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        Die Kirche 
          und ich in ihr 
          
        Predigt 
          über Offb 21,10-14.22f. 6. Sonntag der Osterzeit 9.5.2010 - 10.30 
          Uhr St. Michael Tübingen (Thomas 
          Steiger)
        Lohnt es, liebe Schwestern 
          und Brüder, sich ein weiteres Mal mit dem Thema KIRCHE in der Predigt 
          auseinanderzusetzen? Es gäbe ja durchaus andere Themen, lohnendere 
          womöglich: die globale Solidarität (Athen) als Gebot auch 
          der Weisung Jesu oder den Umgang mit den eigenen Ängsten auf dem 
          Hintergrund der Friedenszusage Jesu heute im Evangelium. Andererseits 
          jedoch ist die Kirche derzeit in aller Munde - negativ leider, aber 
          immerhin. Und das muß für uns "Kirchliche" Grund 
          genug sein, uns einmal mehr mit uns selbst zu befassen, mit der Organisationsform, 
          der Institution, aber auch dem Gedankenraum, den Menschen für Gott 
          gefunden haben - und in dem wir uns bewegen als Christen, ob wir es 
          wollen oder nicht. Die Kirche ist der reale, der tatsächliche Ort, 
          an dem sich die Nachfolge Jesu, die Weitergabe des Evangeliums und die 
          heilende Kraft des Glaubens abspielen. Und gleichzeitig ist es der Platz, 
          an dem sich die nicht enden wollenden Katastrophen der vergangenen Wochen 
          ereignen. Das alles ist Kirche. Wie mit ihr umgehen? 
           
        Ich habe verschiedene Male 
          in meinen Predigten deutlich gemacht - zuletzt an Ostern -, daß 
          die Kirche für mich etwas Zweitrangiges ist, nachgeordnet in ihrer 
          Bedeutung. Wenn man mich fragte, ob ich meine Kirche liebe, müßte 
          ich mich wohl einigermaßen auf meinem Stuhl winden, weil ich daran 
          denken muß, wie man mit der Liebe zum Vaterland Menschen in den 
          Abgrund getrieben hat. Daran darf heute am 65. Jahrestag des Endes des 
          Zweiten Weltkriegs durchaus im Vergleich erinnert sein. Nein, ich liebe 
          die Kirche so wenig wie mein Heimatland, weil ich nicht so recht weiß, 
          was ich daran lieben könnte. Gustav Heinemann, der dritte Präsident 
          der Nachkriegsrepublik, hat scherzhaft-klug geantwortet, er liebe seine 
          Frau. Ja, Menschen, die kann man lieben - und Gott. Die wunderbare Regung, 
          zu der fähig sind, unser Herz zu verschenken, bedingungslos zu 
          vertrauen, alles andere und uns selbst dabei zu vergessen, diese größte 
          Regung des Menschen dürfen wir nicht leichtfertig verwenden. Sie 
          bleibt reserviert für die Berührung mit dem Ewigen und Unbegrenzten. 
          Und eben das zeichnet die Kirche nicht aus, sondern im Bereich der Religion 
          nur Gott selbst. 
           
        Mag das der Grund gewesen 
          sein, Schwestern und Brüder, daß der Visionär Johannes 
          am Ende seiner apokalyptischen Sicht vom neuen Himmel und der neuen 
          Erde dort keinen religiösen Versammlungsort der alten Art mehr 
          haben will? Einen Tempel sah ich nicht in der Stadt, sagt er ausdrücklich 
          und bestimmt nicht ohne Grund. Er macht sich ja so seine Gedanken, wie 
          einmal alles aussehen wird, wenn das Evangelium von Jesus, dem auferstandenen 
          Gottessohn, unsere Welt dorthin bringt, wo Gott sie haben will. Und 
          weil er trotz seiner prophetischen Gabe ein Mensch bleibt und mit seinen 
          Möglichkeiten schreiben muß, benützt er für seine 
          Charakterisierungen Bilder und Gegenstände, die seinen Lesern und 
          ihm bekannt sind: der hohe Berg, die Stadt (Jerusalem), die Tore, Edelsteine, 
          die Zahl Zwölf für die Stämme Israels und die Apostel. 
          Mit ihnen wählt er die Eindrücke aus, von denen er annimmt, 
          daß sie uns die Herrlichkeit Gottes am nächsten bringen. 
          Und im selben Atemzug schließt er einen möglichen Verwechslungsgegenstand 
          dezidiert aus: den Tempel, mächtigstes Symbol der Religion seiner 
          Zeit. In der Tat besteht ja bei allem Religiösen die unentwegte 
          Gefahr, das Hilfsmittel mit der Sache selbst gleichzusetzen oder schlimmer 
          noch, Gott zu ersetzen - durch Moral und Glaubenslehren, durch Andachtsgegenstände 
          und Personen. Johannes hat dies in seiner Offenbarung sehr weitsichtig 
          erkannt und ihm in seiner Vision einen unerbittlichen Riegel vorgeschoben. 
          Kein Tempel in Gottes Herrlichkeit. Er ist dort nicht nur überflüssig 
          geworden. Er birgt vielmehr die große Gefahr in sich, daß 
          Menschen sich lieber an ihn halten, anstatt das Wagnis der Konfrontation 
          mit Gott einzugehen. Der Tempel ist doch der Ort Gottes. Warum also 
          nicht einfach immer dort sein, tun, was dort üblich war uns ist 
          und bleiben soll. Im Tempel ist doch das Allerheiligste... Genau diese 
          schier verschmelzende Nähe, aus der Not, Gott zu begegnen, ihn 
          festzuhalten, macht die Religion so heikel. Bei alledem haben wir nämlich 
          Gott nicht; seine endgültige Offenbarung steht trotz Jesus noch 
          immer aus. Wir besitzen alles nur in der Ahnung, im Vorschein, in zerbrechlichen 
          Gefäßen. 
           
