Predigten

   
 

Die dunklen Seiten Gottes? - Fastenpredigten in St. Michael 2010

Sonntag, 28. Februar, 19 Uhr: "… weil du deinen einzigen Sohn mir nicht vorenthalten hast…"
Die Bindung Isaaks (Gen 22, 1-19) (Andreas Holzem)

GL 299,1-3: Manchmal kennen wir Gottes Willen

Begrüßung

Einleitung

"Es war ein stiller Abend, da ritt Abraham allein hinaus, und er ritt zum Berg Morija; er warf sich auf sein Angesicht, er bat Gott, ihm seine Sünde zu vergeben, dass er Isaak hatte opfern wollen, dass der Vater seine Pflicht gegen den Sohn vergessen hatte. Er ritt öfter seinen einsamen Weg, aber er fand keine Ruhe. Er konnte nicht begreifen, dass es eine Sünde gewesen war, Gott sein Bestes, was er besaß, opfern zu wollen, das, wofür er selbst gerne sein Leben viele Male hingegeben hätte; und wenn es eine Sünde war, wenn er Isaak nicht so geliebt hatte, dann konnte er nicht verstehen, dass dies vergeben werden konnte; denn welche Sünde war furchtbarer?"
(Sören Kierkegaard, Furcht und Zittern)

Es ist ein stiller Abend - wir versuchen uns zu vergegenwärtigen, was dieser Gott, der Gott Abrahams, der auch der Gott Jesu ist, für unser Fasten bedeutet. Abraham - nach ausgestandener Not, nachdem alles vorbei ist - quält sich mit Reue und Widerspruch. Wenn Gott etwas Unmögliches gefordert hat - wie kann ich damit fertig werden, dass ich es trotzdem tat? Und wenn ich etwas Unverzeihliches tat - wieso verzeiht Gott mir?

Unser Leben, geprägt von Widersprüchen, Unverzeihlichkeiten und bohrender Unruhe, steht fastend vor Gott. Fasten könnte nun heißen: auf das Eigene verzichten, auf Gott warten, mit den Gottsuchern der Bibel nach ihm suchen, seine Ferne zu ertragen, seine Nähe nicht zu vereinnahmen.

Psalm 25

Die Bitte um Vergebung und Leitung
Zu dir, Herr, erhebe ich meine Seele. […]
Denn niemand, der auf dich hofft, wird zuschanden; / zuschanden wird, wer dir schnöde die Treue bricht.
Zeige mir, Herr, deine Wege, / lehre mich deine Pfade!
Führe mich in deiner Treue und lehre mich; / denn du bist der Gott meines Heiles. / Auf dich hoffe ich allezeit.
Denk an dein Erbarmen, Herr, / und an die Taten deiner Huld; / denn sie bestehen seit Ewigkeit. […]
Gut und gerecht ist der Herr, / darum weist er die Irrenden auf den rechten Weg.
Die Demütigen leitet er nach seinem Recht, / die Gebeugten lehrt er seinen Weg.
Alle Pfade des Herrn sind Huld und Treue / denen, die seinen Bund und seine Gebote bewahren. […]
Wer ist der Mann, der Gott fürchtet? / Ihm zeigt er den Weg, den er wählen soll.
Dann wird er wohnen im Glück, / seine Kinder werden das Land besitzen.
Die sind Vertraute des Herrn, die ihn fürchten; / er weiht sie ein in seinen Bund.
Meine Augen schauen stets auf den Herrn; / denn er befreit meine Füße aus dem Netz.
Wende dich mir zu und sei mir gnädig; / denn ich bin einsam und gebeugt.
Befrei mein Herz von der Angst, / führe mich heraus aus der Bedrängnis!
Sieh meine Not und Plage an/ und vergib mir all meine Sünden! […]
Erhalte mein Leben und rette mich, / lass mich nicht scheitern! / Denn ich nehme zu dir meine Zuflucht.
O Gott, erlöse Israel / aus all seinen Nöten!

