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Predigt in St. Michael zum Misereor-Sonntag am 21.3.2010
(
Jörg Weishaupt-Busse)

Energiepolitik mal vom anderen Ende betrachtet

Der Liter Diesel kostet 1,20 - Herr Erbarme Dich!
Der Kraftstoffpreis ist gerade unglaublich hoch! Finden Sie nicht auch? 1, 20€ für den Liter Diesel!
Dabei müssen wir doch mobil sein, das gehört zu unserem Lebensstandard. - So leben wir in Europa eben. Wir fahren weniger Auto, um unseren Geldbeutel zu schonen und wer diesen Standard nicht aufgeben will, muss eben entsprechend bezahlen.
Da hat dann wenigstens auch das Förderland in Form von Steuern und der Förderarbeiter was davon.

Haben sie eben nicht!
Und wenn sie wenigstens nichts davon hätten! - Sie haben weniger als nichts davon!
Während ein Großteil der Lagerstätten und Produktionsflächen in Entwicklungsländern liegt, findet der überwiegende Verbrauch in Industrie- und Schwellenländern statt. 2 Mrd. Menschen haben noch nicht einmal Zugang zu Elektrizität; die Hälfte der Menschheit (rund 3 Mrd. Menschen) nutzt traditionelle Energieträger (z.B. Feuerholz). Und all diese Menschen leben in Entwicklungsländern.
Aber wir zahlen ja dafür. 1,20 € an der Zapfsäule.

Die Erschließung fossiler Energiequellen, also Kohle oder Öl, aber auch die nachwachsender Energiequellen, wie Palmöl - Ja, auch die vordergründig Gute Energie ist betroffen - diese Erschließung ist häufig mit Menschenrechtsverletzungen, Landvertreibungen, zunehmender Armut, gewaltsamen Konflikten, Umweltzerstörung und Klimawandel verbunden. Der enorme Ölreichtum in den Ländern des Golfes von Guinea ist für die normale Bevölkerung eher ein Fluch als ein Segen. Ein Beispiel:
In Nigeria führt die Erdölförderung seit Mitte der 1950er Jahre zur großflächigen Zerstörung traditioneller Lebensräume; die Landwirtschaft wird vernachlässigt; klar: wo Ölfelder sind, ist kein Platz für Hirsefelder, wo Öl bei Unfällen ins Wasser läuft, sterben die Fische, und die Straßen, mit denen die Ölfelder erschlossen werden, sind nicht die, von welchen der Prophet Jesaja meint, dass auf ihnen der Herr kommen wird. Wenn ein Dorf einer Straße im Weg liegt, muss das Dorf der Straße eben weichen.

Und die Gewinne aus der Förderung fließen kaum in eine entsprechende Entwicklung der Ölförderregion. Vor allem korrupte Eliten bereichern sich an den Millionen US$ jährlicher Öleinnahmen, während die Mehrheit der Bevölkerung in extremer Armut leben muss, ohne ein Mindestmaß an sozialer Infrastruktur wie Krankenhäuser oder Schulen.

Durch die enormen Geldmengen, die sich bei der Ölförderung verdienen lassen, werden Konflikte angeheizt, unter denen vor allem die einfache lokale Bevölkerung leidet.
Das sieht im ersten Moment nach einem Problem Nigerias aus. Aber Konzerne wie Chevron-Texaco sind zum Teil maßgeblich an der massiven Bewaffnung der als besonders brutal und korrupt geltenden Militär- und Polizeieinheiten beteiligt. Man will in Ruhe seinen Geschäften nachgehen und stellt deshalb Logistik, Geld und Material, darunter auch Waffen zur Verfügung.

