsch, Dir zu folgen. Und lass nicht zu, dass irgend jemand untergeht.
Herr unser Gott:
A: Wir bitten Dich, erhöre uns!

V: Herr, wir hoffen auf Deine Nähe. Komm und bleibe bei uns in der Feier der Eucharistie.


Lit.:
" Ludwig D. Morenz / Stefan Schorch, Der Seraph in der Hebräischen Bibel und in Altägypten, in: Orientalia 66 (1997), 365-386. (M/S)
" Francois Bovon, Das Evangelium nach Lukas, Bd. 1 (EKK NT, Bd. UUU/1), Zürich 1989.
" Walter Schmithals, Das Evangelium nach Lukas (Zürcher Bibelkommentare NT 3.2), Zürich 1980.
" Josef Ernst, Lukas. Ein theologisches Portrait, Düsseldorf 1985.
" Jacob Kremer, Der Erste Brief an die Korinther (Regensburger Neues Testament), Regensburg 1997.
" Otto Kaiser, Das Buch des Propheten Jesaja, Kapitel 1-12 (Das Alte Testament Deutsch, Teilband 17), 5. neubearb. Auflage, Göttingen 1981.
" Bruce J. Malina, Die Welt des neuen Testaments. Kulturanthropologische Einsichten, Stuttgart - Berlin - Köln 1993.
" Bruce J. Malina, Richard L. Rohrgaugh, Social-Science Commentary on the Synoptic Gospels, Minneapolis 1992.
" Hanns Dieter Hüsch, Das Schwere leicht gesagt, Freiburg - Basel Wien ³1994.

 

 

 

 

 

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