GL 6211: Ich steh vor Dir mit leeren Händen, Herr

Schriftlesung: Gen 22,1-19

Predigt

"Wenn die Opferung Isaaks nur Abraham und seinen Sohn beträfe, wäre diese Prüfung nur auf ihre eigene Qual beschränkt, aber sie betrifft uns alle."
Elie Wiesel, einer der wenigen, die dem Holocaust entkamen, schreibt über diesen Text als "Geschichte des Überlebenden", in der namenlosen Traurigkeit eines Erzählers, der die Nachkommen Abrahams und Isaaks dem Tod entgegengehen sah, "und der Engel, ganz damit beschäftigt, das Lob des Herrn zu singen, kam nicht, um sie der schwarzen und schweigenden Nacht zu entreißen." (W9) Wir können uns nicht darauf zurückziehen, dass schließlich am Ende doch alles gut ausgegangen ist und dass man Gott nur gehorchen müsse, damit es dahin kommt.

Gen 22 ist ein Text über Gottesleidenschaft, in der die Furcht ebenso herrscht wie der Glaube und die Herausforderung: Was für ein Gott, der verlangt, den eigenen Sohn zu schächten wie ein Stück Vieh? Was für ein Vater, der bereit ist, dem nachzukommen?
Weiterkommen werden wir nur, wenn wir uns selbst bereit machen, in diesem grausigen Geschehen eine Rolle zu übernehmen. Denn wir wissen nicht, was Gott sich dabei denkt. Es bleibt ungesagt, was Abraham fühlt. Kein Wort über das, was in Isaak vorgeht, als er doch irgendwann schlagartig begreifen muss, was hier vor sich geht. Den Weg der Erfahrung, von der zu berichten der Erzähler sich beharrlich weigert, diesen Weg der Erfahrung müssen wir selbst gehen. Beginnen wir mit Abraham:

Abraham
Der Regisseur Woody Allen, dessen Filme viele komisch finden, hat den Vorwurf an Abraham als Quintessenz der Geschichte besonders drastisch formuliert: "Und der Herr sprach: ‚Das beweist, dass einige Menschen jedem Befehl folgen, ganz egal, wie kreuzdämlich er ist, so lange er von einer wohlklingenden, melodischen Stimme kommt.'" Aber wer so redet, hat eigentlich noch nichts begriffen, weil er die Erfahrung Gottes auf das Säuseln eines Medienapparats reduziert. Abraham aber weiß - denn er ist da beileibe kein Unerfahrener - er weiß, dass es Gott ist, der ihn auf die Probe stellt, ihn bei seinem Namen ruft: "Er sprach zu ihm: Abraham! Er antwortete: Hier bin ich."