        Die Kirche kennt diese Not 
          aus ihrer 2000-jährigen Geschichte. Wie oft hat die Sehnsucht gesiegt, 
          Gott zu haben, mit Sicherheit zu wissen, die Wahrheit endgültig 
          zu besitzen. Dabei ist die Kirche doch Ausweis des Vorläufigen, 
          Platzhalterin des Entwurfs und der Möglichkeit. Sie ist nicht Gott 
          selbst, sie hat seine Wahrheit nicht. Und weil sie diese Tatsache oft 
          genug verschleiert, auch weil wir es sind, die das von ihr verlangen, 
          weil wir ihr eine fadenscheinige Gewißheit erpressen wollen, ist 
          die Fallhöhe nun so besorgniserregend. Weil in der Kirche Menschen 
          leben, die nicht anders sind als alle anderen außerhalb, gibt 
          es drinnen dasselbe wie draußen - leider, aber unvermeidlich. 
          Eine Kirche aus Menschen muß sich für alles Menschliche mit 
          menschlichen Maßstäben messen lassen. Nur für was sie 
          steht, was sie in Worte bringt und im ahnungsvollen Schmecken feiert, 
          das rührt an Gott, das ist das Andere. Die Kirche wird gut daran 
          tun, ihre Realität nicht mit der Herrlichkeit Gottes zu verwechseln. 
          Wenn das nicht eine Konsequenz der Enthüllungen dieser Monate ist, 
          ist sie verloren. 
        Liebe Schwestern und Brüder, 
          dem Seher Johannes geht es um Gottes Herrlichkeit. Sie soll auf uns 
          die stärkste Anziehungskraft ausüben, und nichts vom alten 
          Tand, kein halbherziges Geschwätz, keine Strukturdebatten und Werbestrategien, 
          auch keine Feinheiten der theologischen Diskussion und die konfessionellen 
          Possen, wer/wann/wie richtig Gottesdienst feiert, sollen uns davon ablenken. 
          Der Christ der Zukunft ist orientiert an dem, was Gott ihm an Wundern 
          eröffnet. Vielleicht ahnen die Teilnehmer am Zweiten ÖKT in 
          München, der kommende Woche statt findet, etwas davon. Ganz gewiß 
          hat dies etwas mit den Fragen zu tun, die den Menschen zeitlebens bedrängen, 
          und die auch dort intensiv bedacht und mit vielen Menschen bearbeitet 
          werden:  
          Wie fange ich mit seinem Leben etwas Sinnvolles an?  
          Wie lerne ich dem Tod als Erzfeind des Lebens etwas entgegenzusetzen? 
           
          Wie integriere ich mich vernünftig in die Gemeinschaft, zu der 
          ich gehöre (Familie, Wohnviertel)?  
          Wie lerne ich mit meinen Grenzen umzugehen, mich nicht absolut zu setzen? 
           
          Wie werde ich gelassener, entspannter mit allem Menschlichen?  
          Wenn wir diesen Fragen Zeit widmen, sie als wichtig erkennen, dann sind 
          wir auf dem Weg zur Herrlichkeit Gottes. Eine Ahnung von ihr schiebt 
          sich dann bereits in unser Leben hinein. Und solange es den Tempel gibt, 
          die Kirche, sollte sie sich dabei nützlich machen, demütig, 
          nicht idealistisch-abgehoben, sondern Aug-in-Aug, sympathisch und dem 
          bescheidenen Wesen des Menschen nahe. 
            
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