In der Region Warri sind so bewaffnete Milizen entstanden, die sich seit 1997 in einem mehr oder weniger offenen Krieg befinden. Die Heftigkeit des Konfliktes führte schließlich zu einer Einstellung der Ölförderung in Teilen des Deltas. Doch das macht die Lage der Bevölkerung ja auch nicht besser. Denn zurück bleibt nur die Zerstörung.
Solche Zustände verletzen das Recht auf Selbstbestimmung, Sicherheit, Leben, Gesundheit, Bildung. Solche Zustände verhindern ein Leben in Würde.
Macht man sich das alles bewusst, sind die anschaulichen Tortendiagramme, die uns an jeder Zapfsäule vorrechnen, dass der Löwenanteil der 1,20 für den Liter Diesel durch Steuern zustande kommt, und der arme Ölkonzern bleibt sozusagen auf seinen Kosten sitzen, während der Staat kassiert, ohne irgendetwas zu dafür zu tun ...
... macht man sich das alles bewusst, dann sind diese höchst anschaulichen Tortendiagramme letztlich ein schamloser Versuch, eine Empörung zu erzeugen, die von der eigentlichen Schweinerei ablenkt.

Und warum ist das so?
Nach den Gesetzen des Marktes haben die Ölkonzerne sogar recht. So funktioniert diese Welt nun mal. Und deshalb folgt man der Routine, man macht es halt so wie immer. Die Welt muss schließlich in Bewegung bleiben. Man kann und darf den Fortschritt nicht behindern. Die Gesetze des Markts verlangen es. Den Gesetzen des Marktes wird alles untergeordnet: Natur, Mensch, Wir selbst. Immerhin machen wir selbst mit.

Und wir nehmen auf diese Weise nicht nur anderen Ihre Würde, sondern auch uns selbst. Denn: wir sehen oft schon gar nicht mehr, wie es anders sein könnte. Wir nehmen so vieles hin, weil wir den Überblick verloren haben, vieles ist ja auch so kompliziert! Und wir lassen dann einfach andere machen - ganz automatisch. So ist die Welt nun mal und wir alle sind ihre Sklaven.

Das ist ein Gesetz der Menschen, wie das von dem der Philipperbrief spricht! Und das ist das Gesetz, das uns am Ende alle unfrei macht. Und dieses Gesetz ist ungerecht. Dieses scheinbar unveränderliche Gesetz muss verändert werden.
Wie macht man das? Schließlich kann ich ja nicht einfach nicht tanken. Das löst das Problem nicht. So einfach ist unsere Welt auch wieder nicht. Aber trotzdem!
Misereor setzt sich ein für eine transparente, gerechte Verteilung der Einnahmen ein, damit die Armut bekämpft werden kann und damit sich die Region nachhaltig entwickeln kann, ohne dass die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen zerstört werden.

MISEREOR unterstützt das ‚Centre for Social and Corporate Responsibility' und diese Organisation fordert die Ölfirmen immer wieder auf, dass sie ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen.
Es geht auch um verstärkte vertrauens- und friedensschaffende Maßnahmen. Das geht nur, indem man lokale, traditioneller Führer und Volksgruppen einbezieht. Es werden Grundlagen erarbeitet, die Friedensverträge festigen. Gesprächsrunden sollen den Austausch und Friedensprozess unterstützen
Gemeinsam sollen die Ansprüche auf eine gerechte Verteilung der Einnahmen aus dem Ölgeschäft durchgesetzt werden - auch gegen die Regierung und Chevron-Texaco.
Die Bauphase des "West Africa Gas Pipeline Project" wird intensiv beobachtet: werden Sicherheits- und Umweltauflagen beachtet, werden die Bewohner für Landverlust angemessen entschädigt?
Verbände kritischer Aktionäre in New York und London üben Druck auf die großen Ölfirmen aus. Sie fordern besonders die Einhaltung von Menschenrechten sowie die Einhaltung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten.
Die Umsetzung der von Chevron-Texaco unterzeichneten Human Rights Policy und die Umsetzung versprochener Infrastrukturprojekte werden beobachtet und eingefordert.

Viel Aufwand, der nicht von heute auf morgen Erfolge zeigen wird. Viel Aufwand, der auch Rückschläge erdulden musste und müssen wird. Viel Aufwand, auch in finanzieller Hinsicht. Viel Aufwand für ein Unterfangen, das bodenlos erscheint und mit dem jeder von uns als einzelner gnadenlos überfordert wäre.

Deswegen gemeinsam und trotzdem: Misereor, stellt sich eben nicht unter das Gesetz des Marktes, sondern unter das Gesetz der Freiheit Gottes. Misereor beginnt immer wieder von Neuem, nachhaltig, bewahrend, damit jeder leben kann.

 

 

 

 

 

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