Dass Gott zu gehorchen ist, wenn es denn Gott ist, der da spricht, daran hat die ganze jüdische Schriftauslegung, der Midrasch, über Jahrhunderte hinweg keinen Zweifel. Sie hofft, der Gehorsam Abrahams werde sich als Segen für das ganze Volk auswirken. Im Synagogengottesdienst des Neujahrsfestes, bald schon im Morgengebet eines jeden Tages, heißt es: "Gedenke der Bindung Isaaks (Akeda), gedenke, wie unser Vater seinen Sohn Isaak auf dem Altar gefesselt hat und wie er sein Mitleid überwand, um Deinen Willen mit ganzem Herzen zu erfüllen, so werde Dein Mitleid Herr über Dein Gericht gegen uns, sei uns gnädig." (K14) Der Midrasch Bereschit Rabba, entstanden und mündlich bewahrt in den ersten Jahrhunderten nach der Zerstörung des Tempels, bezeichnet den Gehorsam Abrahams als Grund für die Erwählung Israels. Sie geschah, weil Abraham standhaft bei dem blieb, was Gott ihm auftrug. Das ist deswegen nicht naiv oder fundamentalistisch, weil darin die ganze Not des Abraham mit aufgehoben ist: Von zehn Prüfungen, die Gott Abraham auferlegt, ist dies die letzte und die furchtbarste.
Es fing damit an, dass Gott von Abraham verlangte: "Zieh weg aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus, in ein Land, das ich dir zeigen werde." Gott hatte eine gewaltige Verheißung damit verbunden: "Ich werde Dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen. Ein Segen sollst du sein. … Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen." (Gen 12,1-3) Immer wieder setzt Gott diesen Abraham der totalen Ungesichertheit aus, und immer wiederholt er seine paradoxe Verheißung. Paradox, denn bis ins hohe Alter hatte daraus so recht nichts werden wollen: Den einzigen Sohn, den Abraham hatte, musste er auf Gottes Geheiß hin mit seiner Nebenfrau, seiner Magd Hagar zeugen. Und dieser rätselhafte Gott hatte seine unfruchtbare Hauptfrau Sara in der unbarmherzigen Forderung unterstützt, er solle Hagar und Ismael buchstäblich in die Wüste schicken (Gen 21). Zweifel an diesem Gott waren für Abraham nichts Neues: "Herr, mein Herr, was willst du mir schon geben? Ich gehe doch kinderlos dahin… Du hast mir ja keine Nachkommen gegeben; also wird mich mein Haussklave beerben." (Gen 15,2f.) Bei den Eichen von Mamre hat Gott dem greisen Abraham einen Sohn versprochen, und seine Frau Sara, über die Wechseljahre seit langem hinaus, hat sich darüber kaputtgelacht (Gen 18,1-33). Aber Gott hatte Wort gehalten: "Abraham war hundert Jahre alt, als sein Sohn Isaak zur Welt kam", und nun hatte Sara ohne Zynismus lachen können: "Wer, sagte sie, hätte Abraham zu sagen gewagt, Sara werde noch Kinder stillen? Und nun habe ich ihm in seinem Alter einen Sohn geboren." (Gen 21,5f.)

Das bezeichnet der Midrasch Bereschit Rabba als die "Not" Abrahams: umsonst gelebt, gelitten und leiden lassen. In Isaak liegt die ganze Zukunft, ja die ganze Verheißung Gottes, und nach menschlichem Ermessen ist es für den über hundertjährigen Abraham die letzte Chance: Sara wird nicht noch einmal zu lachen haben ohne Bitterkeit. Abraham weiß, was auf dem Spiel steht: der ganze Bundesschluss mit diesem rätselhaften Gott, der das Blaue vom Himmel herunter verspricht, aber gleichzeitig absurde Forderungen stellt. "Ich schließe meinen Bund zwischen mir und dir, samt deinen Nachkommen, Generation um Generation, einen ewigen Bund: Dir und deinen Nachkommen werde ich Gott sein." (Gen 17,7) Hier geht es nicht um Familiengeschichten und um das potentielle Aussterben eines Clans von Viehnomaden, für die Söhne nun mal das Heiligste sind: Hier geht es um die Geschichte Gottes mit seinem Volk: Gilt ein Bund, den Gott selbst, einseitig und aus freier Initiative, gegeben hat?

Darum - darum wurde die Geschichte der Bindung Isaaks zur Chiffre für die Leidensgeschichte des jüdischen Volkes schlechthin: im Exil in Babylon, bei der Zerstörung des zweiten Tempels, in den Judenpogromen der Kreuzzüge, und dann in der Shoa des 20. Jahrhunderts.
Wir fragen noch nicht, was das für Gott heißt. Wir bleiben noch ganz bei Abraham, der sich entscheiden muss, was er machen wird mit diesem fürchterlichen "Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebst, Isaak … und bring ihn … als Brandopfer dar." Den unfasslichen Schrecken kleidet der Text in eine das Begreifen des Abraham widerspiegelnde Steigerung, in der das Unfassliche nur schrittweise Klarheit gewinnt: deinen Sohn - den einzigen - den du liebst - Isaak! Abraham muss alles, wofür sein Gott bislang stand, opfern - und der benutzte hebräische Ausdruck ola meint wörtlich Ganzopfer, restlos verbranntes Opfer, holocaustus (W 77).

