Predigten

 

Gottesdienst Neujahr 2002 - Eberhardskirche

Lied 65, 1+5+7 "Von guten Mächten" (1. Melodie)

Liebe Gemeinde!
Es ist die Jahreswende 1944/45, in der Dietrich Bonhoeffer das Lied schreibt, das wir gerade gesungen haben. Gefangen im Gefängnis der Geheimen Staatspolizei in der Prinz-Albrecht-Straße in Berlin, bald 2 Jahre Haft hinter sich. Er weiß zu diesem Zeitpunkt, daß es kaum noch Hoffnung für ihn gibt, nachdem das Attentat vom 20. Juli 1944 gescheitert ist. Er weiß von dem schweren Kelch, den bittern, den er wird trinken müssen im neuen Jahr.
Und doch sieht er das Licht, das scheint in der Nacht, fühlt sich behütet und getröstet wunderbar, so sehr, daß er mit seinen Worten andere trösten kann, im Gefängnis und durch Briefe Freunde und Verwandte. So sehr, daß er mit ihnen gehen will ins neue jahr, das für ihn den Tod bedeutet.

1900 Jahre zuvor ging es einem anderen Mann in einem anderen Teil der Welt ganz ähnlich. Auch er saß in einer Gefängniszelle. Auch er wußte nicht, ob er sie noch lebend verlassen würde. Auch er, der eigentlich des Trostes bedurft hätte, tröstet die, die in Freiheit sind.
Der Apostel Paulus.
Schon vieles hat Paulus durchlitten in seinem Leben, ehe er das Zeugnis ablegt, das wir heute von ihm hören werden.
Anfeindungen von Mitchristen - denken wir nur an das Apostelkonzil. Im letzten Moment konnte die Spaltung der Gemeinde verhindert werden . Körperliche Gebrechen; Gefahren auf seinen Reisen in der heutigen Türkei, entlang den großen Handelsstraßen bis nach Europa. Er hatte das Evangelium von Kleinasien nach Griechenland gebracht, in ein fast heidnisches Gebiet. Nur wenige Synagogen gab es hier.
Viel hatte er nie besessen. Er verdiente sein Brot als Zeltmacher.
Für das, was er sonst getan hatte, hatte er nur selten etwas bekommen: Er erklärte den Heiden, den nichtjüdischen Völkern, die Heiligen SChriften Israels. Er legte sie aus und brachte sie in Verbindung mit dem Leben, dem Sterben und der Auferstehung des Christus aus Nazareth.
Doch jetzt hat er nichts mehr. Jetzt sitzt er gefangen in seiner Gefängniszelle und ist auf Hilfe angewiesen. - Und die kommt! Die Gemeinde in Philippi sendet ihm Unterstützung. Wir wissen nicht was sie ihm senden. Vielleicht ähnliche Pakete, wie Bonhoeffer sie von seiner Familie bekam und für die er sich in Briefen bedankt, mit eben dem Nötigsten, das einem im Gefängnis fehlt: Wäsche, Seife, etwas zu essen etc. Vielleicht war es Geld....
Auch Paulus bedankt sich.
Sein Dankesbrief ist unser heutiger Predigttext:
Phil. 4, 10-20

Liebe Gemeinde!
Stellen Sie sich vor, Ihre Kinder oder Verwandten hätten Sie ganz dringend gebeten, etwas zu schicken, was ihnen fehlt. Sie erfüllen diese Bitte gern und prompt und dann bekommen Sie die Antwort: Vielen Dank, daß Ihr für mich sorgt. Aber eigentlich brauche ich das gar nicht, was Ihr mir da schickt. Ich nehme es gern, aber es wär nicht nötig gewesen. Es geht doch auch ohne.
Ist das nicht ein Affront? Ist das nicht anmaßend?
Warum antwortet Paulus so?
Warum stellt er alle Tatsachen quasi auf den Kopf?
Der, der nichts hat, behauptet: "Ich leide keinen Mangel."
Der, der gefangen und gebunden ist, sagt: "Ich vermag alles."
Denen, aber die in Freiheit leben und ihr Auskommen haben, schreibt er: "Gott wird all eurem Mangel abhelfen."
Sie wollten ihrem Lehrer und Freund Paulus eine Freude machen. Doch er bedankt sich nicht, sondern sagt: "Ihr habt Gott ein Dankopfer dargebracht."
Was soll das?
Was will Paulus der Gemeinde in Philippi, was will er uns sagen?
Paulus leugnet seine Bedrängnis nicht. Er verschweigt nicht, daß es ihm manchmal sehr schlecht geht:
"Ich kann niedrig sein und ich kann hoch sein. Mir ist beides vertraut: satt sein und hungern, Überfluß haben und Mangel leiden."
Aus seinem 2. Brief an die Korinther kennen wir auch seine dringende Bitte, ihn vom "Pfahl im Fleisch", von "Satans Engel" zu erlösen.
Doch er hat gelernt, "sich genügen zu lassen" - so übersetzt Luther das griechische Wort "autark". Wörtlich hieße es: "Ich habe gelernt, in mir autark zu sein", unabhängig, frei und unberührt von den Gegebenheiten des SChicksals. Ich habe gelernt, mich nicht gleich umhauen zu lassen von jedem Lüftlein, das mir entgegenweht.
Diese Standfestigkeit, diese Unabhängigkeit von dem, was andere Menschen ihm antun oder über ihn sagen und denken, hat Paulus in seinem Leben sicher oft gebraucht: ein festes Herz. So haben wir es gestern abend aus dem Hebräerbrief gehört.
Menschen mit einem festen Herzen, die unabhängig von dem, was ihen widerfährt, bei sich bleiben, gibt es nur noch selten auch in unseren Leben. Denn das kostet Kraft.
Paulus hat diese Kraft nicht aus sich selber. Gott gibt ihm die Kraft, die ihn unabhägig macht von dem Gefühl geliebt und anerkannt zu sein, unabhängig vom Wohlstand, von Geschenken: "Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht."
Liebe Gemeinde, wir kennendie Macht der Geschenke, der Spenden, der Korruption. Sie gehört schon fast zur Politik dazu. Wir rechnen kaum noch mit Menschen, die diesen Geschenken widerstehen können.

