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Predigt am 18. April 2010 - 10.30 Uhr St. Michael Tübingen - Kanzeltausch (Beate Schröder)

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
Und die Liebe Gottes
Und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
Sei mit euch allen. Amen

Ich freue mich, dass ich heute zum Kanzeltausch hier in St. Michael/ Bühl sein darf.
Liebe Gemeinde!
Wie leben wir eigentlich nach Ostern?
Das Osterfest, das größte und wichtigste Fest des Kirchenjahres, ist vorbei.
Die Fastenzeit mit Sieben-Wochen-Ohne ist vorbei.
Der Palmsonntag, der jährliche Höhepunkt unseres ökumenischen Miteinanders, ist vorbei.
Und was ist jetzt?
Noch sind wir in der Osterzeit.
Heute ist der 4. Sonntag der Osterzeit.
Noch strahlt das Osterfest weiter in unser Kirchenjahr hinein.
Aber strahlt es auch weiter in unseren Alltag?
Wie geht das: Österlich leben?
Was heißt es, im Licht der Auferweckung Jesu von den Toten zu leben?
Nach sieben Wochen ohne, nun sieben Wochen mit?
Aber womit? Mit Völlerei und Ausschweifungen?
Oder ist die Osterzeit einfach die schlichte Wiederherstellung von Normalität? Schnell hat uns nach den Osterferien der Alltag wieder....
Ist die Auferweckung Jesu von den Toten nicht ein einmaliges Ereignis von dort und damals?
Wie kommt es an im Hier und Jetzt, in meinem Alltag?

Für die Menschen, die Jesus von Nazareth damals gefolgt waren, war es nicht so einfach, mit dem Osterereignis klar zu kommen und in den Alltag zurückzufinden. Das zeigen die biblischen Geschichten.
Die Frauen, die als erste von der Auferweckung Jesu erfuhren, waren alles andere als froh. Sie fürchteten sich und sagten zunächst niemanden etwas davon. Und Maria von Magdala merkte sehr schnell, dass nicht einfach alles so war wie vorher. "Rühr mich nicht an", sagt der Auferstandene zu ihr, als sie ihn endlich als ihren Freund und Meister erkennt.

Und auch später geht nicht einfach alles glatt. In der Lesung aus der Apostelgeschichte haben wir es gehört. Die Jünger nehmen den Auftrag des Auferstandenen ernst: "Lehret sie halten, alles, was ich euch geboten habe..." Sie erzählen von dem, was sie mit Jesus von Nazareth erlebt haben, und predigen seine Auferweckung. Aber sie stoßen nicht nur auf begeisterte Zustimmung. Es gibt Menschen, die der neuen Lehre skeptisch gegenüber stehen oder sie ganz ablehnen. Ja, Paulus und Barnabas werden sogar verfolgt und aus Antiochia vertrieben.
Und Johannes, der das Buch der Offenbarung geschrieben hat, ist wegen seines Glaubens gar verbannt worden in eine Strafkolonie auf der einsamen Insel Patmos. Hier schreibt er seine Visionen auf. Und das tut er wahrscheinlich nicht nur für sich, sondern um sie seinen Brüdern und Schwestern in Christo zukommen zu lassen. Man kann vermuten, dass dies auf illegalem Weg geschah. Seine Sprache zeugt davon. Häufig spricht er in Rätseln, Rätsel, die seine Freunde wahrscheinlich auf Anhieb verstanden, uns heute 2000 Jahre später aber oft unverständlich sind.

Trotzdem können uns seine Worte Hinweise geben, wie auch heute, 2000 Jahre später, ein österliches Leben möglich ist. Denn das Buch der Offenbarung will ein Trostbuch sein für Menschen, die enttäuscht sind. Und das waren die Freunde und Freundinnen des Sehers von Patmos. Enttäuscht in ihrer Hoffnung, dass Jesus als Gottessohn und lang ersehnter Messias die Römer aus dem Land jagen und ein Friedensreich voll Gerechtigkeit und Gottesfurcht aufrichten wird. Nicht Frieden und Gerechtigkeit ist gekommen, sondern Krieg. Jerusalem und der Tempel sind zerstört und verwüstet. Das Tier ist aus dem Abgrund gestiegen. Das römische Weltreich, das behauptet ein Friedensreich zu sein, die große pax romana, aber in Wirklichkeit alle bedroht, die ihm nicht gehorsam sind - und dazu gehörten auch die jungen christlichen Gemeinden.