Was uns so irritiert an Abraham, ist sein wortloses Tun: keine Klage, kein Hadern, kein Hinauszögern, keine Erklärung für Isaak, und für Sara, die Mutter, schon erst recht nicht. Drei Tage dauert diese Tortur des Schweigens auf dem Weg zum Opferberg im Land Morija, dem - wörtlich - Ort des Ersehens Gottes. Aber was hat sich Gott hier ausersehen?

[PP] Rembrandt: Die Opferung Isaaks - Abraham. 1636 (München, Alte Pinakothek)

Rembrandt van Rijn hat diese Fragen des Abraham in bedrückender, aber auch klärender Dichte ins Bild gesetzt, so klar, dass offenkundig wird: Die üblichen Vorwürfe an Abraham verkaufen ihn weit unter Wert. Dieser Abraham ist kein "beinharter Gehorsamsathlet", der kaltherzig tut, was man ihm sagt, um sich dann auf Befehlsnotstand herauszureden. Aber auch kein zynischer Religionskritiker, dessen Lebensmut und Gottesglaube gänzlich zerbrochen ist. Und schon gar keiner, der in letztlich naiver Gewissheit denkt, dass Gott es so weit schon nicht kommen lassen wird.

Nein, diesem Abraham ist erschreckend klar, dass das Opfer seines Sohnes das Opfer seiner selbst sein wird, weil für ihn buchstäblich alles auf dem Spiel steht, egal ob das Opfer vollzogen wird oder nicht, egal wie er sich entscheidet, egal ob Gott das Letzte fordern oder verhindern wird: Es wird danach nichts mehr sein wie vorher, weil klar ist, welcher Preis für diese Gottesbeziehung zu zahlen ist.

Abraham opfert nicht nur Isaak - er opfert sich selbst in "Furcht und Zittern" (S. Kierkegaard) diesem Gott: "Solche Tödtung", legt Martin Luther aus, "Solche Tödtung … hat er diese drei Tage über … dulden und leiden müssen, und hat es doch gleichwohl müssen in sich fressen und dazu stille schweigen. … Ich zwar verwundere mich darüber sehr, dass der arme Vater von solchem großen und langen Herzeleid nicht gar gestorben ist." (GJL 322f.) Drei Tage lang auf dem Weg mit dem holzbeladenen Esel. - Und mit Isaak:

GL 6212: Ich steh vor Dir mit leeren Händen, Herr

Isaak
Abraham geht mit einem Isaak, dem er nicht sagen darf, was geschehen wird. Sich auf Isaak einen Reim zu machen, ist keineswegs einfacher. Alle Ausleger, und auch die Bilder von Rembrandt bis Caravaggio stellen sich den Sohn der Sara und des Abraham nicht als einen unmündigen Knaben, sondern als Heranwachsenden jenseits der Pubertät vor, als denjenigen, von dem erkennbar wird, dass er die Geschichte weitertragen kann wie er Holz trägt, ja als jemanden, der das Ritual des Brandopfers kennt und mehrfach dabei war. Aber irgendwann ist die Täuschung zu Ende: "Abraham nahm das Holz für das Brandopfer und lud es seinem Sohn Isaak auf. Er selbst nahm das Feuer und das Messer in die Hand. So gingen beide miteinander. Nach einer Weile sagte Isaak zu seinem Vater Abraham: Hier ist Feuer und Holz. Wo aber ist das Lamm für das Brandopfer?" Abraham hält ihn noch einmal hin mit der Notlüge, Gott werde sich das Opfer aussuchen. Und wieder, sagt der Text, gingen beide miteinander.