Zum Schenken gehören immer zwei. D.h. ich kann mich nicht nur durch Geschenke bestechen lassen. Ich kann auch versuchen durch SChenken andere Menschen in Abhängigkeit zu bringen. Weihnachten, das Fest des Schenkens ist gerade erst vorüber. Vielleicht haben einige von uns auch dieses Mal wieder die vielschichtige Dynamik des Schenkens erlebt, in den Familien, unter Freunden, in Betrieben.
Aber auch in der großen Politik, kann das Schenken Abhängigkeiten nach sich ziehen. Deswegen ist es gut bei Spendenaufrufen vorsichtig zu sein, genau hinzugucken. Hilfe zur Selbsthilfe muß das Ziel sein, nicht die mildtätige Gabe, die abhängig macht.
Paulus weiß von diesen Abhängigkeiten. Deswegen betont er seine Autarkie, seine Unabhägingkeit. Er freut sich fast mehr an der Bereitschaft seiner Schwestern und Brüder in Philippi, ihm zu helfen als an den Gaben, die er bekommt. Diese Bereitschaft ist für ihn die Frucht seiner Arbeit, seiner Predigt, seiner Verkündigung: "Nicht das Geschenk suche ich, sondern die Frucht, damit sie euch reichlich angerechnet wird."

Mich erinnert die Freude des Paulus an der Frucht an die Freude, die bei mir die Geschenke meiner Tochter auslösen. Ich brauche ihre Bilder, ihre Bastelarbeiten nicht, wie ich etwas zum Essen oder zum Anziehen brauche. Aber ich freue mich, daß sie an mich denkt. Ich freue mich an der Frucht.
Im Gegensatz zu Paulus habe ich allerdings auch alles, was ich brauche. Ich bin nicht gefangen, nicht hungrig, ich leide keinen Mangel. Deshalb kannich mich an der Frucht freuen
Paulus freut sich an den Geschenken, doch er bleibt frei von Abhängigkeiten, auch in der Gefangeschaft. Er bleibt unbestechlich, auch wenn er Mangel leidet und auf Gaben angewiesen ist. Er bleibt unabhängig vom Gerede anderer menschen.

Liebe Gemeinde!
Diese Freiheit, die Paulus sich bewahrt hat, brauchen nicht nur Menschen, die im Gefängnis sitzen. Im Gegenteil: Wir, die wir satt sind durch Frieden und Wohlstand, lassen uns dieser Freiheit manchmal viel leichter berauben, gerade weil wir noch etwas zu verlieren haben.
Und ich meine jetzt nicht nur die Freiheit zu schenken und beschenkt zu werden. Ich meine auch die Freiheit des Denkens:
Ich weiß nicht, ob Sie das schon einmal erlebt haben: Plötzlich allein zu sein mit Ihrer meinung in einer Gruppe von lauter Andersdenkenden, die selbstverständlich ihre Meinung vertreten ohne große Erklärungen.
Es kostet kraft, unglaubliche Kraft dann bei der eigenen Meinung zu bleiben und sich nicht ins vielsagende Schweigen oder gar in die gegenteilige Position zurückzuziehen. (Straßenbahn: Ausländerfeindlichkeit)
Manchmal kommt es mir so vor, als ertrügen wir in dieser Welt die Vielfalt der Schöpfung Gottes nicht mehr, als könnten wir die menschen in ihrer Unterschiedlichkeit und Individualität nicht mehr so achten. Als bräuchten wir Kategorien, nach denen wir sie einteilen können in Gute und Böse, in Terroristen und in Kämpfer gegen den Terrorismus, in Opfer und Täter.
Als müßte nach dem 11. Sptember letzten jahres alles neu geklärt werden: die Rollen der Geschlechter, der Stolz einer Nation. das Wir und die Anderen.
"Ein Volk, eine Klasse, eine Generation, eine Hautfarbe, ein Glaube, eine Sprache, ein Körper, eine Seele. "We are united. We are America" So lautet ein Gedicht, das zur zeit in den USA kursiert, in dem Land, in dem es von unterschiedlichen Hautfarben, Religionen, Sprachen nur so wimmelt. Die Einheit wird beschworen. Das Denken wird vereinfacht.
Können wir uns davor schützen? Können wir frei bleiben in unserem Denken, frei und differenziert? Können wir die Kompexität der Wirklichkeit noch aushalten? Können wir unabhängig bleiben von den Meinungsmachern unserer zeit?
Und was ist, wenn es uns wirklich einmal icht mehr so gut geht ? Wenn der Mangel auch mal bei uns einkehrt?

