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Die dunklen
Seiten Gottes? - Fastenpredigten in St. Michael 2010
Sonntag, 28. Februar, 19 Uhr:
"
weil du deinen einzigen Sohn mir nicht vorenthalten hast
"
Die Bindung Isaaks (Gen 22, 1-19) (Andreas Holzem)
GL 299,1-3: Manchmal kennen
wir Gottes Willen
Begrüßung
Einleitung
"Es war ein stiller Abend,
da ritt Abraham allein hinaus, und er ritt zum Berg Morija; er warf sich
auf sein Angesicht, er bat Gott, ihm seine Sünde zu vergeben, dass
er Isaak hatte opfern wollen, dass der Vater seine Pflicht gegen den Sohn
vergessen hatte. Er ritt öfter seinen einsamen Weg, aber er fand
keine Ruhe. Er konnte nicht begreifen, dass es eine Sünde gewesen
war, Gott sein Bestes, was er besaß, opfern zu wollen, das, wofür
er selbst gerne sein Leben viele Male hingegeben hätte; und wenn
es eine Sünde war, wenn er Isaak nicht so geliebt hatte, dann konnte
er nicht verstehen, dass dies vergeben werden konnte; denn welche Sünde
war furchtbarer?"
(Sören Kierkegaard, Furcht und Zittern)
Es ist ein stiller Abend -
wir versuchen uns zu vergegenwärtigen, was dieser Gott, der Gott
Abrahams, der auch der Gott Jesu ist, für unser Fasten bedeutet.
Abraham - nach ausgestandener Not, nachdem alles vorbei ist - quält
sich mit Reue und Widerspruch. Wenn Gott etwas Unmögliches gefordert
hat - wie kann ich damit fertig werden, dass ich es trotzdem tat? Und
wenn ich etwas Unverzeihliches tat - wieso verzeiht Gott mir?
Unser Leben, geprägt von
Widersprüchen, Unverzeihlichkeiten und bohrender Unruhe, steht fastend
vor Gott. Fasten könnte nun heißen: auf das Eigene verzichten,
auf Gott warten, mit den Gottsuchern der Bibel nach ihm suchen, seine
Ferne zu ertragen, seine Nähe nicht zu vereinnahmen.
Psalm 25
Die Bitte um Vergebung und
Leitung
Zu dir, Herr, erhebe ich meine Seele. [
]
Denn niemand, der auf dich hofft, wird zuschanden; / zuschanden wird,
wer dir schnöde die Treue bricht.
Zeige mir, Herr, deine Wege, / lehre mich deine Pfade!
Führe mich in deiner Treue und lehre mich; / denn du bist der Gott
meines Heiles. / Auf dich hoffe ich allezeit.
Denk an dein Erbarmen, Herr, / und an die Taten deiner Huld; / denn sie
bestehen seit Ewigkeit. [
]
Gut und gerecht ist der Herr, / darum weist er die Irrenden auf den rechten
Weg.
Die Demütigen leitet er nach seinem Recht, / die Gebeugten lehrt
er seinen Weg.
Alle Pfade des Herrn sind Huld und Treue / denen, die seinen Bund und
seine Gebote bewahren. [
]
Wer ist der Mann, der Gott fürchtet? / Ihm zeigt er den Weg, den
er wählen soll.
Dann wird er wohnen im Glück, / seine Kinder werden das Land besitzen.
Die sind Vertraute des Herrn, die ihn fürchten; / er weiht sie ein
in seinen Bund.
Meine Augen schauen stets auf den Herrn; / denn er befreit meine Füße
aus dem Netz.
Wende dich mir zu und sei mir gnädig; / denn ich bin einsam und gebeugt.
Befrei mein Herz von der Angst, / führe mich heraus aus der Bedrängnis!
Sieh meine Not und Plage an/ und vergib mir all meine Sünden! [
]
Erhalte mein Leben und rette mich, / lass mich nicht scheitern! / Denn
ich nehme zu dir meine Zuflucht.
O Gott, erlöse Israel / aus all seinen Nöten!
