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Auferstehung?
Die Kirche zuerst!
Osterpredigt
4.4.2010 - 10.30 Uhr St. Michael Tübingen (Thomas
Steiger)
Als erste Zeugin der Auferstehung
wird bei Johannes und den anderen Evangelien Maria aus Magdala genannt,
eine Frau, die bislang im Johannes-Evangelium nicht ein einziges Mal
aufgetaucht ist. Mag sein, daß sie eine Rolle gespielt hat, dann
aber im verborgenen, als Teil der Jüngerinnen, die treu mit Jesus
unterwegs waren, weil sich seine Faszination auf sie übertragen
und ihr Leben verändert hatte. Weil von ihr das ursprüngliche
Verstehen der Auferstehung Jesu ausgeht, weil sie erst die unglaubliche
Neuigkeit Simon und dem Jünger, den Jesus liebte, weiter geben
mußte, damit diese sich dem Wunder nähern, wird sie bereits
in der Alten Kirche als Apostelgleiche, als apostola apostolorum, Apostelin
der Apostel, verehrt. Wie konnte gerade sie diese Schlüsselstelle
übernehmen? Was zeichnet sie aus?
Johannes gibt in seiner Schilderung
dazu einige Hinweise.
(1) Zunächst machte sich Maria Magdalena frühmorgens auf den
Weg, als es noch dunkel war, heißt es dort. Offenkundig hatte
sie der Tod Jesu nicht mehr losgelassen, sie konnte wohl nicht schlafen,
ob des katastrophalen Ausgangs, den sein Gang nach Jerusalem genommen
hatte. Das Geschehene arbeitete in ihr weiter, auf daß es ihr
gelinge, irgendwie einen Zusammenhang herzustellen zwischen diesem Tod
am Kreuz und dem, was Jesus zuvor gepredigt hatte, wie er lebte - einfach
und gottergeben. Es gab doch Hinweise, die Jesus selbst gegeben hatte,
auf seinen Tod, auf den Willen des Vaters, auf die Liebe, die kein menschliches
Ende finden würde. Mit dem Bild vom Kreuz, dem leblosen Jesus dort,
dem Grab konnte Maria sich nicht zufrieden geben. Deshalb brach sie
auf, ohne Rücksicht auf die Schlafenszeit, ohne Verzug. Sie ahnte:
Da mußte etwas sein.
(2) Der nächste Schritt,
die folgende Beobachtung muß für die Frau entscheidend gewesen
sein. Gleichwohl widmet Johannes ihm nur einen Halbsatz. Fast nebenher
erwähnt er das, was in Maria die Wende bewirkt hat und von dem
dann ihr Zeugnis ausgeht. Der Stein ist vom Grab weggenommen. Wir können
nur ahnen, was in ihrem Kopf vorgegangen sein muß. Der Felsbrocken
weg, das Grab leer, keine Spur von Jesus. Grabräuber? Eine Bosheit
der ängstlichen jüdischen Priesterschaft? Eine Wahnvorstellung?
Die Jüngerin verstand offenbar anderes. Das leere Grab fügt
sich ein in ihre Konstruktion, die sich in den beiden letzten Tagen
ihr erschlossen hatte. Jesus konnte nicht tot sein; für das, was
ihn ausmachte, für den Kosmos, den er ihnen erschlossen hatte,
reichte das nicht aus. Etwas neben, über dem Tod mußte sein
Schicksal bestimmen - das begriff sie immer besser; und der fehlende
Leichnam paßte in diese Vorstellung. Blitzschnell hatte sich dieses
Aha-Erlebnis in ihr festgesetzt. Keine Menschenlogik, keine Beweise,
aber eine Wahrheit, die bezwingend war, schlüssig, die sie sofort
weitersagen mußte.
