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Ansprache
zum Ehrenamtlichenfest und Mitarbeiterfest
14.1.2011 - 18.30 Uhr St. Michael / 16.1.2011 - 9.00 Uhr St. Pankratius
(Thomas Steiger)
Vergangene Woche in Wien,
in den ersten Tagen des neuen Jahres, war jedes zweite Geschäft
geschlossen. Inventur! Mehr oder weniger geschäftige bis genervte
Menschen waren damit beschäftigt, den Bestand festzustellen, den
Verbrauch zu erfassen. Was haben wir verkauft, was geleistet? Was müssen
wir nachbestellen? Ärgerlich und enttäuscht zog ich das eine
oder andere Mal weiter - und dachte mir meinen Teil. Was soll die ganze
Zählerei, und vor allem zu einer Zeit, wo ich doch etwas kaufen
will, Beratung bräuchte
?
Manchmal kommt es mir so vor, als wäre in der Kirche permanent
Inventur. die neusten Mitgliederzahlen (Tübingen hat Zuwachs),
Austrittsmeldungen, Taufen, Zählung der Gottesdienstteilnehmer,
wie viele Firmbewerber, der Zeitplan für das neue Gesangbuch, Familiengottesdienste
und Kirchenkaffee müssen koordiniert werden. Ja.
Wir könnten am Beginn
eines neuen Jahres und im Rückblick auf das neue ebenfalls versucht
sein, es so zu machen. Was haben wir nicht alles erreicht, und über
was müssen wir traurig oder verunsichert sein? Welche Stellschrauben
sind zu verändern? Stimmt unsere Planung? Aber dazu ist dieser
Abend/Morgen nicht da. Er ist schlicht Dank an Gott für die vielen
schönen Möglichkeiten gemeinsamen Lebens, die er uns schenkte.
Und dieser Dank mag sich vervielfachen und unterschiedlichen Ausdruck
finden hier in der Kirche, nachher beim Essen und Trinken, im Erlebnis
von Gemeinschaft, im Gespräch und Austausch, in der Freude an den
anderen, für die wir als Mensch dankbar sind. Vielleicht hat dieses
Fest dann sogar versöhnenden Charakter, weil wir ja im Laufe eines
Jahres auch aneinander geraten, uns ärgern über andere, unzufrieden
sind und enttäuscht. Wenn wir Gott danken, kann dabei nicht die
einzelne Leistung oder das individuelle Versagen in den Blick kommen,
sondern stets der ganze Mensch, sein Glaube, seine Hingabe. Die Bewertung
darüber steht uns nicht zu; sie bleibt ihm überlassen. Ob
es uns gelingt, diesen Blick einzunehmen: "Ich bin dankbar für
meine Gemeinde, deren Teil ich bin mit vielen anderen zusammen, und
die so wiederum Teil der einen Kirche Jesu Christi ist, menschliches
Zeichen seines Reiches."?
In eine solcherart entspannte
und unbekümmerte Atmosphäre führt uns das eben gehörte
Evangelium. Es erzählt vom ersten öffentlichen Auftritt Jesu,
der sich am See Genezareth abspielte. Zwei wesentliche religiöse
Erfahrungen hat der junge Mann Jesus aus Nazareth zuvor bewußt
hinter sich gebracht: seine Taufe durch Johannes am Jordan, die für
seine Umkehrbereitschaft steht, für den Willen sich Gottes Willen
zu fügen und für den bewußten Schritt hinein in das
gelobte Land, in Gottes Bereich. Anschließend unterwarf er sich
vierzigtägigen Exerzitien, geht dazu in die Wüste, um alles
kennenzulernen, was im Menschen ist, alles Böse, alle Versuchung,
die Sünde, den Tod. Lange, anstrengende äußere und innere
Wege sind das gewesen, aber auch notwendige, um seine Berufung zu finden,
seine Identität, und um mit relativer Sicherheit sagen zu können:
Das hat Gott mit mir vor, an diesem Platz will er mich haben. Solchermaßen
geläutert und vorbereitet geht Jesus dann regelrecht in die Sommerfrische.