GL 6211: Ich steh vor Dir mit
leeren Händen, Herr
Schriftlesung: Gen 22,1-19
Predigt
"Wenn die Opferung Isaaks
nur Abraham und seinen Sohn beträfe, wäre diese Prüfung
nur auf ihre eigene Qual beschränkt, aber sie betrifft uns alle."
Elie Wiesel, einer der wenigen, die dem Holocaust entkamen, schreibt über
diesen Text als "Geschichte des Überlebenden", in der namenlosen
Traurigkeit eines Erzählers, der die Nachkommen Abrahams und Isaaks
dem Tod entgegengehen sah, "und der Engel, ganz damit beschäftigt,
das Lob des Herrn zu singen, kam nicht, um sie der schwarzen und schweigenden
Nacht zu entreißen." (W9) Wir können uns nicht darauf
zurückziehen, dass schließlich am Ende doch alles gut ausgegangen
ist und dass man Gott nur gehorchen müsse, damit es dahin kommt.
Gen 22 ist ein Text über
Gottesleidenschaft, in der die Furcht ebenso herrscht wie der Glaube und
die Herausforderung: Was für ein Gott, der verlangt, den eigenen
Sohn zu schächten wie ein Stück Vieh? Was für ein Vater,
der bereit ist, dem nachzukommen?
Weiterkommen werden wir nur, wenn wir uns selbst bereit machen, in diesem
grausigen Geschehen eine Rolle zu übernehmen. Denn wir wissen nicht,
was Gott sich dabei denkt. Es bleibt ungesagt, was Abraham fühlt.
Kein Wort über das, was in Isaak vorgeht, als er doch irgendwann
schlagartig begreifen muss, was hier vor sich geht. Den Weg der Erfahrung,
von der zu berichten der Erzähler sich beharrlich weigert, diesen
Weg der Erfahrung müssen wir selbst gehen. Beginnen wir mit Abraham:
Abraham
Der Regisseur Woody Allen, dessen Filme viele komisch finden, hat den
Vorwurf an Abraham als Quintessenz der Geschichte besonders drastisch
formuliert: "Und der Herr sprach: Das beweist, dass einige
Menschen jedem Befehl folgen, ganz egal, wie kreuzdämlich er ist,
so lange er von einer wohlklingenden, melodischen Stimme kommt.'"
Aber wer so redet, hat eigentlich noch nichts begriffen, weil er die Erfahrung
Gottes auf das Säuseln eines Medienapparats reduziert. Abraham aber
weiß - denn er ist da beileibe kein Unerfahrener - er weiß,
dass es Gott ist, der ihn auf die Probe stellt, ihn bei seinem Namen ruft:
"Er sprach zu ihm: Abraham! Er antwortete: Hier bin ich."
Dass Gott zu gehorchen ist,
wenn es denn Gott ist, der da spricht, daran hat die ganze jüdische
Schriftauslegung, der Midrasch, über Jahrhunderte hinweg keinen Zweifel.
Sie hofft, der Gehorsam Abrahams werde sich als Segen für das ganze
Volk auswirken. Im Synagogengottesdienst des Neujahrsfestes, bald schon
im Morgengebet eines jeden Tages, heißt es: "Gedenke der Bindung
Isaaks (Akeda), gedenke, wie unser Vater seinen Sohn Isaak auf dem Altar
gefesselt hat und wie er sein Mitleid überwand, um Deinen Willen
mit ganzem Herzen zu erfüllen, so werde Dein Mitleid Herr über
Dein Gericht gegen uns, sei uns gnädig." (K14) Der Midrasch
Bereschit Rabba, entstanden und mündlich bewahrt in den ersten Jahrhunderten
nach der Zerstörung des Tempels, bezeichnet den Gehorsam Abrahams
als Grund für die Erwählung Israels. Sie geschah, weil Abraham
standhaft bei dem blieb, was Gott ihm auftrug. Das ist deswegen nicht
naiv oder fundamentalistisch, weil darin die ganze Not des Abraham mit
aufgehoben ist: Von zehn Prüfungen, die Gott Abraham auferlegt, ist
dies die letzte und die furchtbarste.