Liebe Schwestern und Brüder!
Verfolgt sind wir Christen heute nicht wie die ersten Gemeinden damals. Aber enttäuschte Hoffnungen, die kennen wir vielleicht schon:
- Hoffnungen, die wir auf bestimmte Politiker oder Parteien gesetzt haben, die aber angesichts pragmatischer Kompromisse zerplatzt sind wie Seifenblasen.
- Erwartungen, die wir an unsere Kirchen hatten und in denen es doch allzu menschlich zugeht, wie wir in den letzten Wochen erfahren mussten.
- Oder Enttäuschungen, die wir im privaten Bereich erlebt haben.

"Die, die aus der Bedrängnis kommen", versammeln sich vor dem Thron Gottes, heißt es in der Offenbarung.
Bedrängnis - das Wort, das hier im Griechischen steht, meint mehr als nur politische Bedrängnis und Unterdrückung. Es meint jede Form der Niedergedrücktheit, die wir in unserem Leben erfahren....
- niedergedrückt von Enttäuschung, Schwermut und Traurigkeit,
- Niedergedrückt von Arbeitsbelastungen - oder auch von Arbeitslosigkeit,
- niedergedrückt vielleicht auch von persönlicher Schuld.
Es ist leicht auf Verantwortliche in Politik und Kirche mit dem Finger zu zeigen, die sich etwas zu schulden haben kommen lassen. Natürlich darf diese Schuld nicht vertuscht oder zu verheimlicht werden. Schwerer ist es jedoch die eigene Schuld auszuhalten.

Ich weiß nicht wie es Ihnen geht. Ich kann mich schrecklich über die Fehler von anderen ärgern. Doch viel schlimmer ist es, wenn ich mich über meine eigenen Fehler, das eigene Versagen ärgern muss.
Johannes, der Seher, sieht sie alle, die aus großer Bedrängnis kommen... und sie stehen vor dem Thron Gottes, Menschen aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen.
Sie stehen da vor dem Thron wie vor einem Richterstuhl. "Von dort wird er kommen zu richten, die Lebenden und die Toten...", so heißt es im apostolischen Glaubensbekenntnis, das wir in unseren Kirchen jeden Sonntag sprechen.
Was stellen wir uns dabei vor?
Stehen wir dort wie kleine Kinder vor den strafenden Vater?
Stehen wir da voller Angst vor dem Urteil des Richters?
In der Vision des Johannes scheinen die Menschen keine Angst zu haben vor einem urteilenden Richterspruch. Sie tragen weiße Gewänder und Palmzweige in den Händen, so wie die Menschen am Weg nach Jerusalem, als Jesus auf einem Esel einritt.
Wie damals sind sie auch hier vor dem Thron Gottes voll freudiger Erwartung.
Voll freudiger Erwartung darauf, endlich ernst genommen und gefragt zu werden. "Adam - Mensch, wo bist du?"
Vor diesem Richter muss niemand Angst haben.
Denn hier geht es anders zu als bei den Herren, die in der Welt das Sagen haben. Hier wird niemand mehr nach seiner gesellschaftlichen, beruflichen oder familiären Funktionstüchtigkeit gefragt.
Hier wird kein Intelligenzquotient und kein Bodymaß-Index errechnet.
Keiner und keine wird mehr begutachtet wie ein Rad im Getriebe, das laufen muss, komme was wolle.
"Adam - Mensch, wo bist du?"

Jeder und jede wird antworten können auf diese Frage und ganz persönlich, von der je eigenen Bedrängnis sprechen, von den ureigensten Belange, von erlittenem Unrecht, von der eigenen Schuld. Und wird mündig und verantwortlich für das eigene Leben hinstehen.
Und über sie alle, so heißt es in der Vision des Johannes weiter, wird der, der auf dem Thron sitzt, sein Zelt aufschlagen. Was für ein tröstliches, was für ein fürsorgliches Bild. Es erinnert an das Zelt der Begegnung in der Wüste auf dem Weg ins Land der Verheißung. Jeder und jede vom Volk Israel konnte hier mit Gott reden.
Zugleich ist es ein schützendes Zelt, ein Zelt voller Geborgenheit. Es schützt vor Sonnenglut und vor sengender Hitze. Und die, die aus der Bedrängnis kommen, werden keinen Hunger und keinen Durst mehr leiden, so beschreibt der Seher seine Vision. Das Lamm wird sie weiden und zu den Quellen führen, aus denen das Wasser des Lebens strömt.
Das Lamm wird die Menschen weiden. Das Lamm wird zum Hirten der Nationen und Völker. "Das mag ein Wechsel sein..." Welch eine Umkehrung der Verhältnisse. Das Lamm, das ist Jesus, der Christus, der im Johannes - Evangelium sagt: "Meine Schafe hören meine Stimme. Ich kenne sie und sie folgen mir. Ich gebe ihnen ewiges Leben... und niemand wird sie meiner Hand entreißen."

