Predigten

 
 

Beglänzte Nacht

Weihnachtsansprache über Lk 2,1-14 und Joh 1,1-18
24. und 25.12.2010 in Tübingen und Bühl (
Thomas Steiger)

Es kann kein Zweifel daran bestehen, liebe Schwestern und Brüder, daß für die Botschaft des Weihnachtsereignisses die Spannung von hell und dunkel, von Licht und Finsternis eine entscheidende Bedeutung hat. Wir kennen das seit Kindheitstagen, und der Tag-Nacht-Rhythmus des Winterhalbjahres tut in unseren Breiten das Seine dazu: Die Tage sind kurz. Viele von uns leiden unter dem fehlenden Sonnenlicht, fühlen sich niedergeschlagen oder werden tatsächlich depressiv. Der äußerlichen Finsternis entspricht eine dunkle Seite in uns, der wir uns im Winter mehr ausgesetzt fühlen als sonst das Jahr über. Wir spüren unsere Zerbrechlichkeit, unsere Grenzen, ahnen den Tod. Die Schwere unserer Existenz, die wir sonst ganz gut aushalten oder ziemlich erfolgreich verdrängen, drückt uns aufs Gemüt. "Kriege ich jetzt endlich die Kurve, aus meiner Lähmung und Bequemlichkeit auszubrechen? Meint Gott es am Ende schlecht mit mir, bei den vielen Tiefschlägen, die ich gerade erfahre? Lohnt es sich, gibt das einen Sinn, was ich in meinem Leben bisher so gemacht habe?"

Um dem vielen Dunkel wenigstens etwas entgegenzuhalten, zünden wir mehr Kerzen an, stellen eine Laterne vor die Tür und schmücken unsere Fenster mit Lichterketten. Wir inszenieren die Möglichkeit des Hellen inmitten der Finsternis. Auch die religiösen Bräuche in der Advents- und Weihnachtszeit bedienen sich dieser Spannung. Am echten (!) Adventskranz gibt es von Anfang an vier Kerzen, die wir aber erst nach und nach entzünden, um zu erleben: Es gibt immer noch ein Mehr an Helligkeit. Manche gehen frühmorgens in die Rorate-Messe, weil sie bewußt dem Dunkel der Welt eine Ahnung von Gottes Glanz entgegen setzen, selbst Teil davon sein wollen. Und schließlich hat die seit dem 19. Jahrhundert übliche Tradition des Christbaums das Zeichen der Lichterfülle so gut wie in jedes Haus geschafft: Die brennenden Kerzen wollen Sinnbild von jener Helligkeit sein, die das Weihnachtsereignis in die Welt gebracht hat.

Liebe Schwestern und Brüder, nun ist das Gegenüber von Finsternis und Licht aber nicht nur eine urmenschliche Erfahrung, welche die Spannungen unseres Daseins beschreibt, sondern auch ein Bild, mit dem die Autoren der Bibel das Geheimnis der Gottesgeburt wiederzugeben versuchen. Der Prophet Jesaja ist dafür wohl der Kronzeuge, weil er das Kommen des so sehnlich erwarteten Messias, des Erlösers und Retters, mehrfach mit dem Aufgehen eines Lichtes vergleicht: Das Volk, das im Dunklen lebt, sieht ein helles Licht - heißt es bei ihm. Und an anderer Stelle: Mache dich auf, werde Licht; denn dein Licht kommt. Wenn Gott kommt, dann wird er das Finstere in einem anderen Licht erscheinen lassen, ja, er wird die Nacht hell machen. Gott will das Dunkle vertreiben, ihm nicht den Platz überlassen, sondern die andere Wirklichkeit betonen, die er von Anfang in seine Schöpfung, in uns als Teil davon, gelegt hatte: Es werde Licht! Und es ward Licht! So beginnt ja die Bibel. Aber allein dieser Schöpfungsakt und seine Grundanlage scheinen nicht auszureichen. Das beweist der Verlauf der Weltgeschichte, in der es so viele dunkle Momente gegeben hat. Und erst recht zeigt das unsere individuelle Biographie. Das Licht, das wir aus eigener Kraft erzeugen, reicht nicht aus - was vor allem damit zu tun hat, daß wir das bißchen vorhandene Helligkeit mutwillig verstecken/unterdrücken/verdunkeln, nicht immer, aber eben doch zu häufig. Anders kann ich die folgenden Verhaltensweisen nicht beschreiben, die teils (scheinbar) nur persönliche, teils soziale und letztlich globale Konsequenzen haben:

* Familien halten es nicht miteinander aus. Die erotische Anziehung erlahmt, das Prickeln des Neuen fehlt. Der Liebe sind sich die Partner auf einmal unsicher, weil sich das Gefühl schneller verändert hat, als das Begreifen Schritt hält. Es folgen Verletzungen, Grobheiten, das Bemühen um den anderen fehlt. Und alle bleiben letztlich auf der Strecke: die Partner, die Kinder. Als Pfarrer sehe ich in diesem Bereich viel Dunkelheit - bei seelsorgerlichen Gesprächen, in der Schule. Ich bewerte nicht, aber es ist unübersehbar für mich: Hier bräuchte es oft unbedingt Licht, eine Erhellung! Die eigene Kraft der Betroffenen reicht nicht aus. Sie sehnen sich nach einem Licht-Blick, und können ihn nicht einfach so herstellen.

* Ein anderer Aspekt ist jener des grundsätzlichen Umgangs mit Fremdem, mit dem Anderen. Ich beobachte hier eine große Verunsicherung, bisweilen gar Angst. Die andere Religion, die fremde Herkunft, die materielle Not, die abweichende sexuelle Vorliebe - sie könnte mich bedrohen, mich fragwürdig machen in meinem Selbstverständnis. Und dabei hatte ich mir doch mit Müh und Not alles so schön zurecht gelegt, daß ich ungestreift durch meinen Alltag komme. Alles ist normal bei mir; und da kommen der oder die da und verwirren mein Weltbild. Also verweigere ich mich am besten der Auseinandersetzung, suche das Weite, jage das Fremde davon. Auch der Bundespräsident kritisiert in seiner Weihnachtsansprache heute den mangelnden Respekt, den wir voreinander haben. Statt dessen verlegen wir uns auf Abgrenzung und Intoleranz und sichern unsere eigene Pfründe: die christliche Leitkultur, der deutsche Fleiß, der europäische Wohlstand, das atlantische Bündnis. Was soll das? Wozu brauchen wir das? Müssen wir uns so gegenseitig das Licht streitig machen, das wir so dringlich benötigen? Mein Licht leuchtet aber gar nicht wirklich heller, wenn ich das des anderen auslösche; der Vergleich trügt.

Liebe Brüder, liebe Schwestern, die beiden Charakterisierungen des Weihnachtsmysteriums, wie sie uns bei Lk und Joh in der Bibel überliefert sind, gehen vom Zustand der Dunkelheit aus. Die Hirten haben während ihrer Nachtwache ein Erlebnis, das sie umwirft: der Glanz Gottes umstrahlt sie und in diesem Licht beginnen sie zu begreifen, daß Gott einen weiteren großen, ja, den entscheidenden Schritt auf die Welt zugemacht hat. Er kommt zu ihnen, wird wie sie. Und in seiner Menschwerdung steckt nicht mehr nur das Schöpfungslicht vom Anfang der Welt als Möglichkeit, sondern das Licht der endgültigen Erlösung. Keine Finsternis der Welt kann es bezwingen. Denn indem Gott ein Mensch wird, ein Kind, indem er geboren wird hier auf Erden, lebt er als Gott zugleich in jedem Geschöpf, in jedem von uns. Gott ist als unauslöschbares Licht in Ihnen, in uns allen.

Leider kann es sein, daß wir auch dieses Licht nicht genügend pflegen, daß wir es anderen absprechen - das göttliche Licht: dem Menschen, den ich einst liebte, den Muslimen, denen, die als Fremde ins unser Land kommen, wenn wir anderen die Sozialität, ihre Kulturfähigkeit absprechen. Das meint der Evangelist Johannes, wenn er davon spricht, daß die Welt das wahre Licht (in uns) nicht erkannte. Wenn es so ist, kann nicht Weihnachten werden. Das innerste Geheimnis des Festes aber ist, daß Gott das Licht aller Menschen ist, und daß es in jeder Finsternis leuchtet, daß die Finsternis es in der letzten Konsequenz nicht ergreifen kann. Aus diesem Grund ist Weihnachten ein großer, ein unglaublicher Festtag, den zu feiern es sich nicht nur lohnt, sondern der unserer Welt im kleinen wie im großen göttlichen Glanz verleiht. Amen.