Es fing damit an, dass Gott von Abraham verlangte: "Zieh weg aus
deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus, in ein
Land, das ich dir zeigen werde." Gott hatte eine gewaltige Verheißung
damit verbunden: "Ich werde Dich zu einem großen Volk machen,
dich segnen und deinen Namen groß machen. Ein Segen sollst du sein.
Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen."
(Gen 12,1-3) Immer wieder setzt Gott diesen Abraham der totalen Ungesichertheit
aus, und immer wiederholt er seine paradoxe Verheißung. Paradox,
denn bis ins hohe Alter hatte daraus so recht nichts werden wollen: Den
einzigen Sohn, den Abraham hatte, musste er auf Gottes Geheiß hin
mit seiner Nebenfrau, seiner Magd Hagar zeugen. Und dieser rätselhafte
Gott hatte seine unfruchtbare Hauptfrau Sara in der unbarmherzigen Forderung
unterstützt, er solle Hagar und Ismael buchstäblich in die Wüste
schicken (Gen 21). Zweifel an diesem Gott waren für Abraham nichts
Neues: "Herr, mein Herr, was willst du mir schon geben? Ich gehe
doch kinderlos dahin
Du hast mir ja keine Nachkommen gegeben; also
wird mich mein Haussklave beerben." (Gen 15,2f.) Bei den Eichen von
Mamre hat Gott dem greisen Abraham einen Sohn versprochen, und seine Frau
Sara, über die Wechseljahre seit langem hinaus, hat sich darüber
kaputtgelacht (Gen 18,1-33). Aber Gott hatte Wort gehalten: "Abraham
war hundert Jahre alt, als sein Sohn Isaak zur Welt kam", und nun
hatte Sara ohne Zynismus lachen können: "Wer, sagte sie, hätte
Abraham zu sagen gewagt, Sara werde noch Kinder stillen? Und nun habe
ich ihm in seinem Alter einen Sohn geboren." (Gen 21,5f.)
Das bezeichnet der Midrasch
Bereschit Rabba als die "Not" Abrahams: umsonst gelebt, gelitten
und leiden lassen. In Isaak liegt die ganze Zukunft, ja die ganze Verheißung
Gottes, und nach menschlichem Ermessen ist es für den über hundertjährigen
Abraham die letzte Chance: Sara wird nicht noch einmal zu lachen haben
ohne Bitterkeit. Abraham weiß, was auf dem Spiel steht: der ganze
Bundesschluss mit diesem rätselhaften Gott, der das Blaue vom Himmel
herunter verspricht, aber gleichzeitig absurde Forderungen stellt. "Ich
schließe meinen Bund zwischen mir und dir, samt deinen Nachkommen,
Generation um Generation, einen ewigen Bund: Dir und deinen Nachkommen
werde ich Gott sein." (Gen 17,7) Hier geht es nicht um Familiengeschichten
und um das potentielle Aussterben eines Clans von Viehnomaden, für
die Söhne nun mal das Heiligste sind: Hier geht es um die Geschichte
Gottes mit seinem Volk: Gilt ein Bund, den Gott selbst, einseitig und
aus freier Initiative, gegeben hat?
Darum - darum wurde die Geschichte
der Bindung Isaaks zur Chiffre für die Leidensgeschichte des jüdischen
Volkes schlechthin: im Exil in Babylon, bei der Zerstörung des zweiten
Tempels, in den Judenpogromen der Kreuzzüge, und dann in der Shoa
des 20. Jahrhunderts.
Wir fragen noch nicht, was das für Gott heißt. Wir bleiben
noch ganz bei Abraham, der sich entscheiden muss, was er machen wird mit
diesem fürchterlichen "Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den
du liebst, Isaak
und bring ihn
als Brandopfer dar."
Den unfasslichen Schrecken kleidet der Text in eine das Begreifen des
Abraham widerspiegelnde Steigerung, in der das Unfassliche nur schrittweise
Klarheit gewinnt: deinen Sohn - den einzigen - den du liebst - Isaak!