(3) Das ist der dritte Hinweis
auf den besonderen Weg dieser Frau. Sie zieht sich nicht wieder zurück,
grübelt nicht weiter. Sie verzehrt sich nicht in Zweifeln, gibt
sich nicht ihren wohl auch vorhandenen Ängsten hin. Mutig und schnell
läuft sie zum Anführer des Jüngerkreises, zu Petrus,
und berichtet von ihrer Erfahrung, ihrer Deutung dessen, was geschehen
ist: Man hat den Herrn aus dem Grab weggenommen, und wir wissen nicht,
wohin man ihn gelegt hat. Darin steckt, das gilt es zu beachten, keinerlei
Defensive, aber eben auch nicht das wohlgefällige Schöngerede,
das man sonst religiöser Erfahrung gern unterstellt. Maria Magdalena
beschreibt nüchtern die Fakten, will aber auch, daß sie damit
nicht alleine dasteht. Petrus und die anderen sollen auch sehen, sich
ihre eigenen Gedanken machen und deuten lernen. Sehen und glauben -
nennt Johannes das am Ende seines Evangeliums vom Ostermorgen. Und er
fügt ausdrücklich hinzu, daß damit noch gar nicht von
der Auferstehung die Rede sei. Die Konkretisierung des Glaubens ist
der Interpretation der vielen, die sich diesem Glauben anschließen,
vorbehalten.
Drei Hinweise also gilt es
zu behalten von jener Frau, die als erste glaubt, daß der Tod
Jesu am Kreuz nicht Gottes letztes Wort zu seinem Sohn ist: (1) Sie
bricht voll innerer Unruhe auf und sucht nach dem notwendigen nächsten
Mosaiksteinchen in Gottes Plan. (2) Sie bringt soviel Feingefühl
und Offenheit mit, daß plötzlich eine neue Erkenntnis möglich
ist, ein anderes Verstehen, das weiter reicht als an Kreuzes-Nägel
und Grab-Felsen. (3) Schließlich gelingt es ihr, den Anführer
und die anderen zu überzeugen, mit ihrer Erfahrung anzustecken.
Diese Aspekte waren für den Evangelisten entscheidend; erst auf
diese Weise konnte Maria überhaupt ihr Zeugnis finden.
In den letzten Wochen ist
viel von der Glaubwürdigkeit der Kirche die Rede. Von außen
kommt dieser Impuls, unfreiwillig und durch schreckliche Übeltaten
ausgelöst. Es ist wichtig und gut, wenn die Kirche als ganze sich
diesem Läuterungsprozeß unterzieht und die bescheidene Realität
ihrer Existenz neu verstehen lernt. Auch wenn gerade das, dieses Um-sich-selbst-Kreisen
des Apparates und der institutionellen Macht bei uns, im reichen Deutschland,
ein schier unerträgliches Maß erreicht hat. Jetzt ist es
unverzichtbar, daß sie es tut, damit es dann hoffentlich ein Ende
damit hat. Was ist sie denn schon - die Kirche? Platzhalter für
das zwar begonnene, aber in seiner Fülle noch längst ausstehende
Reich Gottes - Gehhilfe der Nachfolger Jesu, die geschichtlich in eine
immer größere Distanz zum Ursprung geraten - Lampe aus schlechtem
Brennmaterial, die mühsam den Funken Gottes zu erhalten versucht.
Wenn nun Maria Magdalena
die erste Zeugin der Auferstehung ist, dann ist sie doch ganz entscheidend
beteiligt daran, daß die Kirche als Gemeinschaft der an Christus
Glaubenden fort bestanden hat; und was läge dann näher, als
sich jene Merkmale anzueignen, die diese Frau so besonders machten(?).
Für mich liegt das nachgerade auf der Hand: Wenn die Kirche glaubwürdig
sein will, dann muß sie sich auf diesen ursprünglichen Impuls
besinnen und ihn sich zu eigen machen. Weder von einer massenwirksamen
Außenwirkung noch von abgelesenen Schuldbekenntnissen wird ihre
Kraft abhängen, nicht von Entschädigungszahlungen und Telefon-Hotlines,
sondern von der Wahrhaftigkeit und dem Mut, mit dem sie die Auferstehung
ihres Herrn bekennt - wie Maria. Das ist viel grundlegender als alle
taktischen Maßnahmen, und die grundsätzliche Bereitschaft
zur Erneuerung wird das andere ganz von allein nach sich ziehen.