[PP] Rembrandt: Die Opferung Isaaks - Isaak. 1636 (München, Alte Pinakothek)

Was bedeutet Isaaks Begreifen, dass er selbst das Opfer ist, gefesselt, auf dem Altar, oben auf dem Feuerholz, Abraham, sein Vater, das Messer in der Hand? Die Geschichte selbst lässt uns wiederum allein. Die dichteste Deutung hat Sören Kierkegaard gegeben in seinem Fragment "Furcht und Zittern": Isaak musste sich in diesem Moment entschließen, Abraham zu hassen, damit er nicht Gott hassen muss: "Abraham sagte leise bei sich selbst: ‚Herr im Himmel […]; es ist doch besser, dass er glaubt, ich sei ein Unmensch, als dass er den Glauben an dich verlöre.'" (GJL 324)
Aber das ist scharf und neuzeitlich gedacht, und die jüdischen Ausleger sehen das mehrheitlich anders. Im Midrasch wird Isaak nicht wehrlos von seinem Vater überwältigt, sondern entscheidet sich freiwillig für diesen Weg (K 27, 42). Zweimal der Satz: "Und sie gingen miteinander." Gerade weil Isaak irgendwann begreift, aber seine Angst besiegt, werden Abraham und Isaak trotz ihrer gegensätzlichen Rollen gleich, sind sie miteinander bereit, alles zu geben, was sie haben: das Leben und die Zukunft und den Sinn, der darin hätte liegen können. Isaak wird "das deutlichste Zeichen der Hingabebereitschaft von Juden an Gott, gewollt oder ungewollt, freiwillig oder erzwungen, nicht erklärbar." (GJL 15) Er steht für das Martyrium des Volkes, seine Passion und seine Leidenschaft für Gott, auch wenn das alles etwas Unerklärbares bleibt. Von Widerstand oder Zustimmung Isaaks schweigt Gen 22, und wir werden unweigerlich in dieses Schweigen hineingezogen. Und damit rühren wir auch an etwas, was die Geschichte über Gott selbst sagen will.

GL 6213: Ich steh vor Dir mit leeren Händen, Herr

Gott selbst
Wir begegnen einem Gott, der restlos alles zurückfordert, wofür er bisher gestanden hat: Verheißung, Segen, Begleitung, Nachkommen, Zukunft. Wir begegnen einem widersprüchlichen Gott. Schon die Rabbinen waren sich nicht einig, ob Gott Abraham hier in eine wirkliche Versuchung führt, die auch schief gehen kann. Ist das Ganze von Gott her so eingefädelt, dass Abraham sich falsch entscheiden kann? Und was würde dann?

Oder unternimmt Gott hier einen Laborversuch, dessen Ergebnis schon fest steht: die glorreiche Bewährung Abrahams als Gottesgerechtem? Aber was tut Gott Abraham damit an? Nochmals: Welcher Preis muss hier gezahlt werden, um von Gott für die Bestellung seiner Welt herangezogen zu werden?
Die Aufklärer haben es sich leicht gemacht. Immanuel Kant war der festen Überzeugung, ein solcher Gottesbefehl könne nur eine Täuschung sein, und käme er noch so majestätisch daher. Seinen Sohn zu opfern, sei gegen das natürliche Sittengesetz: "Abraham hätte auf diese vermeintliche göttliche Stimme sagen müssen: ‚daß ich meinen Sohn nicht töten solle, ist ganz gewiß; daß aber du, der du mir erscheinst, Gott sei, davon bin ich nicht gewiß, und kann es auch nicht werden, wenn es auch vom sichtbaren Himmel herabschallete.'" (GJL 21) Ich opfere lieber meine Gottesbeziehung als meinen Sohn - heißt das im Klartext, oder, etwas differenzierter: Ich lasse Gott nur so weit Gott sein, wie er sich mit vernünftig einsehbaren Moralvorstellungen in Einklang bringen lässt.