Abraham muss alles, wofür sein Gott bislang stand, opfern - und der
benutzte hebräische Ausdruck ola meint wörtlich Ganzopfer, restlos
verbranntes Opfer, holocaustus (W 77).
Was uns so irritiert an Abraham,
ist sein wortloses Tun: keine Klage, kein Hadern, kein Hinauszögern,
keine Erklärung für Isaak, und für Sara, die Mutter, schon
erst recht nicht. Drei Tage dauert diese Tortur des Schweigens auf dem
Weg zum Opferberg im Land Morija, dem - wörtlich - Ort des Ersehens
Gottes. Aber was hat sich Gott hier ausersehen?
[PP] Rembrandt: Die Opferung
Isaaks - Abraham. 1636 (München, Alte Pinakothek)
Rembrandt van Rijn hat diese
Fragen des Abraham in bedrückender, aber auch klärender Dichte
ins Bild gesetzt, so klar, dass offenkundig wird: Die üblichen Vorwürfe
an Abraham verkaufen ihn weit unter Wert. Dieser Abraham ist kein "beinharter
Gehorsamsathlet", der kaltherzig tut, was man ihm sagt, um sich dann
auf Befehlsnotstand herauszureden. Aber auch kein zynischer Religionskritiker,
dessen Lebensmut und Gottesglaube gänzlich zerbrochen ist. Und schon
gar keiner, der in letztlich naiver Gewissheit denkt, dass Gott es so
weit schon nicht kommen lassen wird.
Nein, diesem Abraham ist erschreckend
klar, dass das Opfer seines Sohnes das Opfer seiner selbst sein wird,
weil für ihn buchstäblich alles auf dem Spiel steht, egal ob
das Opfer vollzogen wird oder nicht, egal wie er sich entscheidet, egal
ob Gott das Letzte fordern oder verhindern wird: Es wird danach nichts
mehr sein wie vorher, weil klar ist, welcher Preis für diese Gottesbeziehung
zu zahlen ist.
Abraham opfert nicht nur Isaak
- er opfert sich selbst in "Furcht und Zittern" (S. Kierkegaard)
diesem Gott: "Solche Tödtung", legt Martin Luther aus,
"Solche Tödtung
hat er diese drei Tage über
dulden und leiden müssen, und hat es doch gleichwohl müssen
in sich fressen und dazu stille schweigen.
Ich zwar verwundere
mich darüber sehr, dass der arme Vater von solchem großen und
langen Herzeleid nicht gar gestorben ist." (GJL 322f.) Drei Tage
lang auf dem Weg mit dem holzbeladenen Esel. - Und mit Isaak:
GL 6212: Ich steh vor Dir mit
leeren Händen, Herr
Isaak
Abraham geht mit einem Isaak, dem er nicht sagen darf, was geschehen wird.
Sich auf Isaak einen Reim zu machen, ist keineswegs einfacher. Alle Ausleger,
und auch die Bilder von Rembrandt bis Caravaggio stellen sich den Sohn
der Sara und des Abraham nicht als einen unmündigen Knaben, sondern
als Heranwachsenden jenseits der Pubertät vor, als denjenigen, von
dem erkennbar wird, dass er die Geschichte weitertragen kann wie er Holz
trägt, ja als jemanden, der das Ritual des Brandopfers kennt und
mehrfach dabei war. Aber irgendwann ist die Täuschung zu Ende: "Abraham
nahm das Holz für das Brandopfer und lud es seinem Sohn Isaak auf.
Er selbst nahm das Feuer und das Messer in die Hand. So gingen beide miteinander.
Nach einer Weile sagte Isaak zu seinem Vater Abraham: Hier ist Feuer und
Holz. Wo aber ist das Lamm für das Brandopfer?" Abraham hält
ihn noch einmal hin mit der Notlüge, Gott werde sich das Opfer aussuchen.
Und wieder, sagt der Text, gingen beide miteinander.