Liebe Gemeinde!
Es sind anrührende und ergreifende Bilder, in denen die Bibel hier spricht. Es sind Bilder von einem österlichen Leben, jenseits von Leid und Tod.
Sie wecken in mir und vielleicht auch in Ihnen eine unbestimmte Sehnsucht nach einer anderen, österlichen Welt.
Die Kirchen haben diese Sehnsucht oft auf ein Leben nach dem Tod gelenkt. Sie ermutigten das Kirchenvolk, Leid und Not hier auf Erden auszuhalten, und sich zu freuen auf das ganz andere Leben im Jenseits.
Ich glaube jedoch, die Bibel spricht hier eine andere Sprache.
Das Licht von Ostern scheint nicht erst in einem Leben nach dem Tod.
Es erstreckt sich kein dunkler Tunnel vom damaligen Auferstehungsgeschehen bis ins ewige Leben im Jenseits.
Wir müssen nicht auf dieser Welt leben nach dem Motto "Augen zu und durch".
Nein, das Osterlicht scheint auf diese Erde, auf die Gott seinen Sohn sandte.
Hier hat er gelebt, hier hat er sein österliches Leben gelebt - schon vor Ostern, indem er Traurige tröstete und Kranke heilte.
Hier hat er seinen Jüngern den Auftrag gegeben, die frohe Botschaft, das Evangelium weiter zu geben an alle Welt.
Und als sie es taten und aus Antiochia vertrieben wurden, schüttelten sich den Staub von ihren Füßen und waren voll Freude und erfüllt vom heiligen Geist. So haben wir es aus der Apostelgeschichte gehört.
Die Jünger haben das Evangelium weiter getragen auch in unsere Welt. Heute dürfen auch wir teilhaben an den Weisungen der Tora, die geschrieben auf den steinernen Tafeln im Zelt der Begegnung mit durch die Wüste wanderte.
Heute sind auch wir eingeladen zum gemeinschaftlichen Leben, das Jesus durch sein Leben begründet hat.
Das Osterlicht strahlt in unseren Alltag. Es blendet die Krisen und Bedrohungen, in denen wir leben, nicht aus. Aber es hilft uns, sie in einem anderen Licht zu sehen:nicht fatalistisch, nach dem Motto: "Ich kann ja sowieso nicht ändern...", nicht zynisch nach der Devise "Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot.", sondern in fester Zuversicht auf den, der uns zu den Quellen führen wird, aus denen das Wasser des Lebens strömt, und der abwischen wird alle Tränen von unseren Augen.
Amen


Gebet
Herr, welch ein Gott bist du?
Tot warst du in unseren Augen
Und bist doch der Gott des Lebens.
Öffne unsere Augen vor dem Wunder des Lebens,
dass wir den auferstandenen Herrn sehen:
ein helles Licht in unserem Alltag,
im dunkel der Angst,
auch noch in der Nacht unseres Todes.

Lass das Licht der Auferstehung leuchten
In unseren offenen Fragen,
unseren ungelösten Problemen,
unseren verworrenen Beziehungen.
Gib uns Ausdauer, Gelassenheit und unbeirrte Hoffnung.
Hilf uns lieben, wie du uns geliebt hast.

Barmherziger Gott,
lass das österliche Licht leuchten
für Menschen, die leiden:
für Überforderte mit ihrer Angst,
für Enttäuschte mit ihren Tränen,
für Kranke mit ihren Schmerzen,
für Arme mit ihrem Hunger,
für Fremde mit ihren Enttäuschungen,
für Verzweifelte mit ihrem Schweigen.
Zeige uns Wege, ihr Leid zu lindern.

Wir preisen dich, lebendiger Gott,
du schaffst Licht aus der Dunkelheit.
Du hast dem Tod die Macht genommen
Und Leben und unvergängliche Freude ans Licht gebracht.
Amen

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