Auch die Religionsgeschichte hat es sich eine Zeitlang leicht gemacht. Das Opfer ist die ursprünglichste Form, wie Menschen mit Gott handeln: ihm etwas geben, um von ihm zu erhalten. Je wertvoller das Opfer, um so größer die Not, die überwunden werden muss, um so höher die Erwartungen an eine Zukunft eröffnende göttliche Macht. Man kann Gen 22 als biblische Kritik an dieser Gottesvorstellung lesen. Gott selbst befiehlt das Menschenopfer, das größte denkbare Opfer überhaupt, um dann unmissverständlich ein für allemal klar zu machen, dass er diese simpel-stumpfe Art der Verehrung nach der Logik des Gabentausches nicht will, dass sie unter seiner Würde ist, aber auch unter der Würde des Menschen. Gerade Kinderopfer sollten so ausgeschlossen werden. Wenn es so einfach denn wäre! Wir wissen aus den Königsbüchern und von den Propheten Jeremia, Ezechiel und Micha, dass in gewissen Zirkeln Israels über Kinderopfer als Antwort auf extreme Notlagen zumindest diskutiert wurde; wir wissen aber auch, wie entschieden sie daraufhin abgelehnt wurden (vgl. etwa Mi 6,6-8; GJL 47f.)

[PP] Rembrandt: Die Opferung Isaaks - Gesamtbild. 1636 (München, Alte Pinakothek)

Nein - was wir in dieser Geschichte von Gott erzählt bekommen, ist nicht die archaische Tiefe vorethischer Rituale. Was wir erzählt bekommen, ist die Unergründlichkeit Gottes im Angesicht menschlicher Erfahrung. Dies ist keine systematische Theologie über das Wesen Gottes, von dem die antiken Philosophen behaupteten, dass seine Selbstwidersprüchlichkeit undenkbar sei. Sondern es ist eine Geschichte der Gottesbegegnung und der Gotteserfahrung. Wenn uns das Unfassliche zustößt, wenn uns das Liebste genommen werden soll, oder genommen wird, wenn unser Leben und unsere Zukunft auf dem Spiel steht: dann müssen wir uns entscheiden, ob auch darin Gotteserfahrung liegen kann. Und die Torah hat den Mut sich zu entscheiden und die dunkelsten Erfahrungen der Geschichte des jüdischen Volkes in ihre Gottesleidenschaft aufzunehmen und auch davon zu erzählen. Es ist diese menschliche Erfahrung, die uns in Abraham und Isaak begegnet. Und erst dann, in der Sackgasse der Ausweglosigkeit, alle Zukunft abgeschnitten, selbst die, die Gott selbst verheißen hat, erst dann wird die entscheidende Gottesfrage überhaupt gestellt.

Diese Frage lautet: Bin ich bereit an Gott festzuhalten, wenn es dafür keine äußeren angebbaren Gründe mehr gibt? Wirklich keine? Noch nicht einmal mehr diejenigen, die in Gottes eigener Verheißung liegen? Hier geht es um nichts weniger als um die Frage: Bin ich bereit, Gott als Gott anzuerkennen? Nicht als den, den ich verehre, damit mein Leben gelingt? Nicht als den, der mich belohnt, weil ich fromm bin? Nicht den, vor dem ich Angst habe, weil er gerecht ist und ich ein Sünder.
Die Geschichte von Abraham und Isaak ist eine Geschichte über Gottesfurcht, nicht über Opfergehorsam. Denn Gehorsam, antwortend auf einen Befehl, ist das falsche Wort und die falsche Haltung. Gemeint ist eine Gottesfürchtigkeit, die nichts mit Autoritätsangst zu tun hat, sondern mit Vertrauen gegen allen Augenschein. Gegen allen Augenschein - "ein Vertrauen auf Gott offenkundig jenseits aller Sicherungsmechanismen, ohne jegliche Nutzen- und Zweckmäßigkeitserwägung", ausschließlich bestimmt, um Gott Gott sein zu lassen (M10). Gottesfürchtigkeit duckt sich nicht vor seinem Strafzorn, sondern ehrt seine Unverfügbarkeit. Um es konkret zu machen: Die meisten modernen Exegeten sind sich einig, dass die Erzählung von der Bindung Isaaks ihre jetzige Textgestalt fand in einer Phase, in der die JHWH-Religion für Israel ein drückendes Problem geworden sein musste: in der späten Königszeit, als ihnen die politische Stabilität und die soziale Gerechtigkeit unter den Händen zerfiel, oder eben in der Klagezeit des Exils an den Strömen von Babylon, als Gott alle Verheißungen entzogen zu haben schien: aus dem gelobten Land vertrieben, Jerusalem und der Tempel zerstört, die Zukunft versklavt, an reiche Nachkommenschaft gar nicht zu denken. Hier lautet die Frage: Bin ich bereit an Gott festzuhalten, wenn es dafür keine angebbaren äußeren Gründe mehr gibt? Noch nicht einmal mehr diejenigen, die in Gottes eigener Verheißung liegen? Bin ich bereit, Gott als Gott anzuerkennen?