[PP] Rembrandt: Die Opferung
Isaaks - Isaak. 1636 (München, Alte Pinakothek)
Was bedeutet Isaaks Begreifen,
dass er selbst das Opfer ist, gefesselt, auf dem Altar, oben auf dem Feuerholz,
Abraham, sein Vater, das Messer in der Hand? Die Geschichte selbst lässt
uns wiederum allein. Die dichteste Deutung hat Sören Kierkegaard
gegeben in seinem Fragment "Furcht und Zittern": Isaak musste
sich in diesem Moment entschließen, Abraham zu hassen, damit er
nicht Gott hassen muss: "Abraham sagte leise bei sich selbst: Herr
im Himmel [
]; es ist doch besser, dass er glaubt, ich sei ein Unmensch,
als dass er den Glauben an dich verlöre.'" (GJL 324)
Aber das ist scharf und neuzeitlich gedacht, und die jüdischen Ausleger
sehen das mehrheitlich anders. Im Midrasch wird Isaak nicht wehrlos von
seinem Vater überwältigt, sondern entscheidet sich freiwillig
für diesen Weg (K 27, 42). Zweimal der Satz: "Und sie gingen
miteinander." Gerade weil Isaak irgendwann begreift, aber seine Angst
besiegt, werden Abraham und Isaak trotz ihrer gegensätzlichen Rollen
gleich, sind sie miteinander bereit, alles zu geben, was sie haben: das
Leben und die Zukunft und den Sinn, der darin hätte liegen können.
Isaak wird "das deutlichste Zeichen der Hingabebereitschaft von Juden
an Gott, gewollt oder ungewollt, freiwillig oder erzwungen, nicht erklärbar."
(GJL 15) Er steht für das Martyrium des Volkes, seine Passion und
seine Leidenschaft für Gott, auch wenn das alles etwas Unerklärbares
bleibt. Von Widerstand oder Zustimmung Isaaks schweigt Gen 22, und wir
werden unweigerlich in dieses Schweigen hineingezogen. Und damit rühren
wir auch an etwas, was die Geschichte über Gott selbst sagen will.
GL 6213: Ich steh vor Dir mit
leeren Händen, Herr
Gott selbst
Wir begegnen einem Gott, der restlos alles zurückfordert, wofür
er bisher gestanden hat: Verheißung, Segen, Begleitung, Nachkommen,
Zukunft. Wir begegnen einem widersprüchlichen Gott. Schon die Rabbinen
waren sich nicht einig, ob Gott Abraham hier in eine wirkliche Versuchung
führt, die auch schief gehen kann. Ist das Ganze von Gott her so
eingefädelt, dass Abraham sich falsch entscheiden kann? Und was würde
dann?
Oder unternimmt Gott hier einen
Laborversuch, dessen Ergebnis schon fest steht: die glorreiche Bewährung
Abrahams als Gottesgerechtem? Aber was tut Gott Abraham damit an? Nochmals:
Welcher Preis muss hier gezahlt werden, um von Gott für die Bestellung
seiner Welt herangezogen zu werden?
Die Aufklärer haben es sich leicht gemacht. Immanuel Kant war der
festen Überzeugung, ein solcher Gottesbefehl könne nur eine
Täuschung sein, und käme er noch so majestätisch daher.
Seinen Sohn zu opfern, sei gegen das natürliche Sittengesetz: "Abraham
hätte auf diese vermeintliche göttliche Stimme sagen müssen:
daß ich meinen Sohn nicht töten solle, ist ganz gewiß;
daß aber du, der du mir erscheinst, Gott sei, davon bin ich nicht
gewiß, und kann es auch nicht werden, wenn es auch vom sichtbaren
Himmel herabschallete.'" (GJL 21) Ich opfere lieber meine Gottesbeziehung
als meinen Sohn - heißt das im Klartext, oder, etwas differenzierter:
Ich lasse Gott nur so weit Gott sein, wie er sich mit vernünftig
einsehbaren Moralvorstellungen in Einklang bringen lässt.
Auch die Religionsgeschichte
hat es sich eine Zeitlang leicht gemacht. Das Opfer ist die ursprünglichste
Form, wie Menschen mit Gott handeln: ihm etwas geben, um von ihm zu erhalten.