Wenn Sie je mal im Heiligen Land waren, dann wissen Sie, daß das
nicht weit hergeholt ist. Von judäischen Bergland, wo Nazareth
liegt, von der Wüste Juda bei Jericho kommend ist Kafarnaum, die
kleine Stadt am Ufer des galiläischen Sees eine wahre Wohltat.
Da läßt es sich leben: mildes Klima, Wasser, Früchte
des Meeres und der Bäume gedeihen da zuhauf. Ein schönes Plätzchen
Erde zum leben, anderen zu begegnen, sich auszutauschen über Gott
und die Welt, auch um sich zu erholen und etwas Neues zu probieren.
Diese Gegend wählt sich Jesus für seine ersten Schritte als
Prediger, als Gottesmann, als Prophet, als Menschensohn. Interessant
und bezeichnend auch, daß es sich nicht um jüdisches Kernland
handelt, sondern um mehrheitlich heidnisches Terrain. Er sucht also
nicht die Konfrontation und Abgrenzung, sondern will ausprobieren, und
sich dabei nicht vorbelasteten Umständen aussetzen. Galiläa
ist Neuland, und das will er beschreiten, mit seinem unbekümmerten
Gottvertrauen, seiner befreienden Botschaft. Kehrt um, denn das Himmelreich
ist nahe! Mehr erfahren wir zunächst und in dieser Episode des
Mt nicht über die Predigt Jesu. Weiter lediglich, daß er
herumreiste mit seiner Botschaft, die Kranken heilte - und dabei die
Leute faszinierte. Scharen von Menschen folgten ihm. Einfach so, nur,
weil er das, was er tat, so tat: ungezwungen, frei, glaubwürdig,
unaufgeregt, ohne zu rechnen, ohne Zeitdruck, ohne Kalkül.
Ich wünsche mir, daß
wir uns davon berühren lassen, daß uns diese "Methode"
ansteckt, daß wir sie auch ausprobieren. Ich wünsche es mir,
weil ich mir davon mehr verspreche, als von aller Planung, die auf eine
kluge Inventur folgen müßte. Wir müssen das ursprüngliche
Feuer des Glaubens wieder entfachen und dann das Einfache tun: Die Nähe
des Gottesreiches predigen und leben, indem wir heilen, trösten,
Helligkeit verbreiten, denen nahe sind, die uns brauchen. Daran ist
eben gar nichts kompliziertes. Aber es verlangt, meine ich, von uns
unglaublichen Mut. Wir können uns dann nämlich nicht auf Konzepte
zurück ziehen, auf Organisation und Struktur, auf Sitzung und Beratung.
Sondern wir müssen uns als Person, als Mensch, als Glaubender in
die Waagschale werfen. Ich heile. Ich spreche von Gott. Ich tröste.
Ich kehre um. Ich bin Teil des angebrochenen Reiches, in dem Gott die
Spielregeln bestimmt. Ich mache mich auf in die Sommerfrische an den
See. Wo der liegt? Ja, er muß in St. Michael / St. Pankratius
zu finden sein. Dort, wo es nicht verbissen zugeht, sondern wo man in
Gelassenheit auf das Neue geradezu sehnsüchtig wartet. Und dann
braucht es von uns nur etwas Mut, die über Jahrhunderte entstandenen
Komplikationen des kirchlichen Systems, die Räson des Amtes und
die Strenge des Rechts nicht an erster Stelle zu beachten. Sie sollten
doch ursprünglich nur Hilfsmittel sein, um das Himmelreich zu öffnen,
keinesfalls den Blick darauf zu verstellen. Ich predige solchen Frei-Mut
für unsere Gemeinde, weil wir etwas in uns tragen von Gott, was
unsere Welt verändern kann zum Guten. Wir dürfen es nicht
verbergen. Andere wollen an uns sehen, daß Gott nahe ist, daß
sein Reich keine Utopie der Ewigkeit ist, sondern Realität. Und
wenn es sie überzeugt, die anderen, dann braucht uns nicht bange
sein um die Zukunft des Christentums, für das wir als Gemeinde
stehen - hier an diesem Ort.
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