Um nichts weniger geht es am Schluss unseres Textes: "Ich habe bei mir geschworen - Spruch des Herrn: Weil du das getan hast und deinen eigenen Sohn mir nicht vorenthalten hast, will ich dir Segen schenken in Fülle…" (Gen 22,16) "Gott honoriert diese, genau diese opferbereite Haltung, die in einem Vertrauen gegen alle Hoffnung alles zu geben bereit ist." Hier ist der Unterschied zwischen Befehlsgehorsam und Gottesfurcht: "Nicht das Opfer, schon gar nicht der Opfervollzug, sondern dieses fassungslose, grenzenlose Vertrauen, das die ganze Existenz nur auf Gott, auch in seiner Abgründigkeit, setzt, erweist sich als das Entscheidende" (M 10) - nicht die Bereitschaft Abrahams, den eigenen Sohn zu töten, nicht die einwilligende Resignation Isaaks in diese Ungeheuerlichkeit, sondern die Bereitschaft beider, Gottesverfinsterung auszuhalten.

Als solche Erzählung von Gotteserfahrung, durchgehalten bis ins Letzte, ist diese Erzählung der jüdischen Thora auch uns Christen geschenkt. Die Erfahrungen der dunklen Seite Gottes, unverfügbar und entzogen, hat Israel seit dem Exil in der Abraham-Isaak-Erzählung aufbewahrt. Es ist auch die Erfahrung des Juden Jesus: das Reich Gottes auf dem Index des Hohen Rates, die Wunderheilungen eine Gotteslästerung, statt Hosianna "Kreuzige ihn", statt Abba - Vater "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Nichts anderes bleibt als diese Art der Gottesfurcht: Gott als Gott anzuerkennen und alles andere einfach nur auszuhalten. Das Geheimnis zwischen Gott und Abraham, Gott und Isaak, Gott und Jesus kann nicht mehr gesagt werden. Es kann nur noch schweigend verantwortet werden. So vor Gott stehend, was könnte dann zum Schluss Fasten mit Abraham und Isaak bedeuten? Abraham steht für "die Furcht des Menschen vor Gott und seine Suche nach Reinheit und Sinn, für die Zerreißprobe zwischen absolutem Glauben und absoluter Gerechtigkeit, zwischen dem Bedürfnis, Gott zu gehorchen und ihm den Gehorsam zu versagen…" (W 75)

Wenn wir also die Rolle Abrahams übernehmen, dann übernehmen wir nicht Hartherzigkeit, Opferbereitschaft, blinden Gehorsam. Dann übernehmen wir auch abgrundtiefe Liebe zu dem, was Gott uns geschenkt hat, Angst vor der Zukunft, zweifelnde Hoffnung und hoffenden Zweifel. Wir übernehmen die weit aufgerissenen Augen des Entsetzens über Gott, aber auch das gläubige Staunen vor Gott. Und das alles dürfen wir Gott hinhalten, wenn wir Abraham sind. Alles das ist Glauben, und diesen Glauben, sagt Gen 15 (Gal 3, Röm 4), rechnete der Herr ihm als Gerechtigkeit an.