Je wertvoller das Opfer, um so größer die Not, die überwunden
werden muss, um so höher die Erwartungen an eine Zukunft eröffnende
göttliche Macht. Man kann Gen 22 als biblische Kritik an dieser Gottesvorstellung
lesen. Gott selbst befiehlt das Menschenopfer, das größte denkbare
Opfer überhaupt, um dann unmissverständlich ein für allemal
klar zu machen, dass er diese simpel-stumpfe Art der Verehrung nach der
Logik des Gabentausches nicht will, dass sie unter seiner Würde ist,
aber auch unter der Würde des Menschen. Gerade Kinderopfer sollten
so ausgeschlossen werden. Wenn es so einfach denn wäre! Wir wissen
aus den Königsbüchern und von den Propheten Jeremia, Ezechiel
und Micha, dass in gewissen Zirkeln Israels über Kinderopfer als
Antwort auf extreme Notlagen zumindest diskutiert wurde; wir wissen aber
auch, wie entschieden sie daraufhin abgelehnt wurden (vgl. etwa Mi 6,6-8;
GJL 47f.)
[PP] Rembrandt: Die Opferung
Isaaks - Gesamtbild. 1636 (München, Alte Pinakothek)
Nein - was wir in dieser Geschichte
von Gott erzählt bekommen, ist nicht die archaische Tiefe vorethischer
Rituale. Was wir erzählt bekommen, ist die Unergründlichkeit
Gottes im Angesicht menschlicher Erfahrung. Dies ist keine systematische
Theologie über das Wesen Gottes, von dem die antiken Philosophen
behaupteten, dass seine Selbstwidersprüchlichkeit undenkbar sei.
Sondern es ist eine Geschichte der Gottesbegegnung und der Gotteserfahrung.
Wenn uns das Unfassliche zustößt, wenn uns das Liebste genommen
werden soll, oder genommen wird, wenn unser Leben und unsere Zukunft auf
dem Spiel steht: dann müssen wir uns entscheiden, ob auch darin Gotteserfahrung
liegen kann. Und die Torah hat den Mut sich zu entscheiden und die dunkelsten
Erfahrungen der Geschichte des jüdischen Volkes in ihre Gottesleidenschaft
aufzunehmen und auch davon zu erzählen. Es ist diese menschliche
Erfahrung, die uns in Abraham und Isaak begegnet. Und erst dann, in der
Sackgasse der Ausweglosigkeit, alle Zukunft abgeschnitten, selbst die,
die Gott selbst verheißen hat, erst dann wird die entscheidende
Gottesfrage überhaupt gestellt.
Diese Frage lautet: Bin ich
bereit an Gott festzuhalten, wenn es dafür keine äußeren
angebbaren Gründe mehr gibt? Wirklich keine? Noch nicht einmal mehr
diejenigen, die in Gottes eigener Verheißung liegen? Hier geht es
um nichts weniger als um die Frage: Bin ich bereit, Gott als Gott anzuerkennen?
Nicht als den, den ich verehre, damit mein Leben gelingt? Nicht als den,
der mich belohnt, weil ich fromm bin? Nicht den, vor dem ich Angst habe,
weil er gerecht ist und ich ein Sünder.
Die Geschichte von Abraham und Isaak ist eine Geschichte über Gottesfurcht,
nicht über Opfergehorsam. Denn Gehorsam, antwortend auf einen Befehl,
ist das falsche Wort und die falsche Haltung. Gemeint ist eine Gottesfürchtigkeit,
die nichts mit Autoritätsangst zu tun hat, sondern mit Vertrauen
gegen allen Augenschein. Gegen allen Augenschein - "ein Vertrauen
auf Gott offenkundig jenseits aller Sicherungsmechanismen, ohne jegliche
Nutzen- und Zweckmäßigkeitserwägung", ausschließlich
bestimmt, um Gott Gott sein zu lassen (M10). Gottesfürchtigkeit duckt
sich nicht vor seinem Strafzorn, sondern ehrt seine Unverfügbarkeit.