Was also sollte eine österliche
Kirche tun?
(1) Wenn sie mit dem Ehrentitel
der Maria Magdalena als Apostelin der Apostel ernst macht und sie wirklich
als Autorität für die Apostel heute, die Bischöfe, gelten
darf, dann würden diese gut daran tun, alles stehen und liegen
zu lassen und aufzubrechen. Die Nacht ist bereits angebrochen in der
Kirche, das können wir nun wirklich nicht leugnen. Zweifel an Gottes
Existenz und Verzweiflung über die Sünde in den eigenen Reihen
gibt es genug, letztlich auch daran, wie die Autoritäten der Kirche
das Evangelium deuten, wie sie Jesu Erbe verwalten. Die Ausrichtung
aller aber, die sich auf Jesus berufen, muß strikt an der Auferstehung
hängen. Das ist unser eigentlicher christlicher Schatz, den wir
zu verkünden, zu verschenken haben. Die Auferstehung will die Schöpfung
verändern, weil der Tod nicht mehr als letzte Wirklichkeit droht,
sondern den Menschen zu seiner eigentlichen Bestimmung führt. Sie
will uns frei machen und gleich an Würde untereinander. Ohne die
Bereitschaft, das Alte zu lassen und Neues zu wagen, wird sich die Auferstehung
aber schwer tun.
(2) Mitten in den kirchlichen
Verwirrungen um menschliches Versagen braucht es deshalb ein Gespür
und eine Offenheit, wo neues Denken erforderlich ist. Was hat denn die
Kirche wirklich zu verlieren? Da sie selbst ohne eigene Bedeutung ist
und einzig im Verweis auf Gott ihre Berechtigung besteht, könnte
sie es ganz leicht haben - würden nur wir Menschen nicht so sehr
an unserer eigenen Wichtigkeit hängen. Nein, wichtig ist bloß,
daß die Auferstehung von den Toten sich ereignet. Weshalb wird
dann in kirchlichen Kreisen so selten "Aha" gesagt? Auch all
die schwierigen Fragen des menschlichen Zusammenlebens, der Sexualmoral,
der kirchlichen Hierarchie, des Priesteramts hätten sich ausschließlich
diesem Kriterium zu unterwerfen. Maria stellt neue Zusammenhänge
her, weil die lebendige Kraft Gottes Macht über sie gewinnt. Die
religiösen Autoritäten ihrer Zeit hat das nicht überzeugt,
aber die anderen Jünger.
(3) Zu denen macht sie sich
auf, zum Papst der kleinen Schar seinerzeit, zu Petrus. Er muß
mitmachen. Das Prinzip der Solidarität ist von Anfang an eingepflanzt
in die Jesus-Gemeinschaft. Sich begeistern lassen, auf die Erfahrung
anderer hören, Veränderungen gemeinsam planen, an einem Strang
ziehen. Auf äußere Umstände und eitle Bedenken konnte
man dabei keine Rücksicht nehmen.
Kirchenintern war in den letzten Wochen viel davon zu hören, daß
doch die Gläubigen sich mit den Hirten, den Verantwortlichen solidarisieren
sollen. Immer wieder werden wir zur Treue aufgerufen mit dem Papst,
mit der amtlichen Linie der großen Kirche. Aber diese Verpflichtung
zur Solidarität gilt auch umgekehrt. Die Verantwortungsträger
müssen sich auch mit dem "Fußvolk" verbünden,
und alles dafür tun, daß die Auferstehung ihre Kraft entfalten
kann. Petrus und der geliebte Jünger ließen sich wecken,
hörten auf die Frau, gingen zum Grab, dachten nach, ließen
sich überzeugen, verkündeten. Ob das heute wieder so geschehen
kann? Von mir aus JA. Ich wollte gerne mitgehen. Sie auch?
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