Was könnte Fasten mit Isaak bedeuten? Isaak steht für eine Prüfung, die "auch mit anderen geschehen wird", sagt Elie Wiesel, "diese Geschichte wird kein Ende haben, seine Kinder werden sie immer wieder durchstehen müssen." (W 78)
Wenn wir also die Rolle Isaaks nehmen, dann kämpfen wir um unser Leben; wir ringen um das, was uns lieb und teuer ist, wir fordern von Gott und den Vätern und allen Autoritäten, dass sie sich rechtfertigen für die Schrecknisse abgebrochenen Glücks und beendeten Lebens vor der Zeit. Aber Fasten mit Isaak könnte auch bedeuten einzuwilligen in das, was geschehen wird, sich gebrauchen zu lassen als Opfer, ohne genau zu wissen wofür, eine Resignation zu üben, die nicht stumpfe Lethargie ist, weil sie von Gott noch etwas weiß, und sei es nur als Frage. Und darum heißt Fasten, Gott diese Fragen unablässig zu stellen. Der Midrasch Bereschit Rabba nennt das: Anbetung.

Musik

Fürbitten

V: Du Gott Abrahams und Isaaks, der Du der Gott Jesu bist: Zu Dir rufen wir:
V: Für alle, denen ihre Zukunft genommen wird: die in Gewissenszweifeln hin und her geworfen werden und die Angst haben, ob der morgige Tag noch Verheißung in sich tragen könnte: Herr unser Gott:
A: Wir bitten Dich, erhöre uns!
V: Für alle, die um ihre Kinder fürchten und für die, die ihre Liebsten haben lassen müssen, und die sich fragen, wo in diesem Geschehen denn ihr Gott sein könnte: Herr unser Gott:
A: Wir bitten Dich, erhöre uns!
V: Für alle, die um ihren Glauben fürchten: denen du, Gott, fordernd, fremd und unnahbar geworden bist: Herr unser Gott:
A: Wir bitten Dich, erhöre uns!
V: Für alle, die sich aufopfern mit allem, was sie haben: die sich klaglos verschenken, die sich gebrauchen lassen, die den Schmerz der anderen zu ihrem Schmerz und zu ihrer Aufgabe machen: Herr unser Gott:
A: Wir bitten Dich, erhöre uns!
V: Für alle, die Opfer werden und keinen Sinn darin sehen können: die ein Holzbündel tragen, das zu schwer für sie ist, denen der Tod ins Gesicht geschrieben steht: Herr unser Gott:
A: Wir bitten Dich, erhöre uns!
V: Herr, wir hoffen auf Deine Nähe. Mach wahr, was Du verheißen hast: Sei Segen in Fülle. Amen.

Vater unser

GL 2921-2, 4-5: Herr, Dir ist nichts verborgen
Segen

Auszug

Michael Krupp, Den Sohn opfern? Die Isaak-Überlieferung bei Juden, Christen und Muslimen, Gütersloh 1995 (K).
Elie Wiesel, Die Opferung Isaaks. Die Geschichte eines Überlebenden, in: ders., Adam oder das Geheimnis des Anfangs. Brüderliche Urgestalten, Freiburg/Br.1980; S. 75-105 (W).
Andreas Michel, Gott und Gewalt gegen Kinder im Alten Testament, Tübingen 2003, 246-316 (MG).
Andreas Michel, Opfer, Brüder und Dämonen. Von Genesis 4 bis Lukas 15, Manuskript 2010 (M).
Bernhard Greiner, Bernd Janowski, Hermann Lichtenberger (Hrsg.), Opfere deinen Sohn! Das Isaak-Opfer in Judentum, Christentum und Islam, Tübingen 2007 (GJL).
Georg Steins, Die "Bindung Isaaks" im Kanon (Gen 22). Grundlagen und Programm einer kanonisch-intertextuellen Lektüre, Freiburg u.a. 1998.

 

 

 

 

 

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