Um es konkret zu machen: Die meisten modernen Exegeten sind sich einig,
dass die Erzählung von der Bindung Isaaks ihre jetzige Textgestalt
fand in einer Phase, in der die JHWH-Religion für Israel ein drückendes
Problem geworden sein musste: in der späten Königszeit, als
ihnen die politische Stabilität und die soziale Gerechtigkeit unter
den Händen zerfiel, oder eben in der Klagezeit des Exils an den Strömen
von Babylon, als Gott alle Verheißungen entzogen zu haben schien:
aus dem gelobten Land vertrieben, Jerusalem und der Tempel zerstört,
die Zukunft versklavt, an reiche Nachkommenschaft gar nicht zu denken.
Hier lautet die Frage: Bin ich bereit an Gott festzuhalten, wenn es dafür
keine angebbaren äußeren Gründe mehr gibt? Noch nicht
einmal mehr diejenigen, die in Gottes eigener Verheißung liegen?
Bin ich bereit, Gott als Gott anzuerkennen?
Um nichts weniger geht es am
Schluss unseres Textes: "Ich habe bei mir geschworen - Spruch des
Herrn: Weil du das getan hast und deinen eigenen Sohn mir nicht vorenthalten
hast, will ich dir Segen schenken in Fülle
" (Gen 22,16)
"Gott honoriert diese, genau diese opferbereite Haltung, die in einem
Vertrauen gegen alle Hoffnung alles zu geben bereit ist." Hier ist
der Unterschied zwischen Befehlsgehorsam und Gottesfurcht: "Nicht
das Opfer, schon gar nicht der Opfervollzug, sondern dieses fassungslose,
grenzenlose Vertrauen, das die ganze Existenz nur auf Gott, auch in seiner
Abgründigkeit, setzt, erweist sich als das Entscheidende" (M
10) - nicht die Bereitschaft Abrahams, den eigenen Sohn zu töten,
nicht die einwilligende Resignation Isaaks in diese Ungeheuerlichkeit,
sondern die Bereitschaft beider, Gottesverfinsterung auszuhalten.
Als solche Erzählung von
Gotteserfahrung, durchgehalten bis ins Letzte, ist diese Erzählung
der jüdischen Thora auch uns Christen geschenkt. Die Erfahrungen
der dunklen Seite Gottes, unverfügbar und entzogen, hat Israel seit
dem Exil in der Abraham-Isaak-Erzählung aufbewahrt. Es ist auch die
Erfahrung des Juden Jesus: das Reich Gottes auf dem Index des Hohen Rates,
die Wunderheilungen eine Gotteslästerung, statt Hosianna "Kreuzige
ihn", statt Abba - Vater "Mein Gott, mein Gott, warum hast du
mich verlassen?" Nichts anderes bleibt als diese Art der Gottesfurcht:
Gott als Gott anzuerkennen und alles andere einfach nur auszuhalten. Das
Geheimnis zwischen Gott und Abraham, Gott und Isaak, Gott und Jesus kann
nicht mehr gesagt werden. Es kann nur noch schweigend verantwortet werden.
So vor Gott stehend, was könnte dann zum Schluss Fasten mit
Abraham und Isaak bedeuten? Abraham steht für "die Furcht des
Menschen vor Gott und seine Suche nach Reinheit und Sinn, für die
Zerreißprobe zwischen absolutem Glauben und absoluter Gerechtigkeit,
zwischen dem Bedürfnis, Gott zu gehorchen und ihm den Gehorsam zu
versagen
" (W 75)
Wenn wir also die Rolle Abrahams
übernehmen, dann übernehmen wir nicht Hartherzigkeit, Opferbereitschaft,
blinden Gehorsam. Dann übernehmen wir auch abgrundtiefe Liebe zu
dem, was Gott uns geschenkt hat, Angst vor der Zukunft, zweifelnde Hoffnung
und hoffenden Zweifel. Wir übernehmen die weit aufgerissenen Augen
des Entsetzens über Gott, aber auch das gläubige Staunen vor
Gott. Und das alles dürfen wir Gott hinhalten, wenn wir Abraham sind.