Liebe Gemeinde!
Im Gegensatz zu meinem Mann bin ich kein Fußballfan. Trotzdem hat mich die Äußerung eines Fußballspielers beeindruckt, der sich als Christ die Freiheit des Denkens und Redens bewahrt hat: Ich spreche von Oliver Kahn. Die Boulevardpresse nannte den Bayern-Torwart die "Faust Gottes", als er im Finale der Champions-League gegen FC Valencia drei Elfmeter hielt. "Ist der Fußballgott ein Bayer?" fragte ein Reporter den glücklichen Sieger. Daraufhin Oliver Kahn: "Es gibt nur einen Gott, und es gibt keinen Fußballgott. Und dieser eine Gott, der gibt uns die KRaft alles durchzustehen, sowohl die negativen Dinge als auch die positiven Dinge. Er gibt uns die Kraft solche Dinge zu erreichen.... Ich habe alles erlebt, ich hab oben erlebt, ich hab unten erlebt, ich kann das sehr gut einschätzen." (Tagesthemen am 24.5.01)

Liebe Gemeinde!
Das oben und unten sieht sicher für jeden und jede von uns anders aus. Doch vielleicht ist es dem einen oder der anderen von uns auch einmal möglich wie Oliver kahn und wie Paulus zu sagen: "Ich kann niedrig sein und hoch sein, mir ist beides vertraut, satt sein und hungern, beides Überfluß haben und Mangel leiden; ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht."
Wir wissen nicht, was uns in diesem Jahr erwartet, ob Schweres oder Glückliches. Doch was es auch sein wird: wir dürfen darauf vertrauen : Gott begleitet uns auf all unseren Wegen, den dunkeln und den hellen. Wenn wir ihm vertrauen, können wir frei werden von den Einflüsterungen unserer Zeit, frei, auf Gottes Wort zu hören und die Vielfalt seiner Schöpfung zu lieben.
Lassen wir uns anstecken von dieser Freiheit, zu der uns Christus befreit hat.
Lassen auch wir uns ermächtigen von dem, der dem Tod die letzte Macht genommen hat. Dann können auch wir sagen: "Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht."
Dann können wir mit den Worten Dietrich Bonhoeffers beten:
"Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am abend und am Morgen
und ganz gewiß an jedem neuen Tag."
Amen

Lied: 64, 4-6 "Der du die Zeit in Händen hast"
Fürbitten mit Kyrie
Am Anfang dieses neuen Jahres treten wir vor dich und danken dir:
Du gibst uns Leben. Du läßt uns Zeit. Dein Wort weckt uns auf, daß wir dich suchen.
Du siehst, wie wir uns in der Unrast plagen. Wir suchen vieles und oft halten wir krampfhaft an etwas fest, was uns nicht hilft:
Gott, laß uns Ruhe in unserem Alltag finden, Ruhe, die Teil deines Schöpfungswerkes ist, der du am 7. Tag ruhtest.
Wir rufen zu dir: Kyrie
Gott, wir stehen fassungslos vor dem Leid, das anderen Menschen zugefügt wird durch Krieg, verfolgung, Folter und Mißhandlung. Wir denken an Afghanistan an den drohenden Krieg zwischen Indien und Pakistan
Gib uns die Klarheit, mit der dein Sohn Jesus von Nazareth dem Unrecht begegnete, es beim Namen nannte und die Folgen nicht scheute.
Wir rufen zu dir: Kyrie
Einsamkeit und Traurigkeit mchen auch vor unserem leben auch im neuen Jahr nicht Halt. Tröste uns, wenn, wir Trost brauchen, sei bei uns, wenn wir allein sind. Laß uns erkennen, wo wir selber trösten und anderen beistehen können. Sei bei allen Kranken und STerbenden.
Wir rufen zu dir: Kyrie
Gott, zu Beginn dieses jahres bitten wir dich um den lebendigen Atem deines Geistes. Öffne unsere Herzen für dein WOrt, daß wir zuversichtlich und getrost werden und unverzagt dort mitarbeiten, wo wir dem Frieden dienen können.
Mit den Worten deines Sohnes beten wir
Vater unser
Lied: 58, 9-15
Abkündigungen
Verleih uns Frieden
Segen
Nachspiel

 


 

 

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