Alles das ist Glauben, und diesen Glauben, sagt Gen 15 (Gal 3, Röm
4), rechnete der Herr ihm als Gerechtigkeit an.
Was könnte Fasten mit
Isaak bedeuten? Isaak steht für eine Prüfung, die "auch
mit anderen geschehen wird", sagt Elie Wiesel, "diese Geschichte
wird kein Ende haben, seine Kinder werden sie immer wieder durchstehen
müssen." (W 78)
Wenn wir also die Rolle
Isaaks nehmen, dann kämpfen wir um unser Leben; wir ringen um das,
was uns lieb und teuer ist, wir fordern von Gott und den Vätern und
allen Autoritäten, dass sie sich rechtfertigen für die Schrecknisse
abgebrochenen Glücks und beendeten Lebens vor der Zeit. Aber Fasten
mit Isaak könnte auch bedeuten einzuwilligen in das, was geschehen
wird, sich gebrauchen zu lassen als Opfer, ohne genau zu wissen wofür,
eine Resignation zu üben, die nicht stumpfe Lethargie ist, weil sie
von Gott noch etwas weiß, und sei es nur als Frage. Und darum heißt
Fasten, Gott diese Fragen unablässig zu stellen. Der Midrasch Bereschit
Rabba nennt das: Anbetung.
Musik
Fürbitten
V: Du Gott Abrahams und Isaaks,
der Du der Gott Jesu bist: Zu Dir rufen wir:
V: Für alle, denen ihre Zukunft genommen wird: die in Gewissenszweifeln
hin und her geworfen werden und die Angst haben, ob der morgige Tag noch
Verheißung in sich tragen könnte: Herr unser Gott:
A: Wir bitten Dich, erhöre uns!
V: Für alle, die um ihre Kinder fürchten und für die, die
ihre Liebsten haben lassen müssen, und die sich fragen, wo in diesem
Geschehen denn ihr Gott sein könnte: Herr unser Gott:
A: Wir bitten Dich, erhöre uns!
V: Für alle, die um ihren Glauben fürchten: denen du, Gott,
fordernd, fremd und unnahbar geworden bist: Herr unser Gott:
A: Wir bitten Dich, erhöre uns!
V: Für alle, die sich aufopfern mit allem, was sie haben: die sich
klaglos verschenken, die sich gebrauchen lassen, die den Schmerz der anderen
zu ihrem Schmerz und zu ihrer Aufgabe machen: Herr unser Gott:
A: Wir bitten Dich, erhöre uns!
V: Für alle, die Opfer werden und keinen Sinn darin sehen können:
die ein Holzbündel tragen, das zu schwer für sie ist, denen
der Tod ins Gesicht geschrieben steht: Herr unser Gott:
A: Wir bitten Dich, erhöre uns!
V: Herr, wir hoffen auf Deine Nähe. Mach wahr, was Du verheißen
hast: Sei Segen in Fülle. Amen.
Vater unser
GL 2921-2, 4-5: Herr, Dir ist
nichts verborgen
Segen
Auszug
Michael Krupp, Den Sohn opfern? Die Isaak-Überlieferung
bei Juden, Christen und Muslimen, Gütersloh 1995 (K).
Elie Wiesel, Die Opferung Isaaks. Die Geschichte eines Überlebenden,
in: ders., Adam oder das Geheimnis des Anfangs. Brüderliche Urgestalten,
Freiburg/Br.1980; S. 75-105 (W).
Andreas Michel, Gott und Gewalt gegen Kinder im Alten Testament, Tübingen
2003, 246-316 (MG).
Andreas Michel, Opfer, Brüder und Dämonen. Von Genesis 4 bis
Lukas 15, Manuskript 2010 (M).
Bernhard Greiner, Bernd Janowski, Hermann Lichtenberger (Hrsg.), Opfere
deinen Sohn! Das Isaak-Opfer in Judentum, Christentum und Islam, Tübingen
2007 (GJL).
Georg Steins, Die "Bindung Isaaks" im Kanon (Gen 22). Grundlagen
und Programm einer kanonisch-intertextuellen Lektüre, Freiburg u.a.
1998.
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